Die kleinen Schritte. Ja, es ist eine wahre Kunst, sich darin zu üben. Auch die Gedanken.

"Bewahre mich vor der Angst, ich könnte das Leben versäumen. Gib mir nicht was ich mir wünsche, sondern was ich brauche. Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte."   

Auszug aus einem Gebet von Antoine de Saint-Exupéry
Minigolf als Gefühlstraining und gut für die Gedanken
Minigolf, gut für die Gedanken

Ich kann es oft noch immer schwer akzeptieren, dass diese Schritte so klein sind. Ich ahnte nicht, dass es so kleine überhaupt gibt. Machte mir kaum Gedanken darüber.

Brauchte ich auch nicht, denn ich lebte mit einer Geschwindigkeit, da war es mir unmöglich, zurückzuschalten. Oder ist das doch nicht so? - Ein ehrliches Innehalten und einmal kleinere Schritte tun - das wäre sicher oft hilfreich.

Zurückgeschalten habe ich nur vom vierten in den dritten Gang. Aber wirkliche Erholung und Orientierung habe ich nicht gefunden. Das wäre nur im ersten Gang möglich gewesen.

Leider wird einem die Zeit für Veränderung nicht gegeben. Man ist damit beschäftigt, sich im Hamsterrad zu bewegen. Ich wusste zwar um die Problematik, hatte aber keine Möglichkeit für mich gefunden, es zu lösen. Mir die Zeit zu nehmen, kam mir gar nicht mehr in den Sinn. Ich "kämpfte" lieber weiter, zwar sinnlos, aber zumindest kämpfen.

Auch möchte ich wieder mit Golfen beginnen. Es ist eine gute Übung im HIER und JETZT zu leben. Die Gedanken sind nur auf den Ball, den Schwung und das Ziel fokussiert. Eine gute Übung. Leider habe ich es vor 15 Jahren aufgegeben.

Minigolf habe ich mittlerweile gespielt. Es dient hervorragend zum Trainieren des Gefühls. Für echtes Golf fehlt noch die  Kraft und Ausdauer.

Mein neues Leben 2.0.

Eineinhalb Jahre sind seit dem Ausbruch des Hirnabszesses vergangen. Vor bald einem Jahr kam ich aus dem Krankenhaus nach Hause. Es war und ist nichts wie zuvor.

Ich habe keinen Beruf mehr. Keinen Sport mehr. Ich darf von 0 beginnen. Gehen, Denken und mich wieder bewegen lernen. Alles neu eben. Mein Leben hat sich total gewandelt.

Die Erinnerung an die Wochen vor dem Abszess sind dunkel. Ich war müde. Müde von den Terminen, von dem Gehetze, von dem Druck, immer perfekt funktionieren zu müssen. Ich hatte viele Pläne, das Eine oder das Andere angedacht, vieles umgesetzt, manches nicht fertig gemacht, einiges nicht erledigt.

Innerlich war ich unausgeglichen und es herrschte Chaos in mir. Zu viele Gedanken. Ein nicht endender Gedankenstrudel.

Wollte ich zu viel? Was wollte ich eigentlich? Ich weiß es nicht mehr. Denn es kam sowieso anders.

Ich weiß noch, ich bin am Strand gelaufen. Beim Laufen kann ich wunderbar abschalten oder, wenn notwendig, auch Probleme lösen. Das habe ich schon früher beim Radtraining so gemacht. Beim Losfahren war noch das Problem da, nach zwei, drei Stunden wurde es schon weniger, nach vier, fünf Stunden hatte ich die Lösung. So einfach konnte es sein.

Neuanfang

Ja, so einfach war es damals. Aber für diesmal hatte ich keine Lösung. Die kam damit, dass ich mich hinlegte und fünf Monate lang nicht mehr aufstehen konnte.

Dazu war "Denken" nur im HIER und JETZT möglich. Ich war befreit von Zukunft und Vergangenheit. Es gab keine Termine, ich hatte kein Gehetze mehr und es gab keinen Druck mehr.

Ich konnte nicht sofort nachvollziehen, was passiert war. Ich akzeptierte das Geschehene, es blieb mir eh nichts anderes übrig. Es nicht zu akzeptieren war mit meinem Denkmuster nicht vereinbar. Ich wusste vom Anfang an, ich hatte eine Grenze überschritten, mein Körper hatte ein Machtwort gesprochen. Die kleinen Hinweise hatte ich nicht verstehen wollen.

Heute wird mir klarer, dass es diese gegeben hat. Ich brauchte kein leichtes Tatscherl mehr auf die Schulter. Ich bekam die Hammer-Lösung serviert.

Das Universum hatte das genau Richtige für mich ausgesucht. Mein blockierter Kopf hat die haargenau richtige Herausforderung bekommen. Seit einigen Monaten beginne ich langsam zu verstehen. Gleich langsam wie ich für das Gehen und Laufen lernen benötige, entwickelt sich auch das Denkvermögen.

Jeden Tag, jede Woche, jeden Monat, ja, jedes Jahr ein bisschen mehr. Ich kann nichts erzwingen, keine Schritte überspringen. Es braucht so lange wie es braucht. Ich darf mir Zeit lassen.

Mein Gedanken

Fragezeichen - was will ich? Gedanken werden Realität!

Ich denke über vieles anders als früher. Das Denken hat einen zentralen Stellenwert in meinem Leben bekommen. Ich trainiere es ja täglich. Meine Gedanken sind auf den Moment fokussiert. Sie sind nicht in der Vergangenheit und kaum weiter vorne in der Zukunft. Berufliche Gedanken habe ich auf die Seite gelegt. Ich komme ja doch zu keinem Ergebnis. Manchmal beschäftigt es mich, aber ich komme in diesen Gedankengängen nicht weiter. Es hat derzeit keinen Sinn, sich damit auseinanderzusetzen.

Im Moment versuche ich die Gedanken zu ordnen. Manchmal gelingt es, manchmal nicht. Das Denken ist noch immer Therapie für mich. Weiterführende Gedanken sind nur manchmal möglich. Ich habe mich damit arrangiert. Außenstehende merken fast nichts davon. Wenn ich aber alleine bin, will ich mehr. Dann versuche ich Zusammenhängendes zu überblicken oder am Computer zu trainieren.

Das Programm bringt mich an die Grenze, zeigt mir meine Limits auf. Anfangs war ich enttäuscht darüber, als ich merkte, dass nichts weiter geht. Ich hatte die Kleinheit der Schritte nicht bemerkt. Jetzt freue ich mich auch über kleine Fortschritte und kann sie meist auch erkennen.

Wieder unter Menschen

Unter Menschen zu gehen strengt mich noch an. Noch immer treffe ich mich sehr selten mit Freunden oder begebe mich in die Stadt. Ich stoße schnell an Grenzen, die mich überfordern.

Überforderung zeigt sich, indem der Kopf abschaltet und sich weigert, noch mehr aufzunehmen. Ich überlege lange, ob was geht und was nicht. Darauf achte ich genau. Trotzdem komme ich schnell an meine Grenze.

Aus diesem Grund möchte ich versuchen, nicht mehr jeden Tag ans Limit zu gehen. Wenn das auch bedeutet, den restlichen Tag in Ruhe zu Hause zu verbringen. Keine schwierigen Gespräche zu führen, mich zu schonen und den Tag mit Ruhe zu beenden.

Auch früher hätte ich mehr darauf schauen sollen. Oft habe ich bis spät in die Nacht noch Filme geschnitten, um Termine einzuhalten. Hatte sehr oft zeitlichen Druck, etwas fertig zu stellen und bin deswegen zu lange aufgeblieben und habe gearbeitet.Mein "krasser" WegDenken ist wie googeln - nur krasser

Mein "krasser" Weg

Schon letztes Mal habe ich die Bedeutung meines Namen angeschnitten. Krasser = Extremer. Daran möchte ich heute nochmal anknüpfen. Es war seit dem letzten Jahr ein wirklich "krasser" Weg.

Wie gesagt, Krasser bedeutet auch Extrem. Also ist mein Weg unter anderem ein Extremer. Das Hirnabszess gehört mit Sicherheit dazu. Es hat mein Leben extrem verändert. Ich habe viel erlebt bisher, aber das letzte Jahr hat alles geschlagen, stellte alle anderen extremen Abenteuer in den Schatten.

Wo liegt mein Limit?

Ich habe immer Extremes unternommen, dabei kommt zwangsläufig auch die Frage auf: Wo liegt mein Limit?

Nun, mein Limit habe ich immer für mich selbst festgelegt. Egal ob es um eine Besteigung eines Berges ging, um die Länge eines Radrennens oder anderes. Ich versuchte immer ein bisschen besser zu sein, als die Herausforderung war. So war ich immer sicher, nicht an meine Grenze zu gelangen. Noch eine Reserve zu haben.

Mit der Krankheit musste ich allerdings mein Limit, meine Grenzen neu überdenken. Mein Limit ist plötzlich weit unten angesiedelt. Das zu Verstehen ist schwer.

no limit

Ich habe erst in letzter Zeit registriert, dass es seit vorigen Jahr nur wenige Tage gab, an denen ich nicht am Limit war. An meinem persönlichen Limit. Das ich oft über meine Grenze gehen musste. Von außen erkennt das niemand.

Ich habe gelernt, NEIN zu sagen, nicht immer ja zu sagen.

Einerseits recht verständlich. Eine Stunde im Wald, mit ein paar Übungen, bringt mich bereits ans Limit. Alles weitere kann ich nur mehr limitiert machen. Limitiert in Gedanken und Bewegung. Habe ich etwas vor, mache ich davor nichts oder weniger. Zumindest sollte ich. Geht aber meistens eh nicht. Irgendwie rette ich mich über den Tag.

Das Limit liegt weit unter dem, was ich früher gewohnt war. Das ist neu für mich und ungewohnt. Deswegen kann ich auch noch nicht an Arbeit denken. Was soll ich mit einer Stunde Konzentration am Tag?

Ich freue mich an dem, was derzeit ist! 

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"Ich hab den Trail gerockt!"

Dieser Spruch ist mir in den letzten Tagen öfter über den Weg gelaufen. Einige der bekanntesten Ultra Trail Läufe fanden in den letzten zwei Wochen statt.

Eiger Ultra Trail, Zugspitz Ultra Trail, Hardrock 100 - um die bekanntesten zu nennen. Über Facebook, Posts und viele  laufende Blogger, verfolge ich zur Zeit die Welt "draußen", an der ich noch nicht teilhaben kann.

Auch ich "rocke" die Trails rund um meinen Hausberg, den Schöckl. Wobei, die Schöckl Gegend, ist ein bisserl zu weit gegriffen. Kalkleiten eigentlich auch. Es sind derzeit "nur" die Trails rund um mein Wohnhaus in Stattegg. Weiter komme ich noch nicht.

Hinter dem Haus geht´s gleich hoch in Richtung Kalkleiten und weiter zum Gipfel des Schöckel. Und mein "rocken" ist langsames Gehen, dahin stolpern und ein Ringen ums Gleichgewicht.

am Trail
Mein Trail
Schöck(e)l

Falls jemanden die Schreibweise stört, ich habe sie bewusst genommen, um auf die Veranstaltung "Schöckl Classic" hinzuweisen. Der Schöckl schreibt sich ohne "e", der Schöckel Classic aber mit "e".

In meinem alten Leben habe ich von 2010 bis 2016 für die Veranstaltung das Video produziert. Jetzt ist mein Ziel, dieses Rennen als Aktiver zu absolvieren. Ich nehme mir einmal 2018 vor. Diesen Duathlon hat es in meiner Zeit als Extremsportler ja nicht gegeben.

Hier unten ein Video der 2015 Version. Der nächste Schöckel Classic findet am 24.September 2017 statt.

Der Wald - meine Therapie

Übungen im Wald der Schöckl Region
Der Wald um den Schöckl- Heiler und Ruhebringer.

Der Wald um Stattegg ist also die Gegend, in der ich trainiere und mich therapiere. Konnte ich im vorigen Jahr, im November, nur wenige Meter weit den Berg hochgehen, sind es jetzt schon einige Hundert. Natürlich brauche ich noch Pausen, aber inkl. Workout brauche ich schon eine Stunde.

Das Terrain ist ideal um das Gleichgewicht zu üben. Ich baue meine Waden auf und stärke die Oberschenkel, indem ich immer höhere Steine am Weg überwinde. Dazu ist der Waldboden super geeignet, um meine Sprunggelenke zu stärken, da ich auf dem weichen Boden stabil gehen muss. Ab und zu versuche ich auch durchs Unterholz zu gehen.

