Nachdem ich die majestätischen Nordalpen hinter mir gelassen habe, stehe ich nun am Beginn der dritten Etappe des HexaTrek - einer Route, die mich tief in die Südalpen führen wird.
Die Berge vor mir sind wild, rau und wunderschön. Ich bin gespannt, was mich in den kommenden Tagen erwartet. Der Start ist frostig, aber voller Vorfreude gehe ich los.
Mein Tag beginnt auf 2000 Metern Seehöhe, und die Kälte macht sich deutlich bemerkbar. Der Boden ist feucht vom Nebel, der sich in der Nacht bildete und meine Schuhe sind im feuchten Gras schnell nass. Der Start fühlt sich zunächst düster und bedrückend an, denn die Sonne schafft es noch nicht über die Berghänge.

Mein Weg führt an der Schattenseite eines Berges entlang. Bei jedem Schritt bremst mich die Kälte, die mich daran erinnert, wie zerbrechlich ich noch bin, trotzdem ich am Hexatrek unterwegs bin.
Im Moment habe ich mit mir selbst zu tun, denn zum ersten Mal, seit ich am Hexatrek unterwegs bin, hat die Kühle des Morgens einen großen Einfluss auf die Funktion meiner Nerven. Steif und unkoordiniert gehe ich los, mit der Hoffnung, dass es bald besser wird. Ich kann es nur abwarten.
Die gegenüberliegenden Berge liegen bereits in der Sonne und so nehme ich mir vor, erst dann zu frühstücken, wenn ich in der Sonne bin, vorher ist es mir zu kalt.
Dann passiert es. Die ersten Sonnenstrahlen erreichen mich und tauchen die Landschaft in ein sanftes, goldenes Licht. Die Kälte wird weniger und ich nutze diesen Moment, um eine Pause einzulegen. Schnell ist der Kocher bereit und ich setze Wasser für einen Kaffee auf. Dazu gibt es das übliche, Brot mit Käse. Umgeben vom Rauschen des Windes und dem fernen Rufen von Krähen, genieße ich es, hier in der Einsamkeit mitten in den Bergen zu sitzen.
Nach dieser Stärkung gehe ich gestärkt los. Der Pfad führt entlang eines steilen Berghangs, und der Abhang zu meiner rechten erfordert volle Konzentration. Jeder Schritt muss wohlüberlegt sein. In diesen Momenten fühle ich, wie ich eins werde mit der Natur. Jeder Schritt, jeder Atemzug wird bewusster. Der Weg ist wieder einmal anspruchsvoll, aber genau das suche ich und macht diesen HexaTrek für mich so wertvoll. Step by Step verbessere ich meine Wahrnehmung und wie schnell ich etwas erfassen kann.
Seit Jahren konnte ich mich von Jakobswegen, bis hin über Fernwanderungen, gesundheitlich steigern. Es half mir, mich mit verbesserter Wahrnehmung in der Stadt besser zu bewegen und ich entdeckte auch das Fernwandern für mich. Die Natur bekam einen immer größeren Stellenwert.
Rehabilitation ist eigentlich nicht mehr das richtige Wort dafür. Man spricht eher von einer Langzeitversorgung oder chronischer Versorgung. Regelmäßige Therapien sind trotzdem erforderlich, um meinen Gesundheitszustand beizubehalten oder zu verbessern.
Der schmale Pfad windet sich den Berghang entlang. An den absturzgefährdeten Stellen bieten mir eiskalte Ketten Halt. Jeder Schritt ist bedacht, jede Bewegung muss präzise ausgeführt werden. Fehler sind hier nicht erlaubt. Erinnerungen an meine ersten Schritte kommen mir hoch. Auch damals durfte ich nicht stürzen, denn meine Reaktion war so langsam, dass ich umfiel wie ein Holzklotz. Heute genieße ich die Herausforderung, die Berge zu bezwingen, umso mehr, auch wenn die Anstrengung nicht weniger geworden ist.
Bald gehe ich in einem Tal leicht aufwärts, es sind ein paar Hundert Höhenmeter zu überwinden. Auf der anderen Seite des Wildbachs sehe ich neben einer Almhütte mehrere Zelte stehen. Es ist halb Neun, aber sie liegen noch im Schatten, während ich bereits in der Sonne gehe. Ich kann ihnen nachfühlen, wie kalt und feucht es ist und auch sie auf die Sonne warten.
Im noch einigermaßen flachen Teil gerate ich unter eine Rinderherde. Sie kommen von hinten und gehen etwas schneller als ich. Sie haben junge Kälber bei sich, was eine ungute Situation ist, denn es wird immer davor gewarnt, sich Kühen mit Kälbern zu nähern. Aufgrund von Wölfen haben sie einen besonderen Beschützerinstinkt, den sie auch gegenüber Menschen wahrnehmen. Daher bin ich dementsprechend vorsichtig und versuche so schnell es geht, ins steilere Gelände zu kommen. Das laute, aggressive brüllen einiger Kühe schreckt ab.
Plötzlich stehe ich einer stattlichen Rinderherde gegenüber. Ihre großen Augen fixieren mich, während sie gemächlich auf mich zukommen. Die Kälber trotten dicht bei ihren Müttern. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Der Instinkt dieser Tiere ist unberechenbar, besonders wenn sie ihren Nachwuchs schützen. Ich versuche, einen Bogen um sie zu machen, aber ihr tiefes, bedrohliches Brüllen lässt mich unwillkürlich innehalten. Die Natur zeigt hier ihre ungezähmte Kraft, und ich fühle mich klein und verwundbar, selbst gegenüber Kühen.
Nach dem Pass windet sich ein steiniger Pfad wie ein schmaler Grat durch die Landschaft. Jeder Schritt ist ein Balanceakt, denn die losen Steine geben unter meinen Füßen nach. Alles an Steinen fällt in den Weg und sammelt sich dort, dementsprechend schwer ist das Gehen darauf.
Ich fühle mich wie in einem Gemälde, umgeben von kräftigen Farben und weichen Formen. Ich wandere durch ein Meer aus Blau und Grün, umgeben von schroffen Felswänden und grünen Almwiesen. Schon bald treffe ich auf den ersten See, der in einem tiefen, satten Blau schimmert. Mal mehr, mal weniger steil geht es nach unten, von einem See zum nächsten, jeder in einem anderen Blauton leuchtend.
Zu Mittag erreiche ich die nächste Ortschaft, nachdem ich die letzten Kilometer im Eilschritt zurücklege. Ich komme aber um wenige Minuten zu spät, der dortige rustikale Gasthof schließt gerade, wie ich ankomme. Ich versuche den Wirt noch zu bitten, eine Ausnahme zu machen. "Tut mir leid, mein Freund", sagt er und verschwindet im Haus. Der Gastgarten ist mit Ketten verschlossen, obwohl er noch voll ist. Niemand wird mehr eingelassen.
Wieder einmal keine französische Küche, mit der ich seit Beginn ein Problem habe. Essen im Restaurant konnte ich erst ein paar Mal genießen, da die Restaurants für Fernwanderer wie mich, keine guten Öffnungszeiten haben. Es widerstrebt mir allerdings, meine Wanderung danach zu richten. Im Gegensatz dazu ist es auch anstrengend, ständig nach Alternativen suchen zu müssen, wenn die geplanten Einkehrmöglichkeiten ausfallen.
So werde ich doch noch zum Bergziegen-Gourmet. Käse und Wurst sind schließlich die Grundnahrungsmittel aller echten Wanderer, und dazu koche ich mir einen Kaffee. Und wer weiß, vielleicht entwickel ich ja noch eine Vorliebe für französische Küche – wenn ich sie denn jemals zu Gesicht bekomme.

So setzte ich mich auf eine nahe Bank hinter der geschlossenen Kirche und diniere wieder einmal das Übliche. Als Nachspeise genehmige ich mir ein Stück Nuss-Schokolade. Dabei habe ich mich so auf eine Abwechslung gefreut und bin deswegen die letzten Kilometer besonders schnell gegangen.
Zunächst geht es ein breites Tal hinaus, auf einem schönen Wanderweg. Aber ehe ich mich versehe, bin ich wieder steil hinauf, auf einem schmalen Steig. Ich folge der Markierung und gehe immer weiter.
Zunächst schlängelt sich der Weg gemächlich durch ein breites Tal. Doch je weiter ich komme, desto mehr verschwindet der Pfad in dichtem Gebüsch. Unachtsam bin ich dem Hauptweg gefolgt, dabei hätte ich einer kaum sichtbaren Abzweigung folgen sollen. Immer und jederzeit die Karte am Handy zu kontrollieren, ist mir aber zu viel. Das Navigieren wird mir am Hexatrek wieder zum Verhängnis.
Diesmal habe ich mich zu sehr treiben lassen und finde mich nun an einem Punkt, an dem ein Umkehren kaum mehr in Frage kommt. Ich studiere die Karte und komme zum Schluss, weiterzugehen. Es ist um wenige Kilometer weiter, dafür sind aber einige hundert Höhenmeter mehr zu überwinden. Und diese haben es in sich.
Ein schmaler Pfad windet sich immer steiler werdend einen Hang hinauf. Auf 2500 Metern Höhe erreiche ich endlich den Pass und es eröffnet sich mir ein atemberaubender Blick über die darunter liegende Landschaft. Auf der anderen Seite geht es gleich steil hinunter, nur nicht so weit. Bald darauf stoße ich wieder auf den Original-Trail, wo weitere 1400 Meter Abstieg ins Bergdorf Vallouise auf mich warten.
Der Abstieg fühlt sich endlos an und ich erreiche Vallouise am späten Nachmittag. Der große, am Ortrand liegende Campingplatz ist beeindruckend, aber der Bereich für kleine Zelte ist bei einem jüngsten Hochwasser komplett zerstört worden. Enttäuscht stehe ich da und werde von den Betreibern auf den nächsten Platz verwiesen, ganze fünf Kilometer weiter, ein kleines Tal aufwärts.
Nach kurzer Pause mache ich mich auf den Weg Eine weitere Stunde, auf einen vom Hochwasser zerstörten Weg. Dort angekommen, stellt sich heraus, dass es sich um einen spartanischen Platz handelt, ohne jegliche Infrastruktur oder Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe. Mein Gehirn kann die Situation kaum fassen. Irgendwie fühlt sich alles falsch an, denn mir fehlt es an allem, was ich für die nächsten Tage brauche.
Es wächst die Erkenntnis: Dieser Weg, der vor mir liegt, ist mit meiner Ausrüstung nicht zu beschreiten. Der Gedanke, noch weitere Tage so zu verbringen, ist unerträglich. Mit hängenden Schultern packe ich meine Sachen zusammen. Die Entscheidung zum Umkehren fällt mir schwer, aber die Vernunft siegt. Die fünf Kilometer ins Dorf zurück, ziehen sich, aber um acht Uhr morgens bin ich dort. Im Wasch-Saloon des Campingplatzes wasche ich meine gesamten Sachen, dusche mich und atme danach tief durch. In Regenhose und Regenjacke sitzend, alles andere ist in der Wäsche und bei einem selbst gekochten Kaffee mit frischem Crossant, schaut die Welt wieder anders aus.
Heute werde ich einen Ruhetag einlegen und ich treffe auf die beiden Neuseeländer, Sam und Matt. Sie laden mich ein, mein Zelt neben ihres aufzuschlagen. Heute ist Sonntag und viele Plätze wurden wegen der Abreise anderer frei. Hätte ich das nur gestern schon gewusst? Beim gemeinsamen Essen schmieden wir Pläne für die kommenden Tage. Matt hat noch etwas zu erledigen und wird in einigen Tagen nachkommen. Am nächsten Morgen brechen Sam und ich auf, um unser Abenteuer fortzusetzen.
Wir bleiben auf der linken Seite des reißenden Flusses. Nach wenigen Kilometern stoßen wir auf ein unüberwindliches Hindernis: Die Brücke, die das gegenüberliegende Ufer verbinden sollte, ist spurlos verschwunden. Das Hochwasser hat sie mitgerissen. Jeder Versuch hinüberzukommen scheitert. Ein Umweg würde uns zu viel Zeit kosten, deshalb beschließen wir, den Fluss trotzdem ein wenig weiter abwärts zu überqueren. Wir suchen eine nicht so tiefe Stelle, wo es gelingt.
Mit Sam überquere ich die L'Argentière-la-Bessée, durch eine Atemberaubende Landschaft, die dem Mond ähnelt. Ich übernachte auf einer Hütte, die zum Glück noch ein freies Bett hat. Auch am nächste Tag bleiben die überlangen An- und Abstiege, wo es erforderlich ist, in meiner Konzentration zu bleiben. Nur so kann ich diese Anstrengung bergauf händeln, mit den Gedanken ausschließlich beim nächsten Schritt zu bleiben.
Tja, daß das Leben in den Bergen seine Tücken hat, durfte ich bald erfahren. Nachdem ich den ganzen Tag über Felsbrocken und lange Steilhänge geklettert war, bekomme ich im Refuge de Souffle keinen Platz mehr, alles ist ausgebucht. Keine guten Aussichten für mich, da es in der Nacht Gewitter geben soll. Mit ein paar anderen schlage ich in der Nähe das Zelt auf.
Von 21 Uhr bis 2 Uhr morgens tobt ein Unwetter, aus Donner, Blitz und Regen. Von überall her kriecht das Wasser ins Zelt und meine ganze Ausrüstung ist nass oder zumindest feucht. Besonderes Glück habe ich mit meiner Isomatte, die ist sechs Zentimeter hoch und ich liege damit knapp über dem nassen Boden.
Die Nacht hat ihre Spuren hinterlassen. Müde und durchnässt schleppe ich mich aus dem Zelt. Ich bin nur mehr froh, die Nacht überstanden zu haben. Ich kämpfe mich durch das Chaos meiner nassen Ausrüstung. Jede Bewegung kostet Überwindung, aber ich möchte nicht noch mehr Zeit verlieren. Den Treffpunkt mit Sam, der in der Hütte schläft, verpasse ich dennoch.
Endlich, nach gefühlten Stunden, bin ich um Acht startklar und mache mich auf den Weg. Bis zum nächsten Dorf sind es zwar nur zehn Kilometer, allerdings über 800 Meter im Aufstieg und 1300 Meter Abstieg. Der Weg ist vom nächtlichen Gewitter stark ausgewaschen und besonders die Wasserquerungen fordern mich heraus. Der Aufstieg ist rutschig und ein paar Bereiche sind sogar mit Stahlstangen gesichert.
Diese andauernd übermäßige Konzentration kostet mir viel Energie. Mit jedem Schritt muss ich befürchten auszurutschen, was fatale Folgen hätte. Eine solche Herausforderung hatte ich seit dem Hirnabszess noch nie und habe ich in diesem Ausmaß nicht erwartet. Ich habe in den letzten Jahren gelernt, meine Grenzen zu respektieren. Diese Herausforderung treibt mich an meine absoluten Grenzen, körperlich und geistig, trägt aber auch dazu bei, mich als Person weiterzuentwickeln.
Am Pass angekommen, steht mir jetzt ein langer Abstieg bevor. Über steile, steinige und teilweise nasse Pfade springe ich nach unten.
Der Hexatrek ist ein ständiges Auf und Ab, bei dem Höhenunterschiede von über 1000 Metern keine Seltenheit sind. In Le Bourg d'Oisans finde ich mich bereits auf der Suche nach meinem dritten Paar Schuhe wieder – ein eindrucksvoller Beweis dafür, wie stark das Material auf dieser anspruchsvollen Strecke beansprucht wird.
Es sind nicht nur die anspruchsvollen Wege, die ihren Tribut fordern – auch mein spezieller Gehstil trägt erheblich dazu bei. Jeder Schritt ist darauf ausgerichtet, Stabilität zu bewahren und ein Umkippen oder Stürzen unbedingt zu vermeiden. Diese konzentrierte und oft ungewöhnliche Belastung beansprucht meine Schuhe weit mehr als üblich.
Erst im zweiten Geschäft finde ich etwas Passendes: keinen Trailrunning-Schuh diesmal, sondern einen Wanderschuh von Hoka. Unter den getesteten Modellen scheint er die beste Alternative zu den Altra- oder Hoka-Speedgoat-Schuhen zu sein, die leider in meiner Größe nirgendwo verfügbar sind.




