Das Thema Wald, Baum und Gesundheit beschäftigt mich schon länger. Noch vor'm Hirnabszess war es mein Freund Bernd, der mir ein Buch von Erwin Thoma in die Hand drückte, "Die geheime Sprache der Bäume".
Es hat mich sehr angesprochen, aber auch nachdenklich gemacht.
Seit dem Hirnabszess hat der Wald für mich eine besondere Bedeutung bekommen. Er ist Ruhebringer, Therapeut und Kraftkammer in einem.
Einmal ist es mir besonders aufgefallen. Anders als üblich, spazierte ich diesmal von Graz nach Hause. Sonst gehe ich meist in den Wäldern rund um Stattegg spazieren. Diesmal war es umgekehrt.
Ich fuhr mit Silvia zum Einkaufen, ließ mich dann absetzen und setzte mich in ein Café um zu Schreiben. Dann kam mir die Idee, zu Fuß nach Hause zu gehen. Das habe ich noch nie gemacht, weil mich die lärmende Stadt immer sehr viel Energie kostet. Danach noch in den Wald zu gehen, vermied ich bis dato.
In der Stadt bekomme ich immer ein beengtes Gefühl. Mein Sichtfeld engt sich ein, ich bekomme den Tunnelblick. Das heißt, rechts und links nehme ich fast nichts wahr und nur ein kleiner Ausschnitt in der Mitte ist scharf. Dazu neigen sich meine Finger zu verkrampfen. Außerdem werde ich beim Gehen unsicher. Das alles führt dazu, dass ich mich in der Stadt nicht wohl fühle.
Ich wollte schon aufgeben, da ich dachte, heute nicht gut drauf zu sein. Diese ersten Meter auf der Straße stressten mich mehr als gedacht und noch standen mir ja drei Kilometer durch den Wald bevor.
Mit Pausen schaffte ich es bis zum Anfang des Waldes. Noch wäre ein Abbruch möglich gewesen.
Aber da war mein Wille stärker. Mit der Sicherheit, jederzeit, wenn ich nicht mehr weiter konnte, den Wald verlassen zu können und den Bus nach Hause zu nehmen, ging ich in den Wald hinein.
Kaum war ich weg von all den lärmenden Autos, dem harten Asphalt und dem Grau der Straße, wurde ich lockerer und ruhiger. So intensiv war mir das bisher noch nie aufgefallen. Je weiter ich ging umso ruhiger wurde ich.
Bei etwa der Hälfte des Waldstücks fühlte ich mich weit besser als noch kurz vorher, als ich in der Stadt unterwegs war, und das trotz der Strecke die ich schon zurückgelegt habe.
Bisher baute ich mit jedem gegangenen Meter körperlich ab. Diesmal war es aber anders. Ich erholte mich vom Stress der Stadt mit jedem Meter mehr. Der Tunnelblick weitete sich, was für mich am schönsten zu beobachten war. Es war das erste Mal, dass es mir so stark aufgefallen ist. Das zeigt mir, was die Kraft der Natur für eine Rolle in der Therapie spielen kann.
Das Stresshormon Cortisol verringert sich im Wald und diese Reduktion hält über Tage hinweg an. Dafür muss man sich nicht einmal bewegen: Waldluft wirkt, auch wenn man sitzt. Abgespanntheit, Stress und Erschöpfung werden weniger. Positive Gefühle kommen auf und man wird ruhiger.
Der Kontakt mit künstlichen Materialien verursacht einen gewissen Stress-Effekt. Auch die Stadt ist großteils künstlich. Mit Entsetzen musste ich nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus feststellen, wie viele Grünflächen in Graz verschwunden sind und wie viele alte Häuser durch moderne Hochbauten ersetzt wurden. Dieses "Alles zubauen" wird uns noch auf den Kopf fallen. Wir schaden damit unserer Gesundheit, denn wir sind nun einmal Naturgeschöpfe.
In der Stadt sind wir einer unaufhörlichen Reizüberflutung ausgesetzt. Das ermüdet. In der Natur hingegen ist die Aufmerksamkeit auf nur wenige Reize gelenkt. Die mentale Erschöpfung können wir in der Natur kurieren, in der Stadt nicht. In jungen Jahren fällt uns das nicht so auf, da können wir diese Reize noch locker abwehren. Aber wenn wir älter werden, da schlägt es dann umso härter zu. Burn Out und andere psychische Erkrankungen nehmen dann zu. Alles eine Folge unseres schnellen Leben.
„Wir wurden so geschaffen, dass wir in eine natürliche Umgebung passen, wenn wir uns inmitten der Natur aufhalten, werden unsere Körper wieder zu dem, was sie einmal waren.“
Zitat: Yoshifumi Miyazaki, Direktor des Zentrums für Umwelt, Gesundheit und Agrarwissenschaft von der Universität Chiba.
Auch ich spüre, dass mir der Wald helfen kann. Gerade mit den Folgen des Thalamus-Abszesses, wie etwa Gleichgewichtsstörungen, Schwindel, aber auch der kognitiven Fähigkeiten. Im Wald ist alles mehr Lust statt Trainingseifer! Der Waldspaziergang ist ein Breitbandheilmittel, wie kaum etwas anderes.
"In einer Befragung von 355 Reha-Patienten in zehn Kurorten gaben mehr als drei Viertel der Befragten an, dass neben den ärztlichen Bemühungen das Spazieren im Grünen am meisten zu ihrer Gesundung beitrage."
In Fernost ist man gerade eifrig dabei, Wälder in Therapiezentren umzuwandeln. Eine tolle Idee. Ich weiß noch, wie ich im Aufenthaltsraum der Neurologie saß. Ich blickte durch die Fensterfront auf den Leechwald. Wie sehr habe ich mir damals gewünscht in den Wald gehen zu können. 5 Monate sah ich ihn nur durch die Glasscheibe hindurch. Doch auch das war irgendwie heilsam.
Darum kann ich nur ermuntern: Geht so oft es Euch die Zeit erlaubt in den Wald!
Welche Bedeutung hat der Sport für mich und meine Gesundheit nach der Krankheit bekommen. Ist er eine Motivation für mich?
Kann ich das, was ich mache, überhaupt Sport nennen oder ist es nur Therapie? Egal, wichtig ist, dass ich mich bewege. Motiviert bin ich, wenn ich ein Ziel sehe! Ohne Ziel, keine Motivation.
Ich bin umgeben von Hindernissen. Am Anfang ragten die Stufen überall in die Höhe und der erste Stock glich einer 8000er Besteigung. Jede kleinste Kante wurde zu einem für mich fast unüberwindbaren Hindernis. Heute, ein Jahr später, sehe ich meinen Anfang nur mehr verschwommen. Die Stufen und Kanten sind kleiner geworden, aber sie sind noch immer da. Diese Hindernisse schienen am Anfang unüberwindbar zu sein.
Deswegen setzte ich mir mit dem Eiger Ultra Trail ein großes Ziel. Es war 2014 meine erste Ultra Trail Teilnahme. Er ist noch weit weg, so weit, dass ich ihn fast nicht sehen kann. Aber er ist immer in meinem Hinterkopf. Auch in Momenten wie gerade zur Zeit. Ich habe das Gefühl, es geht nichts weiter.
Dann helfen mir die inneren Bilder und motivieren mich wieder. Objektiv darf ich nicht an meinem Zustand denken, ich würde daran verzweifeln und aufgeben. Mit einem Ziel vor Augen ist alles sinnvoller und gibt mir Mut.
Stiegen sind auch heute noch ein eigenes Kapitel. Kaum gehts wo rauf, bremst es mich ein. Stufe um Stufe muss ich erklimmen, mich auf jede einzelne konzentrieren. Schnaufend geht es hoch. Das kann frustrierend sein, denn eigentlich will ich schon weiter sein. So schwanke ich zwischen Frustration und Hoffnung, aber auch Dankbarkeit, dass ich überhaupt Gehen kann. Ein Wechselbad der Gefühle.
Ich denke immer wieder an die über 6000 Stufen auf den heiligen Adams Peak in Sri Lanka. Selbst Geh-Behinderte wagen den Aufstieg und brauchen 2 - 3 Tage. Auch hier ist Motivation ein wichtiger Punkt. In diesem Fall hat es religiöse Gründe. Nach buddhistisch-singhalesischem Glauben sollte jeder gute Buddhist diesen Berg zumindest einmal im Leben besteigen.
Bei einem Hirnabszess reagiert jeder anders, kein Fall ist gleich. Es ist entscheidend, wo das Abszess sitzt. Bei mir war es ein Thalamusabszess. Der Thalamus ist eine wichtige Schaltzentrale für Sensorik und Motorik. Er entscheidet, welche der eingehenden Informationen im Augenblick für den Organismus so wichtig sind, dass sie ins Bewusstsein gelangen sollen.