Ich muss allerdings damit klar kommen, dass es langsam geht. Ein Hirnabszess ist kein Beinbruch, wo es meist Erfahrungswerte mit der Heilungsdauer gibt. Meine Dauer ist offen und das macht es manchmal schwer für mich.

Bergauf bin ich noch immer sehr langsam unterwegs. Für 6000 Meter Höhe wäre das eine gute Geschwindigkeit, aber hier!

Es sind die neurologischen Störungen, die noch kein höheres Tempo zulassen. Ich muss noch immer zuviel Denken beim Gehen, mein Geist ist schnell überfordert damit. Besonders die Koordination wird schnell zuviel.

Denn ich war rechtsseitig komplett gelähmt und darf froh sein, dass ich überhaupt im Wald gehen kann. Passe ich allerdings nicht darauf auf, den rechten Fuß weit genug zu heben, bleibe ich leicht am Boden hängen. Über Wurzeln steigen ist daher eine Standardübung für mich im Wald. Irgendwann wird es wieder automatischer funktionieren.

Ich habe den Gleichgewichtssinn verloren und muss erst wieder lernen, den Körper auszubalancieren und die richtigen Muskeln zu verwenden.

Auf den Fotos kann ich mich selbst fast nicht anschauen. Immer Breitbeinig und die Arme zum Austarieren seitlich weggestreckt. So wackle ich dahin. Zum Glück werden keine Haltungsnoten vergeben :-).  Von der Eleganz und dem Gazellen haften Laufen eines Trailrunners bin ich weit entfernt. Aber jeder fängt einmal an.

Reha im Wald und am Trail

Der Wald- dein Ruhebringer

Den Wald genieße ich wie nie zuvor. Trotz der Anspannung beim Gehen und der doch recht schnellen Erschöpfung, komme ich geistig nicht mehr so müde nach Hause. Das Schauen in den grünen Wald tut dem Körper und der Seele gut. Die gleiche Zeit in der Stadt verbracht, bringt mich weit schneller ans Limit. Ein ganzer Tag in einem Waldgebiet führt dazu, dass die Anzahl der Killerzellen im Blut um 50 Prozent ansteigt – und gut eine Woche so bleibt. Deshalb verbringe ich lieber Zeit im Wald, als z.B. in der Stadt.

Mein Derzeitiges Ziel ist es, hoch bis zur Kirche nach Kalkleiten zu kommen. Und natürlich auch wieder hinunter. Früher ein Weg von 20 - 25 Minuten zu Laufen. Noch ist es utopisch, aber die Vorstellungskraft wird mir dabei helfen. Geistiges Training und Heilen ist nicht zu unterschätzen. Schon in meiner Zeit als aktiver Radrennfahrer konnte ich sehen, was möglich ist. Die Kraft der Gedanken sind nicht nur im Beruf oder Sport wichtig. Auch in der Krankheit ist es wunderbar zum Einsetzen.

Leider wird in der Schulmedizin noch zu wenig darauf eingegangen und meist nur "mechanisch" repariert. An dieser Stelle ein riesiges Danke an meine Therapeutinnen Lydia und Kerstin vom LKH, die mir die ersten Schritte und überhaupt wieder Bewegen beigebracht haben und in weiterer Folge auch an Karin, die in den bisherigen zwei Reha-Aufenthalten in Judendorf mit tollen Übungen an meinem Gangbild gearbeitet hat.

Sport als Medizin und Lebensschule

Schneefall beim Start Zeitfahren Thörl
Siegerehrung Zeitfahren Thörl

Schon als Radfahrer trainierte ich lieber im Freien. Ein Ergometer kam nur im Ausnahmefall zum Einsatz. Kraftkammer oder Turnhalle waren nur im Winter für Ausgleichs- und Krafttraining notwendig. Ich fuhr auch gerne bei widrigen Bedingungen mit dem Rad im Freien.

Das Training war für mich Freiheit. Ich kann mich noch gut an meinen ersten Sieg bei den Hauptfahrern erinnern. Hobby und C-Rennen zähle ich nicht dazu. Es war das Einzelzeitfahren in Thörl. Ich kam im ersten Drittel des Starterfeldes dran und es begann, beim Start in Seewiesen, zu schneien. Es war kalt und nass. Trotzdem fühlte ich mich wohl und hatte einen guten Druck am Pedal.

Überraschenderweise hatte ich die Bestzeit im Ziel. Es hieß für mich noch lange abwarten. Erst als ein Favorit nach dem anderen hinter mir blieb, begann ich an ein gutes Ergebnis zu denken. Strecko Glivar, ein Slowene, kam als letzter an die Reihe. Zittern bis zum Ende. Als auch er im Ziel nur wenige Sekunden hinter mir lag, war es sicher. Ich war an diesem Tag der Schnellste im Rennen und mein erster Sieg bei den Hauptfahrern. Ich freute mich, spürte aber keine Euphorie, wie ich es mir immer vorstellte. Es war irgendwie eine Art Leere in mir. Ich dachte nur: "Das war es? Ok. So fühlt sich also ein Sieg an! Schön.". Mir fehlte ein gewisses Glücksgefühl.

Radrennfahren ist Lebensschule

Und an diesem Tag begriff ich, dass es um mehr geht, als nur ums Gewinnen. Radrennfahren war etwas, um fürs Leben zu lernen. Ich lernte wie man mit Gewinnen und Verlieren umgeht. Ich lernte, auch bei schlechtem Wetter, positiv zu bleiben. Das beste aus einer Situation zu machen. Auch das Leiden als etwas positives zu sehen.

Natürlich fuhr ich, wie die meisten auch, lieber bei schönem Wetter Rennen und trainieren. Aber entscheidend ist es, wie gehe ich mit allem anderen um. Viele geben schon bei ein paar Regentropfen auf oder wenn das Wetter nicht schön ist, wenn das Rennen hart ist, wenn man leidet oder wenn Widrigkeiten auf einen treffen.

Radrennfahren wurde für mich zur Lebensschule. Und es hatte erst begonnen. Meine Bewusstseins-Schulung stieg mit dem Extrem-Radfahren auf einen neuen Level an. Im Extremsport waren nur wenige Österreicher tätig und bei vielen Rennen in Amerika war ich als erster Europäer am Start. Das Reisen selbst wurde bereits zum Erlebnis. Es war schön, auf diese Art zu lernen.

Steirische Querfeldeinmeisterschaften Sankt Ruprecht
Der Sieger bei den LM Querfeldein, Gerhard Streit,  ist heute einer meiner Therapeuten in der Reha Klinik Judendorf
Leadville Trail 100
Als erster Europäer beim 2. Leadville Trail 100, in Colorado (8.Platz)

Beginn Trailrunning

Beim Eiger Ultra Trail in Grindelwald

Und dieses Lernen und Erleben im Sport habe ich bis heute beibehalten. Nach einem 10-jährigen Ausflug in die Filmwelt, wo ich unter anderem für Puls4 filmte, holte mich  der Sport wieder ein. 2013 begann ich mit dem Trailrunning. Im Juli filmte ich noch beim Eiger Ultra Trail, der mich so motivierte, dass ich kurz darauf meinen ersten Trailrun unternahm. Und das nach mehren Jahren Sportpause.

Nur ein Jahr später nahm ich am Eiger Ultra Trail teil. Eigentlich ein Wahnsinn ob meiner Vorbereitungszeit. Ich beendete das Rennen nach 63 Kilometern. Ich finishte damit die Halbdistanz und war mit mir zufrieden. In der Folge nahm ich an keinen Wettkämpfen mehr teil, sonder lief nur mehr für mich.

Manchmal war ich zwei, drei Tage unterwegs und durchquerte einen Gebirgsstock. Mit Schlafsack und Minimal-Ausrüstung war ich auch fürs Übernachten gewappnet. Das machte mich zufrieden, denn ich setzte mich wieder mit der Natur auseinander.

Trailrunning am Hochschwab
Am Hochschwab/Steiermark

Das Trailrunning gab mir eine gute körperliche Basis, das Hirnabszess besser zu überstehen. Gerade jetzt ist mir Bewegung in der Natur sehr wichtig. Meine Sensoren sind noch feinfühliger als früher und melden mir noch besser, was mir gut tut und was nicht. Und darauf höre ich.

Ich kann nur immer wieder jeden ermuntern: Geht in die Natur, schaut in den Wald, lauscht dem Gurgeln eines Baches, erfreut euch an der Natur. Es bringt den Geist zur Ruhe und ermöglicht den Ausstieg aus der Hektik der täglichen Anfordernisse.  Positive Gefühle erscheinen größer und wichtiger als jene, die einen eher zermürben.

Krass(er) Weg

Zum Schluss möchte ich noch etwas über meinen Namen schreiben. Krasser bedeutet "extremer". Extremes war mir damit in die Wiege gelegt. Extrem heißt ja nur, seine Komfortzone zu verlassen, eben auch krasser. Alles außerhalb  der Komfortzone wird oft mit dem Sprüchen bewertet: "Ist das krass!; Ein krasser Weg!; Echt krass!; Krasser gehts nicht!".

Die Sprüche kennt jeder. Auch ich kenne und kannte sie. Aber erst jetzt bringe ich sie mit meinem Namen in Zusammenhang. Früher machte ich mir kaum Gedanken darüber. Jetzt weiß ich, dass ich einen echt "krassen" Lebensweg habe.


Urlaub oder Therapie in Knappenberg? Was jetzt?

Vier Tage Urlaub mit Silvia im Jufa Knappenberg. Mein erster Urlaub seit meinem Hirnabszess im März 2016. Ich frage mich, Urlaub oder Therapie?

Im Geburtsort von Heinrich Harrer also finden für mich diese ersten erholsamen Tage statt. Mit dem am Jufa angeschlossenen Tibet-Zentrum, wo Tibetische Medizin gelehrt wird und dem Heinrich-Harrer-Museum im nahen Hüttenberg, lässt es sich, mit viel Ruhe, gut Urlauben.

JUFA Knappenberg  JUFA Knappenberg Sonnenraum

Filmen im Tibetischen Zentrum

2007 filmte ich hier die Grundsteinlegung des Tibetischen Zentrums, die der Dalai Lama selbst durchgeführt hat. Es konnte sicher nicht alles im damals geplanten Umfang realisiert werden, aber die Gegend ist sicher ein Mittelpunkt der Tibetischen Medizin und Kultur in Österreich geworden. Die Geschichte des Bergbaus passt hervorragend dazu und der Vergleich der Alpenländer mit Tibet zeigt, dass es nicht so anders ist.

Ich wollte einmal ausspannen und weg vom Alltag zu Hause, aber "Therapien" lassen sich nicht ganz vermeiden. Auf 1100 Metern Seehöhe gelegen, ist Ruhe und eine langsamere Gangart in diesem ehemaligen Bergbau-Dorf zu finden. Genau das richtige für mich.

Neben Knappenberg ist Hüttenberg, mit dem Heinrich-Harrer-Museum, ein weiteres Highlight. Und in Hüttenberg fängt auch meine "Therapie" an. Aber alles der Reihe nach.

Zunächst steht ein Besuch im Heinrich-Harrer-Museum an. Seine Bücher kannte ich schon als Kind und damals war ich überzeugt, zu spät auf die Welt gekommen zu sein. Die Zeit des Entdeckens war vorbei, was ich bedauerte. Ähnliches zu erleben suchte ich dann auf Reisen durch die Sahara, in Alaska und mit dem Fahrrad in aller Welt.

Das Heinrich Harrer Museum

Das Museum steht schon lange auf meiner Besuchsliste und endlich war es so weit. Gleich der erste Raum ist Harrer persönlich gewidmet. Die Ausrüstung bei seinen Bergbesteigungen ist beeindruckend. Allein seine Steigeisen sind wahrscheinlich gleich schwer, wie meine Mindestausrüstung beim Eiger Ultra Trail war.

Was ich auch nicht wusste, er war österreichischer Meister im Golfen 1933/34. Damals lebte er in meiner Heimatstadt Graz und studierte auf der Karl Franzens-Universität ein Lehramt.

Heinrich Harrer Museum Knappenberg Golf Wagen von Heinrich Harrer

Beim Durchgang des Museums muss ich mich immer wieder hinsetzen, um Pause zu machen, denn die Räume im ehemaligen Schulgebäude sind auf drei Stockwerke verteilt. Besonders mein Gehirn braucht Pausen, um alles zu verarbeiten und aufnehmen zu können. Die abgeschnittenen Yak-Schwänze bleiben besonders in Erinnerung, da sie in Amerika als Bärte für den Weihnachtsmann Verwendung fanden.