Die neuen Schuhe tragen sich zwar recht gut, sind jedoch keine Laufschuhe. Sie sind deutlich schwerer, bieten dafür aber durch den höheren Lederanteil mehr Stabilität – ein klarer Vorteil für den weiteren Weg. Was ich jedoch nicht bedacht habe, ist die nötige Umgewöhnung. Schnelle Schritte oder gar Laufen sind mit diesen Schuhen schlichtweg nicht möglich.
Gerade bergab versuche ich oft zu laufen, da das langsame Gehen für mich zu viel Kraft kostet. Ich habe eine Technik entwickelt, die es mir trotz Muskelschwäche ermöglicht, bergab zu laufen. Mit den neuen Schuhen gestaltet sich das jedoch schwierig, da sie dafür ungeeignet sind. Um die unterschiedlichen Muskelgruppen anzupassen und zu trainieren, wäre gezieltes Üben notwendig – etwas, das während des Hexatreks kaum machbar ist.
So werden speziell die Abstiege zu einer eigentlich unnötigen Erschwernis. So versuche ich das beste daraus zu machen, trotzdem gerate ich in einen Zustand, den ich immer schwerer Händeln kann. Das mich nach so vielen zurückgelegten Kilometern der letzten Jahre so etwas noch außer Tritt bringen kann, hatte ich nie gedacht.
Zunächst merke ich die körperliche Veränderung aufgrund der neuen Schuhe noch nicht stark, das sollte sich aber bald ändern. Ich übernachte selten unter 1800 Meter Seeehöhe und das meist bei schönstem Sonnenunter- oder Aufgang.
Der Hexatrek ist mehr als nur eine Wanderung für mich. Es ist eine Reise zurück ins Leben und ein Beweis dafür, dass auch nach Rückschlägen wieder neue Wege entstehen können.
Der Hexatrek fordert mich körperlich und mental heraus. Ich verlasse meine Komfortzone immer wieder, denn nur so kann ich wachsen. Auch nach acht Jahren ist das Gehen für mich die größte Übung. Jede Bewegung, jeder Schritt schult meine Wahrnehmung und erweitert meine Grenzen und dafür bin ich dankbar, denn diese Grenzen sind nach wie vor da.
Nach dem Jura bin ich mit dem Boot über den Genfer See gefahren, nach Thonon Les Bains (Beginn des HexaTrek Stage 2, die Nordalpen). Es geht durch das Herzstück der Alpen, die für mich allerdings die größte Herausforderung darstellen. Es war ein jahrelanges herantasten und Training, um diese durchgängig langen Anstiege bewältigen zu können. Die Muskelschwäche und neurologischen Probleme sind ja nach wie vor da.
Vor den hier beginnenden Nordalpen habe ich gehörig Respekt, denn es beginnen für mich die größten Schwierigkeiten in Bezug auf Ausgesetztheit und die große Höhenlage. Im geheimen überlege ich mir, manche dieser Abschnitte zu umgehen, wobei es allerdings auch die Schönsten sind. Alleine traue ich mich aber noch nicht darüber.


In Thonon finde ich auch Shops für neue Schuhe. Der Hexatrek forderte das Material bisher sehr stark, besonders die Schuhe, die bereits nach 700 km total hinüber sind. Am Camino war ich gewohnt, die Schuhe erst nach 1200 bis 1400 Kilometer zu wechseln, hier sind sie schon nach 550 km fast hinüber und nach 700 km total am Limit.
Neue Schuhe sind jetzt vonnöten. Erst im dritten Shop von Thonon werde ich fündig. Mein bisheriger, ein Hoka Speedgoat 5 in der Wide Version, war mein bisher bester Schuh. Allerdings werde ich die Wide Version hier kaum bekommen. Ich probiere alle möglichen Modelle durch, aber keiner ist auf den ersten Versuch bequem genug.
Mein alter Schuh schaut zwar optisch noch gut aus, aber die Sohle und die Dämpfung ist bereits sehr in Mitleidenschaft gezogen. Bereits nach 400 km begann sich die Sohle zu lösen und ich musste sie immer wieder mit Superkleber ankleben. Nach 700 km war nur mehr ein dünner Belag, zuwenig für die Alpen.
In einem Ausrüster Shop entscheide ich mich für den Altra Olympus 5, den ich bereits in England verwendete und mir daher vertraut ist. Seine breite Zehenbox ist bequem und er hat eine zwar gute, aber geringere Dämpfung, als der Speedgoat. Die beste Alternative zu allen anderen angebotenen ist er allerdings.
In den Alpen geht es dauernd rauf und runter, ähnlich wie in den Vogesen davor, nur sind die Auf- und Abstiege wesentlich länger. Mit 1000 Höhenmetern komme ich gerade mal 10 Kilometer weit. So heißt es einen neuen Rhythmus finden, der es mir ermöglicht am Tag mehr Höhenmeter zurückzulegen. Am Campingplatz de l´Essert werde ich einen Ruhetag einlegen.
Nach meinem Ruhetag gehe ich früh los und hole später am Tag den tags zuvor gestarteten Willy mit seiner Katze Jamy ein. Wir gehen ein Stück des Weges gemeinsam. Es ist faszinierend zu beobachten, wie Jamy, seine Katze, aufmerksam die Umgebung während des Gehens studiert, während sie gemütlich auf Willys Rucksack ruht.
Als uns Regen überrascht, finden wir Unterschlupf unter dem Vordach einer geschlossenen Hütte und warten das Ende des Schauers ab. Wir werden von Kühen bedrängt, die ebenso unter dem Vordach Schutz suchen wollen.
Auf dem nächsten Abschnitt werde ich von Sam und Matt, zwei Thruhikern aus Neuseeland, eingeholt. Sie gehen ein flottes Tempo, und ich beschließe, ihnen zu folgen. Ihre Führung spart mir viel Energie, die ich lieber ins Gehen investiere, als mich selbst um die Navigation kümmern zu müssen.
Am Nachmittag, als der Regen und ein angekündigtes Gewitter näherkommen, erreichen wir das Refuge de Chesery gerade rechtzeitig, um uns vor dem Unwetter zu schützen. Da es andauert, beschließen wir, hier zu übernachten.

Am folgenden Tag stellt sich mir die Frage: Soll ich mit Sam und Matt den schwierigen Weg versuchen oder eine Abkürzung nehmen, um die steilsten und gefährlichsten Passagen zu vermeiden? Ich entscheide mich bewusst dafür, auf dem Hexatrek zu bleiben und nehme die Herausforderung der Cheval Blance an – einem anspruchsvollen Abschnitt, der nicht nur physische, sondern auch mentale Stärke erfordert.
Die Cheval Blance ist bekannt für ihre ausgesetzten Stellen, steilen Anstiege und technisch anspruchsvollen Passagen. Um es klarzustellen, wir reden hier vom Weitwandern und nicht vom Klettern, allerdings reicht das schon für mich, wenn die Hände des öfteren zu gebrauchen sind. Schon beim ersten Blick auf den felsigen Grat wird mir klar, dass dies keine einfache Etappe wird. Der Trail ist oft schmal, und ein falscher Schritt könnte fatale Folgen haben.
Die größte Frage ist für mich, wie werde ich all das Wahrnehmen? Diese Gedanken begleiten mich während des gesamten Aufstiegs. Sam und Matt, die sicher und zielstrebig vorgehen, geben mir das Selbstvertrauen, mich auf diesem schwierigen Weg zu bewegen.
Die steilen Passagen sind besonders fordernd. Die Hände kommen oft zum Einsatz, um den Fels zu greifen und mich sicher weiterzubewegen. An manchen Stellen führt der Pfad so nah an den Rand, dass der Abgrund tief unter mir zu sehen ist. Hier hilft es mich voll und ganz auf die Bewegungen und Schritte der Neuseeländer zu konzentrieren, die mir als erfahrene Thruhiker Sicherheit geben.
Diese Etappe fordert mir mental alles ab. Vor allem das Überwinden der ausgesetzten Stellen, bei denen es keinen Spielraum für Fehler gibt, verlangt höchste Konzentration. Es ist nicht nur die physische Anstrengung, die mich fordert, sondern auch die ständige Präsenz der Angst vor einem Sturz, die ich Schritt für Schritt überwinden muss. Wenn ich daran denke, dass ich vor zwei Jahren noch an einigen Brücken Probleme hatte, speziell beim Walkabout oder auch noch am JOGLE?
Rückblickend ist die Überquerung der Cheval Blanche einer der intensivsten Momente meiner Reise und zugleich der Höhepunkt seit meiner Rehabilitation. Noch vor zwei Jahren hätte ich mich nicht imstande gefühlt, solche Passagen zu bewältigen. Der Gedanke an schwankende Brücken, exponierte Grate und schwindelerregende Tiefblicke hätten mich zurückgehalten. Diese Wahrnehmung zu verbessern, ist seit vielen Jahren mein Ziel.
Hier, inmitten der Alpen, habe ich mich dieser Herausforderung gestellt und sie gemeistert. Ich bemerke es zwar, es dauert aber einige Tage, bis mir das alles bewusst wird. Zu groß ist meine Anspannung, die ja auch die nächsten Tage halten soll, wo noch einige schwierige Passagen auf mich warten.
Die Überquerung der Cheval Blanche markiert für mich nicht nur den physischen Höhepunkt dieser Wanderung, sondern auch einen emotionalen Meilenstein. Noch vor zwei Jahren hätte mich der bloße Gedanke an solche Herausforderungen vor unlösbare Probleme gestellt. 2021, beim Walkabout durch Austria, scheiterte ich beinahe am Arlberg, weil es links vom Wanderweg steil zum Bach abfiel. Diesen Ausblick konnte mein Gehirn nicht verarbeiten und ich musste die Augen schließen, um nicht schwindlig zu werden.
Brücken, egal ob klein oder groß, bereiten mir immer wieder immense Schwierigkeiten. Das Schwanken und die tiefen Abgründe lassen mich oft wegen Schwindel innehalten. Doch heute, nach acht Jahren harter Arbeit daran und kontinuierlicher Rehabilitation, habe ich diese Hürden zum größten Teil überwunden. Trotzdem kann ich mir nicht sicher sein, dass es hier und da auftritt.

