33. Schrittweise zur Bewegung!

1. Dezember 2017
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4 Minuten Lesezeit

Die Bewegung hat für mich noch immer Vorrang. Wobei das andere, das Denken und Greifen, dabei sowieso mittrainiert wird.

Ich bewege mich noch immer Schritt für Schritt weiter. Wie auch seinerzeit beim Gipfelgang auf den Denali. Auf 6000 Meter geht alles langsamer, wie auch heute. Darum beschreibt es meinen derzeitigen Zustand sehr gut mit diesem Vergleich. Mein jetziger Gipfelgang dauert allerdings länger und ist mit nichts bisherigem vergleichbar.

Körperlich fühle ich mich schnell außer Atem, brauche viele Pausen, die Langsamkeit beherrscht mich - eben wie Höhenbergsteigen. Dort ist auch Ausdauer gefragt. Wobei es diesmal mehr um die mentale Ausdauer geht. Man braucht einen langen Atem, um das durchzustehen. Ein Projekt von so langer Dauer hatte ich noch nie.

Schrittweise vorwärts bis zum Laufen!

Bis zum Laufen ist es noch ein weiter Weg. Ich musste anfangen wie ein Baby, mit dem Vorteil, schon einmal gegangen und gelaufen zu sein. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein schrittweiser Beginn. Mein derzeitiger Stand mit Gehen und Laufen ist ähnlich jemandem, der mit starkem Übergewicht beginnt oder der lange Zeit überhaupt keinen Sport machte.

Im Krankenhaus ging es erstmals darum gehen zu lernen. Am Anfang war es schon schwer nur aufzustehen, später hantelte ich mich am Bett entlang, bis ich frei gehen konnte, ohne mich anzuhalten. Es dauerte Monate bis zu den ersten Schritten im Freien. Nach 5 Monaten konnte ich gerade 50 - 100 Meter am Stück gehen. Dann war die Kraft zu Ende, ich brauchte eine Pause und musste mich hinsetzen.

Bewegung, Schritt für Schritt

Meinen geduldigen Therapeutinnen gehört dafür großes Lob, dass sie mir wieder Gehen beibrachten. Es war ungewohnt für mich, als Sportler gesagt zu bekommen, was man zum Gehen alles braucht. Welche Muskeln, auf was ich achten soll, Abstände der Schritte, richtiges Abrollen und vieles mehr. Meine ganze Kraft und die Gedanken waren auf das wieder Erlernen von Gehen und auf die Bewegung ausgerichtet.

Meine dünnen Beine

Meine Beine waren damals um die Hälfte dünner als vorher. Nur Haut und Knochen, gestützt durch Thrombose-Strümpfe. Erst nach meinem ersten Reha Aufenthalt nahmen meine Beine an Umfang wieder zu und das Gehen konnte wirklich beginnen. Auch den Puls musste ich erst in Schwung bringen. Ein einziger schneller Schritt brachte mich zum Schnaufen und bergauf gehen war sowieso nicht möglich.

Meine Beine im Krankenhaus
Meine Beine im Krankenhaus

Es änderte sich dann vieles ab Februar 2017. Der Schleier der Krankheit begann langsam zu verschwinden und meine Defizite wurden ersichtlicher. Ich musste akzeptieren, dass mir nicht einfach nur die Kraft und die Ausdauer fehlten, sondern dass die neurologischen Defizite doch stärker als gedacht waren. Immer wieder auftretender Schwindel und Gleichgewichtsstörungen stehen bis heute an der Tagesordnung. Es bessert sich, aber eben nur sehr langsam.

Neurologische Defizite beim Denken und in der Bewegung

Diese neurologischen Defizite beinhalten auch mein Denken. Bisher habe ich diese Defizite immer nur am Rande erwähnt. Das körperliche Handicap stand für mich im Vordergrund, weil es mich offensichtlicher behindert. Aber das Denken ist trotzdem entscheidend, auch für die Bewegung, weil die eben nur mit Multitasking funktioniert.

Meine Denk-Defizite sind aber auch, dass ich leicht Sachen zum Erledigen vergesse oder etwas verschieben muss, weil es mir zu viel wird. Es ist mir oft gar nicht bewusst, dass es so ist.

Ich habe ein Computer Programm für das Üben des Gehirns. Damit steigere ich meine Merkfähigkeit und Reaktionsfähigkeit. Auch das gehört zu meinem "Gipfelgang" dazu.

Lieber sind mir oft die praktischen Dinge im Alltag. Schauen, wie viele Dinge ich mir von der Einkaufsliste merke oder was ich zum Erledigen habe. Auch das Bloggen oder mich an verschiedenste Dinge von früher wieder erinnern, ist Teil meiner "Therapie". Der Alltag ist Therapie.

Automatisation im Alltag

Alles an mir ist stark verlangsamt. Die Reaktionsfähigkeit, die Bewegung und das Denken. Das Hirn hat eine wichtige Funktion. Es steuert die Bewegungen, was früher hauptsächlich automatisch geschah. Diese Automatisation funktioniert bei mir aber nicht mehr oder nur eingeschränkt. Muskeln, Bewegungsabläufe - alles muss ich andenken und steuern lernen.

Zumindest auf Asphalt kann ich schon mehrere Meter automatisiert gehen. Es ist wie eine Erlösung, einmal nicht denken zu müssen. Dieses dauernde Konzentrieren kostet nämlich enorm viel Energie. Daher bin ich am Ende des Tages (oder meist früher) erschöpft. Die Gehirnleistung fordert mich gleich wie die Körperliche.

Worüber ich früher nie nachdachte, nämlich das Gehen, kostet jetzt unheimlich viel Energie. Laufen ist noch immer weit weg, erst muss ich gehen lernen, die Technik verbessern. Das ist aber nur im Kleinen möglich. Es gibt keine großen Sprünge.

Überschaubare Zwischenziele setzen

Es war für mich immer klar, wieder gehen zu können. Das dies aber nicht selbstverständlich sein sollte, musste ich erst erkennen. Meine Zwischenziele ändern sich immer wieder, da sich so viel an mir ständig ändert.

Meine kleinen Ziele sind vielfältig. Einen neuen Score am Computer Programm erreichen, balancieren auf einem Baum lernen, eine weitere Strecke automatisiert zu gehen schaffen und noch vieles mehr. Anhand dieser kleinen Schritte kann ich auf Zwischenzielen aufbauen.

Eines ist für nächstes Jahr, auf einem Pilgerweg unterwegs sein. Einen Teil des Franziskusweges von Florenz weg zu gehen, wäre schön. Der Jakobsweg wird mir zu lang sein, wenngleich es eine Herausforderung wäre.

Pilgern als Ziel

Dass alles so lange dauert, hat auch einen anderen Grund. Ich habe von vielen Betroffenen gehört, die denselben Problemen ausgesetzt sind. Zunächst auf Reha, tut sich viel. Man hat den ganzen Tag Zeit, sich mit sich selbst auseinander zu setzen. Kaum zu Hause hat man zusätzlich zu einem selbst, noch mit den Herausforderungen des Alltags zu tun. Auch ich versuche beides unter einen Hut zu bekommen, was aber selten gelingt.

Ich muss am Morgen genau überlegen, was ansteht und was erledigt gehört. Da bleibt nicht immer Zeit und Kraft für's Training über.

So sieht es bei mir derzeit aus. Auf jeden Fall mache ich das Beste aus allem!


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Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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