Ist der Thalamus betroffen, können Psychische Störungen mit Minderung der Aufmerksamkeit, Reizbarkeit, Ungeduld und Schreckhaftigkeit auftreten, sowie einer herabgesetzten Sensibilität der Haut und einer Störung der Tiefensensibilität. Das hat sich bei mir durch Verletzungen bemerkbar gemacht, die ich nicht bemerkte.
Der Thalamus ist verantwortlich für die Steuerung und Regelung der allgemeinen Empfindsamkeit (Sensibilität). Daher meine Probleme beim Greifen, Gehen und wieder Laufen können. Trailrunning muss noch eine Weile warten.
Ich darf nicht mehr vergleichen. Ein Vergleich zu früher hinkt eben. Das, was ich jetzt zu Leisten imstande bin, hat mich früher nicht einmal aus dem Bett hervor geholt. Sprich, was heute mein Limit ist, machte ich nicht einmal zum Aufwärmen. Aber jetzt zählt eben etwas anderes.
Der körperliche Zustand ist derzeit einer ständigen Veränderung unterworfen und das nicht immer aufwärts, wie bei einem Beinbruch. Das Training, bzw. die Fortschritte, gehen eben nicht in dem Tempo, wie ich es früher vom Rad- oder Lauftraining gewohnt war. Das ist nicht immer leicht zu verstehen.
Mein ganzes Leben wurde bisher vom Sport begleitet. Daher mache ich auch jetzt Sport, auch wenn es in nur geringem Maße möglich ist. Der Sport motiviert mich. Ich zähle auch Ausflüge in die Stadt dazu, wie ich es vor kurzem auf Instagram gepostet habe. Denn die Anstrengung ist immer die gleiche, egal was ich mache. Alles ist Training.
Am Anfang stellte schon eine Gehstrecke von 15 min. eine gewaltige Herausforderung dar. So lange dauerte es, bis ich vom ersten Stock unten war, die ersten Schritte auf der Straße machte und alles wieder zurück. 15 Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen.
Es sollte Wochen dauern, bis ich mich an die Steigung hinauf zur Landesstrasse wagen konnte. Normal ein Weg von ein paar Minuten, damals für mich 30 Minuten. Es dauerte dann wieder Wochen, bis ich auch diese Steigung schaffte. Nach mehreren Monaten war ich dann zum ersten Mal im Wald.
Wenn man der WHO glauben kann, soll man täglich 10.000 Schritte tun. Da bin ich allerdings noch weit entfernt davon. Es ist ein Richtwert, um gesund zu bleiben. Natürlich hängt es von der Intensität ab. Aber 10.000 Schritte sind ein guter Anhaltspunkt. Ich selbst habe gemerkt, wie mir die Bewegung gut tut. Wer täglich eine Stunde zu Fuß unterwegs ist, steigert die eigene Fitness spürbar. Empfohlen werden 30 bis 60 Minuten täglich. Dem kann ich mich nur anschließen.
In der Vorbereitungszeit auf die Denali Besteigung 1996, machte ich alle Besorgungen in Graz zu Fuß. Oft führte mich mein Weg quer durch die Stadt. Zusätzlich zur Bewegung in meinem Job als Landbriefträger, kam ich auf 20 bis 30 Kilometer zu Fuß am Tag, zusätzlich zum Radtraining. Gehen hat eine Vielzahl an Auswirkungen auf die Gesundheit. Deswegen ist es mir auch so wichtig.
Alles Punkte, die für mich wichtig sind. Gehen hat für mich einen besonderen Stellenwert bekommen. Es bedeutet für mich auch Freiheit oder besser gesagt, wieder Selbständig zu werden. Auf niemanden angewiesen zu sein, wohin gebracht zu werden.
Aber es gehört auch noch anderes dazu. Ich möchte nicht sagen, dass ich es nicht beachtet habe, aber in letzter Zeit habe ich es sicher mehr in den Hintergrund verschoben. Nämlich die Hände. Ich bin meist so beschäftigt mit dem Gehen lernen, dass ich spezielle Ergotherapie-Übungen für die Hände und Finger ausgelassen habe.
Einerseits weil ich mit den Anforderungen des Gehen voll ausgelastet bin, andererseits der Schleier der Krankheit noch immer über mir liegt und sich immer wieder etwas verändert.
Der Frust oder der Ärger, etwas nicht zu können, ist allgegenwärtig. Es sind die alltägliche Dinge, die Ungeduld auslösen, wie zum Beispiel Schuhe binden. An manchen Tagen geht es gut, an manchen nicht. Vielleicht verwende ich deshalb so gerne meine Trailrunning Schuhe, weil die Quicklace Schnürung mir das Leben leichter macht. Es geht ja auch darum, etwas zu finden, was mir den Alltag erleichtert. Dem ist aber nicht immer so.
Milch- oder Saftpackerln sind eine weiteres Herausforderung. Es reicht nicht, nur den fummeligen Schraubverschluss zu öffnen. Nein, es gibt auch noch einen zusätzlichen Plastikring, so dass man mit Sicherheit den Inhalt verschüttet. Daher gibt es bei mir die Milch vom Bauern, in einer Flasche, mit der ich klar komme. Saft besorge ich am Bauernmarkt, der zugleich hervorragendes Brot hat. Da ersparen sich Silvia und ich den Weg in den stressigen Supermarkt.
Aber auch das Kochen kann frustrierend sein. Ungelenkiges Handhaben von Schüsseln, produziert ständig einen Sauhaufen beim entleeren oder umschütten. Ich koche gerne, aber wenn nichts gelingt, benötigt man ein hohes Frustpotenzial, um damit klar zukommen.
In der Reha meldete ich mich für die Kochgruppe. Einerseits ist Kochen super Ergo-Training, andererseits darf ich nur unterstützend helfen. Backofen vergessen, Herdplatte eingeschalten lassen, anbrennen lassen, Verbrennungen an den Händen - Dinge die noch nicht in den Kopf möchten. Da hat sich seit den Rehas leider nicht viel getan. Aber ich arbeite daran.
Um zurück zum Sport zu kommen, ich sehe all diese Dinge als sportliche Herausforderungen. Sicher, die eine oder andere Frustration gibt es immer wieder. Doch im Allgemeinen kann ich sagen, dass ich immer bestrebt bin, dass Beste aus jeder Situation zu machen und oft lache ich über mich selbst und meine Ungeschicklichkeit, die ich bei meinen Kindern immer kritisiere, wenn wieder alles voll gekleckert ist.
Die Trailrunning und andere Zeitschriften helfen mir auch, mich wichtiger Dinge zu erinnern. Gerade die Beiträge über Stabilitätsübungen, die fürs Trailrunning propagiert werden, sind wichtige Impulsgeber dran zu bleiben.
So hat der Sport also noch immer eine wichtige Funktion für mich, wenn auch einige Etagen tiefer. Aus Stunden wurden eben Minuten.
Aber das wichtigste ist:
...und als ehemaliger Briefträger würde ich sagen:
"Wer die Zukunft nicht mehr absichern kann, wird gleichsam gezwungen, im Augenblick zu leben."
Entschleunigung ja, aber ich hab ja keine Zeit dafür. Das war meine Einstellung vor der Krankheit. Gerade in den letzten Monaten ist der Ruf nach Entschleunigung bei mir immer lauter geworden und das Thema war auch in den Medien immer stärker präsent.
"Mit Entschleunigung wird ein Verhalten beschrieben, aktiv der Beruflichen und Privaten „Beschleunigung” des Lebens entgegenzusteuern, d. h. wieder langsamer zu werden oder sogar zur Langsamkeit zurückzukehren."
Ich dachte natürlich darüber nach, fand aber keinen Weg für mich, ihn auch umzusetzen. Ich war getrieben vom System und meinem Anspruch, alles perfekt zu erledigen zu wollen.
Der Druck in der Arbeitswelt nahm die letzten 10 Jahre rapide zu. Das geschah unter anderem auch dadurch, dass immer weniger Leute mehr leisten müssen. Als Videojournalist und in der Videoproduktion tätig, kam auch ich immer öfter an meine Grenzen.
Ich hetzte durch den Arbeitstag und nahm mir nicht mehr die Zeit, Feierabend zu machen. Es gab schlichtweg keinen Feierabend mehr. Ich stellte mir auch nicht die Frage - Wofür? Ich hatte einfach keine Zeit dafür. Dachte ich!
Die Rationalisierungswellen in der Arbeitswelt erlebte ich schon vor über 20 Jahren bei der Post mit. Als Landbriefträger war der Plausch mit älteren Menschen, für die der Briefträger oft die einzige Ansprechperson war, gang und gebe. Der (Zeit-)Druck wurde aber immer größer und man hatte kaum noch Raum für Gespräche.
Es war mit ein Grund, warum ich die Post nach 14 Jahren verließ. Ich ging in den Sport und bekam damals viel zurück. Den Schritt vom Beamten in eine ungewisse Zukunft als Sportler, habe ich nie bereut.