Dank der Unterstützung von Sam und Matt, sowie meiner eigenen eisernen Willenskraft, habe ich einen Traum wahr gemacht, der lange Zeit unerreichbar schien: Die Besteigung der Cheval Blanche war der krönende Höhepunkt bisher, einer Reise durch die Alpen, die mein Leben für immer verändert. Nach acht langen Jahren habe ich mein Ziel, dass ich mir noch im Krankenhaus gesetzt hatte, erreicht – ein Moment, der mich mit tiefer Dankbarkeit und unbeschreiblicher Freude erfüllt. Gleichzeitig schwingt aber auch die Angst mit - was jetzt?
Meine Handicaps sind damit nicht weg. Trotzdem heißt es jetzt ein neues Ziel zu definieren und zu finden.
Fragen, die mich in letzter Zeit immer öfter beschäftigen, denn trotz der Behinderungen möchte ich noch etwas tun. Dass ich nicht arbeiten kann, ist mir inzwischen bewusst geworden. Jetzt heißt es etwas anderes kreieren, dass meinen derzeitigen Fähigkeiten entspricht. Körperlich wird es das Weitwandern bleiben, aber auch der Geist möchte beschäftigt sein.
Das Wandern spielt in meiner Zukunft eine besondere Rolle. Auf jeden Fall sehe ich meine Handicaps mit neuen Augen. Ich konnte meine Wahrnehmung verbessern und stabilisieren. Mein automatisches Gehen ist allerdings trotz der vielen Kilometer nicht wiedergekommen. Das habe ich hier besonders gemerkt. Der HexaTrek ist besonders für das Gehirn eine so große Herausforderung, denn die Wege sind schlecht (für mich), sodass ich mit dem Gehirn und dem Denken aktiv bei jedem Schritt dabei sein muss.
Es muss einfach jeder Schritt und Tritt sitzen. Einen Fehltritt darf und kann ich mir nicht erlauben. Das erfordert eine besondere Achtsamkeit und Wachsamkeit. Die Schwierigkeiten an der Cheval Blance, wie eigentlich auch am gesamten Hexatrek, liegt in den oftmals ausgesetzten und steilen Stellen. Ein Bergsteiger würde lächeln darüber, für mich stellt der Hexatrek aber die ultimative Herausforderung dar. Wobei ich noch nicht ahne, dass mir ähnliche Schwierigkeiten am weiteren Weg bleiben.
Von den schwersten Stellen habe ich keine Bilder, da das Fotografieren für mich unmöglich war. Ich wollte durch nichts abgelenkt sein und machte in höchster Konzentration Schritt um Schritt.



Meine Dankbarkeit ist grenzenlos, diesen Abschnitt doch in Angriff genommen zu haben und dieser Dank gilt auch Sam und Matt, ohne die ich es nicht gewagt hätte. Auf einem teilweise mit Seilen gesicherten Steig geht es in Richtung Chamonix. Ich bewege mich ständig in etwa 2100 m Seehöhe.
In Chamonix besorge ich mir in einem der vielen Sportgeschäfte ein neues T-Shirt, Heringe für das Zelt und ersetze den Spritus-Kocher durch einen Gas-Kocher. Mit meiner schlechten Feinmotorik ist der Umgang damit leichter. Am Campingplatz in Le Houches repariere alles was kaputtgegangen ist und bereite ich mich auf die nächsten Etappen vor. Größere Ortschaften werde ich in den nächsten Tagen keine haben, deswegen muss ich mehr an Lebensmitteln tragen.
Mit Le Houches verbinde ich gute Erinnerungen. 2002 filmte ich die Radzwillinge auf ihrer Nonstop Tour von Graz auf den Mt.Blanc. Ich kreuzte auch den Weg, den wir damals beim Aufstieg auf den Mt.Blanc nahmen. Mit diesen Erinnerungen nehme ich die nächsten Kilometer in Angriff, die zum Teil zur Tour de Mt.Blanc gehören, die teilweise der gleiche Weg ist.

Schön langsam realisiere ich, was ich geleistet habe. Das Gehen bereitet mir viel Freude und jeden Morgen kann ich es kaum erwarten, wieder am Trail unterwegs zu sein. Mein Tagesablauf in den Alpen bekommt eine Routine. Diese Routinen helfen mir, nicht so stark mein Gehirn zu belasten. Im Moment fühle ich mich wohl und alles funktioniert.
Ich gewöhne mich zwar immer besser an die langen An- und Abstiege, allerdings verbessert sich meine Muskelschwäche kaum. Gehe ich in die Hocke, kann ich nicht aufstehen, ohne mich irgendwo aufzuziehen oder anzuhalten. Das schaut in Supermärkten komisch aus, kann ich aber nicht ändern. Dafür hat sich mein Atmen geändert, ich gerate nicht mehr bei jeder kleinsten Steigung außer Atem.
Ab jetzt geht es immer in Richtung Süden. Hin und wieder Schneefelder, auf denen ich besonders aufpassen muss. Das Gehen auf Schnee ist nach wie vor nur schwer möglich. Die Schwierigkeit am HexaTrek sind auch die oft von Steinen und Felsen übersäten Wege.
Achtsam jeden Schritt setzen, ist die Voraussetzung, daß kostet aber viel Konzentration und Energie. Ausblick in die Gegend erhalte ich nur, wenn ich stehen bleibe. Sonst muss mein Gehirn bei jedem Schritt bleiben. Es ist um vieles anstrengender, als jeder Camino bisher.
Die größten Bedenken hatte ich ja darin, wenn ich in schwierigem Gelände unterwegs bin, womöglich Doppelbilder zu bekommen. Deswegen möchte ich stabiler werden, was mir nicht nur am Berg, sondern in Zukunft auch in der Stadt und überhaupt helfen wird. Die Kunst ist es, mich an der Grenze zu bewegen und diese immer weiter hinaus zu schieben.
Am letzten Tag der Nordalpen gehe ich Nachmittags den Col du Galibier hoch. Der genaue Weg der GPS Daten ist nicht anzufinden, so gehe ich die ersten Kilometer die Straße hoch. Es ist ein eigenartiges Gefühl diesen Geschichtsträchtigen Berg zu Fuß zu erklimmen und nicht mit dem Rad. Diese Tage sind geprägt von der Tour de France, denn immer wieder quere ich bekannte Pässe, die ich großteils nur vom Fernsehen kenne.
Nach 5 Kilometern auf der Straße, wechsle ich auf den Bergpfad. Der weitere Aufstieg ist zäh. Ein kaum begangener und noch wenig sichtbarer Weg führt nach oben und oft geht es durch steiles Geröll, wo der Weg überhaupt nicht zu sehen ist. Mit dem Handy navigiere ich mich hier durch, wobei es oft kerzengerade den steilen Hang hoch geht. Den Pass erreiche ich hoch über dem Tunnel und der Straße und klettere vorsichtig über die steilen Schotterwände ab.
Das erste Gasthaus an der Straße hat geschlossen, so mache ich mich auf den Weg ins Tal, wo eine Herberge eingezeichnet ist. Aber auch die ist zu und sogar für immer geschlossen, so bleibt mir nur weiterzugehen in Richtung Col de Lauteret.
Mit dem Erreichen des Col du Lauteret habe ich die Nordalpen geschafft. Es ist schon 18 Uhr und ich treffe auf ein offenes Restaurant auf der Passhöhe. Ich genehmige mir ein Essen und suche dann in der Nähe einen Biwakplatz.
Am bisher kältesten Morgen am Hexatrek beginne ich die Südalpen. Der Col du Lauteret bildet die Grenze dazu, immerhin 2050 m hoch. Zuerst noch im Schatten, beginne ich mit der aufkommenden Sonne die Südalpen.
Mehr dazu im nächsten Blogbeitrag.

Die ersten 700 km des Hexatrek in Frankreich liegen hinter mir. Der erste Teil ist somit geschafft, mit den Vogesen und dem Jura.
Ich bin am Genfer See angelangt und jetzt warten die Alpen. Das Schreiben ist sehr anstrengend und mir fehlt die Tastatur, so gibt es nur einen kurzen Überblick.
Die Vogesen sind bereits ein absolutes Highlight meiner Reise. So viel Kultur und so viele Burgruinen wie hier habe ich noch nie erlebt. Obwohl ich eigentlich für mein Gehirn ein Sparprogramm verfolge, tut es unglaublich gut, mich intensiver mit der Geschichte und den Sehenswürdigkeiten dieser Region auseinanderzusetzen. Interessanterweise hatten auch die Habsburger hier ihre Finger im Spiel.
Die Wanderungen führen bergauf und bergab, oft durch dichte Wälder, die einen angenehmen Schutz vor der Sonne bieten. Ich biwakiere fast die ganze Zeit, was bedeutet, dass ich immer genug Wasser für die Nacht dabei haben muss. Dadurch ist mein Rucksack oft ziemlich schwer – meistens um die 10 kg und mehr.
Nach den Vogesen folgt der Fluss Doubs. Der Regenwald Neuseelands wirkt fast wie ein Vergleich in Sachen Schönheit.
Die unzähligen Grüntöne, die das Auge erfreuen, sind wahrhaft heilend. Moose und Flechten hängen von den Bäumen, und man fühlt sich wie in einem verzauberten Land.
Allerdings ist alles stets feucht und nass, besonders am frühen Morgen. Die Wahl des Zeltplatzes ist zwar entscheidend, bietet aber kaum Schutz vor der allgegenwärtigen Feuchtigkeit.

Im Jura entscheide ich mich längere Distanzen zurückzulegen und dafür mehr Wasser zu tragen. Es kommen mindestens 3 Liter zusammen, wodurch sich das Gewicht meines Rucksacks mit der Verpflegung auf über 10 kg erhöht. So viel habe ich seit meinem Hirnabszess kaum noch getragen.
Mit etwa 1600 Metern erreiche ich den höchsten Punkt im Jura. Von hier aus bietet sich eine atemberaubende Aussicht auf den Genfer See und die dahinterliegenden Alpen, mit dem majestätischen Mont Blanc im Hintergrund.
Meine Schuhe haben mittlerweile ihr Limit erreicht, und ich weiß, dass ich vor den Alpen neue brauche. Die Sohle ist stellenweise so dünn, dass sie sich bereits ablöst. Das zusätzliche Gewicht macht sich bemerkbar – sowohl an meinen Füßen als auch an den Schuhen.
Diese letzten acht Jahre, jeder einzelne Jakobsweg, das viele Gehen und das ständige Training für mein Gehirn – ich möchte keines dieser Erlebnisse missen. Manchmal mag mich vielleicht jemand schief anschauen wegen meiner Besessenheit, zu gehen. Doch jeder Schritt war notwendig, um an den Punkt zu kommen, an dem ich heute stehe.
Natürlich spüre ich noch immer die Auswirkungen der Halbseitenlähmung, den verlorenen Automatismus und die Muskelschwäche. Aber mittlerweile habe ich gelernt, damit zu leben. Ich gehe viele Dinge anders an, und oft wundere ich mich selbst, wie ich in vielem auf eine neue Weise funktioniere. Das einzige, was mir bleibt, ist, mich an ein Sprichwort zu halten:
„Es ist, wie es ist, weil es IST – und nicht, weil es gut ist.“
Mein anderes Schicksal, ein Pflegefall zu bleiben, war nur einen winzigen Schritt entfernt. Doch mein unbeugsamer Wille und die klare Entscheidung, zu leben, hielten mich davon ab, auf einen Rollstuhl angewiesen oder gar im Bett liegen zu bleiben.
Allmählich spüre ich wieder, was es heißt zu leben. ❤️🍀🙏

Im nächsten Teil werde ich dann über die Alpen berichten! Bis dahin auf Facebook und neuerdings auch wieder auf Instagram.
https://www.instagram.com/von0auf101
Vor acht Jahren änderte sich mein Leben schlagartig. Ein Hirnabszess brchte mich an den Rand des Lebens. Plötzlich musste ich alles neu lernen. sprechen, denken, die Bewegung und vor allem, Gehen.
Die Rehabilitation war lang und oft mühsam. aber sie lehrte mich auch, das Leben und jede einzelne Bewegung zu schätzen.
Heute, viele Jahre später, beginnt für mich eine neue Herausforderung. Dieses Abenteuer bringt mich, im Idealfall, 3000 km durch die atemberaubenden Landschaften der Vogesen, der Alpen und Pyrenäen – der Hexatrek, durch Frankreich.
Dieser Weitwanderweg durch Frankreich wurde 2022 gegründet und ich möchte euch einen Einblick in meine Vorbereitung geben, von der Ausrüstung bis zur mentalen Einstellung. Das ist nicht nur eine Reise durch wunderschöne Landschaften, sondern auch ein wichtiger Teil meiner Rehabilitation und meiner persönlichen Entwicklung.

Die Entscheidung den Hexatrek zu wandern, kam mir über Nacht. Nach Jahren intensiver Therapie und vieler kleiner Fortschritte fühle ich mich bereit für ein neues Abenteuer.
Meine bisherigen Caminos und Wanderungen in den letzten Jahren hatten jede ihren eigenen Zweck, so auch diese. Ich leide unter bleibenden Behinderungen, die mein Nervensystem, mein Gleichgewicht und meine Merkfähigkeit beeinträchtigen. Ich versuche was geht, Verbesserungen zu erzielen.
Rehabilitation und Leben unter einen Hut zu bringen, stellt eine enorme Herausforderung dar. Präferiere ich eines, leidet darunter das Andere und ich gerate aus meiner Mitte, daher soll beides sein. Es ist ein langer Prozess, in dem ich langsam Vertrauen in meinen Körper zurückgewinne.
Seit meinem Hirnabszess hat sich mein Leben grundlegend verändert. Ich kann nicht mehr arbeiten, was für mich eine enorme Herausforderung darstellte. Ich musste lernen, dass die Arbeit, die ich ja gerne machte, nicht alles im Leben ist.
In dieser schweren Zeit habe ich jedoch eine Leidenschaft entdeckt, die mir hilft, wieder Lebensmut zu fassen und die mir Sinn gibt: das Wandern, Pilgern und Weitwandern.