Aber auch die vielen Gebrauchsgegenstände aus natürlichen Materialien sind eindrucksvoll. Bei uns wird ja nur mehr alles aus Plastik produziert und nach Gebrauch weggeworfen. Alles in allem ein sehr interessantes Museum, das außerdem die Verbundenheit von Harrer zum Dalai Lama und dem Tibetischen Volk sehr gut zeigt.

Der Lingkor von Hüttenberg

Auf dem Lingkor in Hüttenberg unterwegs

Nach gut zwei Stunden verlassen wir das Museum und da kommt die "Therapie" ins Spiel. Gegenüber vom Museum baut sich der sogenannte "Lingkor von Hüttenberg", ein Pilgerweg, an einer Felswand auf. Pilgerpfade gibt es viele in Tibet, der bekannteste ist der Pfad rund um den Kailash oder der Lingkhor in Lhasa.

Beweggründe sind die Hoffnung auf Glück und Segen, eine bessere Wiedergeburt, die Heilung eines Leidens oder Vergebung von Sünden. Gute Gründe für einen Pilgerweg, die ja auch bei uns immer begehrter werden. Siehe den Mariazeller Weg oder der Jakobsweg. Der Hüttenberger Lingkor ist obendrein der einzige außerhalb Tibets gelegene tibetische Pilgerpfad.

Soll ich ihn wagen?

Er führt auf Stiegen aus Stahl durch die Felswand, in schwindlige Höhen. An und für sich kein Problem für mich, aber jetzt nach dem Hirnabszess?

Ich entscheide mich, ihn zu wagen. Durch einen wunderschönen Eingangsbereich geht es los. Dann noch einen Helm ausgeborgt, denn ohne ihn darf man den Lingkor nicht betreten. Gleich bauen sich steile Stiegen vor mir auf. Hoch konzentriert, steige ich Stufe um Stufe höher. Gedanken ans Ausrutschen verwerfe ich sogleich, obwohl sie immer wieder da sind.

Es ist anstrengend für den Körper, so viele Stiegen zu steigen und für den Geist, das Ausgesetzt sein zu vertragen. Ich weiß nicht, was für mich anstrengender ist. Mir kommen die Pilger in den Sinn, die den Kailash mit Niederwerfungen umrunden. Dagegen ist mein Weg eine Lappalie, aber für mich halt auch am Limit.

Die Hängebrücke, zu viel für mich!

Mit der Anstrengung nimmt auch der Schwindel zu. Die Hängebrücke lasse ich aus. Sie ist einer tibetanischen Hängebrücke nachempfunden. Das Schwanken der Brücke verträgt sich nicht mit meinem Schwindel. Ich habe Angst, zu stürzen. Fünfjährige Kinder stürmen über die Brücke, dass alles wackelt. Ich bleibe verschämt zurück, an einen Eisenträger gestützt oder besser gesagt, geklammert. Das ist noch eine Nummer zu groß für mich.

Über die Brücke zu gehen, wage ich nicht. Ich bin schon froh, den Rundgang zu schaffen. Bald geht es wieder bergab. Vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen. Bergab zu gehen ist schwieriger für mich. In die Ferne zu schauen heißt, stehenzubleiben.

Multitasking der einfachen Art, Gehen und Schauen, ist gleichzeitig nicht möglich. Es ist Herausforderung genug, hier zu gehen. Ohne zu Stolpern schaffe ich es bis ans Ende der Stufen. Dort setze ich mich erschöpft ins Gras. Die Anspannung lässt nur langsam nach.

Grenzen verschoben

Ich darf stolz auf mich sein, es geschafft zu haben und meine Grenzen wieder zu erweitern. Dieses "An-die-Grenze gehen", habe ich immer wieder zu üben, nur so kann ich sie weiter hinauf setzen.

Ein Beispiel ist das "Iditabike" Rennen in Alaska, an dem ich dreimal teilnahm. Das heißt im Winter, mit einem Fahrrad, die Distanz von Graz nach Salzburg, auf einem Hundeschlitten-Trail zu fahren.Das war 1994 kaum vorstellbar.

Aber ich fuhr trotzdem hin und beendete dieses Rennen, einmal sogar Siegreich. Solche Erlebnisse von früher, helfen mir heute wieder in mein Leben zu finden oder mich an und über Grenzen zu wagen. Es geht vornehmlich um körperliche Grenzen, aber auch um geistige.

Und dafür ist es in Knappenberg ideal. Einmal unter anderen Bedingungen zu üben, tut dem Geiste wohl. Hier gibt es viele Gelegenheiten und ich mache es gerne. Zu Hause ist es oft schon ein Muss. Hier wird es wieder spielerischer.

Der "Weg des Dialoges" in Knappenberg

Gerne gehe ich einen Teil des "Weg des Dialoges". Einen Rundweg in und um Knappenberg. Hier finde ich alles, was mir guttut. Für mich ist es ein Therapieweg.

Die Stufen durch die Bergbausiedlung stärken meine Waden, der Wiesen- und Waldweg ist uneben, mit Wurzeln. Beim Bergbau-Museum ist ein Spielplatz für (ältere) Kinder, den ich nutze. Einfach ideal für mich.


Dialog Weg in Knappenberg  Dialog Weg in Knappenberg

Es ist wie früher im Trainingslager, nur mit anderen Anforderungen. Das Ziel ist das Gleiche - ich will besser werden. Meine Bewegung muss bewusst getätigt werden, daher verschwimmen Urlaub und Therapie sowieso miteinander.

Trainingslager waren schon früher eigentlich Urlaub für mich, also ist es heute kein großes Problem, auch im Urlaub zu trainieren. Es gilt nicht nur für mich:

"Was du aus einer Situation machst, liegt nur in deiner Einstellung!"

...und in meiner Einstellung habe ich nie aufgegeben. Ich schaue immer nach vorne und gebe zu jeder Zeit mein Bestes. Dazu war ich immer lebensbejahend.

Auch in schwierigen Phasen, als ich mich nur mit dem Rollstuhl fortbewegen konnte oder gehen lernen musste. Ich behielt meinen Optimismus bei. Natürlich gibt es auch bei mir schwierige Phasen oder Momente wo es nicht läuft, die dauern aber nie lange.

Wo kann ich jetzt diese vier Tage einordnen, unter Urlaub oder Therapie? Das würde ich mit teils, teils beantworten.

Positiv war auf jeden Fall die veränderte Umgebung, allerdings konnte ich nicht abschalten, was den Rest betrifft. Die Defizite sind noch zu groß, die Konzentration zu stark für die täglichen Anforderungen. Auf der einen Seite kann ich froh sein, derart im JETZT zu leben, auf der anderen möchte ich, dass vieles wieder automatisch funktioniert und ich nicht so viel nachdenken muss.

Mein "Urlaub" in Knappenberg

Die Spaziergänge waren nicht nur schön, sondern auch nützlich, da sie gleichzeitig Übungen beinhalteten. Die Museen waren interessant, auch wenn sie etwas anstrengend waren. Der Lingkor-Rundweg war eine Herausforderung, aber ich bin stolz, ihn bewältigt zu haben. Ich denke, ich habe das Beste aus Urlaub und Therapie gemacht.

Ich bin optimistisch, dass es in Zukunft noch besser wird.

Karawanken - von Knappenberg aus
Blick auf die Karawanken, von Knappenberg aus

Wieder ist eine Woche um. Die Tage und Wochen vergehen wie im Fluge. Manchmal setze ich mich hin und versuche die vergangenen Tage zu analysieren. Wo stand ich letztes Wochenende? Wo stehe ich jetzt? Gibt es Veränderungen? Was ist anders seit der Reha?

Oft kann ich nicht einmal sagen, dass sich etwas verändert hat. Dann nehme ich mir einen größeren Zeitraum. Denn dann erkenne ich, was seit dem letzten mal besser geht.

In diesen Tagen sind mir noch einmal die letzten Wochen im letzte Jahr, im Krankenhaus, durch den Kopf gegangen. Diese Ereignisreichen Tage habe ich euch bisher vorenthalten. Es machte mir wieder bewusster, dass ich seither schon viel erreicht habe. Aber lest selbst.

Juli 2016

Aus meinem Tagebuch:

  • 10.Juli : "Lagerkoller. Ich halte es fast nicht mehr aus. Ich kann das Essen im Krankenhaus nicht mehr sehen."
  • Zwei Tage später schreibe ich:  "Infusionsende. Orale Antibiotika. Ich will nur mehr weg."
  • 13.Juli:  "Fühle mich gut. Überstanden. Jetzt gehört halt Körperübungen." -  Ich hatte erfahren das ich bald nach Judendorf kam.

Ich schrieb nur kurze Eintragungen, Stichwortartig, ins Tagebuch. Das Schreiben strengte mich sehr an, ich war erst auf dem Weg, es wieder zu lernen. Schreibfehler, Schriftbild, Buchstaben vergessen, Wörter vergessen. Es war mühsam und eigentlich schon toll, dass ich überhaupt schrieb. Das konnte ich aber nicht sehen.

Damals glaubte ich auch noch, das mit dem Aufbau der Muskel wieder alles im Lot sei. Aber noch ist die  Krankheit über mir gelegen. Ich konnte nicht erahnen, dass es so lange dauern würde und meine Nerven so stark betroffen sind. Meine Gedanken waren nur: "Ich hab das Ärgste hinter mir!"

Das Ende der Zeit im Krankenhaus?

Krankenwagen


Am 14. Juli 2016 wurde ich völlig überraschend mit dem Krankenwagen vom LKH in die Klinik Judendorf zur Reha überstellt. Ich benötigte einen Rollstuhl, um aufs Zimmer zu gelangen und er war mir auch die nächste Zeit ein treuer Gefährte. Es war ein großartiges Gefühl aus dem Krankenhaus  draußen zu sein. Seit bald vier Monaten hatte ich nichts anderes gesehen als den Blick aus meinem Zimmer.

Auf der Fahrt durch Graz und weiter nach Judendorf konnte ich mich nicht satt sehen. Viel hatte sich verändert oder nahm ich anders wahr. Schon damals bemerkte ich, dass mich die Farbe Grün besonders anzog. Ich konnte mich nicht satt sehen am Grün der Bäume und auch heute gehe ich lieber in den Wald als in die Stadt. Bin ich überfordert, brauche ich nur ins Grüne zu schauen. Es beruhigt mich sofort.

Reha Klinik Judendorf

Mein treuer Begleiter über viele Wochen in der Reha, der Rollstuhl
Mein treuer Begleiter über viele Wochen in der Reha, der Rollstuhl

In der Reha Klinik ging es gleich los mit den Therapien. Ich war mit dem Rollstuhl unterwegs, da ich nicht weit gehen konnte und mir immer schwindlig wurde. Auch der Tunnelblick war ein Problem. Ich war dermaßen beansprucht, dass ich für anderes als die Therapien keine Energie hatte.

Von Therapie zu Therapie war meistens eine halbe Stunde Zeit. Normalerweise konnte man sich kurz ausruhen. Dafür hatte ich fast keine Zeit. Ich hatte genug zu tun, rechtzeitig zur nächsten Behandlung zu kommen.
Ich war in den Armen so schwach, dass ich den Rollstuhl nicht richtig bedienen konnte.

Nur langsam und mit vielen Pausen kam ich vorwärts. Es war ein Alptraum. Den ich allerdings dazu nutzte, um meine Arme zu trainieren. Wie schon öfters erwähnt, alles ist Therapie, auch Bewegungen im Alltag. Ich bekam Physio-, Ergo- und Logopädie, Krafttraining und Psychologische Diagnose.

Am Abend war ich fix und fertig. Noch immer hatte ich die oralen Antibiotika zu nehmen. Das förderte nicht gerade meine Leistungsfähigkeit. So wand ich mich durch die Reha. Nach knapp vierzehn Tagen hatte ich dann die erste MR Kontrolle am LKH.

Bei der Nachbesprechung auf der Neurologie am LKH dann das dicke Ende. Ich durfte nicht nach Judendorf zurück. Es ging um die Blutwerte. Ich bekam gleich ein Bett im zweiten Stock und war somit wieder zurück am LKH. Weitere Wochen mit täglichen Infusionen sollten mich erwarteten.

Weitere Wochen im LKH Graz

Ich war am Boden zerstört. Das kam zu überraschend. Meine Blutwerte waren schlecht. Das Problem war, dass in den oralen Antibiotika ein Stoff war, der weiße Blutkörperchen zerstört. Und weiße Blutkörperchen hatte ich eh schon wenig, nach mehreren Monaten Einnahme der Antibiotika. Mein ganzes Zeug war noch in Judendorf. Es musste geholt und mir gebracht werden.