Heute sind wir soweit, dass in der Arbeitswelt die Zeiten für Innehalten, Besinnung und Regeneration kaum existieren oder abgeschafft wurden. Yoga und Angebote für Auszeiten stehen daher besonders hoch im Kurs, um den Druck in der Arbeit und des täglichen Lebens auszuhalten.
Ganz entspannt im Hier und Jetzt zu leben, ist vielen nicht mehr möglich. Gerade das Hier und Jetzt wurde bei mir ein Thema. Es war mir bewusst, aber......! Ja, dieses ABER. Dieses Wort zeigt uns die Verhinderer auf, denen wir die Macht überlassen. Es sind einzig allein Ausreden, warum etwas nicht geht.
Total verspannt, bewegte ich mich nur mehr im WENN und ABER. Wer aber nicht inne hält, wird haltlos. Nicht nur in der Arbeit, auch in der Partnerschaft. Der Sinn fehlt und macht alles nur schwer erträglich. Da sind schon kleine Heraus- und Anforderungen schnell zu viel. Was gilt es aber zu Erkennen: Es sind nicht die hohen Anforderungen, das Arbeitstempo oder die Zeitdauer schuld, sondern es ist der Mangel an Sinn.
Ich erkannte zwar das Problem, aber das was ich tat, war für den Körper maximal Schadensbegrenzung. Und nicht einmal das, denn das Hirnabszess zeigte mir sehr machtvoll auf, dass Zuviel, eben Zuviel ist. Eindrucksvoll zeigte es mir auf, wo meine Grenze lag.
Die Krankheit zwang mich in den Augenblick. Es gab nichts anderes mehr, als das HIER und JETZT.
Naja, die fehlende Entschleunigung war nicht das einzige Problem, sie hatte aber einen wesentlichen Anteil daran. Es müssen schon mehrere Dinge zusammenfallen, damit ein Abszess entstehen kann und besonders im Gebirn. Die Entschleunigung war nur ein Teil davon.
Die letzten Jahre produzierte ich, neben Puls4, auch für einen kleinen Privatsender in der Steiermark die Sendung. Zuletzt aber nicht nur die Beiträge, nein, ich ließ mich dazu überreden, aufgrund Personalmangels, die Sendungszusammenstellung zu machen.
Das war fatal. Es artete für mich in Stress aus. Ich kam selten vor 2 Uhr Nachts ins Bett und war um 6 Uhr wieder auf. Den Moment als es kippte, habe ich übersehen. In meinem Pflichtbewusstsein tat ich weiter, weiter und immer weiter.
Für Entschleunigung hatte ich keine Zeit, oder besser gesagt, ich nahm sie mir nicht. Mein Pflichtbewusstsein war größer. Damit nahm das Unheil seinen Anfang und ich tat nichts dagegen.
Zunächst einfach einmal alles langsamer angehen. Sich Zeit lassen und keine Hektik aufkommen lassen. Ich selbst lebe seit dem Hirnabszess noch immer im Hier und Jetzt. Meine Bewegungen, meine Reflexe und mein Denken ist von Langsamkeit geprägt. Eine Auswirkung der Krankheit, dem Hirnabszess. Das Gehirn läßt auf einmal nichts anderes mehr zu. Ich befasse mich nur mit der Sache, die ich im Augenblick mache. Alles andere hat für mich Konsequenzen. Multitasking funktioniert nicht mehr.
Ich musste erst lernen, die Langsamkeit aushalten. Zum Beispiel, einmal bewusst Gehen, statt zu Laufen. Mein Ziel ist zwar wieder zu Laufen, aber ich habe die Vorteile des Gehens wieder gefunden.
Ich mahle zu Hause schon seit mehreren Jahren mit einer von Hand betriebenen, alten Kaffeemühle. Im ersten Augenblick klingt das nach mehr Mühe, aber dem ist nicht so. Es ist ein Ritual daraus geworden und zwingt oder ermahnt mich, zur Langsamkeit. Kaffee trinken bekommt eine neue Qualität, eine Qualität der Auszeit.
Auch der Sport sollte öfter, mehr bewusst gemacht werden. Pulsgurt, Schrittzähler und Smart-Phone, mit den diversen Apps, lassen uns hektisch alles aufzeichnen. Wir sind mehr darum bemüht alle Daten zu bekommen, als dass wir die Natur und uns selbst wahrnehmen.
Nicht nur der Körper, auch das menschliche Gehirn kann mit diesem Tempo auf Dauer nicht Schritt halten. Schon kurze Aufenthalte im Grünen lindern Stress und Depressionen, stärken das Selbstwertgefühl und hellen die Stimmung nachhaltig auf. Eine kostenlose Behandlung ohne Medikamente und langwierige Sitzungen.
Dazu ist die Natur wertfrei. In der Stadt urteilen wir nur allzu schnell in schön, hässlich, nützlich, unnütz, gut und schlecht. In der Natur gibt es das in der Regel nicht. Denn sie ist, was sie ist. Und man ist selbst Teil davon.
Diese Punkte helfen mir, das Leben besser zu leben. Und es ist besser, nur einen einzigen Punkt umzusetzen, als gar keinen. Die Abwärtsspirale gehört unterbrochen.
Für mich sind es mittlerweile wesentliche Bestandteile meines Lebens, auf die ich draufkommen soll.
Hier noch der Verweis auf einen Artikel, der die Beschleunigung und Langsamkeit der Zeit zum Thema hat. Eine sehr interessante Betrachtungsweise von Karlheinz Geißler, Soziologe "Zwischenmenschlichkeit braucht Langsamkeit"
Was sind denn Eure eigenen Verhinderer, die Euch aufhalten? Mit den Worten, die nach "...., aber..." fallen, kann sich jeder diese Frage stellen und vielleicht gute Antworten bekommen.
"Langsamkeit macht Angst, Schnelligkeit auch!"
Also wünsche ich Euch, dass ihr und ich, den Mittelweg finden und sich Entschleunigung einfinden.
Alles Gute und bis bald!
Jörg
Diese Woche haben mich zwei Meldungen beschäftigt, die mir wieder bewusst gemacht haben, was für mich derzeit im Leben wichtig ist.
Als erstes war es ein Facebook Posting von meinem ehemalige Kollegen bei Puls4, Florian Danner. Er befindet sich gerade auf einer #wahlwanderung durch Österreich, von Meiningen (Vorarlberg) nach Deutsch-Jahndorf (Burgenland). In seinem Post vom 19. September schreibt er unter anderem:
+ Lektion: Nur in Tagesetappen denken - und nicht weiter. Alles andere schlägt sich aufs Gemüt...
Florian Danner
Wie recht er hat! Es ist auch mein Thema derzeit. Langsam kommt das Denken wieder und ich beginne zu viel zu denken. Zum Beispiel über meine ungewisse Zukunft. Aber wozu sich Sorgen um etwas machen, was noch nicht einmal da ist. Gerade im Extremsport bin ich schon früher solche Wege gegangen. Ob beim Iditabike in Alaska (300 km bei -35°) oder der Crocodile Trophy in Australien (3000km). Die Länge des Weges durfte ich nie thematisieren. Das gilt auch für meine jetzige Erkrankung.
An solchen Erlebnissen und was ich daraus gelernt habe, erinnert mich zum Beispiel Florians Wanderung. Meine Erinnerung an früher ist noch nicht in vollem Umfang da. So helfen mir andere Menschen mich immer wieder, mich daran zu erinnern. Es wird mir dadurch immer mehr bewusst.
Die Länge des Weges gilt besonders für meine Rehabilitation. Es darf kein Thema sein und auch nicht werden. Es braucht so lange wie es braucht. Das ist eben ein Spagat zwischen Geduld und Ungeduld. Ich brauche ein bestimmtes Maß an Ungeduld. Es ist mein Antrieb weiter zu tun, mehr zu wollen. Aber sie darf nicht überhand nehmen. Tut sie das, kommt schnell Frustration hoch, weil es einem nicht gelingt. So heißt es genau Balance nehmen. Viele Menschen haben mit denselben Problemen wie ich zu tun, sind nicht in ihrer Mitte und kämpfen täglich dahin. Auch bei mir war es so und Krankheit die Folge.
Der zweite Artikel der mich ansprach, war ein Beitrag von Christof Herrmann, der den Blog einfacherleben.de betreibt.
Er beschreibt im Beitrag, wie wichtig Gehen für unsere Gesundheit ist. Der Artikel ist schon über viereinhalb Jahre alt, hat aber von seiner Wichtigkeit nichts verloren. Für mich hat das "Gehen lernen" derzeit Vorrang vor allem.
Ich habe mir erlaubt, die Gründe dafür, von seinem Blog zu kopieren. Ich kann mich damit identifizieren.