Der Hexatrek, ein wenig bekannter Weitwanderweg durch Frankreich, ist jetzt genau das Richtige. Er ist Herausforderung, aber auch eine Chance, meine Fortschritte unter Beweis zu stellen und weiter zu festigen.
Das Wandern hat mich auf eine Weise zurück ins Leben geführt, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Anfangs war es einfach ein Mittel, um gehen zu lernen, aus dem Haus zu kommen und meinen Körper zu bewegen. Es ist noch immer die beste Rehabilitation - Gehen als Therapie.
Doch bald merkte ich, dass das Wandern viel mehr ist, als nur eine körperliche Betätigung. Es wurde zu einer Therapie für die Seele und einer Möglichkeit, den Geist zu beruhigen und den Kopf freizubekommen.
Mit jedem Schritt den ich mache, fühle ich mich der Natur und mir selbst näher. Die sanften Hügel, die rauschenden Bäche und die weiten Felder – sie alle haben eine beruhigende Wirkung auf mich und therapieren meinen Körper.

Das alles erinnert mich daran, dass das Leben auch außerhalb meiner eigenen vier Wände weitergeht und dass es überall Schönheit und Freude zu finden und erleben gibt. Die Natur ist meine Medizin und mit jedem Weg finde ich mehr und mehr Vertrauen in mich.
Das Wandern bietet mir die Möglichkeit, mich wieder lebendig zu fühlen und das mit oder trotz Behinderung. Ich kann den Alltag hinter mir lassen und lebe im Moment. Diese Präsenz im Hier und Jetzt ist für mich von unschätzbarem Wert und kann ich in der Natur noch besser ausleben.
Noch habe ich Probleme damit, an die Vergangenheit oder in die Zukunft zu denken. Den Moment zu leben, ist für mich die einzige, aber auch die beste Möglichkeit.

Das Wandern rückt die innere Ruhe in den Vordergrund, die sich nur dann einstellt, wenn ich im Einklang mit mir selbst und meiner Umgebung bin.
Durch den Hirnabszess habe ich gelernt, dass das Leben aus vielen kleinen Schritten besteht. Jeder einzelne mag unscheinbar erscheinen, doch in ihrer Gesamtheit ergeben sie einen Weg, der mich weiterbringt.
Manchmal ist es ein steiniger Pfad, manchmal eine sanfte Wiese – jeder Weg kann eine Metapher sein, für den eigenen Weg. Jeder Weg hat seine eigene Schönheit und seinen eigenen Wert. Das Wandern hat mir geholfen, wieder Vertrauen in mich selbst und in das Leben zu finden.
Wandern hat mir gezeigt, dass es immer einen Weg gibt, auch wenn er nicht immer geradeaus führt. Diese Erkenntnis gibt mir Kraft und Zuversicht, auch die Herausforderungen des Alltags zu meistern, so wie ich sie auf meinen Weitwanderwegen meisterte.

Eine so lange Wanderung erfordert eigentlich eine sorgfältige Planung, besonders mit meiner Vorgeschichte. Mein Gehirn lässt aber seit dem Hirnabszess kein detailliertes Planen mehr zu. Die Erfahrung aus den letzten Jahren lässt mich leichter damit umgehen.
Die Entscheidung, es zu versuchen, kam mir erst vor 14 Tagen. Die Hexatrek-App und ein paar YouTube-Videos, in denen Wanderer ihre Tipps und Erfahrungen teilen, haben mir geholfen, mich auf diesen Weg vorzubereiten.
Der Hexatrek ist kaum mit meinen bisherigen Wegen vergleichbar. Die oft große Höhenlage, Ausgesetztheit und das oftmalige Zelten machen es für mich unberechenbar, gleichzeitig aber auch interessant, wie mein Körper reagieren wird. Die optimale Ausrüstung wird eine wichtige Rolle spielen.

Die Wahl der richtigen Ausrüstung ist entscheidend. Ich achte darauf, dass meine Ausrüstung leicht und funktional ist, um meinen Körper nicht unnötig zu belasten. Es geht durch viele verschiedene Höhenlagen und Klimazonen, daher lege ich auf die Ausrüstung einen besonderen Augenmerk.
Das Basisgewicht beträgt 5 kg. Dazu kommen Nahrungsmittel und Wasser, die immer variieren.
Hier eine Liste der wichtigsten Gegenstände, die ich mitnehmen werde:
Zur Ausrüstungsliste auf lighterpack geht's hier.
Ein 3000 km langer Trek erfordert eine gute körperliche Verfassung. In den letzten Monaten, nach der Via de la Plata in Spanien, habe ich mein Training, bzw. meine Rehabilitation intensiviert. Regelmäßige Wanderungen und Gleichgewichtstraining haben meinen Körper auf die bevorstehenden Herausforderungen (hoffentlich) vorbereitet.
Seit meinem Hirnabszess und den folgenden Jahren der Rehabilitation habe ich unermüdlich daran gearbeitet, Kraft und Ausdauer aufzubauen. Allerdings mehr Ausdauer, denn durch die Muskelschwäche bin ich in der Kraft limitiert. Darum werden die vielen langen Anstiege eine Herausforderung.
Im therapeutischen Tanzen konnte ich, wie die Jahre zuvor, interessante neue Aspekte gewinnen, die mir auf diesem Weitwanderweg helfen werden. Ohne die Tanztherapie wäre ich nicht da, wo ich heute bin.
Es ermöglicht mir, mit diesem Leben immer besser zurechtzukommen und hat mir durch die Pandemie geholfen. Ich lernte unter anderem, mich, mit gestörter Tiefensensibilität und Nervensystem, besser zu bewegen. Keine andere Therapie konnte mir bisher so viel vermitteln.

Es ist mir eine Freude, mich im Tanz selbst wiederzuentdecken. Unter Anleitung meiner Therapeutin Hanna Treu, konnte ich in den letzten Jahren enorme Verbesserungen machen, die mir kaum wer zugetraut hätte.
Diese neu gewonnene Selbstwahrnehmung hat mir eine Lebensqualität beschert, die ich so nicht erwartet habe. Es bleibt ein tägliches Arbeiten an mir.
Für den Hexatrek wird es besonders wichtig sein, mich schrittweise an das Tragen eines schweren Rucksacks zu gewöhnen – soweit es meine Muskelschwäche eben zulässt. In den letzten Jahren war das schlichtweg nicht möglich. Doch auch diesmal werde ich wieder im Leicht- oder Ultraleicht-Modus unterwegs sein. Nur so ist diese Herausforderung für mich überhaupt machbar.
Der Hexatrek ist in sechs Abschnitte unterteilt. Diese führen durch verschiedene Landschaften Frankreichs:
Jeder Abschnitt hat seine eigenen landschaftlichen Highlights und Herausforderungen.
Neben der körperlichen Vorbereitung spielt die mentale Vorbereitung eine entscheidende Rolle für den Ausgang eines solchen Unternehmens. Ich habe zu lernen, mit meinen Ängsten umzugehen und Vertrauen in meine Fähigkeiten zu gewinnen. Meditation und Achtsamkeitstraining helfen mir, inneren Frieden und Klarheit zu finden.
Für mich ist das mentale Training ebenso wichtig wie die körperliche Vorbereitung – gerade mit Blick auf meine gesundheitlichen Herausforderungen. Vor kurzem war ich auf einer Probetour unterwegs, um zu testen, wie ich mit ausgesetzten Stellen zurechtkomme. Es ging auf den Lugauer – ein Berg, der sich als ideales Testgelände erwies.
Vor zwei Jahren stand ich an derselben Stelle und musste damals umkehren. Die Ausgesetztheit hatte mir damals noch starken Drehschwindel bereitet. Diesmal war das Unbehagen zwar noch spürbar, aber ich habe die Passage gemeistert – bergauf wie bergab.
Solche Touren nutze ich, um herauszufinden, wie mein Körper und mein Geist in herausfordernden Situationen reagieren. Schritt für Schritt lerne ich mich neu kennen.








Eine der größten mentalen Hürden ist das Aufbauen und Bewahren von Selbstvertrauen. Seit meinem Hirnabszess habe ich oft Zweifel an meinen Fähigkeiten und meiner Belastbarkeit.
Durch das Wandern habe ich jedoch gelernt, dass ich mehr erreichen kann, als ich oft glaube. Jeder erfolgreich gemeisterte Abschnitt stärkt mein Vertrauen in mich selbst.

Lange Wanderungen erfordern ein hohes Maß an Durchhaltevermögen. Es gibt Tage, an denen ich müde und erschöpft bin. In solchen Momenten ist es wichtig, die innere Stärke zu finden, um weiterzumachen.
Das Wandern hat mich gelehrt, dass es in Ordnung ist, Pausen einzulegen und sich Zeit zu nehmen, um wieder Kraft zu schöpfen. Diese Erkenntnis hilft mir auch im Alltag, Herausforderungen gelassener anzugehen und Rückschläge als Teil des Weges zu akzeptieren.
Eine Wanderung bietet die perfekte Gelegenheit, Achtsamkeit zu üben. Durch die ständige Bewegung in der Natur und das bewusste Erleben der Umgebung kann ich meine Gedanken beruhigen und mich auf den Moment konzentrieren.
Achtsamkeit hilft mir, Stress abzubauen und die Schönheit des Augenblicks zu genießen. Diese Praxis hat auch meine allgemeine Lebensqualität verbessert und mir geholfen, eine positive Einstellung zu bewahren.
Angesichts meiner gesundheitlichen Situation habe ich manchmal mit Ängsten und Unsicherheiten zu kämpfen. Das Wandern lehrt mich, diese Gefühle zu akzeptieren und ihnen nicht die Kontrolle zu überlassen.
Indem ich mich Schritt für Schritt vorwärts bewege, lerne ich, meine Ängste zu überwinden und mich auf das zu konzentrieren, was ich kontrollieren kann. Diese Fähigkeit überträgt sich auch auf andere Bereiche meines Lebens und gibt mir die Kraft, mich neuen Herausforderungen zu stellen.
Ängste treten vor allem in der Stadt auf und überall wo viele Menschen sind. Ich bin dann in einem Daueralarmzustand, aus dem ich kaum raus kann. Diese erhöhte Anspannung ist natürlich nicht gesund.
Ich möchte deshalb einerseits meinen Körper kontrollieren lernen, andererseits, das Gegenteil von Kontrolle, ist Vertrauen. Beim Gehen in der Natur kann ich beides üben und verbinden, Kontrolle und Vertrauen in mich finden. Die richtige Balance zwischen beidem zu finden, ist mir wichtig. Dann wirds auch in der Stadt für mich leichter.

Während des Wanderns finde ich eine innere Ruhe, die ich im Alltag oft vermisse. Die Natur bietet einen Rückzugsort, an dem mein Körper entspannen kann und das Nervensystem beruhigt.
Ich brauchte fast vier Jahre, bis mein Ruhepuls von 85 im Krankenhaus, auf knapp über 50 heute, gesunken ist. Das viele Gehen und Ausdauertraining hat dazu entscheidend beigetragen.
Der Hexatrek wird sicherlich eine der größten Herausforderungen der letzten Jahre und wird weitere wichtige und lohnende Erfahrungen beinhalten. Er wird mir Erfahrungen bringen, die mich im Leben erneut weiter voranbringen werden.
Abenteurer und Entdecker von mir selbst bin ich seit dem Hirnabszess geworden und dazu verhelfen mir meine Reisen und Pilgerwege. Mit der richtigen Vorbereitung und der notwendigen mentalen Stärke bin ich zuversichtlich, dass ich auch dieses Abenteuer erfolgreich meistern und eine Menge dazulernen werde.
Ich freue mich darauf, meine Erfahrungen und Erlebnisse mit euch zu teilen. Bleibt dran für Updates hier im Blog (abonnieren) und auf Facebook. Folgt mir auf diesem spannenden Weg, der wieder ein wichtiger Schritt für mich ins Leben ist. Das Gehen gibt mir Freude und auf diese Art kann ich wieder zu mehr Kontakt zu meinen Mitmenschen kommen.
Es wird nie mehr wie früher sein, aber wichtig ist, dass ich immer einen Sinn im Leben und damit auch Freude daran finde.
Jetzt online, der 2.Teil meines Interviews für "Menschen im Porträt". Einige Zeit nach dem ersten Interview, habe ich mich nochmals mit Markus Leyacker-Schatzl getroffen, um auf verschiedene Fragen näher einzugehen, was im ersten Teil oft nur angerissen wurde.
Darunter, warum mir der Walkabout durch Österreich so wichtig war, das Pilgern am Jakobsweg, aber auch andere Anekdoten aus sieben Jahre Rehabilitation.