Neurologie 2. Stock

Dieses Mal bekam ich wieder volle Pulle ab. Fünf mal am Tag, jeweils zwei bis drei Flaschen Antibiotika. Dreizehn Stück waren es am Tag. Zwischen zwei und drei Stunden benötigte ich jedes Mal für die Infusionen. Am linken Arm hatte ich schon ungefähr 35 Einstiche für den Infusion-Zugang. Rechts hatte ich die Lähmungen, so wurden dort nur im Notfall Zugänge gesetzt.

In den letzten Monaten hatten sich meine Venen immer mehr zurückgezogen, so wurde es jedes Mal zur Herausforderung, eine neue Einstichstelle zu finden. Hatte der Zugang am Anfang noch eine Woche gehalten, so passierte es immer häufiger, dass er nur mehr zwei, drei Tage hielt.

Für einen Zugang waren zwei bis drei Stiche notwendig, bis man auf Blut stieß. Für mich jedes Mal ein Horror. Spritzen und Nadeln konnte ich noch nie ausstehen. Ich habe mich bis zum  heutigen Tag nicht daran gewöhnen können.

Zugang für Infusionen  Ich, nach der OP im LKH

Dazu eine kleine Überschlagsrechnung. In der Zeit im Krankenhaus erhielt ich ungefähr 1000 Antibiotika Infusionen, dazu noch 150 Thrombose Spritzen. Es wurden mir über 50 Zugänge gesetzt und ich musste ca. 1000 diverse Pillen schlucken. Eine Chemiebombe hoch drei!

Die ersten Tage auf der Neurologie

Die ersten Tage waren scheußlich. Ich musste mich wieder an die intravenöse Infusion gewöhnen. Mir war schlecht und ich zog mich in mein Bett zurück. Meine Zimmerkollegen nahm ich nur am Rande wahr. Alles war sehr weit weg und ich nicht aufnahmefähig, dazu der starke Tunnelblick, der es nicht einfacher machte. Ich hatte einfach zu viel mit mir selbst zu tun.

Nach drei, vier Tagen ging es dann etwas besser. Ein wenig konnte ich mich bereits unterhalten, am liebsten mit Fred, meinem Zimmerkollegen, der wegen eines Bandscheibenvorfalls hier war. Im Verlauf der Gespräche kamen wir drauf, dass wir gemeinsam 1984 am Großglockner Radrennen am Start standen, ohne uns aber zu kennen. Es ergaben sich viele nette Diskussionen, die mich ein wenig von meinem Zustand ablenkten.

Therapien
Krafttraining in der Reha

Nach einer Woche begannen auch wieder die Maßnahmen zur Reha.  Für mich am wichtigsten - die Physiotherapie, mit Hauptaugenmerk auf Gehen.

Ich übte auch Stiegen steigen. Es war aber nicht damit getan hinauf oder hinunterzugehen, auch die Technik dazu spielte eine große Rolle. Die richtige Körperneigung, die Fußstellung. Es strengte sehr an. Nach einer Stiege hinunter, musste ich oft mit dem Lift zurück in den 2. Stock fahren, da meine Kraft zu Ende war.

Da ich in Judendorf Krafttraining an den Beinen machte, war ich konstitutionell besser drauf. Ich drückte dort in der Beinpresse zuerst 20 kg, in der zweiten Woche dann schon 30 kg. Für mich das Limit. Als Radrennfahrer drückte ich über 200 kg. Zehnmal so viel wie in der Reha in Judendorf. Ich freute mich aber jetzt mehr über meine 20 - 30 kg.

Wenn ich mich ansah, musste ich lachen. 20 kg Beinpresse, max. 10 kg für die Arme - und meine noch immer sehr dünnen Beine. Was für ein Gegensatz zu früher. Ich konnte es aber gut annehmen. Fünf Monate später, zum zweiten Mal auf Reha, schaffte ich bereits 50 - 60 kg.

Kämpfe um jeden Meter

Das Krafttraining half mir jetzt beim Gehen. Ich hatte zwar keine Ausdauer, aber wenigstens kräftigeres Stehvermögen. Meine Geh Leistung steigerte ich in den drei Wochen meines neuerlichen Aufenthaltes um ein vieles. Wenn ich das heute hier niederschreibe, kommt mir alles so unwirklich vor. Die Zeit im Krankenhaus war wie ein Traum. Es ist vieles für mich kaum zu erklären oder zu verstehen.

Für mich als ehemaligen Leistungssportler, war Training schon immer ein Bestandteil meines Lebens. Es war aber schwer zu verstehen, das Training nicht Training ist. Ich brauchte Wochen, um ein paar Meter weiterzukommen. Ich kämpfte regelrecht um jeden Meter. Man kann sich nicht vorstellen, was es heißt, nur mit der linken Hand gerade noch einen Löffel zu halten.

Wochenlang zu trainieren, bis es auch rechts wieder funktioniert. Man erfreut sich an den kleinsten Dingen. Und die müssen einem oft von außen gezeigt werden.

Meiner Lebensgefährtin Silvia, der Therapeutin oder einer Krankenschwester fiel es als erster auf und sie ermunterten mich weiterzumachen. Selbst nimmt man es kaum wahr, weil der Fortschritt so langsam ist.

Nach Wochen zum ersten Mal ins Freie

Silvia brachte mich mit dem Rollstuhl zum ersten Mal ins Freie, war es mittlerweile doch schon Juni. Das brachte ein neues Lebensgefühl, war ich doch seit Ende März nicht mehr im Freien. 15 Minuten Sonne tanken. Danach war ich erschöpft.

Später einmal ließ ich mich zum Hinterausgang der Neurologie bringen. Dort beginnt gleich der Leechwald. Wie ein Höhenbergsteiger stapfte ich Schritt für Schritt eine Steigung hoch. Alle paar Schritte brauchte ich eine Pause. Mein Puls war auf 150. Ich jubelte, nachdem ich oben stand (...und wieder Puste dafür hatte). Ich brauchte für die dreißig Meter etwa fünf Minuten, aber die Zeit war egal.

Mich im Freien am Waldrand zu bewegen, das war das Größte für mich. Das erste Mal nach über vier Monaten. Der Kies Grund, die Unebenheiten, der einschränkende Tunnelblick, alles war ungewohnt und ich musste aufpassen nicht zu stürzen. Vom Boden aufstehen war mir nämlich fast unmöglich.

Langsam und überaus vorsichtig bewegte ich mich wieder zurück. Die erste Sitzgelegenheit nahm ich wahr und rastete mich aus. Wenn ich an diese Zeit denke, dann war dieses Erlebnis sehr prägend. Einerseits die Steigung geschafft zu haben, andererseits stärkte es meinen Willen weiterzumachen, denn die harte Arbeit zeigte Früchte.

Es gibt immer wieder Bilderserien, die zeigen "Was ist" und "Was andere sich vorstellen". Diese beiden Bilder zeigen in etwa das, was war und das, wie ich mich fühlte.

Weg Hochgebirge

Die letzten Tage im Krankenhaus

Über die letzten Wochen im Krankenhaus, führte ich nicht mehr Tagebuch. Die Antibiotika, die Reha - alles setzte mir derart zu, dass ich das Schreiben sein ließ. Ein Grund waren auch die Zugänge für die Antibiotika. Alle ein bis drei Tage musste ein neuer gesetzt werden. Der Arm schwoll immer wieder an und ich zeigte Abwehrreaktionen.

Das Essen konnte ich gar nicht mehr anschauen, ich wollte nur mehr heim. Ich sah fürchterlich aus und bekam Hautausschläge im Gesicht. Ich wollte nur mehr weg, weg von all dem und ich konnte kein Krankenhaus mehr sehen.

Die erlösende Nachricht kam am Vortag. Der nächste Tag sollte mein letzter im Krankenhaus sein. Ich war emotional sehr aufgewühlt und konnte es nicht glauben. Zum ersten Mal, nach fünf Monaten, durfte ich wieder in meine vier Wände, zurück zur Familie. Ich hatte zwar meine Probleme, aber nichts konnte mich noch halten.

Wie ich die 25 Stufen zu Hause in die Wohnung schaffen sollte, egal. Das alles am Anfang mühsam für mich werden sollte, egal. Ich dachte nur an JETZT. Und das hieß: Wieder zu Hause sein!

Über alles andere konnte ich mir später Gedanken machen. Was zählte, war nur das JETZT. Und das ist auch heute noch so.


Klar träume ich von Tagen wie auf dem Foto oben. Dort will ich wieder hin! Aber mein derzeitiger Focus liegt ganz woanders. Es geht ums Gesund werden. Und um nichts anderes - Derzeit.

Was mache ich also den ganzen Tag? Es sind keine normalen Tage, aber auch nicht abnormal zu nennen. Aber was ist schon normal? Ich beschäftige mich halt die meiste Zeit damit gesund zu werden.

Am Morgen

Focus auf Körperübungen

Ich wache gegen 6 Uhr Früh auf. Bleib aber liegen, eins der Kinder übernachtet bei einem Freund und das andere ist bei Oma. Das erspart das sonstige Gehzurschule-Ritual. Ich muss mich erst wieder eingewöhnen zu Hause. Brauch ja nicht mehr zur täglichen Therapie, wie in der Reha. Ausschlafen und Erholung ist angesagt.

Um 8 Uhr stehe ich dann doch auf. Ich versuche leise zu sein, um meine bessere Hälfte nicht zu wecken. Ist aber nicht so einfach. Steife Gelenke und Verspannungen erfordern noch Übungen im Bett, bevor ich auf die Beine komme. Die ersten Schritte schlurfe ich noch dahin, die Sprunggelenke sind steif, jeden Meter wird es besser. War trotz Sommer kalt heute früh.

Kälte tut mir nicht gut. Eine heiße Dusche weckt die Lebensgeister und bringt die steifen Muskeln schneller auf Betriebstemperatur. Meine Spezialübungen lasse ich heute aus. Zu Mittag steht ein Besuch bei "Fit 2 Work" an. Programm genug für heute. In der Reha hätte ich diesen Termin bekommen sollen, aber es ging sich damals nicht aus. Egal, also direkt dort heute.

Focus Frühstück machen

Kaffeemaschiene


Vorher aber noch ein Frühstück. Tee und Kaffee stelle ich auf und richte auch den Rest. Brot schneiden (das Bauernbrot vom Samstag lässt sich zum Glück leicht schneiden), Butter, Honig und Käse. Das schaffe ich schon alleine. Sobald es aber um etwas zum Kochen geht, muss Silvia daneben stehen. Alleine kochen ist mir noch nicht erlaubt (Die Brandwunden an den Unterarmen zeugen von zu leichtfertigem Umgang, heiße Pfannen und Töpfe sind halt doch noch nicht meins).

Heute schaffen wir es aber ohne Brandsalbe oder Pflaster zu frühstücken.
Danach noch Dehnungsübungen und 15 Minuten Computertraining. Eine spezielle DVD trainiert meine Merk- und Reaktionsfähigkeit. Heute übe ich jedoch gemütlicher, mir steht ja noch der Besuch bei Fit2work bevor, auf dem mein Focus für heute liegt. Es ist wie bei einem Radrennen. Ich vermeide, zu viele Körner zu lassen, damit man noch Kraft für die Entscheidung hat.

Trainieren beim Hinweg zum Termin

Ich soll zwar erst um 12 dort sein, aber Silvia hat einen früheren Termin und lässt mich in der Nähe aussteigen. Ich bin schon gewohnt das es nicht nur um mich geht. Aufs wohin gebracht werden bin ich noch angewiesen. Autofahren ist nicht möglich. Der Kopf macht noch nicht mit. Ich nutze die Zeit, um eine kleine Runde um den Häuserblock zu drehen. Da ich meine Übungen zu Hause ausgelassen habe, hole ich sie jetzt ein wenig nach. Ein wenig deshalb, weil ich ja noch Energie für das Gespräch brauche.

Während des Gehen zähle ich in Dreierschritten von 100 runter und in Sechserschritten wieder rauf. Eine erste Übung für Multitasking. Immer wieder komme ich außer Tritt und vergesse aufs weiter gehen während des Zählen und umgekehrt. Das Gehen fordert so viel Aufmerksamkeit, dass ich dann wieder aufs zählen vergesse. Ich muss mich darauf konzentrieren beides gemeinsam zu machen.