Den Punkten kann ich mich nur anschließen. Jeder einzelne Punkt trifft auf mich zu und deswegen hat Gehen, aber auch Laufen, einen so hohen Stellenwert für mich. Da kommt aber auch die Ungeduld ein bisschen hervor. Ich kann noch nicht so viel, wie nötig wäre. Die WHO empfiehlt zum Beispiel 10.000 Schritte täglich, das entspricht etwa 6-7-Kilometer täglich. Für mich einmal die Woche möglich, täglich wäre unmöglich.
Beim Gehen versuche ich oft, die Strecke die ich schaffe, zu verlängern. Aber es geht halt nicht immer und die Tagesverfassung ist verschieden. Aber ich komme weiter wie vor einem Jahr und in einem Jahr komme ich weiter wie heute. Und irgendwann werde ich auch Laufen. Aber darüber zerbreche ich mir nicht den Kopf. Denn es ist gut so wie es ist und wäre es das nicht, wäre es trotzdem so.
Gerade die letzten Jahre vor dem Hirnabszess war ich körperlich fit. Mehrere Stunden zu Laufen waren kein Problem. Trailrunning war meine große Leidenschaft. Das war von einem Tag zum Anderen vorbei. Fünf Monate im Bett liegen gingen nicht spurlos vorüber. Und das muss ich mir immer wieder bewusst machen und vor Augen halten. Das ich vor einem Jahr bei Null begonnen habe. Und Null heißt nicht nur zu Gehen, sondern die ganze Koordination des Körpers wieder lernen. Das braucht eben noch Zeit.
Das Laufen am Stand praktiziere ich übrigens noch. Es fühlt sich gut an und ich werde es einige Zeit beibehalten. Bevor ich mich dann vorwärts bewege, muss ich noch am Gehen feilen. Der rechte Fuß bleibt noch ab und zu am Boden hängen, auch am Asphalt. Das ist durch die Lähmungen hervorgerufen, die ja rechts bestanden. Das Heben der Fußschaufel gehört noch mehr automatisiert. Ein Sturz passiert zu leicht.
Am Schluss möchte ich nicht verabsäumen, auf den Blog >diedanners.com< ,von Florian und Christina Danner hinzuweisen. Berichtet wird über den Familienalltag von Florian und Christina, sowie ihren Erlebnissen mit Theo (5) und Noah (18 Monate). Echt lesenswert. Wer ebenfalls Kinder hat, wird sich da und dort wiederfinden.
Viel Spaß mit dem Blog und auf in eine neue Woche,
euer
Jörg
Die Sommerferien sind vorbei, die Kinder in der Schule und ich habe wieder regelmäßiger Zeit meine Übungen zu absolvieren. Ich habe lange gebraucht, um dahin zu kommen, wo ich jetzt stehe. Ich konnte mir jeden Punkt nur einzeln und langsam erarbeiten, jetzt sind es 8 Punkte, die mir wichtig sind.
Der Versuch, immer öfter zwei Dinge gleichzeitig zu tun, funktioniert kaum. Es gilt, Geduld, denn es geht nur langsam vorwärts. Fortschritte kann ich kaum erkennen, obwohl sie da sind!
8 Punkte, für mein Weiterkommen:
Die letzten Wochen waren ein Auf und Ab für mich. Viel Training wechselte ab mit Tagen der Erholung. Motivation wechselte mit Erwartungen ab. Sehen lernen, was ich schaffe. Nicht nur Sehen, was ich noch NICHT kann.
Es ist schon so, dass ich oft davon spreche, was noch nicht geht. Dann sehe ich das halbleere Glas. Immer wieder muss ich mir die kleinen Erfolge vor Augen führen. Dass ich vor einem Jahr noch rechtsseitig gelähmt war und überhaupt erst Gehen lernen musste, übersehe ich dabei zu oft.
Eine Nadel aufheben war mir lange nicht möglich. Jetzt schaffe ich es schon, mit Mühe zwar, aber es gelingt. Es ist eines meiner Erfolgserlebnisse, wie viele andere auch. Sie sollten an vorderster Stelle stehen und nicht, dass ich noch immer nicht laufen kann.
Aber da gibt es auch eine andere Seite. Den ehemaligen Extremsportler, den Filmer und den Familienvater. Den gibt es jetzt nicht mehr oder nur in beschränktem Maße. Das zu verstehen, ist oft nicht möglich. Und wenn ich dann auch nicht kann, wie ich möchte, ist das Glas schnell halbleer, obwohl es eigentlich halbvoll ist.
Es ist deswegen so schwer, weil ich die vielen Baustellen im Körper noch immer nicht gemeinsam denken kann. Ich konzentriere mich auf eine Sache und vergesse die andere.
Dass sich aber was getan hat, kann ich auch am Profil meiner Trail-Schuhe sehen. Dieselben Schuhe verwendete ich beim Eiger Ultra Trail 2014 und danach noch für den einen oder anderen Trailrun. Seit ich voriges Jahr aus dem Krankenhaus kam, sind sie, praktisch pausenlos, im Einsatz.
Der letzte Winter war ziemlich schneereich und eisig. Mein Gehen ist noch sehr unsicher. Da kamen mir die Schuhe mit dem starken Profil gerade recht. Sie geben mir Sicherheit und ich gehe darin sehr gut.
Gerade am Anfang hatte ich kaum ein Gefühl in den Füßen und trat recht hart auf, was mir immer wieder Schmerzen in den Fersen verursachte. Die Salomon Schuhe minderten den Aufprall. Für den kommenden Winter müssen neue Schuhe her, da ich das Profil dieses Jahr abgegangen bin.
So bewege ich mich Schritt für Schritt weiter, in allen Belangen.
Ein Schritt war diese Woche, meinem Freund Bernd, bei der Weinlese zu helfen. Schon die Autofahrt war für mich anspruchsvoll, dazu war es das erste Mal, dass ich bei jemanden zu Besuch war.
Weinlese ist für mich perfekte Ergo-Therapie. Die Trauben fassen, putzen und mit der Schere hantieren, ist besonders anspruchsvoll. Es war eine wohltuende Abwechslung zu meinem sonstigen Therapiealltag.
Auch der Blog, der seit knapp fünf Monaten besteht, ist eine hervorragende Therapie. Mein Denken wird dabei besonders gefordert. Ich muss mir Dinge merken, die mir in letzter Zeit passiert sind. Das dann auch in Papierform zu bringen, ist die nächste Herausforderung. So haben mehrere davon etwas und es ist eine wohltuende Abwechslung.
So besteht mein Leben seit eineinhalb Jahren aus Therapie. Egal ob Bewegen oder Denken. Das hätte ich mir vorher nie vorstellen können, dass es so etwas gibt. Es ist etwas anders, wenn man einen Unfall hatte. Dann ist es klar, warum man diese oder jene Defizite hat. Bei mir war eigentlich nichts und trotzdem ist man so reduziert. Darum kann ich meine Rehabilitation nicht mit einem gebrochenen Bein oder ähnlichem vergleichen.
Zum Abschluss ein Spruch, der viel Wahres in sich trägt und mich oft begleitet:
Achte stets auf deine Gedanken, sie werden zu Worten.
aus dem Talmud
Achte auf deine Worte, sie werden zu Handlungen.
Achte auf deine Handlungen, sie werden zu Gewohnheiten.
Achte auf deine Gewohnheiten, sie werden zu Charaktereigenschaften.
Achte auf deinen Charakter, er wird dein Schicksal
In diesem Sinne,
euer Jörg
Ein erstes "Pilgern light" für mich zum Üben. Nachdem ich in den letzten Wochen des Öfteren über meinen Wunsch zu Pilgern geschrieben habe, mache ich Ernst.
Allerdings eine light Version. Oder noch besser, eine "light - light" Version. Kurze Anreise, kurze Wegstrecke und genug Zeit lassen.
Ich "pilgere" von Graz-Hilmteich nach Mariatrost zur Basilika. Fünf Kilometer Wegstrecke und leichte Steigungen. Nach 2,5 km eine Möglichkeit zur Einkehr und zum Ausrasten. Dazu genug Parkbänke auf dem Weg zum Niedersetzen. Das sollte für mich machbar sein. Ein Ausflug, der Lust auf Pilgern macht.
OK, es ist eigentlich nur ein Spazierweg für die Grazer und mit einem Pilgerweg nicht vergleichbar. Trotzdem ist er für mich eine Herausforderung. So einen Weg bin ich seit meinem Krankenhausaufenthalt noch nicht gegangen. Meine Herausforderungen haben sich halt verschoben.
Hoch motiviert starte ich zusammen mit meiner Lebensgefährtin Silvia. Gleich zu Beginn geht es den Leechwald bergauf. Ich bin ausgerastet und frisch. Das ist auch gut so, denn die ersten Meter sind die anstrengendsten. Mein Wille ist derzeit größer als mein Können. Über zahlreiche Wurzeln steige ich höher.