So offen habe ich über meine Krankheit und das danach, noch kaum mit jemandem gesprochen, als mit Markus. Es hat auch lange genug gedauert, bis ich für ein Interview bereit war.
Folgend der neue 2. Teil und darunter nochmals der 1.Teil.
Abenteurer zu sein, begleitet mich schon mein ganzes Leben. Doch der Hirnabszess eröffnete mir eine neue Dimension, mit der Erkenntnis, im Abenteuer das Leben wieder neu zu entdecken, das Abenteuer der Selbstentdeckung.
Mein aktuelles Abenteuer besteht darin, mich selbst zu erforschen und verstehen zu lernen. Denn wenn das Gehirn plötzlich anders funktioniert als die 50 Jahre zuvor, habe ich selbst das Einfachste neu zu entdecken. Diese Reise führte mich zum Pilgern und Weitwandern, was mich zu meinem Ursprung brachte.

Die letzten sieben Jahre fühlten sich oft wie ein endloser Kampf an. Der Weg zur Heilung forderte meine gesamte Kraft und ich war oft am Limit. Es gab Tage, an denen ich nicht wusste, woher ich die Energie nehmen sollte, um weiterzumachen. Doch eines war mir immer klar: Ohne diesen unermüdlichen Einsatz wären die Folgen des Hirnabszesses weitaus gravierender gewesen.
Im Jahr 2017 riet mir eine Ärztin sogar, ich solle zurückschalten, meine Behinderung endlich akzeptieren, denn es wird nicht mehr besser werden, da die neurologischen Defizite zu groß seien. Doch ich weigerte mich, das zu tun.
Diese Worte trafen mich tief, aber sie entfachten ein Feuer in mir. Statt aufzugeben, entschied ich mich, weiterzukämpfen und das Beste aus meiner Situation zu machen, ganz getreu meinem Motto:

Manchmal liegt mein Fokus eben nicht auf vollständiger Heilung, sondern darauf, die Behinderung anzunehmen, mich anzupassen und so ein erfülltes, selbstbestimmtes Leben führen zu können. Die Förderung solcher Lebenskompetenzen ist nicht nur gesundheitsfördernd, sondern auch zutiefst heilend. Positive Erfahrungen und gut abgestimmte Maßnahmen sind dabei von entscheidender Bedeutung.
Nicht immer gelingt es mir, manchmal falle ich in eine Phase, wo mir scheinbar nichts gelingt. Dann durchschreite ich ein Tal, wobei ich mir nur bewusst sein muss, dass auf der anderen Seite wieder ein Weg herausführt.

Abenteuer, in all seinen Variationen, bekommt eine ganz neue Bedeutung. Der gezielte Einsatz solcher Erlebnisse, angepasst an den jeweiligen Menschen, kann heilende und gesundheitsfördernde Wirkungen haben.
Eines dieser Abenteuer sind meine oft wochenlangen Weitwanderungen oder Pilgerfahrten, es können aber auch Abenteuer bei mir zu Hause ums Eck sein. So taste ich mich in kleinsten Schritten vorwärts und bin stolz auf mich, wenn ich wieder etwas erreicht habe. Wobei mir immer wieder bewusst wird, der Weg ist das Ziel.
Solche, oft kleine Erfolge, passieren am Weg und es war mir letztens zum Beispiel nicht wichtig, Spanien von Süd nach Nord zu durchqueren. Nur 170 km vor diesem vermeintlichen Ziel, bog ich nach Finesterre ab. Hier wurde es mir so richtig bewusst, der Weg ist das Ziel, nicht ein Ort oder etwas für das Ego.

Eine innere Stimme flüstert mir oft: "Nimm die einfachste Variante!". Aber ich habe gelernt, dass ein freies Leben Disziplin, Aufmerksamkeit und Offenheit erfordert, was nicht immer die einfachste Variante beinhaltet. Meine Wanderungen zeigen mir, wie wahr Friedrich Nietzsches Worte sind: "Wer ein Warum zu ertragen hat, erträgt fast jedes Wie!". Dieser innere Antrieb treibt mich vorwärts, weil ich weiß, was hinter diesem Wie, mich näher zum Warum bringt. Das Wie brauche ich selten zu hinterfragen, kommt aber natürlich auch mal vor.
Das Leben hat das Potenzial, zutiefst sinnvoll zu sein, wenn man > nicht < den Weg des geringsten Widerstandes wählt. Die wahre Herausforderung liegt dann darin, aus meinen Erfahrungen einen Sinn zu ziehen. Denn Abenteuer mache ich für neue Erfahrungen und die sollen einen Sinn beinhalten.
Falle ich zu tief in Gewohnheiten, schränkt es mich in meiner Freiheit und Unabhängigkeit ein. Es ist ein Balanceakt, entlang dieses Grates zu gehen. Mein Gehirn funktioniert zwar leichter mit Gewohnheiten, aber nicht immer ist das gut.

Brauche ich all diesen vermeintlichen Luxus und Komfort? Nein, denn am glücklichsten fühle ich mich im Zelt, auch bei Regen, mit nur 5 kg im Rucksack. Dort habe ich alles, was ich wirklich brauche. Es überkommt mich oft eine tiefe, einfache Glückseligkeit. Es entsteht eine andere Bewusstheit, wenn man sich so reduziert. Durch diese Reduktion lässt es mich das wirklich wesentliche erkennen.
Wenn ich stundenlang durch die Natur gehe, erlebe ich viele Abenteuer, die mir das Wesentliche im Lebens lehrt. Denn Leben lernen, steht für mich in der Rangliste ganz oben. Die Natur spricht oft in Metaphern und lehrt mir Weisheiten, für die ich bereit bin, zuzuhören. Es ist eine Weisheit, die ich in der Stadt nie erfahren könnte.
Seit der Via de la Plata kann ich erstmals seit vielen Jahren, an meinen Haupttraumen arbeiten. Mit Beginn der Pandemie 2020, wurde meine Traumatherapie eingestellt.
Mit dem therapeutischen Tanzen wurden einige Themen bearbeitet. Einigen verweigerte ich mich aber. Seit meiner Rückkehr vom Camino habe ich die Kraft, mich diesen Themen zu widmen. Es bleibt mir nicht langweilig!
Für die YouTube Serie, "Menschen im Porträt", von Markus Leyacker Schatzl, habe ich mich letztes Jahr bereit erklärt, nach langer Zeit, vor die Kamera zu treten. 2017 gab es einen Beitrag von Puls4, wo ich mit meinen Handicaps noch sichtlich zu kämpfen hatte. Das war einer der Gründe, dass ich ein längeres Interview bisher immer abgelehnt hatte.
Besonders die Wortfindungsstörungen waren unangenehm. Ich vergaß oft mitten im Satz, worüber ich weiter sprechen wollte oder vergaß einzelne Wörter im Satz. Deswegen hatte ich alles abgelehnt, was mit einer Kamera zu tun hatte.
Markus hat mich schon vor einigen Jahren das erste Mal gefragt, aber ich fühlte mich nicht bereit dazu. Für ein längeres Interview fehlte mir die Konzentrationsfähigkeit und mich entsprechend ausdrücken zu können.
Einen Wendepunkt brachte eine Einheit beim therapeutischen Tanzen, vor zwei Jahren. Damals verbesserte sich meine Wahrnehmung und für einige Minuten konnte ich mich, gefühltermaßen ohne Denken, bewegen. Es hatte großen Anteil daran, es zu versuchen.
Ich habe aber auch Markus zu danken, für seine verständnisvolle Art mich zu Interviewen. Die Unterhaltung ließ mich die Anwesenheit einer Kamera vergessen und war wie ein Gespräch im Kaffeehaus.
Das Ergebnis kann man hier anschauen:
Ich hoffe, es kann ein bisschen vermitteln, was ich in den letzten Jahren alles erlebt habe und eigentlich noch immer erlebe. Mit dem Gehen habe ich mir etwas erarbeitet, was mein größter Wunsch war. Es ermöglicht mir das Abenteuer Leben, mit all seinen Facetten, neu zu entdecken. In gewisser Weise bin ich wie ein Kind, daß genauso wie ich, das Leben entdecken möchte.
Der vielleicht irreführende Titel meint, ich sei um die Welt gegangen. Das bin ich natürlich nicht, sondern ich bin seit 2016 rund 45.000 Kilometer in Summe gegangen. Das wäre einmal am Äquator rundherum, was über 40.000 Kilometer wären.
Sehr viel bin ich in meiner Heimat gegangen und rund 16.000 Kilometer auf Pilgerwegen und Fernwanderungen. Ich habe meine Automatik verloren und die millionenfachen Wiederholungen, helfen mir Gehen zu können. Tue ich nichts, bildet sich alles schnell zurück.
So lange es brauchte und so schwer es war, wieder gehen zu lernen, so wartet jetzt ein noch größeres Abenteuer auf mich, nämlich LEBEN zu lernen.

„Das größte Abenteuer, das du haben kannst, ist das Leben, das du dir erschaffst.“
Unbekannt
Nach 1.430 Kilometer habe ich meinen Camino über die Via de la Plata von Tarifa nach Santiago bis nach Finesterre abgeschlossen. Es fühlte sich für mich richtig an, nicht mehr in den Norden weiterzugehen, um Spanien von Süd nach Nord zu duchqueren, ich wollte den Weg in Finesterre enden lassen. Die Durchquerung ist mir nicht mehr wichtig gewesen, sondern nur was mir gut tut und was sich richtig anfühlt.
Die Via de la Plata ist für mich die anstrengendste aller großen Caminos in Spanien geworden. Sie ist der Inbegriff für Gehen, große Distanzen und so habe ich es auch erlebt. Für 6 -7 Stunden alles Wasser mithaben und die Verpflegung organisieren, macht den Rucksack dementsprechend schwer.

Das ich nach dem Hirnabszess überhaupt hier stehen und gehen konnte, dass habe ich vielen Menschen zu verdanken. Zunächst all die Menschen im Krankenhaus, von denen ich, bis auf wenige Ausnahmen, nicht einmal die Namen kenne. Eine ist meine damalige Ergotherapeutin Kerstin, sowie den Krankenschwestern und Pflegern auf der Neurologie Station. Weiters danke ich allen meinen Freunden, die mich von Anfang an unterstützten und besonders meiner Familie, die mir sehr viel ermöglichte, besonders in den letzten Jahren.
Dazu gehören auch die vielen PilgerInnen, die einen großen Anteil daran haben, denn mit jedem Pilgerweg konnte ich ein Stück mehr am Leben wieder teilnehmen.
Ohne all diese Menschen wäre ich heute nicht dort, wo ich jetzt bin. Wenn ich zurückblicke auf die vergangene Zeit der letzten acht Jahre, dann kommen mir in erster Linie solche Erinnerungen, die ich mit Menschen erlebt habe. Ich bin den Großteil meiner Zeit alleine unterwegs und verbringe die meiste Zeit meines Trainings alleine, trotzdem fallen mir immer Situationen als erstes ein, wo ich mit Menschen zu tun hatte. Jedem Einzelnen Danke dafür!
Die Via de la Plata wurde ein riesiges Dankeschön an alle meine Caminos bisher, die mir seit dem Hirnabszess das Leben wieder näher bringen. Jeder dieser Caminos ist ein kleiner Baustein in meiner Rehabilitation, wo ich keinen einzigen Tag vermissen möchte.
Der Camino und die Tanztherapie sind das, was meinen Körper und Geist wieder zusammen gebracht hat. Die beiden ergänzen sich so toll, dass ich nicht wüsste, was ich anderes oder noch dazu machen könnte.
Ab Sevilla beginnen die langen Geraden. Die erste Teilstrecke von Tarifa habe ich ja schon im vorangegangenen Blog (Die Via de la Plata, endlich wieder unterwegs!) beschrieben. Hier machen die oft großen Abstände zwischen den Ortschaften und Herbergen sie zu einer besonderen Herausforderung.
Kaum Wasserstellen und lange Distanzen konnte ich ein wenig damit umgehen, dass ich bereits Mitte Februar startete. Das kältere Wetter erleichtert einiges, gegenüber im späteren Frühjahr oder gar im Sommer. In der Hochebene war es gleich kühler, als zuvor am Meer.
Es nicht wie am Camino Frances, wo es alle fünf bis zehn Kilometer eine Bar oder Wasserstellen gibt. Immer wieder muss man sich für sechs, sieben Gehstunden oder länger, selbst vorsorgen, Wasser und Verpflegung. Selbst im Winter trägt man oft drei bis vier Liter Flüssigkeit mit sich.
Es ist ein Gehen mit sich selbst. Man wird auf sich selbst zurückgeworfen, was ein oft meditatives Gehen wird. Dadurch wurde es für mich auch ein großes Dankeschön für die letzten Jahre. Am Camino habe ich wieder Gehen gelernt und konnte mich Jahr für Jahr immer mehr in kleinen Schritten ans Leben gewöhnen, wie ich es zu Hause nie machen hätte können.
Außerdem hatte ich auf diesen langen Geraden genug Zeit zum Reflektieren, was in den letzten Jahren geschehen ist. Es tut gut, wenn man weiß, wo man herkommt und nichts für selbstverständlich hält. Die verlorene Automatik macht das Gehen auch nach acht Jahren noch schwer, aber ich lernte immer besser damit umzugehen.
Der Tag war bis auf den Anfang verregnet, daher war ich im Nachhinein froh, an einem Tag von Salamanca nach Zamora zu gehen, denn die vielen Flussdurchquerungen sind bei noch höherem Wasserstand noch viel unangenehmer oder müssen umgangen werden. Es gibt meistens keine erhöhten Steine zum Darüber kommen. Viele Pilger ziehen jedes Mal die Schuhe aus, wenn sie zu einer Wasserfurt kommen. Ich mit meinen Turnschuhen ging einfach hindurch, denn nasse Füße hatte ich durch den Regen ja sowieso schon.
Gefühlt trockneten sie bis zur nächsten Furt, wo alles von vorne begann. Es waren bestimmt zehn an der Zahl, die tiefer waren. Vormittags kam ich an einem richtigen Fluss vorbei, der noch ein Rinnsal und eigentlich einfach zu bewältigen war. Die Pilger am nächsten Tag standen vor einem einen Meter höheren Fluss und mussten einen großen Umweg über die Straße machen, wie mir Fotos zeigten.
Bereits im Finsteren unterwegs, begann es zu Hageln und kurz darauf zu Schneien. Durch Schlamm, Überflutungen und die Nacht suchte ich meinen Weg nach Zamora. Um halb zehn Uhr Abends erreichte ich mein Hotel. Ich buchte es von Unterwegs aus über Booking.com, und normalerweise ist die Lage darin genau angegeben. Ich kopierte die Adresse in Google Maps und ließ mich vom Handy hinführen.
Am angegeben Punkt stand ich aber auf einer mehrspurigen Straße im Nichts. Dort kam ich drauf, dass nur die Straße angegeben war und die leider am verkehrten Ende. Wäre ich normal auf geraden Weg direkt zum Hotel gegangen, hätte ich mir mehrere Kilometer Umweg erspart.
Am Ende des Tages standen dann 75 Kilometer zu Buche, was geschlossenen Herbergen, überteuerten Hotels und dem Umweg am Schluss geschuldet war. An der ersten und einzigen offenen Herberge nach über 30 Kilometer bin ich vorrüber gegangen, was im Nachhinein ein Fehler war.
Die folgenden Tage waren eigentlich wie in der Meseta, die ich vom Camino France kannte. Nur leicht auf und ab, meistens lange Geraden. Unterwegs traf ich auf den 71-jährigen Amerikaner Marlin, der mit 67 Jahren den Appalachen Trail gegangen ist. Zum ersten Mal konnte ich mit jemanden sprechen, der diesen Weg selbst gegangen ist und bin nicht auf Berichte im Internet angewiesen. Es wurden interessante Gespräche.
Zusammen mit Sema aus der Schweiz, bildete sich eine kleine Gruppe, die oft zusammen blieb und die zwei höheren Berge an der Grenze zu Galizien in Angriff nahm. Auf den Höhen von 1400 m lag Schnee und besonders der zweite Berg war eine Herausforderung. Der in den letzten Tagen gefallene Schnee knickte viele Bäume um und der Weg war oft ein Bachbett, unter dem Schnee.
In diesem Wirrwarr kletterten wir nach oben, mit nassen Schuhen und teilweise im Regen. Wir waren jetzt in Galizien und mit jedem Meter auf der anderen Seite bergab, wurde es grüner und wärmer.