Früher, im Beruf als Videojournalist, war Multitasking kein Problem. In einer Person Filmen und ein Interview führen war normal. Ich habe soviel gleichzeitig erledigt und nichts vergessen. Im Gegensatz dazu ist jetzt Gehen mit Zählen schon zu viel.

  Interview Focus Multitasking

Fit2work

Bald merke ich das es reicht mit dem Üben. Ich habe noch ein paar Minuten und setze mich in den Eingangsbereich. Bei Fit2work geht es darum, wie Arbeitsuchende einen raschen, Ihrer gesundheitlichen Situation entsprechenden beruflichen Wiedereinstieg schaffen, sowie Information über alle relevanten regionalen Projekte und Förderungen im Sozial- und Gesundheitsbereich. Ich erwarte mir Information, wie ich den Wiedereinstieg in den Beruf schaffe.

Ich bin zwar noch in vielem gehandicapt, aber die Frage nach der Zukunft kam in den letzten Wochen immer öfter. Die Untersuchung zur Verlängerung der Erwerbsunfähigkeitspension brachte mich erstmals wieder auf den Gedanken, wie es weiter gehen soll. Ich habe keine Ahnung über meine beruflichen Zukunft. 

Und deswegen sitze ich heute bei Fit2work, um erstmals Antworten auf meine Fragen zu bekommen. Allerdings, die meisten Fragen werden auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Es ist erst einmal ein Aufnahmegespräch und dabei kommt heraus, das meine Defizite zu groß sind, um mich schon heute näher beraten zu können.

Nach eineinhalb Stunden ist das Gespräch vorbei und ich bin eigentlich gleich schlau wie zuvor. Man kann mir nichts sagen, weil ich gesundheitlich noch zu viele Defizite habe und es noch nicht feststeht, wie lange es dauern wird. Ich habe mir mehr erwartet, muss aber einsehen, dass es dafür einfach noch zu früh ist.

Weiterer Focus wie bisher; Üben, üben, üben!

Buddha Spruch
Focus

Für mich heißt es deshalb, weiter üben und trainieren wie bisher. Berufliche Gedanken kann ich hintanstellen. Es ist wirklich zu früh, dahingehend etwas zu sagen oder gesagt zu bekommen. Darauf kann nicht mein Focus liegen. Das muss darf ich verstehen.

Bevor ich nicht gesund bin, brauche ich an Arbeit nicht denken. Trotzdem komisch für mich. Die letzten 20 Jahre war ich selbständig und ständig umkreisen einen die Fragen: Wie plane ich das nächste Jahr? Was will ich erreichen? Wohin geht es? Bin ich auf Kurs?

Diesmal ist alles ungewiss. Ist eh besser so. Ich werde weiter machen wie bisher. Im  HIER un JETZT leben. Das war ja, unter anderem, eine meiner Lernaufgaben.

Fazit

Da Silvia noch einige Zeit braucht, um mich abzuholen, setze ich mich in ein Café. Da die FH gleich um die Ecke ist, gibt es eine reiche Auswahl in der Umgebung. Dort kann ich erstmal meine Gedanken ordnen, zur Ruhe kommen. Ich bin ziemlich fertig. Das Gespräch hat angestrengt, meine Energie ist verbraucht. Ich ziehe Resümee über diesen Tag.

  • Erstes Fazit: Meine Körner sind für heute verbraucht.
  • Zweites Fazit: Wie es beruflich weiter geht, weiß ich nicht und kann mir niemand sagen.
  • Drittes Fazit: Alles ist Üben und Training - immer und überall. Es gibt keine Auszeit für mich.

Thema Auszeit

Das mit keiner Auszeit für mich, macht mich nachdenklich. Es stimmt, bewusst ist es mir erst in den letzten Tagen geworden. Sobald ich die Augen aufmache, fange ich zum Denken an. Es beherrscht meinen Alltag. Es erschöpft mich auch so schnell.

Es ist ein anderes Denken wie man es kennt. Jede Bewegung setzt bewusstes Denken voraus. Automatisch wie früher geht gar nichts. Zuletzt in der Reha war ich sehr mit der Automatisation gefordert. Jetzt, nach der Reha, holt sich der Körper die Ruhe wieder zurück. Zwei, drei Wochen wird die Umstellung schon dauern. Trotzdem, mit der Auszeit werde ich mir etwas einfallen lassen.

Bald ist Silvia da und wir können nach Hause fahren. Dort geht es für einen Schönheitsschlaf gleich ins Bett für mich und das ist die einzige Auszeit, die ich im Moment habe. Augen zu und den Focus auf wieder Arbeiten gehen sein lassen.

Denn - der nächste Tag wartet schon wieder auf mich. Mal schauen, wie lange morgen meine Körner reichen.


Meine Ziele, körperlich und geistig!

Die Reha ist vorbei, der Alltag hat mich wieder – jetzt heißt es dranbleiben. Mein Training fortsetzen, die Intensität steigern und die nächsten Monate nutzen, um Schritt für Schritt voranzukommen. Meine Ziele bleiben klar: Das Gehen weiter verbessern und Denk- sowie Reaktionsvermögen schulen. Doch zuerst ist Erholung angesagt.

Auch diesmal bin ich erschöpft und müde aus der Reha heimgekehrt. Gleichzeitig aber voller neuer Ideen und Impulse für mein Training. Stabileres Gehen, Multitasking in allen Lebenslagen und vieles mehr – genug Herausforderungen für die kommenden Monate. Nun fehlen mir noch die konkreten Ziele, die mich antreiben.

Mein Gesundwerden ist wie der Radrennsport von früher: Es geht um Ziele. Ohne sie fehlt die Richtung, die Motivation. Damals wie heute brauche ich ein klares Ziel vor Augen. Wer nicht weiß, wofür er trainiert, verliert schnell den Fokus. Aber mit einem Ziel, egal wie fern es scheint, bleibt der Weg klar und jede Anstrengung bekommt ihren Sinn.

Schach spielen

Trailrunning und Laufen als Ziele

Trailrunning und Laufen als Ziele

Mein großes Ziel ist es, wieder im Hochgebirge laufen zu können. Diese Herausforderung vereint vieles: körperliche Fitness, Koordination und mentale Stärke. Wenn ich dieses Ziel erreiche, wäre ich auch beruflich wieder handlungsfähig. Doch der Gedanke an eine berufliche Rückkehr fällt mir schwer – zu ungewiss ist die Zukunft. Ob ich die Videoproduktion jemals wieder ausüben kann, bleibt fraglich.

Die Defizite sind derzeit einfach zu groß. Vom Filmen oder Schneiden bin ich weit entfernt, nicht zuletzt wegen der Nervenschäden, besonders in den Fingern. Zusammenhänge zu erfassen, Informationen zu verarbeiten – all das gelingt mir momentan nicht. Schneiden ist so unmöglich. Es ist schwer in Worte zu fassen, aber es fühlt sich an, als würde das Gehirn plötzlich aussteigen und die Verbindung kappen.

Trotzdem bleiben die Berge mein Antrieb. Das Laufen dort oben ist mehr als nur Bewegung – es ist Freiheit, Herausforderung und zugleich ein Weg zurück ins Leben. Schritt für Schritt, egal wie weit der Weg noch ist.

Eines meiner Ziele, wieder zu Filmen und zu schneiden.

Einfaches Denken gelingt mir schon, doch Multitasking ist noch kaum oder nur eingeschränkt möglich. In der Reha lag der Schwerpunkt darauf, Bewegungsabläufe zu automatisieren und wieder mehrere Dinge gleichzeitig denken und ausführen zu können. Doch immer wieder muss ich mir bewusst machen: Alles braucht seine Zeit.

Für zu Hause habe ich ein sehr gutes Computerprogramm bekommen. Aber auch hier gilt es, sich Zeit zu lassen – und sich diese auch zu nehmen. Ungeduld hat hier keinen Platz, auch wenn sie mich oft genug überkommt. Manchmal ist es genau diese Ungeduld, die mich antreibt, die mir die Kraft gibt, nicht aufzugeben und weiterzumachen.

Schwer ist es trotzdem. Nicht zu wissen, wie lange es dauern wird. Ein Jahr, zwei Jahre oder gar fünf? Niemand kann es sagen. Jeder Weg ist anders, jeder Fortschritt individuell. Wann ich wieder im Hochgebirge laufen kann, weiß ich nicht. Aber eines weiß ich ganz sicher: Ich werde es schaffen!

Eines meiner Ziele, Trailrunning

Der Blog

Der Blog

Am Computer für den Blog zu schreiben, ist eine wertvolle Übung. Es hilft mir, zur Ruhe zu kommen, meinen Weg besser zu verstehen und meine Wahrnehmung zu schulen. Gleichzeitig fördert es die Selbstreflexion. Doch auch hier gilt: Schritt für Schritt. Nicht zu viel auf einmal wollen – das ist leichter gesagt als getan, aber notwendig.

Neben dem großen Ziel brauche ich Zwischenziele, kleine Etappen, die mir kurzfristige Erfolge ermöglichen. Sie halten die Motivation am Leben. Ich musste jedoch lernen, umzudenken. Es geht alles so langsam voran, dass ich die Fortschritte oft selbst kaum wahrnehme. Es hat Zeit gebraucht, um zu erkennen, wie wichtig diese kleinen Schritte sind.

Heute freue ich mich auch über die scheinbar kleinen Erfolge. Zum Beispiel darüber, dass ich sicherer auf unterschiedlichen Böden gehen kann. Es mag unscheinbar wirken, doch für mich bedeutet es viel. Jeder dieser Schritte ist ein Stück zurück ins Leben. Schritt für Schritt – das gilt für den Blog, das Training und das Leben selbst.

Weg   Gehen trainieren
Wie sagt ein Sprichwort:

"Alles ist gut so, wie es ist!"

Wenn man das verstanden hat, wird vieles leichter. Da bekommt auch die Krankheit einen Sinn, bzw. das, was ich daraus lernen kann. Eines stimmt aber sicher:

"Wenn Du nicht an Dir arbeitest, dann tut es eben das Leben!"

Ich habe zwar an mir gearbeitet, doch vor entscheidenden Schritten bin ich immer wieder zurückgeschreckt. Also hat das Leben selbst die Dinge in die Hand genommen. Schon eigenartig, wenn ich daran denke, was ich alles erlebt habe: Mit dem Rad durch die Sahara gefahren, das kälteste Radrennen der Welt gewonnen, hohe Berge bestiegen und so vieles mehr. Da könnte man meinen, das Leben sei ein Klacks. Aber das ist es nicht.

Ich habe zu lange darauf gewartet, dass sich etwas ändert – aus eigener Kraft, aus eigenem Antrieb. Doch manchmal braucht es einen Anstoß von außen, eine Wendung, die man sich nie gewünscht hätte. Jetzt hat sich etwas geändert. Vielleicht nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe, aber es ist Bewegung in mein Leben gekommen. Und manchmal ist es genau diese Bewegung, die den nächsten Schritt möglich macht.


Abschluss der Reha

Vier Wochen bin ich wieder auf Reha in Judendorf und noch ist kein Ende der Krankheit, bzw. meiner Defizite in Sicht.

Heute, vor genau einem Jahr, am 23. Juni 2016, wurden mir mehrere Zähne gezogen. Es waren die Auslöser für den Hirnabszess, neben dem Stress, der die Blut-Hirnschranke geöffnet hat.

Reha Klinik Judendorf

Fortschritte sind für mich nicht sichtbar

Laufband in der Reha, mein Gehband

Auf die Fortschritte zu Hause macht mich in erster Linie Silvia aufmerksam. Sie schimpft mit mir, wenn ich wieder einmal zu ungeduldig bin und mehr möchte, als ich zu leisten, imstande bin. Ich kann es selbst schwer erkennen, da ich sowieso immer am Limit bin. In der Reha in Judendorf ist es Karin, meine Physio-Therapeutin, die mir klarmacht, was sich seit meinem letzten Aufenthalt im Dezember getan hat. Sicher, für mich scheint es wenig zu sein, aber in Wirklichkeit hat sich enorm viel getan.

Im Juli 2016 konnte ich keine zwanzig Meter gehen und war rechtsseitig gelähmt. Jetzt, ein Jahr später, bin ich zwar noch immer eingeschränkt, kann aber einigermaßen gehen. Anfang des Jahres stand mir meine Ungeduld im Weg. Ich konnte oder wollte nicht glauben, dass es so lange dauern würde. Umdenken ist angesagt, ich darf keine Maßstäbe von früher anlegen. Laufen wird noch kommen, die Zeit muss ich mir eben geben.