Noch geht es gut, ich fühle mich auch so und stapfe tapfer dahin. Den Leechwald kenne ich gut. Schon als kleiner Junge war ich hier oft zum Spielen und später habe ich hier für meine Rad-Querfeldeinrennen trainiert. Damals, vor 25 Jahren, störte es niemanden, hier mit dem Rad zu fahren. Viele Wege und Kurven erinnern mich heute an die vielen Runden, die ich damals zog. Erinnerungen kommen hoch, besonders an Alexander, meinem Cousin, der viel zu früh verstarb. Er war mit dem Rad oft dabei und wir lieferten uns zahlreiche Duelle.
Mein Puls pocht schnell und ich bleibe oft stehen, um durchzuschnaufen. Bergauf kann ich nur wenig schneller, als ich damals aus dem Krankenhaus gekommen bin. Trotz vielen Übens wird es nur langsam besser. Noch immer steige ich wie ein Höhenbergsteiger, Schritt für Schritt, langsam nach oben. Wie im tiefen Schnee.
Nichts dabei denken funktioniert nur bedingt. Ich versuche mich durch Sprechen und Bewegen der Arme abzulenken. Das Gehen soll ja automatisiert werden. Nach wenigen Schritten ist allerdings Schluss und mein Atem rasselt. Aber ich übe es wieder und wieder. Irgendwann kommt die Automatisierung zurück und wenn es Jahre dauert. Solange heißt es weiter üben.
Nicht weit von uns entfernt ist der Zugang zum LKH über den Leechwald. Silvia spazierte immer über den Hilmteich zu mir auf die Neurologie, um mich zu besuchen. Viele Erinnerungen aus der Krankenhauszeit kommen bei mir hoch. Es ist anscheinend ein Tag der Erinnerungen, denn immer wieder kommen mir frühere Erlebnisse in den Sinn.
Der Lärm des Notfallhubschraubers ist öfters zu hören. Dieses Geräusch begleitete mich die gesamte 5-monatige Zeit im Krankenhaus. Besonders die Tage nach der Operation waren prägend, da ich nur wenige Stockwerke unter dem Landeplatz lag. Den Rest der Zeit lag ich ja auf der Neurologie, die gegenüber der Kinderchirurgie mit ihrem Hubschrauber-Landeplatz liegt.
Jedes Mal ein betretenes "Oijee, schon wieder der Hubschrauber!", in unserem 4-Bett Zimmer. Wir fühlten jedes Mal mit. Auch heute noch ist für mich beim Klang des Hubschraubers ein bedachter Moment dabei.
So vergehen die ersten Meter mit alten und neuen Gedanken. Nach der Steigung führt der Weg leicht auf und ab weiter. Zunächst ist aber Pause angesagt. Das erste Bankerl wird in Beschlag genommen und ich streiche mir die Beine aus. Besonders die Waden verhärten schnell und es ist ja noch weiter ein Weg zu meistern. Zum Glück wartet auf mich bei der Halbzeit das "Häuserl im Wald", ein Gasthaus, das ich zuletzt in der Kindheit vor 40 Jahren oft besucht habe.
Ich spüre in den Beinen noch die Auswirkungen des ersten Anstieges und gehe dementsprechend vorsichtig weiter. Die Konzentration liegt jetzt merklich mehr beim Gehen. Automatisches Gehen ist auf dem Waldboden nicht möglich. Mit den Gedanken muss ich immer irgendwie dabei bleiben. Trotzdem versuche ich, mich zu unterhalten.
Kurz vorm 'Häuserl im Wald' ist Asphalt und eine Unterhaltung leichter möglich. Ich bin froh, die Halbzeit erreicht zu haben. 2,5 km stehen mir noch bevor. Im Gasthof versuche ich mich bei Kaffee mit Apfelstrudel zu erholen und die letzten 2,5 km Revue passieren zu lassen.
Mein Fazit ist ein bisschen ernüchternd. Eigentlich ist es hier schon genug. Trotzdem will ich weiter. Mein erster "Pilgerweg" soll nicht so enden. Dann bleibe ich eben auf der Forststraße und meide den schwierigeren Waldweg.
Gleich nach dem Gasthof geht es auf Asphalt steil bergauf und ich verfalle wieder in meinen Höhenbergsteigerschritt. Ein älteres Ehepaar zieht an mir vorüber. Aber dafür habe ich schon in meiner aktiven Radfahrer-Karriere vorgebaut.
Ein Training war damals, 5 Stunden den Puls nie über 100 kommen zu lassen. In der Sporgasse in Graz war es dann so weit. Mein Freund Harry und ich fielen auf dem steilen Kopfsteinpflaster mit dem Rad fast um, so langsam fuhren wir hoch. Plötzlich schob eine alte Frau ihr Waffenrad an uns vorbei.
Harry meinte nur: "Da musst du psychisch gut drauf sein, dass es dir wurscht ist, dass eine alte Frau schneller ist!". Er hat es im Spaß gesagt, aber in Wirklichkeit geht es darum. Egal was ist, man soll auf sich selbst schauen. Nur so wirst du besser. Viel zu oft trainiert man stur nach Trainingsplan und hört nicht in sich hinein, wie es einem geht.
An diesen Vorfall erinnerte ich mich noch öfter in den Jahren danach. Und heute ebenfalls wieder. Nur der Unterschied ist, ich kann diesmal nicht schneller. Der verwunderte Blick der beiden, wie ich da in Zeitlupe hinauf schnaufe, war lustig. Ihre Gedanken hätte ich gerne erfahren. Zu fragen, was los ist, haben sie sich nicht getraut.
Der Versuchung, wieder in den Wald zu wechseln, widerstehe ich. Ich bleibe auf der Straße. Es ist so einfacher für mich. Im Wald auf Wurzeln zu achten und bei jedem Schritt aufzupassen, wo ich ihn hinsetze, hat kaum mehr einen Trainingseffekt. Dazu ist meine Energie schon zu sehr aufgebraucht.
Lieber hänge ich meinen Gedanken nach. Die drehen sich darum, wann ich mir zutrauen kann, einen richtigen Pilgerweg in Angriff zu nehmen. Wieder ist es ernüchternd. Ich muss erkennen, dass es dafür noch viel zu früh ist. Mir fehlt es noch immer an Kraft und Ausdauer.
In Italien oder Spanien sind keine Parkbänke am Weg zum Rasten. Geplant habe ich es einmal für nächstes Jahr, aber aktuell traue ich mich nicht zu sagen, wann es gehen wird.
Ich bin froh, aus dem Wald zu kommen. Noch wenige Meter auf einem Gehsteig und ich stehe vor der Basilika in Mariatrost. Im wunderschönen Altarraum der Kirche zünde ich eine Kerze an. Meinen Wunsch kann sich wohl jeder selbst denken.
So beende ich meinen ersten Pilgerweg, der für mich einen besonderen Platz einnimmt. Für viele ist es nicht mehr als ein netter Spaziergang, für mich war es pilgern. Für mich war es der Weg in ein neues Leben. Mal sehen, wo es mich noch hinführen wird.
PS.: Die Pilger auf dem Adams Peak (mit 6000 Stufen) in Sri Lanka, sehe ich jetzt mit anderen Augen.
Ein Thema, das mich über die letzten Monate beschäftigt, ist das Laufen, oder mittlerweile, dass ich noch immer nicht laufen kann.
Ok, ich gebe mir Zeit und habe begriffen, dass eben andere Sachen wichtiger sind. Es ist ein Einschnitt in meinem Leben und ich durfte so viel anderes kennenlernen und erleben. Laufen und Trailrunning ist trotzdem noch mein Ziel, auch wenn es noch länger dauern wird.
Seit einigen Tagen bin ich trotzdem "läuferisch" unterwegs. Unterwegs ist eigentlich nicht richtig, denn ich versuche am Stand zu laufen und das sehr langsam.
Also, ...... ich bin nicht draußen unterwegs. Klingt komisch, ist aber so. Ist in meinem speziellen Fall sogar einleuchtend. Ich versuche schon seit Monaten zu laufen, aber es will nicht sein. Es ist mir zu schnell und die Koordination der Beine kommt nicht mit.
Mein Gehirn ist mit der Schnelligkeit überfordert, die es braucht, um die Schrittfolge zu meistern. Ein paar Schritte...noch dazu unter enormer Kraftanstrengung... und aus ist es. So musste eine neue Taktik her.
Mit dem Laufen am Stand trainiere ich zunächst in erster Linie die Synapsen im Gehirn. Es bekommt damit die Information, dass ich laufe, obwohl ich mich nicht vorwärts bewege. Es geht nur um die Information. Ich kann mich sogar festhalten, sollte mich der Schwindel erfassen oder wenn ich das Gleichgewicht verliere.
In diesem Fall geht es nicht um Kondition, sondern um die Information, die in meinem Gehirn anlangen soll. Erst wenn die Info, dass ich laufe, lange und oft genug im Gehirn ankommt, können sich die neuen Synapsen bilden.