Für diesen Weg verwendete ich die Hoka Speedgoat 5 Goretex. Im Nachhinein war es nicht die richtige Wahl, aber die Passform ist trotzdem einmalig. Das Prolem war, dass ich in relativ großer Tageshitze im Süden gestartet bin und in den Winter gegangen bin. Mit so einer Wärme am Anfang habe ich nicht gerechnet und dafür war Goretex nicht geeignet. Erst nach 1000 Kilometer kam ich in die Schneebedeckten Berge, da war allerdings das Goretex bereits kaputt und undicht.
Die ersten Risse bekamen die Schuhe bereits nach 400 Kilometer, die in Folge immer größer wurden. Der Weg war gerade am Anfang sehr anspruchsvoll für das Material und der Verschleiss begann früh. Mit Klebeflicken für ein Zelt und Superkleber versuchte ich die Risse klein zu halten, bzw. das Auseinanderreissen zu verhindern.
Sie waren zwar nicht mehr wasserdicht, aber ich konnte noch bis zum Schluss gut darin gehen. Auch die Sohle hat gut gehalten, immerhin hatte der Schuh am Schluss rund 1500 km drauf.



Im großen und ganzen konnte ich zufrieden sein, trotzdem habe ich eine Menge dazugelernt. Die lange Unterhose hätte ich mir sparen können oder in Kombination mit einer dünneren Wanderhose. Meine Karpos Hose war an vielen Tagen ein bisschen zu warm und da werde ich mir für die Zukunft noch was überlegen.
Den Decathlon Anorak tauschte ich auf dem Hinweg in Malaga noch aus. Im dortigen Shop war ein Angebot des mit Daunen gefüllten. Der große Vorteil ist das Packmaß und das Gewicht, bei etwa gleicher Wärmeleistung, gegenüber der Kunststoff Füllung. Bei 370 zu 290 gramm und um nur € 50,- brauchte ich nicht lange überlegen. Da ich den Anorak oft nur am Abend brauchte und den Rest des Tages im Rucksack verstaute, brachte mir die Daune einen großen Vorteil.

Die Wrightsocks Socken sind zwar hervorragend zum Tragen, aber sie verschleissen doch recht schnell. Das eine Paar, welches ich mit hatte, war nach 500 Kilometer kaputt. Als zweites Paar hatte ich Darn Tough mit, die ja eine lebenslange Garantie bieten. Sie bewährten sich gut, später abwechselnd mit einem Paar doppellagiger Socken von Decathlon, die ich unterwegs erstand.
Zwei extraleichte Leibchen von Salomon, eines um die 90 gramm, erleichterten das Wäsche trocknen. Im Winter sind die Herbergen nachts kalt und trocknen ist oft unmöglich. Nicht so diese leichten, denn ich habe sie oft gewaschen und sie waren bis zum nächsten Tag trocken.
Mit dem Rucksack, dem Ultimate Direction 30, war ich sehr zufrieden, da ich so immer Reserven hatte, um mehr Wasser oder Verpflegung tragen zu können. Manchmal wünschte ich mir allerdings den kleineren 20 Liter, der auch gereicht hätte, wenn ich den kleineren Schlafsack genommen hätte. Die vielen kleinen Taschen vorne sind optimal, um während des Gehens zu Essen. Besonders im Nassen ist das ein Vorteil, weil es kaum Sitzgelegenheiten gab oder auch nur, den Rucksack trocken hinzustellen.
In Verwendung hatte ich den Sea to Summit Spark II Schlafsack, mit 500 gramm. Wahrscheinlich hätte auch der Spark I gereicht, nur 350 gramm schwer. Für die Übernachtung im Freien hätte ich eben mehr Bekleidung anhaben müssen. Für die Herbergen wäre der leichtere voll ausreichend gewesen.
Bei Rucksack, Schlafsack und noch einigen anderen Dingen, hätte ich bis zu 750 gramm einsparen können. Das werde ich auf jeden Fall in Zukunft stärker beachten. Im Zweifelsfall gehe ich halt doch mehr auf Sicherheit, da ich oft nicht weiß, wie mein Körper reagiert.
Hier meine Ausrüstungsliste auf lighterpack:
https://lighterpack.com/r/57nlxb
Ein Pilgerfreund, Kai aus Deutschland, riet mir, auf den Pico de Sacro zu steigen. Ein neben dem Weg liegender Berg, den nur wenige besuchen, der aber sehr Energiereich ist. Als Besonderheit ist er am Gipfel gespalten und sieht aus, wie zwei Gehirnhälften. Für mich also noch besonderer.
Schon in der Früh, noch im Finsteren, verlassen Marlin und ich die Herberge. Nur einige Kilometer bergan, stehen wir bald am Gipfel. Die Sonne beginnt gerade aufzugehen und taucht die Umgebung in ein besonderes Licht. Ich mache Fotos und setze mich hin, um zu meditieren. Langsam kommt die Sonne hervor und ich spüre eine Wärme, wie nie zuvor auf meinem Gesicht. Von der Stirn, über die Wangen und weiter nach unter, spüre ich eine Wärme und Energie, die einzigartig ist.
Ich fühle mich angekommen, angekommen in mir und im Leben. Ab hier bekommt mein Leben eine neue Bedeutung.
Die letzten 8 Jahre der Therapie habe ich am Pico de Sacro abgeschlossen. Es mag zwar noch einiges fehlen, aber ich bin froh darüber, wie es sich entwickelt. Der Camino lehrte mich, wieder ein Selbstbestimmtes Leben führen zu können. Die Tanztherapie gab mir Werkzeuge, mit denen ich mich wieder Bewegen lernte, löste viel im geistigen Bereich und half mir, mich wieder zurechtzufinden.
Zeit, Raum und Menschen bekamen eine neue Bedeutung, die ich langsam in mein Leben integrieren lerne. Ich wurde ein Abenteurer und Entdecker, der das Leben neu (er-)finden muss. Das wichtigste wurde es, Gelegenheiten selbst zu erzeugen und auf nichts zu warten. Ich kann behaupten, keinen einzigen Tag seit dem Hirnabszess vergeudet zu haben und wenn es auch oft am Limit ist, ich LEBE jeden einzelnen Tag und fülle ihn mit Geschichten.
Manches gelingt noch immer nicht. Gerade jetzt wo ich schreibe, fehlen mir Wörter, um es beschreiben zu können. Aber ich versuche es, egal was dabei herauskommt. So ist es mit vielen Dingen.
Noch sind es 15 Kilometer bis nach Santiago de Compostela. Es ist ein teilweiser ruhiger, in mich gekehrter Weg. 1.274 km werden mir im Pilgeroffice für meinen Weg bestätigt, weitere wertvolle Kilometer ins Leben. Am Platz vor der Kathedrale setze ich mich hin und es gehen im Eilzugstempo verschiedenste Stationen dieser vergangenen acht Jahre in Gedanken vorüber.
Den Entschluss, nicht mehr in den Norden zu gehen, habe ich am Pico de Sacro gefällt. Die Durchquerung Spaniens von Süd nach Nord hätte nur meinem Ego geschmeichelt, ich bin aber für etwas anderes da und das habe ich auf dem letzten Berg vor Santiago gefunden. Diese ersten Sonnenstrahlen auf meiner Stirn werde ich nicht so schnell vergessen.
Zu Mittag erreiche ich mit Marlin Santiago und entschließe mich, einen Ruhetag hier zu verbringen. Mit Marlin war ich erstmals etwa zehn Tage zusammen unterwegs, was ich bisher noch kaum mit jemanden geschafft habe. Bisher war ich zumindest untertags alleine. Auch unter dem Gehen mich mit jemanden zu unterhalten, das war in dieser Menge neu für mich. So konnte ich gleichzeitiges Gehen und Sprechen üben, was immer noch eine Herausforderung für mich ist.
Danke Marlin, für die oft sehr interessanten Gespräche und auch für die Möglichkeit, mit dir meine Aufnahmefähigkeit zu üben.
Da in Santiago die Osterfeiern im Gange waren, entschloss ich mich, weiter nach Muxia und Finesterre zu gehen. Inzwischen war auch Sema aus der Schweiz in Santiago angelangt und so trafen wir uns auf dem Weg nach Muxia. Es war nass und regnete immer wieder und ein sturmartiger Wind machte das Gehen schwer. Trotzdem ist es immer wieder ein Genuss, den Weg hier abzuschließen und am Schluss in Finesterre am Kap zu stehen.
Am Ende der Welt, was es ja vor hunderten Jahren war, dreht man um und beginnt ein neues Leben. Man sagt ja, das Leben beginnt erst nach dem Camino. Wie wahr!
Mit dieser Reise hat meine Rehabilitation nach dem Hirnabszess eine neue Stufe erreicht. Nach acht Jahren Training, Üben und das Leben lernen, habe ich auf irgendeine Art meinen Frieden gefunden und mich selbst. Es wird sich äußerlich nicht allzu viel ändern, sicher aber meine Einstellung zu manchem.
Ich habe es schon am Weg gemerkt, dass ich kaum mehr ans reparieren oder therapieren denke und lockerer Gehen und Aufnehmen kann. Besser gesagt, ich kann einfacher Leben, ohne mich durch die Behinderungen gestört zu fühlen. Damit wird das Leben einfacher, wenngleich die Rehabilitation noch immer dazugehört.
Kaum wieder zu Hause, fehlt mir das unbekümmerte Gehen am Camino. Zu viele Pflichten und Erledigungen machen es schwer, zu Hause anzukommen. Ich denke darüber nach, Vorträge zu halten oder mein Buch zu schreiben, allerdings bleibt es beim Versuch, darüber zu denken. Noch komme ich nicht damit weiter.
Viel lieber denke ich über einen nächsten Weg nach, wo ich mich mit meinen Defiziten besser aufgehoben fühle und das Leben noch mehr genießen kann. Wohin wird mich das Leben führen, ich kann es nicht sagen. Ich lebe im Jetzt und kann nicht über die Zukunft nachdenken oder mir zu viele Gedanken darüber machen. Es endet am Schluss ja doch im "Nicht denken können".
Daher gehe ich in der Natur spazieren, wo mir ständig die Jakobsmuschel über den Weg läuft und mich an die Via de la Plata erinnert. Ich bin noch immer beim Aufarbeiten, was ich unterwegs lernte und was ich in mein Leben integrieren werde.
Schlussendlich fülle ich mein Leben mit immer mehr Geschichten. Geschichten, die mein Leben bereichen und wieder lebenswert machen.