Am Laufband, das für mich ein Gehband war

Ich versuchte mich daran, in der Reha, die ersten Meter zu Laufen. Am Laufband. Zwei mal zwei Minuten, mit sieben km/h laufen, dazwischen Gehen, mit vier km/h. Das war mehr als genug. Aufkommender Schwindel lässt mich vorsichtig sein. Ich darf nichts übertreiben, der Körper sagt mir sofort wo das Limit liegt.

Noch immer kann nicht gesagt werden, wann es vorbei ist oder ob es werden wird wie früher. Das musste ich erst verstehen lernen. Als Sportler war ich gewohnt, auf ein Ziel hinzuarbeiten. Ein Rennen, eine Rundfahrt, eine extreme Unternehmung, Bergsteigen - alles war mit einem fixen Datum versehen, Beginn und Ende.

Krankheit als Herausforderung

Mit der Krankheit habe ich erstmals eine Herausforderung bekommen, die kein zeitlich bestimmtes Ende, kein Enddatum hat. Das ist ungewohnt und neu für mich. Ich habe auch keine Erfahrung mit dem Training. Soviel ich auch über Training und Anatomie des Menschen kenne, es hilft mir nur bedingt weiter.  Erst in der Reha wurde mir bewusst, wie komplex Gehen ist.  Vor allem, wenn man plötzlich gezwungen ist, über die einzelnen Schritte, die zum Gehen notwendig sind,  nachzudenken.

Beim Iditabike in Alaska, bei -30 Grad, checkt man in ähnlicher Weise seinen Körper ab. Ständig rotieren die Gedanken um; Wie geht es der Nase? Wie geht es den Fingern? Wie geht es den Zehen? Dann kommt das Essen dran, dann das Trinken und nebenbei die ständige Konzentration auf den Trail. Und das alles immer und immer wieder. Nur so kann man Erfrierungen oder einem Hungerast vorbeugen, die fatal wären.

In der Reha lerne ich vieles Alte neu

Stiegen, mein Training so oft ich kann
Eiger Ultra Trail Medaille

Heute geht es mir ähnlich, nur dass es um Essenzielles geht. Noch kann ich die einzelnen Schritte nur einen nach dem anderen abchecken. Ziel soll es sein, das zu automatisieren. Die Beinstellung, die Oberkörperneigung, locker in den Händen bleiben, es ist anstrengend alles bewusst zu machen. Gehen und von Hundert herunterzählen sind eine gute Übung dafür. Oft vergesse ich weiterzugehen oder ich höre auf zu zählen.

Noch spießt es sich, aber dafür heißt es üben, üben und nochmal üben. Oder ich versuche auf einer weichen Matte das Gleichgewicht zu halten und jongliere zwei Bälle. Wobei jonglieren übertrieben ist. Ich gebe sie von einer Hand in die andere.

Damit bereite ich mich auf das Gehen vor. Wieder mehr Dinge auf einmal gleichzeitig tun können. Eben auch automatisch und nicht über jeden Schritt nachdenken zu müssen.

Ergo Therapie   Ergo Therapie  

Was früher das Unterbewusstsein erledigte, kann ich nur bewusst einzeln denken. Mein Ziel ist es, diese vielen Teile wieder zu einem zusammenzufügen. Es geht schleppend, aber es geht. Und das Gehen ist nur ein Beispiel für vieles mehr. Es trifft auf alle Lebenslagen zu, egal was ich mache. Kochen, Schreiben, Haushalt - es erleichtert einem viel, wenn alles wieder halbwegs automatisch funktioniert. Es gilt aber, Step by Step. Ich kann nichts erzwingen.

Und an diesen, oft kleinen, Fortschritten muss ich aufbauen. Ein kleiner Schritt nach dem anderen. Mein großes Ziel ist es, wieder Trailrunning ausüben zu können. Ich möchte gerne noch einmal am Eiger Ultra Trail am Start stehen. Ich tue mir leichter mit einem sportlichen Ziel, einem Rennen. Aus diesem Grund habe ich den Stein vom "Eiger Ultra Trail 2014" immer vor Augen. Er zeigt mir die Richtung, wenn es einmal hart auf hart geht.

Hamsterrad

An die berufliche Zukunft denke ich noch nicht, kann es noch nicht. Allerdings, eines steht fest. Kann ich im Gebirge laufen, kann ich auch wieder arbeiten. Bis dorthin ist aber noch ein weiter Weg zu gehen. Ein Weg, für den ich aber Top motiviert bin.

Es ist so, dass die heutige Gesellschaft eine Geschwindigkeit im Lebens schätzt, die nicht mehr gesund ist. Oft ist man gezwungen, zu funktionieren, obwohl man eine Auszeit bräuchte. Hektik, Stress und Termine nehmen immer mehr zu. Die Schnelligkeit des Lebens nimmt zu.

Man steckt in einem Hamsterrad, das zu verlassen unmöglich erscheint. Es muss nicht unbedingt eine Krankheit sein. Besser (gesünder) wäre es,  vorher die Veränderung zu wagen. Das traut sich aber fast niemand. Denn Veränderung macht Angst. Und Angst ist lähmend. Deshalb gibt es auch so viel Leid auf der Welt. Deshalb komme ich wieder auf das Denken zurück.

Jeder kann sich immer wieder die Fragen stellen:
Was denke ich gerade?  Möchte ich so denken?  Komme ich mit diesem Denken an mein Ziel?

Next Step


Laufen gehen wir Menschen schon seit der Steinzeit. Trailrunning ist so etwas wie eine moderne Form der Jagd. Früher verfolgte man ein bei der Jagd verwundetes Tier oder war Kilometer weit auf der Suche nach Nahrung. Deshalb fühlt sich der Mensch auch um vieles wohler, wenn er in der Natur unterwegs ist. Das ist er seit Jahrtausenden gewohnt.

Trailrunning beinhaltet für mich so vieles, worin ich derzeit eingeschränkt bin. Einerseits die Bewegung, die ich nicht ausüben kann. Andererseits der Geist, der ja besonders über die langen Distanzen gefordert wird. Koordination und Reaktion gehören dazu, das Wetter richtig beurteilen zu können, schmale Trails, an Abgründen vorbei, bergauf laufen, steil bergab - Dinge, von denen ich derzeit nur träumen kann.

Mein Fernziel, Trailrunning

Kurz gesagt, wenn ich Trailrunning wieder richtig ausübe, funktioniert mein Körper und Geist wieder. Deshalb ist Laufen können mein Antrieb und steht stellvertretend für so vieles, was ich noch oder wieder erreichen möchte. Trailrunning und die Vorstellungskraft ist somit etwas sehr wichtiges für mich.

Trailrunning am Eiger

Integration

Arnold Schwarzenegger

Andererseits aber frage ich mich, möchte ich wieder funktionieren wie früher? Denn immerhin hat mich dieses "Funktionieren" dorthin gebracht, wo ich jetzt stehe. Mit einem Hirnabszess und einer Menge Beeinträchtigungen. Und diesen "alten" Teil des  Lebens möchte ich neu gestalten. Vieles kann ich erst im Laufe der Zeit für mich klären. Noch fehlt es an Konzentration und mehrere Dinge gleichzeitig zu erfassen und machen zu können. Ich arbeite täglich daran und es wird ja langsam besser.

Ich lernte in der Zeit des "nicht funktionieren"  so viel für mein Leben dazu.  Eine Seite ist die Integration von sogenannten "Behinderten" in unsere sogenannte "normale" Gesellschaft. Eigentlich gehört es umgedreht. Wir sollten beginnen, die "normale" Gesellschaft, in die Gesellschaft der Menschen mit Handicap zu integrieren. Es wäre eine enorme Bereicherung für beide. Allerdings gibt es noch große Berührungsängste.  Arnold Schwarzenegger ist zum Beispiel ein besonderes Vorbild dafür, diese abzubauen.

Leider war es mir aufgrund meiner körperlichen Verfassung nicht möglich, bei den Special Olympics in der Steiermark dabei zu sein. Es ist etwas, wo die allgemeine Bevölkerung lieber nicht hinschauen möchte. Auch ich erlebte ein Gespräch in einem Cafe mit, wo jemand auf die Special Olympics schimpfte. Was das Geld kostet und so. Dabei können wir alle davon nur profitieren. Arnold Schwarzenegger brachte es auf den Punkt, als er einem Kritiker in einem Facebook Posting antwortete. Und so können wir uns alle einmal bei der Nase nehmen und selbst anschauen, wie wir mit dieser Sache umgehen.

Ich hätte ja auch nie gedacht, dass mir so etwas passiert. Es wurde mein intensivstes Erlebnis bisher im Leben. Alles bisher Erlebte möchte ich nicht missen. Situationen die Grenzwertig waren, ans Limit gingen, in denen ich meine Komfortzone verlassen musste.  Aber es war nur ein Aufwärmprogramm, für das was jetzt ist. Aber so fühlen sicher viele, die einen Schicksalsschlag erlitten haben. Es ist die Chance für einen neuen Anfang.

Die Vorstellungskraft

Was kann ich mir vorstellen? Die Antwort sollte sein: ALLES!

Das wäre das Ziel. Vor dem Hirnabszess war das nicht mehr so. Ich war bildlich gesprochen, auf einer falschen Spur abgebogen. Selbst der Sport und das Trailrunning konnten mir nicht helfen.

Hautleitwiderstand

Wie hoch die Fähigkeit sich etwas Vorzustellen ist, dort finden sich auch die Grenzen in unserem Leben. Eine Vorstellung im Gehirn, löst die entsprechende Reaktion im Körper aus. Der Geist baut sich also den Körper.

In der Reha bekam ich überraschend die Möglichkeit, Biofeedback auszuprobieren. Meine Atmung und meine Temperatur, über den Hautleitwiderstand, wurden angezeigt. Ziel war es, nur durch Vorstellung, meine Körpertemperatur ansteigen zu lassen. Es wurde sichtbar gemacht über eine aufgehende Sonne über dem Meer. Umso höher die Temperatur, umso höher stieg sie auf. Es passierte nur über die Vorstellungskraft. Stellte ich mir nichts vor, sank die Sonne, bzw. die Temperatur fiel.

Ich stellte mir das Schwitzen am Rad, bei minus fünfundzwanzig Grad, in Alaska vor. Es war für mich besonders real vorstellbar und sogleich stieg die Sonne in die Höhe. Da ich derzeit jedoch noch nicht lange konzentrationsfähig bin, fiel die Temperatur bald wieder. Konzentrierte ich mich wieder auf das Schwitzen, stieg sie wieder. Das ging mehrmals so, auf und ab. Ein Beweis für die Kraft der Gedanken, für die Vorstellungskraft.

Diese unsere Gedanken können uns gesund machen oder geben uns Krankheiten. Dadurch bekommen wir die Möglichkeit, etwas zu ändern. Trailrunning im Hochgebirge ist für mich das beste Thema. Dieser Test kam gerade rechtzeitig, da es zum Thema dieses Blogs passt und das folgende noch mehr verständlich macht, nämlich "Die Kraft der Gedanken".

Iditabike Alaska - 1995 versus 1997

Iditabike
Trailrunning

Als bestes Beispiel fallen mir meine Teilnahmen beim Iditabike in Alaska ein. Der große Unterschied meines "Denkens", im Jahr 1995 und 1997.

Im Winter 1995 wollte ich ursprünglich nach Südamerika, bekam aber keinen unbezahlten Urlaub von meinem Arbeitgeber, der Post. Am gleichen Tag der Absage, dem Heiligen Abend, entschied ich mich zum zweiten Mal am Iditabike teilzunehmen. Ich hatte noch genau 45 Tage, um mich darauf vorzubereiten. Eine mehrmonatige Pause nach der Rennsaison lag hinter mir. Es war zwar noch von der letzten Rennsaison eine gute Basis vorhanden, aber für ein 300 km Rennen, im Winter durch Alaska, war die Zeit für die spezifische Vorbereitung doch recht kurz.

Training für Alaska

Postzustellung im Winter wie Trailrunning
Postzustellung im Winter wie Trailrunning

Ich trainierte viel, aber dosiert. Ich wusste, Kraft spielt eine entscheidende Rolle. Eine genau so große Rolle spielte es, das Rad Kilometerweit durch den Schnee zu schieben. Darauf legte ich mein körperliches Hauptaugenmerk. Bei meinem ersten Antreten im Vorjahr, hatte ich kaum Ahnung darüber, was mich dort erwartete. Diesmal wollte ich es optimieren. Von Mentaltraining hatte ich zur damaligen Zeit noch kaum Ahnung. Instinktiv trainierte ich aber auch meinen Kopf.