Erst dann kann ich an der Fortbewegung trainieren, weil es das Hirn schon kennt. Das heißt dann zu beginnen, Zentimeter um Zentimeter vor den anderen Fuß setzen. Zehn Meter können so recht lange dauern. Derzeit reicht es am Stand zu laufen. Ich merke es, wenn ich so weit bin, mich vorwärtszubewegen. Es heißt eben auch hier von 0 weg zu beginnen.
Auch die Kondition lässt zu wünschen übrig. Sobald ich zum Beispiel etwas schneller gehe, komme ich gleich außer Atem. Da steht noch einiges an Training an. Allerdings, mein Körper lässt sich nicht überlisten. Viel Üben ist in meinem Fall zwar gut, aber mehr als die zurzeit mögliche Belastung geht eben nicht.
Rund eine Stunde kann ich für die wichtigen Anliegen des Tages nutzen. Dabei ist es egal, ob ich denke, mich bewege, oder etwas anderes mache. Eine Stunde am Tag ist nicht viel, daher muss ich genau überlegen, was ich mache. Diese Zeitspanne lag vor einem Jahr noch bei etwa fünfzehn Minuten, aber langsam wird sie größer.
Es wäre natürlich fein, wenn nur die Kondition für mein Bewegen zuständig wäre. Kondition trainieren und alles ist gut. So wie ich früher für ein Radrennen trainierte oder für eine Bergbesteigung. Aber es ist eben nicht so. Nicht die Kondition, sondern die neurologischen Defizite sind die Ursache für mein langsames Weiterkommen. Und das kann dauern.
Das Gehen lernen, zusammen mit meinen Übungen, war bisher optimal. Aber um meine Kondition weiter aufbauen zu können, komme ich um spezifisches Training nicht herum. Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, ab Herbst ins Fitnessstudio zu gehen. Wenn es kälter wird, kann ich nicht so leicht meine Übungen im Freien machen.
Ich ziehe ja eigentlich die Natur vor, aber in diesem Fall muss ich über meinen Schatten springen und Indoor bleiben. Ich kann in der Kraftkammer bestimmte Muskelgruppen einfacher und zielgerichteter trainieren. Im Wald muss ich manchmal dazu einfach zu viel nachdenken, welche Übung jetzt passen würde. Und beim Denken bin ich noch limitiert.
Noch immer muss ich mir den Tag ganz genau damit einteilen, was ich alles erledigen möchte. Ich habe nur eine geringe Bandbreite. Mache ich zu viel, stehe ich schnell an. Es kann passieren, dass zu Mittag bereits meine Batterien leer sind. Dann heißt es sich über den Tag retten und viele zusätzliche Pausen zu machen.
Ich kann aber nicht immer zu Hause bleiben. Die Decke fällt mir sonst auf den Kopf. Wenn meine Lebensgefährtin Silvia etwas in der Stadt zu erledigen hat, lasse ich mich zur Mur bringen. Dort spaziere ich den Fluss entlang. Viele Parkbänke geben mir die Möglichkeit für genug Pausen.
Auf meiner Lieblingsstrecke komme ich dabei am Kalvarienberg vorbei, den ich zur Besteigung nutze. Die vielen Stufen hinauf sind eine Herausforderung, wie es früher ein Lauf in die Berge war. Etwas mehr als 100 Stufen sind zu erklimmen. Er gilt als der "Berg der Hoffnungen". Meine Hoffnung liegt darin, wieder größere Berge als den Kalvarienberg zu besteigen.
Eine andere Tour, die ich seit kurzem gerne nutze, ist der Schlossberg. Zu Fuß hinauf ist noch zu anstrengend, darum fahre ich mit der Bahn. Hinunter bieten mir viele Bänke Zeit zum Rasten. Das Bergabgehen ist ebenfalls sehr anspruchsvoll und mindestens so schwer wie bergauf.
Besonders die Oberschenkel werden trainiert. Allerdings ist das Verhältnis Trainingsaufwand zu Trainingsergebnis sehr gering. Ich mache eben in allem einen sehr kleinen Fortschritt. Egal ob im Denken, im Gehen oder im Greifen.
So sieht mein Training aus, wenn ich mal von zu Hause weg bin. Der Murweg oder der Schlossberg sind aber doch noch die Ausnahme. Das meiste Training findet noch bei mir zu Hause in den Wäldern von Stattegg statt und der Wald ist nach wie vor mein liebster Aufenthaltsort.
Kleine Verbesserungen spüre ich erst nach Wochen, wenn nicht nach Monaten. Ich habe zwar meine Rehabilitation wie ein Sportler angelegt, aber sie ist damit nur bedingt vergleichbar. Die Zeitdauer für Erfolge ist viel länger.
Seit genau einem Jahr bin ich wieder zu Hause, in meinem Leben 2.0. Am 20. August 2016 war mein letzter Tag im Krankenhaus und mein neues Leben 2.0 hat begonnen.
Der Hirnabszess hatte enorme Auswirkungen auf mich und meine Familie. Unser Leben wurde auf den Kopf gestellt und nichts war mehr wie zuvor. Alltag leben, ist bis heute nicht wirklich möglich, zu sehr beschäftigt die Krankheit den Tagesablauf. Ich habe so mit mir selbst zu tun, dass nur wenig Zeit für die Familie bleibt. Speziell das Denken und die Aufnahmefähigkeit sind stark gestört.
Wir alle waren, speziell am Anfang, mit der Situation überfordert. Ich konnte nicht, wie ich wollte und meine Familie wusste oft nicht, wie damit umgehen. Ich war ein Freund und doch ein Fremder geworden.
Es war definitiv nichts mehr wie früher. Ich musste mir meiner Lage erst bewusst werden. Im Krankenhaus war ich in einer geschützten Umgebung unterwegs. Ich rechnete nicht damit, so schnell entlassen zu werden, weil ich ja durchgehend intravenöse Antibiotika-Infusionen bekam. Doch mein Körper reagierte auf die Zugänge zunehmend allergisch, sodass die Ärzte auf orale Antibiotika-Medikation umstellten und mich nach Hause schickten. Der Krankenhausaufenthalt war nicht mehr notwendig. Ich durfte nach Hause, endlich!
Dann, von einem Tag auf den anderen, war ich plötzlich wie hinausgeworfen. Ich war Dingen ausgesetzt, die mich überforderten. Mit der Schnelligkeit des Lebens kam ich nicht mehr klar. Erst langsam gewöhnte ich mich an das Zuhause.
Unter Menschen gehe ich heute noch ungern. Ich fühle mich von den Eindrücken schnell überfordert. Multitasking, mein Zauberwort, ist noch immer nur sehr beschränkt möglich.
Mein Plan war damals, ich trainiere meine Kondition und zusammen mit dem Lauftraining werde ich bald wieder mobil und aktiv sein. Pustekuchen. Damals war ich noch der Meinung, dass es ein muskuläres Defizit sei. Ich musste ja bei null anfangen. Nach einigen Monaten habe ich erkannt, dass dem nicht so ist. Ein Großteil der Defizite sind neurologisch bedingt und Nerven brauchen lange zum Heilen und neu vernetzen.
Bergauf stapfe ich noch wie ein Höhenbergsteiger dahin, Schritt für Schritt. Mein neuer Spitzname ist "Duracell Hase". Besonders am Morgen oder wenn es kalt ist, sind die Muskeln steif und ich tripple mit steifen Beinen dahin, wie der Duracell Hase in der Werbung. Mal schauen, ob ich auch bald "entscheidend länger durchhalte". 🙂
Die ersten Monate war noch der Schleier der Krankheit über mir gelegen. Als der Schleier sich legte, blieben die reinen Defizite über. Jetzt war mentale Stärke gefragt, denn sonst wäre ich an diesem "nicht können", zerbrochen.
Geholfen hat mir in dieser Zeit mein Vorleben im Sport mit Mentaltraining und der Computer mit Internet. Er ermöglicht mir die Kommunikation mit der Außenwelt und das Tempo kann ich selbst bestimmen. Ende April begann ich mit dem Bloggen. Es hilft mir ungemein. Mein Schreibstil ist zwar dem eines Volksschülers ähnlich, aber mein Gehirn ist damit sehr gefordert. Das beste Training.
Meistens schreibe ich mit dem Computer. Die Hand ermüdet doch recht schnell und viele Schreibfehler lassen das Geschriebene schwer lesen. Das oftmalige Überarbeiten dauert seine Zeit und daher brauche ich für einen doch recht kurzen Blogbeitrag oft eine ganze Woche. Tippfehler am Computer sind leichter auszubessern.
Mir fehlt noch der Wortschatz, daher brauche ich lange zum Überarbeiten. Manchmal lasse ich es so stehen, weil es zu mühsam wäre, eine andere Formulierung zu finden. Damit kann ich aber leben. 😀
Überhaupt, ich musste mich in diesem vergangen Jahr "neu erfinden". Was nicht leicht ist, kann ich doch kaum in die Zukunft denken. Gut Ding braucht eben Weile!