Für "Menschen im Porträt", habe ich erstmals voriges Jahr ein Interview gegeben, wo ich über die Zeit nach dem Hirnabszess spreche. Dieses ist seit kurzem online. In einem nächsten Blogbeitrag werde ich über das Interview berichten, meinen Beweggrund, warum ich es getan habe und darüber schreiben, wie es mir heute geht.
Hier gehts zum Interview:
Buen Camino und Ultreia (Guten Weg und immer vorwärts)
Neue Erfahrungen zu machen sind für mich unausweichlich und am besten geschehen sie am Camino. Diesmal führt mich mein Weg von Tarifa aus über den Camino Estrecho, der Via Augustus del Cadiz und der Via de la Plata, nach Santiago de Compostela. Sie ist der längste Camino in Spanien.
Die letzten Monate zu Hause, seit England war ich ja nicht mehr fort, waren doch recht anstrengend und ich habe zu oft vergessen, auf mich zu schauen. Der Camino soll mich wieder in eine Stabilität bringen und deswegen hat die Rehabilitation diesmal Vorrang, noch vor dem Leben lernen. Die Folgen des Hirnabszesses sind nach wie vor da und es wird wohl niemals enden. Da kann ich trainieren und üben, was ich will.

Los geht es vom äußersten Süden Spaniens in Tarifa, bis nach Santiago de Compostela. Wenn es mich freut, dann gehe ich noch die etwa 170 Extrakilometer zum nördlichsten Punkt Spaniens. Damit hätte ich Spanien in einem durchquert, von Süd nach Nord. Es wäre reizvoll, aber ich habe es mir nicht als ein unbedingt zu erreichendes Ziel gestellt, denn Vorrang hat die Rehabilitation und eine gute Zeit verbringen. Zumindest möchte ich am Ende wieder etwas besser drauf sein, als zuvor.
Dieser Bericht handelt vom ersten Abschnitt, von Tarifa nach Sevilla, also die ersten 250 km, danach in Abständen der Rest. Diesen Teil wählen nur wenige und im Nachhinein kann ich es verstehen. Die Via de la Plata ist über 1.000 km lang, da tun sich die wenigsten die 250 km mehr an, noch dazu fast ohne Pilger-Struktur. Dazu sind oft lange Etappen zu wählen, je nach Wegführung.
Tolle Temperaturen empfangen mich. 20 Grad am Tag, die in der Sonne recht warm werden können und rund 10 Grad in der Nacht. Die kälteste Zeit ist um 7 Uhr morgens und ich brauche den dünnen Daunenanorak und Handschuhe, beim Losgehen.
Erst um viertel Neun bricht die Dämmerung an. Noch bin ich mir unsicher, ob die gewählte Bekleidung passt, denn ich gehe vom Frühling zurück in den Winter. Das tagsüber hier herrschende Klima darf mich nicht in Sicherheit wiegen, denn in der danach folgenden Extremadura komme ich im Schnitt auf 800 Meter Seehöhe oder höher. Da ist es um einiges kälter, sogar mit Minusgraden in der Nacht.

Über das Meer blickend, kann ich Afrika sehen. Marokko ist nicht weit weg und zahlreiche Schiffe passieren die Meeresenge um Gibraltar, die das Mittelmeer vom Atlantik trennt. Ich stehe am südlichsten Punkt von Spanien, an einer abgesperrten Halbinsel, auf der einen Seite das Mittelmeer und auf der anderen der Atlantik.
Für diesen Abschnitt habe ich meinen Biwaksack + Schlafmatte mit. Es ist mir zu unsicher mit Quartieren und ich gehe, solange ich mag und nehme ein Biwak in Kauf. Die Distanzen von einem Quartier zum nächsten können weit sein und ich möchte mich nicht davon abhängig machen, wie weit ich gehe.
Das Gehen fällt mir diesmal jedoch nicht so leicht, irgendetwas ist anders, als auf meinen bisherigen Wegen. Deswegen bin ich aber hier, um mich wieder auf gleich zu bringen. Zu Hause habe ich mich nicht mehr wohlgefühlt.
Von Tarifa aus gehe ich entlang des Meeres in Richtung Norden. Unterwegs treffe ich einen Weitwanderer aus Bayern, der schon seit vielen Monaten unterwegs ist. Er empfiehlt mir am Meer zu bleiben und erst am Schluss nach Sevilla abzubiegen. Gesagt, getan, landschaftlich war es sehr schön, allerdings zum Gehen für mich nicht leicht.
Im tiefen Sand habe ich noch Schwierigkeiten. Meine Tiefensensibilität funktioniert dort überhaupt nicht und so stolpere ich durch den oft tiefen Sand, der mir sehr viel Kraft kostet. Um nach so einem Tag zu biwakieren, dazu fehlt mir die Kraft. Also schleppe ich mich noch bis zur nächsten Stadt und nehme ein Zimmer.

Ein wenig erschrickt es mich, wie schlecht ich drauf bin, aber damit musste ich rechnen. Die genauen Gründe darüber zu eruieren, daran arbeite ich noch. Sicher habe ich die letzten Monate zu wenig an meiner Kondition zielgerichtet gearbeitet.
Das fällt mir jetzt auf den Kopf. Einmal erarbeitetes ist schneller wieder weg, als ich denken kann. Nach England befand ich mich in einem sehr guten Zustand, allerdings ging es danach schleichend bergab.
In Chiclana treffe ich aud den laufenden Karneval, die ganze Stadt feiert. Ich bekomme kein Zimmer, alles ist ausgebucht. So gehe ich weiter und schlage mein erstes Nachtlager unter freien Himmel auf, tausche den Wirbel der Stadt gegen Ruhe. Mit den Sternen über mir schlafe ich ein.
Bisher machte ich mir gar nicht so viele Gedanken darüber, es ist aber was anderes, im Freien oder im Zelt zu liegen. An das Zelt habe ich mich in England gewöhnt, aber das Biwakieren habe ich noch nie geübt. Mein Nervensystem ist es nicht gewohnt und bei jedem Geräusch schrecke ich auf. Außerdem fehlt mir irgendwie die Erholung.
So bin ich um sechs Uhr schon wieder im Finsteren am Trail unterwegs und gehe bis in die nächste Stadt. Ich freue mich über einen Kaffee in einer zum Glück offenen Bar. Die nächsten Tage werde ich ein Zimmer bevorzugen, da ich die Erholung brauche.

Tagsüber ist es herrlich, manchmal allerdings scheint die Sonne so stark, dass ich mich gut davor schützen muss.

So geht's dahin, Tag für Tag und am Sechsten treffe ich in Sevilla ein. Die Via Augustus ist geschafft. Ab hier beginnen die Herbergen, was den Geldbeutel deutlich entlastet.
Aufgrund der hohen Temperaturen trage ich die letzten Tage kurzes Leibchen und kurze Hose, nach dem anfänglich kühlen Morgen. Das heißt aber im Gegenzug, alles warme Gewand ist zusätzliches zu tragendes Gewicht. Der Rucksack ist zum Bersten voll. Ich entschließe mich einen Ruhetag in Sevilla einzulegen, um zu Kräften zu kommen und die Ausrüstung zu optimieren.
So mies drauf bin ich in keinen meiner letzten Wege gestartet. Anstatt von Tag zu Tag aufzubauen, habe ich abgebaut oder konnte zumindest nicht aufbauen. Etwas ernüchternd, denn erstmals seit dem Hirnabszess muss ich mit Stillstand umgehen. Da merke ich erst, wie verletzlich und unstabil ich bin. Ich darf mich nicht ausruhen, sondern Dranbleiben ist gefragt.
Nach einem Ruhetag in Sevilla geht's auf die Via de la Plata. Davor versuche ich die Stadt zu erkunden, auf die ich mich schon lange freue. Daraus wird aber so gut wie nichts, denn das Gewurle in der Stadt behagt mir überhaupt nicht. Meine Hochsensibilität lässt es nicht zu. Ich bin froh, wenn ich wieder draußen in der Natur unterwegs sein kann.







Zwar probiere ich es immer wieder, mich an die Stadt zu gewöhnen, aber es gelingt mir bisher nur mit mäßigem Erfolg. Es sind einfach zu viele Reize, die mein Gehirn nicht verarbeiten kann und vieles nicht zulässt. Gerade Museen oder Kunstausstellungen gehen mir ab.
Sowieso geht alles Kreative zurzeit nicht gut. Ob Schreiben, Fotografieren oder Planen, mein Gehirn macht nur, was es braucht, nicht was ich möchte. Am glücklichsten bin ich, wenn ich zu Fuß und ohne Denken in der Natur unterwegs sein darf!
Meine Durchquerung von Großbritannien ist Wirklichkeit geworden. Mit dem Erreichen von Lands End und mit dem südlichsten Punkt, Point Lizard, habe ich den JOGLE und die Nord/Süd Durchquerung von Großbritannien abgeschlossen.
Warum es diesen geografischen Unterschied überhaupt gibt, hat sich mir bis heute nicht erschlossen und ich habe auch bis heute vergessen, danach zu fragen. Liegen die beiden jeweiligen Punkte, im Norden, wie im Süden, doch nicht so weit auseinander.
Mit dem Erreichen von Lands End durfte ich wieder eine tolle Erfahrung hinter mich bringen, die mir viele neue Erkenntnisse in Bezug auf mein Funktionieren nach dem Hirnabszess brachte und das mir zeigte, dass das Lernen immer weiter geht.
Den Weg mochte ich zuerst mehr unter Rehabilitation einordnen, als unter "wieder Leben lernen". Wobei im Nachhinein gesehen, auch das nicht zu kurz gekommen ist und ich wesentliche Dinge auch geistiger Natur lernen durfte. Solche Weitwanderwege sind ganzheitlich zu verstehen.

Das Schlechtwetter verlässt mich auch diese letzten Tagen nicht. Stürmisch und regnerisch bleibt es, aber es kommt an manchen Tagen doch immer wieder kurz die Sonne heraus. Meine Fotos zeigen deswegen fast immer Sonnenschein, weil ich im Regen nicht immer das Handy zücke, um zu fotografieren.

Das Kaputt werden meines alten Handys, mit der guten Kamera, macht mich vorsichtig. Noch einmal ein neues zu kaufen, kann ich mir finanziell nicht leisten, aber gerade im Regen wird es nass und gleitet mir somit noch leichter aus den Händen. Daher heißt es, aufpassen. Ich habe überhaupt ein sehr geringes Budget, das macht diese Reise für mich sowieso schon besonders.
Wildnis und Wildheit wird mir auf diesen letzten 400 km am SWCP besonders gut vermittelt, aber auch, wie ich sie in meiner Rehabilitation einsetzen kann. Denn Wildnis erdet, etwas, was ich seit dem Hirnabszess brauche. Wildnis möchte auch keine Begrenzungen und sie zeigt mir immer wieder, mit meinen eigenen Begrenzungen umgehen zu lernen. Denn Begrenzungen erlebe ich oft genug aufgrund meiner Handicaps. Damit umzugehen, ist oft nicht so leicht. Sie sind von Außen nicht für jeden ersichtlich und das macht es für mich noch schwieriger.
Die Wildnis zeigt mir auch, wie ich authentisch leben und mit meinen Ängsten umgehen kann, welche Risiken ich eingehen möchte und welchen Selbstschutz ich brauche. Somit ist die Wildnis meine Therapeutin, die mir das Leben lehrt, wie kaum etwas zuvor. Genau das brauche ich jetzt, genauso, wie die Wildheit. Sie erinnert uns daran, wie wir instinktiver und im Einklang mit der Natur lebten.
...um überhaupt leben zu können. Es brachte mich die letzten Jahre immer mehr ins Leben hinein und war eine Voraussetzung, um das alles hier überhaupt erleben zu können. Meine Selbstwahrnehmung steigerte sich, ebenso wie die Wahrnehmung im Außen.
Jede einzelne absolvierte Stunde der letzten Jahre war ein Baustein und so immens wichtig, ich kann es gar nicht oft genug betonen. Das Bewegen im Tanz brachte mir so viele Erfahrungen und Erkenntnisse und ich bin meiner Therapeutin Hanna Treu so sehr dankbar für alles, was sie in den letzten Jahren für mich getan hat.
Genauso dankbar bin ich auch für die Tatsache, meine Rehabilitation in die eigenen Hände genommen zu haben und meinem Instinkt zu folgen, was mir guttut. Der Kontakt mit den Kräften und Energien der wilden Natur hilft mir, besser zentriert zu sein und wieder ins Gleichgewicht zu kommen, meiner Intuition zu vertrauen und diese auch zulassen.
Wildnis und Wildheit spürte ich schon früher, aber der Verstand ließ vieles nicht zu. Ich gehe heute einen Weg, der sich für mich richtig und stimmig anfühlt. Das bekomme ich immer wieder bestätigt, allerdings habe ich die letzten Jahre diese Wildheit in mir wieder zulassen lernen müssen. Sie ist meine Freundin, die mich wieder ins Leben bringt, denn am meisten spüre ich mich selbst, wenn ich mich der Wildnis aussetze.
Auf diesem Weg langen Weg durch England stellte ich mich vielen Mustern und Ängsten, konnte vieles bearbeiten und manches lösen. Es hat mich wieder einen Schritt nach vorne gebracht. Diese Wildheit durch Großbritannien und besonders entlang des Ozean am SWCP, spürte ich besonders gut, wobei es wichtig ist, Wildnis für sich zu definieren.
Wildnis hat für mich mit Freiheit zu tun. Wobei es mir wichtig ist, die innerer Freiheit zu leben. Nämlich dann, wenn ich Begrenzungen erfahre, im Innern wie im Außen, die ich mir ja oft selbst unbewusst auferlege.