Ich arbeitete damals noch bei der Post als Landbriefträger. Ein extrem harter Winter, mit viel Schnee, brachte mir Bedingungen, wie ich sie mir nicht besser wünschen konnte. Meine Arbeit war das beste Training. Meine Zustellrunde war rund 15 km lang und mit dem Moped zu absolvieren. Schwer bepackt mit Post, musste ich immer wieder, durch den tiefen Schnee, das Moped schieben. So konnte ich Muskeln trainieren, die ich dringend brauchte.

Manchmal war ich so in das Visualisieren des Rennens versunken, dass ich plötzlich aufschreckte und nicht mehr wusste, wie ich die letzten zehn bis zwanzig Häuser die Post zustellte. Dann musste ich zurück und nachschauen, ob alles passte. Es war zum Glück kein Brief falsch zugestellt. Das passierte mir mehrmals am Tag. Ich merkte damals das ich mit dem Visualisieren keine Probleme hatte.

Iditabike 1995

Iditabike 1995

So ergab ich mich in Tag träumen, wo ich das Rennen bereits erlebte. Aber ich machte einen großen Fehler. Wie schon erwähnt, hatte ich bis dahin kaum Erfahrung mit Mentaltraining. Das sollte sich rächen.

Damals dachte ich noch an die Probleme, wie ich sie im letzten Jahr erlebte. Ich dachte zu wenig an die schönen Seiten des Rennens. Ich stellte mir jedes Problem vor, das mir zustoßen konnte. Gleichzeitig hatte ich das Rezept parat, wie ich darauf reagieren werde. Zum Beispiel große Kälte und Stürze im Schnee. Ich stellte mir einen Sturz vor und wie ich darauf reagierte. Im ersten Jahr ärgerte ich mich über jeden Sturz. Mein Gegenprogramm war daher, Rad aufheben, aufsteigen und weiterfahren. Keine Energie ins Ärgern setzen. Bei ca. 50 Stürzen im Rennen eine große Energieeinsparung.

Und so nahm ich mir jedes Problem vor und wie ich darauf reagieren werde. Eigentlich gut, aber ich habe eines nicht bedacht. Warum stellte ich mir nicht gleich das Gute vor und ließ die Probleme weg. Gedacht, getan - Ich bekam alle gedachten Probleme im Rennen. Hatte zwar für alles eine Lösung parat, aber bekam zuerst eben auch alles Negative. Das Rennen beendete ich Schlussendlich an zweiter Stelle, nach über 30 Stunden Fahrzeit.

Ein Resultat, das meinem Denken entsprach. Das der spätere Gewinner auch Probleme hatte und ich die Möglichkeit zum Sieg bekam, damit rechnete ich nicht. Ich hatte mich quasi auf den zweiten Platz vorprogrammiert.

Iditabike 1997

Iditabike 1997 mit Harald Maier

Ganz anders dann zwei Jahre später. Ich war zusammen mit Harald Maier unterwegs und durch ihn zum Bewusstseinstraining gekommen. Er galt zwar als Rookie in diesem Rennen, war mir aber meilenweit im mentalen Bereich voraus. Er gab die Anweisung, nur an Sieg zu denken. Wenn ich Probleme damit habe, sollte ich sofort zu ihm kommen.

Ich wurde mir einige Male unsicher, es konnte in diesem Rennen ja so viel passieren. Er meinte nur, das ist gut, da kann unseren Gegnern viel passieren. Wir programmierten mich aber sofort wieder auf Sieg. Gedanken über Kälte, Stürze oder das Rad schieben, ließ er nicht zu. Ein Kommentar von ihm: "Ich bin Radfahrer, kein Radschieber!". Damit hatte er recht 🙂

So vorbereitet, stand ich mit Harry am Start. Hatte es im Jahr zuvor -25 bis -35 Grad Celsius den ganzen Tag über, dazu viel Neuschnee und Wind, war es jetzt vollkommen anders. Minus zehn Grad am Start und Null Grad über den Tag, zwei Kilometer Rad schieben gegen 45 im Vorjahr und zwei Stürze gegen 50 im Vorjahr.

Exequo gewannen wir zusammen das Rennen, drei Stunden vor dem Drittplatzierten und in neuer Rekordzeit von unter neun Stunden. Ja, es war diesmal ganz anders. Eben auch das Denken über das Rennen. Die Vorstellungskraft hat beide Jahre geklappt, nur dieses mal mit einem mir lieberen Erlebnis und Ergebnis.

Verwende die Vorstellungskraft schon lange

Ich habe viel gelernt in Alaska, aber noch nicht genug. Seit 1995 lerne ich täglich dazu. Gerade die Extremradrennen haben mir sehr viel gebracht. Im Sport bekommt man sehr schnell Rückmeldung, wenn etwas nicht passt, im "normalen" Leben dauert es viel länger, bis es einem auffällt. Einmal im Sport falsch essen und am nächsten Tag läuft es nicht gut.

Wir essen im täglichen Leben oft jahrelang falsch und haben kaum kurzfristige Konsequenzen zu erleiden. Aber manchmal geht es so weit, dass man einen "Schicksalsschlag" braucht, der einen zum Umdenken zwingt.

Daher bin ich auch auf den Hirnabszess nicht böse oder hadere mit meinem Schicksal. Ich habe Erkennen dürfen und kann es jetzt ändern. Wobei es nicht so schnell geht. Ich kann erst seit rund zwei Monaten wieder zusammenhängender denken. Es wird dauern. 

Deswegen muss ich aufpassen, mich nicht zu überfordern oder zu viel zu wollen. Das Gehirn gibt mir den Rhythmus vor, es lässt sich nicht betrügen. Zwanghaftes Beschleunigen geht nicht, da streikt der Körper sofort. Das Gehirn gehört trainiert wie die Muskel beim Trailrunning.

So bin ich auch in der Zukunft mit mir beschäftigt, alles wieder ins Lot zu bringen. Eine interessante und tolle Aufgabe. Und über diese Zusammenhänge im Leben kann jeder nachdenken. Wo passt etwas nicht, was habe ich mir anders vorgestellt oder warum etwas nicht bekommen?

Oder auch, was habe ich mir vorgestellt und dann wirklich bekommen? Gut wäre es, dass alles nieder zu schreiben. Immer mit dem Hintergrund: Wie habe ich vorher darüber gedacht?

Trailrunning als Ziel

Zumindest stelle ich mir immer wieder vor, wie ich von einem Stein zum anderen Stein springe. Trailrunning ist mein großes Ziel, obgleich es noch sehr weit weg ist.


REHA IN JUDENDORF

Meine Heimat für die nächsten Wochen ist wieder einmal die Reha-Klinik. Täglich stehen die verschiedensten Therapien an. Sie sollen mir helfen, meine Bewegung zu Automatisieren. Noch immer kann ich mich nur schwer auf mehrere Sachen gleichzeitig konzentrieren. Das ist für einen Außenstehenden schwer zu verstehen.

Ein einfaches Beispiel ist Telefonieren. Wenn ich telefoniere, dann telefoniere ich. Gleichzeitig telefonieren und Gehen funktioniert nicht. Entweder ich stolpere, weil ich mich auf das Telefonieren konzentriere oder ich vergesse, was ich sagen möchte, da meine Aufmerksamkeit beim Gehen liegt. Beides zusammen geht nicht.

Telefonieren in der Reha

Peinlichkeit am Anfang

Am Anfang war es mir peinlich mitten in einem Gespräch nicht weiter zu wissen, jetzt ist es eben so. Ich arbeite daran und habe es zu akzeptieren. Mein Gegenüber ebenso. Es ist leichter, wenn mir jemand persönlich gegenüber steht. Da komme ich oft mit Gesten weiter und der andere versteht was ich meine. Am Telefon geht das nicht. Deswegen telefoniere ich noch immer sehr ungern.

Das sogenannte Multitasking funktioniert derzeit nicht. Was früher so einfach war, es geht nicht mehr. Radrennen fahren, wie früher, wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Trailrunning auf engen, ausgesetzten Pfaden ist ebenfalls unmöglich. Ich fange wirklich von vorne an. Wie ein Kleinkind muss ich alles neu lernen.

Die Herausforderung ist es, Achtsamkeit zusammen mit Bewegung, unter einen Hut zu bringen. Multitasking wieder zu Erlernen. Die Reha soll helfen.

Koordination beim Trailrunning
Multitasking beim Radrennfahren

Übungen für Kleinkinder

Ich komme mir noch immer vor wie in der Volksschule oder im Kindergarten. Meine Übungen in der Reha sind Spiele, die ich in der Volksschule gelernt habe oder vor Jahren mit meinen Kindern gespielt habe. Es ist die richtige Anforderung, mein Gehirn zu schulen.

Manchmal ist es hart zu wissen, dass es früher ganz anders ging. Videojournalist kann ich mir unter den gegebenen Umständen nicht vorstellen. Dort spielte die Fähigkeit des Multitasking eine besondere Rolle. Daher denke ich zur Zeit nicht an die Zukunft, besser gesagt, ich kann es gar nicht. Wichtig ist, dass ich das HIER und JETZT akzeptiere und mich voll und ganz auf das Einlasse, was ansteht.

Rätsel in der Reha

Die Therapien haben viel gemeinsam mit Kinderspielen. Ich denke oft zurück an die Krankenhauszeit. Meine Logopädin wollte, dass ich in einer Minute so viele Gemüsesorten aufzähle, wie mir einfallen. Im ersten Moment dachte ich nur, was will die von mir. Ich hatte Null Ahnung von meinen Defiziten, geschweige denn eine Ahnung davon, dass ich überhaupt welche hatte. Es war mir nicht bewusst.

Nach einer Minute ist mir nur eine Sorte, nämlich Paprika, eingefallen. Mehr war mir nicht möglich. Damals lernte ich, dass mir die einfachsten Dingen weiter helfen. Das hat sich bis heute nicht geändert.

Wenn ich ohne Ablenkung im Bett  liege, ist mir vieles so klar. Es aber auszusprechen, niederschreiben oder gar zu tun, das kann ich dann nicht. Zwei oder mehr Dinge gleichzeitig machen, will (wieder) gelernt sein.

Kann die Erfolge nicht sehen

Es ist schon über ein Jahr her, dass ich ins Spital eingeliefert wurde. Ich habe viel erreicht seit damals. Außenstehende erkennen das leichter als ich selbst. Ich habe soviel mir mir zu tun und gelange schnell ans Limit. Erschöpft ist erschöpft. Deswegen kann ich Erfolge schwerer sehen.

Es ist jetzt meine dritte Reha. War bei der ersten und zweiten noch grundlegender Körperaufbau nötig, so ist jetzt mehr Automatisierung in den Körper zu bringen, dass Ziel. Obwohl viele verschiedene Baustellen, hängen sie alle zusammen. Gehen, Denken, Sprechen, Greifen - alles wieder ohne nachdenken und im besten Fall gleichzeitig zu machen,  wäre schön.

Zum ersten Mal habe ich versucht, am Laufband zu Laufen. Zwei Minuten mit sieben km/h. Es war zwar ein tolles Gefühl nach über einem Jahr im Laufschritt unterwegs zu sein. Aber ich musste einsehen, es ist noch zu früh. Das Gehirn macht bei dem Tempo noch nicht mit. Ich komme zu schnell durcheinander und nach dem Training ist ein schwindliges Gefühl die Folge. Zuerst gehört noch anderes in Ordnung gebracht.

So werde ich mich weiterhin mit Gehen begnügen und mich langsam ans Laufen heran tasten. Dafür darf und muss ich mir Zeit geben. Wie hat Monica Lierhaus in ihrem Buch geschrieben:

"Es kann Monate bis Jahre dauern!".

Monica Lierhaus

Ich muss damit klar kommen, dass es auch bei mir länger dauern wird.

Eines ist klar. Es steht mir, trotz der Fortschritte, noch ein lange Weg bevor. Das habe ich in den letzten Wochen begriffen. In der Reha wird mir vieles wieder bewusster gemacht. Zu Hause im Alltag ist so manches nicht erkennbar, was mir hier jetzt auffällt. Wie gesagt, mein ganzes Leben ist Therapie, diese Herausforderung heißt es immer wieder anzunehmen.

Die wenige Freizeit in der Reha nutze ich zum Schreiben, welches ja auch wieder Therapie ist. Mein ganzes Leben besteht eigentlich aus Therapie. Egal was ich mache, alles hilft mir, mich weiter zu entwickeln.

STÄNDIGE ERREICHBARKEIT

Ein Thema, welches mich schon besonders vor der Krankheit beschäftigte, ist die ständige Erreichbarkeit in unserer Gesellschaft. Handy, Smartphone, Tablet, Computer - sie bestimmen unser Leben immer mehr, auch meines.