Vorrangig ist das Beheben meiner Defizite. Sie erschweren mir den Alltag. Das Gleichgewicht, der Schwindel, verbunden mit Bodenunebenheiten beim Gehen, sie behindern mich sehr stark. Die kleinste Unebenheit bringt mich außer Tritt. Ständig muss ich mit den Gedanken beim Gehen und Ausbalancieren sein. Automatisch, wie früher, geht gar nichts.
Besonders die Stadt strengt mich an. Gehsteigkanten, kreuz und quer laufende Fußgänger, Radfahrer, Autos - Stress pur. Gut fürs Gewöhnen, aber da reichen ein paar Minuten aus und ich will wieder weg.
Es ist oft anstrengend und kaum zu beschreiben. Natürlich gab es Verbesserungen im letzten Jahr, aber eben nur minimale. Für mich der größte Fortschritt, war die Verbesserung der Gefühllosigkeit in den Fingern. Bereits nach der ersten Einheit Strom-Therapie in der Reha in Judendorf, merkte ich eine spürbare Verbesserung. Das bamstige Gefühl verschwand. Ich habe zwar noch Probleme mit dem Fühlen und Spüren beim Greifen, aber die bamstigen Wurstfinger bin ich endlich los.
Der größte Erfolg im letzten Jahr war, ich habe die Natur wieder für mich entdeckt. Wieder entdeckt deshalb, weil ich ja ein Leben lang ein Naturmensch war. Nur waren die letzten Jahre derart von der Arbeit überschattet, dass es mich immer mehr von der Natur weg brachte. Mein liebstes Training ist es, in den Wald zu gehen. Manchmal nur Gehen, ein anderes Mal mit Übungen verbunden. Was gibt es schöneres, als in der Natur zu trainieren! Ich spüre ganz intensiv, wie mich das Grün des Waldes anzieht. Wie es meinem Körper guttut.
Ich freue mich aber auch darauf, mich wieder einmal oberhalb der Baumgrenze zu bewegen. Das Hochgebirge ist für mich der Inbegriff der Freiheit. Noch ist es zu weit entfernt und ich kann am Berg nicht aufsteigen, aber vielleicht geht sich wenigstens heuer noch ein Ausflug aus.
Zuerst muss ich aber mein Gehen verbessern. Noch geht nichts automatisch, daher sind mit Felsen durchsetzte Wege ein großes Hindernis. Aber wie sagte ein Arzt: "In der Neurologie hilft viel wirklich viel!". Also weiter viel Training!
Deshalb bin ich viel zu Fuß unterwegs. Für mich halt viel. Immer in der Relation. Was für mich ein Mammut-Training ist, hätte früher nicht einmal fürs Aufwärmen gereicht. Es heißt aber auch aufzupassen, mich nicht dauernd mit früher zu vergleichen. Ich bin kein Extremsportler mehr. Heute ist heute.
Trotzdem motiviert und treibt mich ein Vergleich an. Ich gebe mein Bestes, da ich weiß, was noch möglich ist. In den ersten Monaten wollte ich allerdings zu sehr wieder laufen. Ich musste erst akzeptieren, dass ich damit noch warten muss. Mein Thema, die Langsamkeit, geht vor.
Im Moment schaue ich mir eben Bilder auf Instagram oder Facebook an. Instagram habe ich erst seit diesem Jahr für mich entdeckt. Ich danke allen Freunden und Athleten, dass sie mich mit ihren tollen Fotos und Storys daran teilhaben lassen, an einem Leben, dass mir im Moment nicht möglich ist. Es motiviert mich aber sehr, bald selbst wieder unterwegs zu sein. Gerade auf Instagram findet man wunderschöne Fotos, die mich anspornen, dass alles wieder zu erleben.
Weil ich nicht laufen kann, habe ich das Pilgern entdeckt. Seit Jahren spukt es schon in meinem Kopf herum. Aber wie so oft nimmt man sich für die wichtigen Dinge nicht die Zeit. Alles andere ist wichtiger und man verfällt in den Glauben, sich nicht die Zeit nehmen zu können (dürfen). Sollte es dem einen oder anderen auch so gehen, glaubt mir, ich würde nichts mehr aufschieben. Viele Entscheidungen würden jetzt anders ausfallen, als früher.
Aus diesem Grund werde ich nächstes Jahr den Jakobsweg gehen. Lieber wäre mir noch dieses Jahr, aber ich muss realistisch bleiben. Mein Gehen gehört zuerst noch verbessert. Dann kann ich Seelenarbeit mit Bewegung verbinden, in Kombination mit der notwendigen Langsamkeit. Pilgern und Laufen - tut Körper und Geist gut.
Trotz der momentanen Behinderung warten also auch in Zukunft eine Menge Abenteuer auf mich.
"Aufruf zur Langsamkeit: Wir müssen schleunigst entschleunigen!" Walter Ludin, Journalist und Buchautor
Ich bin noch immer sehr kurz belastungsfähig und meine Kräfte sind schnell am Ende. Als ehemaliger Trailrunner wird mein "Lauf zurück ins Leben", noch eine Zeit lang beim Gehen und Pilgern bleiben.
So musste ich mir etwas Neues einfallen lassen und Gehen oder Pilgern bietet sich optimal für diesen Zustand an. Wobei das Pilgern den gleichen Reiz ausübt, wie das Trailrunning, nur eben langsamen Schrittes. Durch die Berge zu laufen hat eine eigene Faszination, Pilgern auch.
Gerade in den letzten Monaten habe ich viele Berichte und Bilder vom Trailrunning aus Österreich und der ganzen Welt, auf Facebook und Instagram, genossen. Sie erinnern und motivierten mich täglich daran, wofür ich das viele Training und Üben auf mich nehme.
Da es bis zum Laufen aber noch länger dauern wird, musste ein neues (Zwischen-) Ziel her.
Kann achtsames Gehen oder Pilgern ein neues Ziel für mich sein? Ja, das kann es. Da ich mit dem Laufen Probleme habe, ist Pilgern mehr als ein Zwischenziel. Eines, in dem ich *fortschreite* und meine Seele angesprochen wird.
In den letzten Monaten musste ich akzeptieren, dass mein Weg zurück doch länger dauern wird. Das Laufen oder Trailrunning ist mir noch nicht möglich. Die Gleichgewichtsstörungen sind noch immer da und die Trittsicherheit leidet darunter.
Es wird dank dem vielen Training besser, doch ich kann es nicht beschleunigen. Es wird noch länger brauchen. In der Vorstellungskraft funktioniert es schon ganz gut und mein übergeordnete Ziel, den Eiger Ultra Trail zu laufen, ist da. Dafür mache ich viel, aber es braucht Zeit und die kann ich kaum beeinflussen, außer mit Dranbleiben.
Das Pilgern ist ebenfalls ein schönes Ziel. Achtsames Gehen steht bei mir sowieso an der Tagesordnung. Warum also nicht pilgern. Im äußeren Gehen, kann eine innere Bewegung beginnen.
Seit ich aus dem Krankenhaus zurück bin, muss ich den Weg unter mir noch bewusster wahrnehmen. Mein Ziel ist es, wieder automatisch und ohne Nachzudenken, gehen zu können. Das Pilgern ist dabei der nächste Schritt, der mir dazu verhelfen soll.
Mehrere Tage oder Wochen nur zu gehen, davon träumte ich schon lange. Viele schwer Erkrankte haben nach Ihrer Gesundung das Pilgern für sich entdeckt. Den Jakobsweg oder andere Wege haben sie dazu benutzt, sich selbst wieder näherzukommen.
Ich habe noch nicht den Anspruch, irgendwohin zu gelangen. Mein erster Ansatz ist es, Schritt für Schritt zu gehen, im HIER und JETZT zu sein und achtsam zu sein. Mehr lässt mein Körper derzeit nicht zu.
Der Prozess des Gehens und die dabei gemachten Erfahrungen sind wertvoll. Körperliche und seelische Bewegung hängen dabei zusammen. Für mich eine großartige Möglichkeit, mein neues Leben nach der Krankheit noch besser zu erfahren. Diese bewusste Langsamkeit, die mich nach der Krankheit ergriffen hat, werde ich wohl lange behalten. Obwohl, ich freue mich auch aufs Laufen, das eine schnellere Gangart ist und die Belastung dem Körper guttut.
Neben den körperlichen Zielen, gibt es aber auch seelische Ziele. Pilgern ist dafür hervorragend geeignet, die Seele und sich selber besser zu erfahren.
Mein Freund Alexander Rüdiger brachte mich übrigens drei Monate vor meinem Ausfall auf den Jakobsweg. Der Weg schwirrte schon lange in mir herum, aber erst durch Alexander wurde es spruchreifer. Wir hatten in Planung, einen Dokumentarfilm am Jakobsweg zu machen.