Diese letzten Tage dieser Reise sind immer wieder ein Versuch, Resümee über diese zwei Monate am JOGLE zu ziehen. "Du bekommst, was du brauchst, nicht was du möchtest!", dieser Spruch vom Jakobsweg hat auch hier Gültigkeit. Meine Frage ist manchmal, WARUM brauche ich über vierzig Regentage und all die anderen Herausforderungen?
Darüber denke ich in diesen letzten Tagen nach und kann es gar nicht glauben, dass es bald vorbei ist. Allerdings nicht ganz vorbei, denn ich möchte ja noch nach Poole gehen, dem Ende des South West Coast Path. Davor heißt es aber die letzten Kilometer überstehen, die Konzentration aufrecht zu halten. Die haben es nämlich noch einmal in sich.
Mein vorletzter Tag beginnt in Portreath. Regen und Sturm Peitschen vom Meer kommend ans Land und machen es mir nicht leicht. Es geht Ausgesetzt am Meer entlang, mit so einem starken Gegenwind, dass ich kaum vorwärtskomme. Es gibt kaum Hecken, hinter denen ich vom Wind geschützt gehen kann und immer wieder Regen, der mir waagrecht entgegen kommt, mit starkem Sturm.
Eine Weile gehe ich zwischen Dünen entlang und dann wieder direkt am Strand. Ich kann zwischen steilen Hügeln im tiefen Sand oder am flachen Strand, mit stürmischem Gegenwind entscheiden. Beides ist gleich schwierig und nach Stunden diesen Elementen ausgesetzt, wechsle ich auf die im Land gelegene Straße, denn neben dem Meer wird es mir zu gefährlich.
Die Windböen kommen zum Glück vom Meer, so werde ich immer nach links, gegen die steile Böschung gedrückt. Rechts geht es genauso steil nach unten, wo das Meer wartet. Es wird mir zu gefährlich auf den schmalen Steigen weiterzugehen und ich schlage mich irgendwie in die Richtung zur Straße durch. Wobei auch diese nicht ungefährlich ist.
Schmal, rechts und links, mit hohen Hecken, kein Seitenstreifen für Fußgänger, viele Kurven und Verkehr. Immer wieder wechsle ich die Straßenseite, da ich den Gegenverkehr nicht einsehen kann. Nach vier Kilometer erreiche ich den Stadtrand von Hayle und beim ersten Gehsteig kann ich Durch- und Aufatmen.
Das erste Pub am Weg nutze ich zum Frühstücken. Obwohl ich damit mein Budget überschreite, bestelle ich mir ein ordentliches, bestehend aus Omelett, Speck, Würstchen und Bohnen. Dieses Unwetter zehrt an meinen Kräften und ich muss aufpassen, nicht in ein kalorisches Defizit zu laufen. Besonders auf genug Eiweiß muss ich achten und genug zu mir zu nehmen. Wegen der Muskelschwäche dürfen Defizite erst gar nicht aufkommen.
Nach Hayle beginnt wieder einmal die Sonne zu scheinen und ich genieße die warmen Strahlen. Unterwegs trockne ich mein Zelt und alles andere, was feucht ist, lege es in die Wiese, in die für ein paar Minuten heiße Sonne. Ein Kaffee ist schnell zubereitet und in der Sonne liegend raste ich.
Nach einer halben Stunde ist die Sonne wieder weg und bei den ersten Regentropfen packe ich schnell alles ein. Bei Bewölkung nähere ich mich auf schönen Pfaden St. Ives. Die Zeichen des Camino Ingles erlebe ich bei Sonne, um St. Ives wieder im Regen zu erleben. Es ist eine der teuersten Gegenden von Cornwall. Schon seit Wochen sind alle Quartiere hier ausgebucht, so auch das einzige Hostel in der Gegend. Mir ist daher klar, dass ich hier nur durchgehe und mich nur versorge.
In der Stadt beschränke ich mich auf eine Dose Baked Beans. Diese esse ich, vom Regen geschützt, unter einer Markise vor einem Geschäft, in der belebten Fußgängerzone. Am Boden sitzend, schaue ich aus wie ein Obdachloser, denn der viele Regen und das Zelten der letzten Tage hat Spuren hinterlassen. Es ist aber egal ist, denn Essen, Einkaufen und danach möglichst schnell wieder auf den Trail, was anderes zählt für mich nicht. Mein Ziel ist es, noch möglichst weit in Richtung Lands End zu kommen, denn nur dann dann kann ich es morgen erreichen.

In einem Outdoorladen ergänze ich meine Vorräte mit Flipjacks, von denen jeder fast 400 Kalorien hat und mit speziellen Mint Riegeln, die schon Edmund Hillary auf seinem Gipfelgang zum Everest dabeihatte. Die Firma hat ihren Sitz in Kendal, nicht weit vom Weg, wo ich vor ein paar Wochen vorbeigekommen bin.
Es ist schon später Nachmittag und ich möchte noch einige Kilometer in Richtung Lands End zurücklegen. Allerdings sind diese Kilometer nach St.Ives bei diesem Wetter besonders schwierig. Als wollte mich dieses Land vor dem Ende nochmals prüfen, führt ein schmaler Steig entlang des Meeres, gespickt mit großen Steinblöcken, durch die ich durch und drüber klettern muss. Dazu gibt es immer wieder Regenschauer. Die Wildheit nimmt wieder zu.
Ich brauche oft die Hände, um mich hochzuziehen oder abzustützen. Mit dem Rucksack ist es ein immenser Aufwand, die Balance zu halten. Nur langsam komme ich weiter, denn ständig muss jeder Schritt hochkonzentriert gesetzt werden. Ein Fehltritt hätte fatale Folgen, inmitten dieses Steinfeldes. Gegen sechs Uhr Abend überhole ich zwei junge Wanderinnen, mit riesigen Rucksäcken. Ich kann mir gar nicht vorstellen, so etwas auf meinen Rücken zu schnallen, geschweige denn, über diesen Trail zu tragen.
Da ich nicht vom Trail weg ins Hinterland gehen möchte, um einen Zeltplatz zu finden, bleibt Wildcampen die einzige Möglichkeit. Allerdings findet sich kein einziges, halbwegs ebenes Stück Wiese und ich sehe mich schon irgendwo zwischen Steinen sitzend, biwakieren. Seit dem Start am Nachmittag in diesen Abschnitt sind schon Stunden vergangen und die Sonne geht bald unter.
Da führt der Trail für kurze Zeit an einer Steinmauer entlang, bis an ein Gatter, mit einem schmalen Wiesenstück davor. Unbequem, aber zur rechten Zeit, denn bis zur Dunkelheit ist es nicht mehr weit. Der Blick hinter das Gatter verheißt ein mehr ebene Fläche, allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es nicht irgendwo Kühe gibt.
Es ist alles ruhig und so baue ich schnell das Zelt dahinter auf, richte mich und alles andere her. Es ist viel ebener. Meine Füße sind vom vielen Regen verschrumpelt und alles ist nass und schmutzig. Diese letzte Nacht vor Lands End hält mich noch auf Trab. Kein Gedanke daran, dass morgen mein großer Tag ist, keine Gedanken an die vergangenen zwei Monate, kein Resümee ziehen oder nachdenken an das, was bisher war. Ich bin so fest in der Gegenwart verankert und darf nicht nachlässig werden oder die Konzentration beenden. Meine über die letzten zwei Monate erlangten Routinen und das Jetzt sind wichtiger, als über Vergangenes zu sinnieren.
Diese zwei Monate waren so lebensbejahend, wie auch das Gefühl, mit der Natur zu verschmelzen, wenn ich der Kraft der Naturelemente begegne und das Gefühl habe, genau hierher zu gehören. In solchen Momenten wird mir bewusst, was Heilung ist. Es ist nicht das völlige Verschwinden von Krankheit, es hat mehr mit einem Inneren Heil werden zu tun. Werde ich Innen Heil, kann auch das Außen folgen.
Mit einem satten, vollen und Erdverbundenen Gefühl, blicke ich weit übers Meer, vor mir die steil abfallenden Klippen, an die das Wasser tief unter mir an die Felsen schlägt. Ich bin einfach nur glücklich, hier zu stehen.

Nach einer Regenreichen Nacht wache ich im Morgengrauen auf, zum Glück ohne Regen. Als erstes wische ich die Zeltinnenseite mit meinem kleinen Wetex-Tuch ab. Die Kondensation war stark diese Nacht, wie so oft. Um beim Herrichten im Zelt nicht nass zu werden, wische ich es vor dem Aufstehen immer ab. Ich packe alles im Zelt fertig, erst dann stehe ich auf, denn das Zelt kommt als letzer dran.
Wie ich die Plane öffne, schaue ich in die mich fixierenden Augen einer stehenden Kuh, etwa 100 Meter entfernt. Weiter dahinter kommen andere, mit ihren Kälber, alle auf mich zutrottend. Schnell werfe ich den Rucksack über den Zaun, ziehe die Heringe aus dem Boden, werfe das Zelt über das Gatter und springe hinterher. Auf eine Konfrontation mit Ihnen möchte ich mich nicht einlassen, der letzte Schreck liegt mir noch in den Knochen und liegt noch nicht so lange zurück und diesmal sind auch Kälber dabei.
Es regnet zwar nicht, aber die Gräser sind voll mit nassen Tropfen der Nacht und der Trail ist glitschig. Auf meiner Wander-App ist nicht erkennbar, wo das einfachere Gelände vor Lands End beginnt. Nach zwei Stunden Kraxelei durch dieses nasse Wirrwarr komme ich zu ersten Ruinen, wo ein idealer Zeltplatz gelegen wäre. Leider bin ich gestern nicht mehr so weit gekommen.

Ab jetzt ist Bergbaugebiet, in dem früher Zinn und Kupfer abgebaut wurde, teilweise schon im 18. Jahrhundert. Eindrucksvolle Zeugnisse vergangener Epochen. Es tauchen vereinzelt Spaziergänger auf, also kann es nicht mehr weit bis in die "Zvilisation" sein. Es ist immer wieder ein eigenartiges Gefühl, dort aufzutauchen, diesmal sogar mit dem Gefühl, England durchquert zu haben.
Noch ein bißchen Auf und Ab, dann bin ich da. Allerdings stellt sich kein Gefühl der Freude oder das Glücklichsein über die Durchquerung bei mir ein. Im Gegenteil, ich bin überfordert mit Lands End und eigentlich enttäuscht. Es erwartet mich ein kleines Disneyland, viele Menschen und eine endlos lange Schlange, vor dem Schild von Lands End. Das ist zuviel für mich, da macht mein Gehirn nicht mehr mit. Mickey Mouse und Konsorten laden ein und alles geht zu, wie am Rummelplatz.
Ich bin so von der Rolle, dass mir fast keine Bilder gelingen. Diesen Trubel habe ich nicht erwartet und schneller als gedacht, gehe ich weg von dort. Mein Ankommen ist zugleich ein Weitergehen. In einem nahen Campingplatz entschließe ich mich dazu, am nächsten Tag, noch ganz in der Früh, noch einmal das Schild zu besuchen. Damit habe ich also den JOGLE beendet.
Jetzt fehlt nur noch der südlichste Punkt, in Point Lizard gelegen, den ich nach einigen weiteren Tagen erreiche. Es ist ein nebeliger Tag, mit kaum Aussicht. Ich gehe bis ans Meer, wo ich die durch ganz Grobritannien gesammelte Federn und einen Stein ins Meer werfe. Die Federn Symbolisieren Leichtigkeit, eine Leichtigkeit im Leben, aber auch eine Leichtigkeit des Körpers, an der ich seit 2016, wie ich aus dem Krankenhaus gekommen bin, arbeite.
Damals war alles schwer, besonders die Bewegung. Das Heben eines Armes war schwer, die Beine beim Gehen und erst mit dem Beginn des therapeutischen Tanzen im Jahr 2019, brachte von Jahr zu Jahr mehr Leichtigkeit in mein Leben.
Mit dem JOGLE habe ich mein bisheriges Meisterstück vollbracht, was allerdings nicht heißt, dass ich die vollendete Leichtigkeit erreicht habe. Da sind wir wieder beim Heil werden, noch fehlt trotzdem viel.
Die Heilwerdung schreitet voran, ungeachtet der noch vorhandenen Defizite. Die 2.000 km durch England habe mich wieder weitergebracht. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass ich nicht damit aufhören darf, mich zu bewegen. Ein einmal erreichtes Plateau bleibt mir nicht erhalten, zu schnell geht es wieder in die andere Richtung, wenn ich mich weniger bewege. Deshalb ist Dranbleiben so wichtig.
Solange ich durch Gehen mein körperliches Befinden besser erhalten kann, werde ich gehen. Das werde ich machen, solange ich kann oder motiviert dazu bin. Das ist die wohl wichtigste Erkenntnis von diesem Weg.
Zum Abschluss möchte ich mich bei allen bedanken, die mich auf dem Weg unterstützt haben. Ohne Euch wäre es anders abgelaufen. 😉 DANKE