Im März 2016 erlebte ich, wie es ist, von einem auf den anderen Moment wie ausgeschalten zu sein. Ein Hirnabszess war der Grund dafür.
Ich habe Funktionen wie Gehen, Bewegen und Denken verloren und musste alles neu zu lernen. Dazu lebe ich mit Muskel- und Bindegewebsschwäche, ohne Kurzzeitgedächtnis und einer fehlenden, bzw. gestörten Propriozeption. Zusammenhängende Gedanken zu führen und diese auszusprechen, sind mir fast nicht möglich.
Eine Behinderung ist nicht immer von außen sichtbar. Monica Lierhaus, die ehemalige ARD Moderatorin und ebenfalls Betroffene, schreibt in Ihrem Buch sehr treffend:
"Es gibt nicht nur den äußeren Teil einer Behinderung, den jeder Außenstehende sofort erkennt. Von den unsichtbaren Behinderungen bekommen die wenigsten etwas mit!"
Es ging alles von einem Thalamus-Abszess im Gehirn aus. Der Abszess und das folgende Ödem, drückte auf den Thalamus. Dabei wurde meine Steuerzentrale des Körpers beeinträchtigt und viele Synapsen zerstört. Der gesamte Körper ist betroffen, hauptsächlich durch das Zentralnervensystem. Die Auswirkungen sind bis heute vielfältig und bessern sich nur langsam. Sechs Monate höchst dosierte Antibiotika, vergleichbar mit einer Chemotherapie, hatten große Auswirkungen auf meinen Körper.
Mein Gehirn verhindert seither ein automatisches Gehen, wie überhaupt jede automatische Bewegung. Mir ist die gesamte Automatisation abhandengekommen, die sogenannte Propriozeption. Das erschwert die gesamten Bewegungsabläufe.
Laufen ist zum Beispiel noch immer nicht möglich. Die Bindegewebe- und Muskelschwäche ist zum Großteil dafür verantwortlich, aber auch das Gehirn, dass die schnelle Koordination nicht schafft. Ich bin in der Langsamkeit gefangen. Gerade das Bindegewebe braucht moderate Bewegung, wie das Gehen.
In den Händen und Füssen habe ich neurologische Probleme, besonders in der von der Hemiparese betroffenen rechten Seite. Die Feinmotorik in den Fingern macht kleines und fuzzeliges Arbeiten fast nicht möglich. Mit der Hand schreiben geht nur wenige Zeilen lang, danach wird es unleserlich, da die Kraft nachlässt.
Es ist mir nicht leicht anzusehen, denn meine Handicaps sind großteils unsichtbar und das bekommen die meisten nicht mit. Ich bin in der Bewegung eingeschränkt, vor allem die Schnelligkeit macht mir zu schaffen. Das ist von Außen nicht sichtbar.
Ich gehe mittlerweile optisch gesehen recht gut, kaum jemand würde mir eine Behinderung sofort ansehen. Aber der Aufwand dafür, gehen zu können, ist enorm und das merkt kaum wer. Jede Bewegung muss gedacht werden und das ist anstrengend über den Tag. Single-Tasking gegen Multitasking früher.
In den letzten Jahren habe ich gelernt, auf ebener Strecke, mich neben dem Gehen zu unterhalten. Bergauf und auf Waldwegen geht es kaum, weil ich mich zu sehr auf die Bewegung konzentrieren muss.
Für mich war das Schwierigste sicher die Verlangsamung in meinem Leben. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt und es akzeptiert. Wobei ich nicht weiß, inwiefern ich es als Behinderung sehen soll. Jedenfalls arbeite ich daran, dass es besser wird, aber die Langsamkeit darf ich als Teil meines Lebens akzeptieren.
Das Denken ist eingeschränkt, besonders das Kurzzeitgedächtnis ist betroffen. Ich kann mir kaum etwas merken. Mein Gehirn lässt Gedankenfolgen nicht zu und über etwas nachzudenken ist fast nicht möglich. Entscheidungen treffe ich praktisch nur über das Herz, also dem Fühlen. Mich zu spüren und dem zu vertrauen, ist das wichtigste Instrument in meinem Leben.
Noch fühle ich mich von vielem ausgeschlossen, denn ohne Begleitung ist vieles nicht möglich. Trotz dieses Handicaps habe ich mich alleine auf den Jakobsweg begeben und mir eine gewisse Eigenständigkeit erarbeitet, Stück für Stück.
Ob Kochen, ins Theater gehen oder in den Urlaub fahren, immer noch brauche ich in vielen Dingen Hilfe. Mein Handicap ist allgegenwärtig. Trotzdem habe ich Wandern und Pilgern als meine beste Therapie gefunden, meist alleine auf mich gestellt, welche mir eine gewisse Unabhängigkeit ermöglichte.
Im Juni 2018 fuhr ich das erste Mal weiter weg, nämlich zum Jakobsweg. Zwei Jahren bestimmte ausschließlich Therapie mein Leben und dazu kam die Trennung von meiner Lebensgefährtin. (Camino Frances)
Seit März 2016 ist kein Tag vergangen, der nicht mit Therapie belegt war. Mein Alltag besteht aus Therapie, einfach alles ist Therapie. Der Jakobsweg bot mir eine Abwechslung davon. Meine Defizite wurden mir dort zwar besonders aufgezeigt, allerdings ist es gleichzeitig Therapie unter lebensnahen Umständen.
2019 ging es dann zum Camino Norte. Die steilen Anstiege entlang der Küste sollten mir Kraft zurückbringen. Erst hier kam danach heraus, dass ich an Muskelschwäche litt und Konditionstraining nur bedingt eine Verbesserung erfuhr. Daher das langsame Auf trainieren, das bis heute anhält. (Camino Norte)
Im Jänner/Februar 2020, dann der nächste Camino, diesmal im Winter. Ich versuchte wieder Leben zu lernen und konnte weitere wichtige Schritte zurück ins Leben unternehmen. Allerdings brachte die Corona-Pandemie kurz darauf dieses Bemühen in wenigen Wochen zum Stillstand. Für mich hieß es in vielem neu zu beginnen. (Camino im Winter)
Ein weiterer wichtiger Weg war der Walkabout, von Mai bis Juli 2021, trotz Corona. Rund 2.100 Kilometer rund durch Österreich, die mich wieder näher an das Leben brachten. (Walkabout durch Austria)
Man wird sehen, was mir die Zukunft noch bringt. Ich muss noch mit Jahren der Rehabilitation rechnen, bis ich wieder aktiv am Leben teilnehmen kann, besonders auch Corona geschuldet.