Alexander war ja schon des Öfteren dort unterwegs und kennt die Gepflogenheiten sehr gut. Leider wurde wegen meinen Hirnabszesses nichts daraus, der Jakobsweg wartet also noch immer. Diesmal aber, aufgrund der Situation und Neu-Orientierung, anders als geplant.
Der Jakobsweg, mit seinen 800 Kilometern am Camino France, war schon lange Zeit ein Ziel von mir, erstmals Ende der 80er Jahre. Aufgrund des Sports stellte ich ihn aber hinten an und wollte ihn machen, wenn der Sport zu Ende war.
Dann wollte ich, im Mai 2016, mit meiner Lebensgefährtin Silvia, zum Einstimmen auf das Pilgern, den Franziskus-Weg in Italien gehen. Der Hirnabszess kam mir aber zuvor und das Leben stellte andere Herausforderungen an mich. Der Wunsch nach Pilgern ist aber gleich geblieben, nur eben unter anderen Voraussetzungen.
"Den Puls des eigenen Herzens fühlen. Ruhe im Innern. Ruhe im Äußern. Wieder Atem holen lernen, das ist es."
Christian Morgenstern (1871-1914)
Eines hat Pilgern mit Trailrunning gleich, ab einem bestimmten Punkt kommt man in einen Flow. Der Unterschied ist die Geschwindigkeit, das ja eines meiner Themen ist.
Das Leben war die letzten Jahre vor dem Hirnabszess so schnell geworden, dass ich nicht mehr mitkam und mich nach Entschleunigung sehnte. Und dafür kommt das Pilgern gerade recht, um wieder die Langsamkeit zu erfahren.
Es gibt aber noch weitere wichtige Themen, bzw. Fragen, die ich für mich klären möchte:
Interessante Fragen über das Leben, die einem beim Gehen begleiten und vielleicht auch lösen kann. Wichtig ist, sich keinem Druck auszusetzen oder etwas zu wollen. Denn dann kommt der Druck, etwas erreichen zu wollen und man fängt an zu bewerten und zu beurteilen. Damit hat das Pilgern seinen Sinn verloren.
Meine Berg- und Rad-Reisen von früher, waren dem Pilgern sehr ähnlich, ob die Sahara-Durchquerung oder die Besteigung des Denali. Immer kam ich mit neuen Erfahrungen heim und das Leben war nicht mehr wie vorher.
Seit der Sahara-Durchquerung 1991 schätze ich einen guten Schluck Wasser und bin für jedes volle Teller zum Essen dankbar. Für die Jugend von heute zu oft selbstverständlich, für mich nie mehr.
Zunächst aber heißt es trainieren. Mit den paar Metern, die ich zurzeit schaffe, ist Pilgern noch nicht möglich. Auch das Gehirn gehört noch trainiert. Gerade beim Schreiben für den Blog merke ich, wie limitiert ich bin. Es geht also weiter für mich und ich freue mich auf das erste Mal, wenn ich als Pilger unterwegs sein kann.
Heute gibt es einen Blogpost über mein Workout. Mein persönliches Training, das mich unterstützen soll, meine körperlichen Defizite auszugleichen und mehr Stabilität, trotz der Gleichgewichtsstörungen, zu bekommen.
Diese Übungen sind nicht nur für mich in der Rehabilitation gut, die sollte eigentlich jeder in seinen Alltag einbauen.
Die neurologische Rehabilitation ist eine der wenigen Bereiche in der Medizin, in denen viel wirklich viel hilft. „Üben, üben und nochmals üben“. Mein Leben ist derzeit ein einziges Üben. Wie ein Kind alles neu lernen zu müssen, was man doch längst schon konnte. Ja, es ist oft wirklich hart.
Es ist nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen. Eine leichte Steigung wie ein Höhenbergsteiger, Schritt für Schritt, emporstapfen. Alle paar Meter stehenbleiben. Durchschnaufen. Das ist mein Alltag. Es ist nicht immer Freude dabei, so schnell ans Limit zu stoßen. Das einzige was wirklich schnell geht, ist mein Limit zu erreichen.
Das gilt für die Physiotherapie, in der das Gehen neu gelernt werden muss, für die Ergotherapie, in der Alltagsaktivitäten wie das selbstständige Essen, Trinken und Greifen auf dem Programm stehen und nicht zuletzt für die Neuropsychologie, in der Störungen des Gedächtnisses und der Konzentrationsfähigkeit, die das Denken massiv beeinträchtigen, angegangen werden.
Gilt das wirklich nur für mich? Diese Dinge sollte doch jeder beherrschen. Des öfteren bekomme ich von anderen Menschen, hauptsächlich Sportlern, die Rückmeldung, dass sie Übungen machen, die meinen sehr ähnlich sind. Es geht in erster Linie um Koordinations- und Stabilitätsübungen. Man trainiert damit Kraft, Ausdauer, Stabilität und Balance.
Ich ließ ein paar der Übungen in meinem Umfeld ausprobieren und siehe da, manch Übung stellt selbst für gesunde Menschen eine Herausforderung dar. Für mich sind diese Übungen essentiell auf dem Weg zurück ins Leben. Ich erschrak jedoch, wie viele Menschen in punkto Stabilität und Koordination auf einem mir ähnlichem Niveau liegen.
Dabei sind sie so einfach, bewirken aber eine Menge im Alltag. Meiner Meinung nach sollte das jeder beherrschen, egal ob jung oder alt.
Mein Programm dauert zur Zeit etwa 10 - 15 Minuten. Danach bin ich ausgepowert und muss mich erholen. Ich mache es sehr langsam, mit vielen Pausen dazwischen, denn ich bin schnell erschöpft. Es wäre toll, wenn ich von euch Rückmeldungen erhalte, um zu erfahren, wie lange ihr die verschiedenen Übungen durchhaltet.
Noch sind es die Basisübungen, die ich ausbauen werde, sobald genug Kraft da ist. 15 Sekunden halte ich die meisten Übungen durch, mit zwei bis drei Wiederholungen. Da merkt man erst, was es heißt, von 0 anzufangen. Mit meiner Zeit als Extremsportler oder Trailrunner darf ich mich nicht vergleichen.
Zusätzlich steige ich immer wieder auf das Luftkissen. Gut für die Balance und die Kräftigung der Füße. Meist noch mit Anhalten. Hin und wieder halte ich auch schon länger ohne durch. Ich verwende es auch zwischendurch zum Sitzen, wodurch das Becken und Gesäß beansprucht werden.
Ich mache alles nicht täglich, denn das würde mich überfordern. Denn es warten ja noch die Übungen auf dem Computer. Es ist halt so, dass ich nach einer intensiven Übungseinheit mein Pensum für den Tag aufgebraucht habe. Ich muss mir daher genau einteilen was ich wann mache.
Nach dem Training kommen noch ein paar Stretching-Übungen dazu. Mein Muskeln sind von dem langen Liegen sehr verkürzt. Die neueste Forschung räumt ja den Faszien eine wichtige Rolle ein. Gerade Rückenbeschwerden sind davon betroffen. Faszienverklebungen sind oft die Ursache dafür, auch bei mir.
Nach über einem halben Jahr, dass ich die meiste Zeit liegend verbracht habe, kein Wunder. Meine Gelenke und Wirbel knacken und krachen, sie müssen erst wieder in Form gebracht werden.
Begegnet man mir auf der Straße, würde man niemals annehmen, dass ich noch vor einem Jahr im Rollstuhl saß, nach der OP kaum Haare auf dem Kopf hatte und meine Beine so dünn wie Bohnenstangen waren.
Noch fehlt viel, aber langsam kehrt die Kraft in meinen Körper zurück. Joggen sollte mir bald möglich sein. Ein Problem ist halt noch immer das Gleichgewicht. Das ist seit dem vorigen Jahr über Nacht völlig gestört worden und noch immer habe ich Probleme damit.
Sitzen in einem Stuhl habe ich anfangs nur 15 Minuten täglich ausgehalten. Am Ende der Krankenhauszeit war bereits eine knappe Stunde möglich und ich konnte etwa hundert Meter weit gehen. Aber auch heute ist es noch so, wenn ich zu lange unterwegs bin, muss ich mich zwischendurch in eine waagrechte Position begeben, um mich zu erholen oder aufkommenden Schwindel zu beruhigen.
Der Blick in die Zukunft, die Prognose, ob ich wirklich wieder „ganz der Alte“ sein werde, ist sehr schwierig. Dafür sind in der Rehabilitation zu viele Faktoren beteiligt. So wie auf der einen Seite selbst nach Jahren noch kleine Wunder möglich sind, muss man andererseits auch damit rechnen, dass bestimmte Fähigkeiten und Funktionen unwiederbringlich verloren sind. Ich werde sehen!