Durch Handy ständige Erreichbarkeit

Whatsapp, Facebook und andere Social Media Kanäle, brachten eine neue Art der Kommunikation. Mit dieser muss man aber auch umgehen lernen. Ich selbst bin keine Ausnahme, besonders aber auch für die Jugend von heute. Ich sehe es bei meinen eigenen Kindern. Wo ist die Grenze? Für mich ist es schwer zu verstehen. In meiner Jugend gab es kein Handy, keinen Computer. Mit heute verglichen, frage ich mich, wie wir überlebt haben.

Die heutige Kommunikation funktioniert fast nur mehr mit dieser neuen Technik. Mein Sohn sagte kürzlich, "Ich treffe mich dann mit einem Freund!" . Es war später am Abend und ich war irritiert. Wo wollte er denn noch um die Uhrzeit hingehen? Bis ich drauf kam, er trifft seinen Freund am Computer. Das habe ich erst zu verstehen lernen müssen. Die Zeiten ändern sich. Es ist eine neue Art der Kommunikation.

Gleichzeitig wird es immer schwerer, zur Ruhe zu kommen. Nachdenken über sich, über das Leben, über den weiteren eigenen Weg - fast unmöglich. Wir leben unter einem solchem Leistungsdruck, in einer Leistungsgesellschaft, da hat Zeit für sich und Muße kaum einen Platz. Die Arbeit wird immer mehr verdichtet, man nimmt sie immer öfter mit nach Hause. Das kann aber auch zu Stress führen, wie die AK-Niederösterreich feststellte.

"Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen ständiger Erreichbarkeit und psychischen Belastungen"

AK-Niederösterreich

Stress

Nerven in der Hand, die Reha soll mir helfen

Den spürte auch ich immer öfter. Ich war eigentlich ständig erreichbar. Als Selbständiger ist das nicht einfach zu handhaben. Ich hatte zwar das Handy schon seit längere Zeit auf Lautlos gestellt, war aber trotzdem ständig erreichbar. Es gab kaum ein Wochenende, das ich mir frei nahm.
Handy aus oder an, dass war die große Frage?

Diese Frage sollte sich für mich allerdings bald nicht mehr stellen. Ich war von einem auf den anderen Tag quasi verschwunden und das gleich für mehrere Monate. Es war mir nicht einmal möglich, irgend jemand zu informieren. Ich war nicht mehr erreichbar.

Auch später noch, im Krankenhaus, konnte ich kein Telefon bedienen. Es sollte Monate dauern, bis ich eines in die Hand nehmen konnte. Erst musste ich meine Hände und die gelähmte rechte Seite trainieren. Das mein Denken nicht funktionierte, dass begriff ich erst später. Ich war und bin auch heute noch damit überfordert. Wichtige Telefonate müssen andere für mich übernehmen. Soviel Info kann ich nicht aufnehmen oder verarbeiten.

Die Nerven werden langsam besser, aber sie sind noch immer stark verlangsamt. Wenn ich jemanden nicht vor mir habe, tue ich mir schwer zu folgen. Es stresst mich, wie vieles, was andere aber für normal empfinden. Vogel-Gezwitscher gegen Autolärm, das Rauschen der Bäume im Wind gegen Straßenbahngetöse, Kirchenglocken gegen Fernseher und vieles mehr.

Dieses Empfinden ist schwer zu beschreiben. Auch Einkaufszentren stressen. Früher war ich resistent dagegen. Jetzt verstehe ich Menschen, die sich dort nicht wohlfühlen. Und es sind mehr als man glaubt. Viele öffnen sich erst jetzt und sprechen darüber zu mir. Weil sie sehen, dass sie doch nicht alleine sind.

Und so ist es auch mit dem Telefon und der ständigen Erreichbarkeit. Immer mehr Menschen steigen aus. Zum Glück, kann ich nur sagen. Man muss nicht krank werden, um es zu verstehen. Es wird aber auch immer öfter davor gewarnt.

Gehirn/Denken versus Herz

"Diese Dauerbelastung führt zu chronischem Stress, der den Menschen und sein Gehirn verändert. Dauerhaftes Leben auf der Überholspur kann nicht gut gehen."

Ich bin jetzt wieder auf der Nebenspur unterwegs. Derzeit noch auf einem Feldweg, besser gesagt. Es behagt mir mehr. Die Langsamkeit und die Muse hat mich wieder. Die Krankheit zwingt mich dazu, zum Glück!


Ein Jahr und zwei Monaten sind seit Beginn meiner Krankheit vergangen. Derzeit bin ich in wieder auf Reha, um (hoffentlich) vieles zu verbessern. Ich sage vieles, weil es gilt, so viele Baustellen  zu verbessern. Eine davon ist  Schreiben, eine zweite, ich kann noch immer nicht laufen. Gehen ja, aber nicht Laufen. Es ist mein großes, übergeordnetes Ziel.

Ich habe mir dafür keinen Zeitrahmen mehr gesetzt, da ich, seit ich aus dem Krankenhaus raus bin, zu starke Erwartungen hatte, die nicht erfüllt worden sind. Hier, in der Reha, habe ich ein Laufband und einen Ergometer zur Verfügung.

Tagebuch schreiben

Da das Laufband Seiten hat, ist es vielleicht möglich, erste Schritte zu laufen. Ich kann mich im Notfall festhalten, sollte das Gleichgewicht nicht mittun. Denn wie ich mittlerweile feststellen musste, ist es nicht die Kraft, wie ich anfangs dachte, sondern die Gleichgewichtsstörungen, die es verhindern.

Seit der Schleier der Krankheit größtenteils weg ist, sind die Defizite klarer zu Tage getreten. Deswegen verspüre ich noch keine so großen Verbesserungen seit der letzten Reha im Dezember vorigen Jahres, obwohl welche da sind. Daran werde ich die nächsten Wochen in der Rehaklinik besonders arbeiten.

SCHREIBEN LERNEN

Mandala malen
Schreiben
Erste Schreibversuche

Mai 2016, LKH - Schreiben lernen.

Ich bin frustriert. Nichts geht. Entnervt lege ich den Kugelschreiber auf die Seite. Es will noch nicht sein.

So geht es mir am Anfang mit dem Schreiben. Ich habe zwar schon seit Mitte Mai ein Tagebuch, aber ich kann nichts hinein schreiben. Auch ein Diktiergerät hilft nichts, es ist mir nicht möglich, einen sinnvollen Satz zu konstruieren, geschweige denn zu denken.

Auf der Neurologie beginne ich mit der Ergotherapie, um meine Hände wieder gebrauchen zu können. Das heißt, "Lernen durch Aktiv sein". Das klingt plausibel. Rechtsseitig bin ich gelähmt. Nur langsam bekomme ich die Hand unter Kontrolle. Ich beginne mit einfachen Übungen. Knetmasse drücken, Fingerübungen, Bausteine aufheben und wieder ablegen. Langsam werde ich besser, vom Schreiben aber noch weit entfernt. So vergeht Woche um Woche.

Ein wichtiger Punkt war die Herstellung eines Spiels aus Holz. Meine Ergotherapeutin Kerstin hat mich ermutigt es zu versuchen. Sägen, Schleifen, Bohren, Lackieren - alles ist dabei und ich bin motiviert. Ich versuche sauber zu arbeiten. Das Ergebnis ist toll. Ich habe das Gefühl, als arbeite ich mit dicken Winterfäustlingen. Daher bin ich stolz, als ich mein selbst gebautes Spiel endlich in Händen halte. Meinem Ziel, dem Schreiben, bin ich wieder näher gekommen.

Spiel bauen vorm Schreiben

Malen vor dem Schreiben

Ich beginne auch mit Malen. Genauer gesagt, Mandala Bilder ausmalen. Plump halte ich den Stift. Ich kann ja noch nicht einmal mit Löffel oder Gabel rechts essen. Trotzdem nehme ich immer wieder den Stift zur Hand und versuche zu malen. Kurven, Schwünge, Kreise. "Lernen durch aktiv sein", kommt mir immer wieder in den Sinn. Es sind meine weiteren Schritte zurück in ein selbst bestimmtes Leben.

Endlich die ersten Schreibversuche

Im Mai beginne ich einzelne Wörter  in der Therapie zu Schreiben. Ich brauche für jedes Wort elend lange. Dazwischen muss ich pausieren. Mehrere zusammenhängende Wörter, also einen Satz, bringe ich nicht zusammen. Oft vergesse ich Buchstaben im Wort. Ich muss immer wieder absetzen, weil ich nicht weiß, welcher Buchstabe als nächstes drankommt.

Es ist frustrierend, wobei ich nicht weiß, ob frustrierend das richtige Wort ist. Eher ungeduldig. Ich war es gewohnt, schnell zu schreiben. Kaum Rechtschreibfehler. Seit Wochen möchte ich im Tagebuch schreiben, aber es geht nicht. Auch hier muss ich mir Zeit geben. Viele Gedanken wollen festgehalten werden, doch noch ist es nicht so weit. Der Journalist und Dokumentarfilmer kommt immer wieder in mir durch. Aber es soll noch nicht sein.

Wenn ich schreibe bin ich hoch konzentriert, aber sehr langsam. Buchstaben zu vergessen fällt mir leicht. Beim nochmaligen durchlesen komme ich erst drauf. Aus diesem Grund schreibe ich mit radierbarer Tinte. Eine geniale Erfindung. So schauen die Seiten recht sauber aus. Am Computer geht es mit dem Korrigieren einfacher, aber ebenfalls langsamer und verschiedene Buchstaben muss ich auf der Tastatur immer wieder suchen.

Komplizierte, lange Wörter sage ich mir langsam und laut vor. Buchstabe für Buchstabe tippe ich das Wort in den Computer. Da passiert es dann allerdings, dass ich danach nicht mehr weiß, was ich genau schreiben möchte. So sehr muss ich mich auf das Wort konzentrieren, dass ich anderes vergesse.

Der Blog

Der Blog ist ein ideales Mittel, um gleich mehreres auf einmal zu üben. Ich schreibe auf zweierlei Arten. Einmal im Buch, meistens wenn ich unterwegs bin. Das übertrage ich dann zu Hause in den Computer. Die Fingerfertigkeit wird beider male geübt.

Dazu muss ich aber vorher überlegen, was ich schreibe. Gleichzeitig schreiben und darüber denken geht noch nicht. Trotzdem merke ich, es geht was weiter. Kein Vergleich mit der Zeit im Krankenhaus, wo ich nur stichwortartig schreiben konnte.

Erster Tagebucheintrag

Mein erster Tagebucheintrag ist vom 7.Juni 2016, also gut zweieinhalb Monate nach Ausbruch meiner Krankheit. Schreiben versuchte ich schon früher, im Rahmen von Therapien. Es war anstrengend und forderte mir einiges ab. Einzelne Wörter versuchte ich zu einem Satz zusammen zu fügen. So beschrieb ich meinen Alltag.

Von richtigem Tagebuch schreiben, wie ich es von früher gewohnt war, bin ich noch weit weg. Ich übe Rundungen, ziehe vorgegebene Linien nach und versuche einen Schwung zu finden. Der richtige Schwung, die Basis fürs Schreiben.

Nach zweieinhalb Monaten im Krankenhaus dann der erste Tagebucheintrag:

"Zum ersten mal weit gegangen. Sonst keine Therapien"
Tagebuch


Die folgenden Tage halte ich in ähnlicher Weise fest. Stichwortartig. Mehr bringe ich nicht zusammen. Es ist schwer zu erklären. Mein Denken lässt keine ausführliche Schreiberei zu. Und nicht nur das Denken. Es ist auch die Technik, wie beim Gehen. Alles zusammen ist schwer, Multitasking wäre gefragt. Früher funktionierte das einfach, ohne nachdenken. Jetzt steht jeder Teil für sich und will alleine gemacht werden. Über das Wie machte ich mir früher keine Gedanken. Erst jetzt erkenne ich, wie komplex alles ist. Es war selbstverständlich, ist es jetzt aber nicht mehr.

Alles was ich seit Monaten täglich tue, kann ich als Therapie sehen. Alles bringt mich jeden Tag ein Stück weiter, mehr oder weniger. Wie schrieb Monica Lierhaus in ihrem Buch "Immer noch ich":

"Mit dem Aufwachen ist es noch nicht vorbei. Es dauert Monate bis Jahre!"

Monica Lierhaus

Auch bei mir wird es länger dauern. Wie lange traut sich keiner zu sagen!


Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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