Mental-Training und Hirnabszess, zwei Dinge, die mich seit März 2016 begleiten. Ein Besuch diese Woche bei einem Infoabend über Mental-Training meines Freundes Matthias, nehme ich zum Anlass, darüber zu Erzählen.

Zwanzig Monate, davon fünf im Krankenhaus, liegen hinter mir. Manch einer stellte sich die Frage, wie ich damit umgehe.

Meine Vergangenheit

Iditasport Race Alaska

Dazu möchte ich meine Vergangenheit vorausschicken. In den vielen Jahren als Sportler, war ich gewohnt jeden Tag zu trainieren, um besser zu werden. Das war in mir drinnen und ist es auch heute noch. Daher war es kein so großes Problem, diese Einstellung beizubehalten. Ich weiß nicht, wie es ausgegangen wäre, hätte ich nicht dieses Vorleben gehabt. Meine Sportvergangenheit hat mir sicher dabei geholfen, all die Schwierigkeiten so zu verkraften.

Gerade im Extremsport hat es für mich nie ein Aufgeben gegeben. Ob in der tiefsten Wüste oder bei -25° in Alaska, es musste immer weiter gehen. Das ist eine mentale Einstellung und wie ich die Dinge sehe.

Aufgeben war daher von Anfang an keine Option für mich. Die ersten Monate konnte ich keinen Gedanken fassen, nur auf das reagieren, was gerade unmittelbar anstand. Erst gegen Ende der Krankenhauszeit wurden einfache Dinge für mich wieder erfassbar. Habe ich am Anfang viele Dinge intuitiv getan, konnte ich später die Sachen bewusster wahrnehmen und andenken. Die vielen Jahre Bewusstseinsbildung im Sport haben mir dabei sehr geholfen.

Extremrennen, meine Lehrmeister

Mental-Training im Sport,
Leadville Trail 100

Das Iditasport Race in Alaska, die Crocodile Trophy in Australien und der Leadville Trail 100 in Colorado. Diese und andere Rennen waren meine Lehrmeister, wie ich mit extremen Situationen umgehe.

Es war eine Persönlichkeitsschulung, die mir den Umgang und die vielen Anforderungen mit dem Hirnabszess erleichterte. Es wurde die extremste Herausforderung in meinem bisherigen, oft extremen, Leben. Ich musste lernen damit klar zu kommen, dass sich mein Leben und das meiner Familie komplett änderte.

Mental-Training mit Matthias Ithaler

Diese Woche besuchte ich meinen Freund Matthias bei seinem Infoabend über Mental-Training. Erstmals seit März 2016 besuchte ich überhaupt einen Vortrag. Bisherige Versuche, mich neuem auszusetzen, waren geprägt von Überforderung. Aber probieren geht über studieren. Ich muss es halt immer wieder probieren, meine Grenzen zu verschieben.

Mit Matthias beim Eiger Ultra Trail

Mit Matthias war ich 2013 beim Eiger Ultra Trail. Damals filmte ich für ihn und wir bereiteten einen Film vor, was für Metapher man im Trailrunning fürs Leben lernen kann. Diese Tage sollten auch mein Leben ändern. Ich war so fasziniert von der Atmosphäre die dort herrschte, dass ich mit dem Trailrunning begann.

Es ging mir nicht um Stockerlplätze oder Zeiten, sondern um das Erlebnis. Ein Jahr später stand ich beim Eiger Ultra Trail am Start. Es war ein tolles Erlebnis, das mich nicht mehr loslassen sollte. Zwar lief ich keine Wettkämpfe, aber machte tolle Touren in der Steiermark.

Matthias und ich beim Eiger Ultra Trail 2013,
Mental-Training beim Trailrunning
Matthias und ich beim Eiger Ultra Trail 2013, damals hatte ich noch über 80 kg

Der Vortrag als Gelegenheit zum Testen

Ich wollte diesmal testen, was ich bereits verstehen und aufnehmen kann und was nicht. Meine Aufnahmefähigkeit ist noch stark begrenzt, andererseits ist das Thema Mental-Training für mich seit langem präsent, so dass ich mich gewappnet fühlte.

Ich war vorsichtig, denn ich wusste nicht, wie ich auf soviel Information reagieren werde. Bisher schaltete mein Gehirn nach zu viel Input ab. Ich bin dann zwar noch anwesend, kann aber nichts mehr aufnehmen und möchte mich am liebsten hinlegen.

Der Infoabend war eine gute Gelegenheit, neue Synapsen zu bilden, ähnlich meinem Computerprogramm, mit dem ich ebenfalls dahingehend trainiere. Eine gute Gelegenheit also um, in einem doch recht geschütztem Bereich und vor allem in Wirklichkeit, zu trainieren.

Ich mache, was für mich möglich ist

Seit kurzem nehme ich Omega-3 zu mir, das ja beim Neubilden von Synapsen hilfreich ist. Mein Wille zu mehr ist da, nur das Gehirn macht noch nicht so schnell mit. Gehirn und Nerven stellen mich auf eine harte Probe. Ich mache, was mir derzeit möglich ist.

Leider zahlt die Krankenkasse nicht alles, was möglich wäre. Auf vieles muss ich verzichten, da es finanziell nicht drinnen ist. Ein wichtiger Aspekt werden daher Alternative Dinge sein, die ich selbst zu Hause machen kann.

Über Motivation, Identität und Ziele

itr Mental-Training

Es überraschte mich anfangs, dass ich doch recht aufmerksam den Worten folgen konnte. Es ist ein Bereich, mit dem ich im Moment viel zu tun habe. Aber es zeigte mir, dass ich mit etwas regelmäßigen die Synapsen wirklich wieder herstellen kann.

Beschäftige ich mich lange genug mit einem Thema, geht es gleich leichter. Allerdings schaltete mein Gehirn bei der ersten Frage auf Pausenstellung. Sofort war eine weiße Wand da. Es kommen mir einfach keine Gedanken dazu.

Fragen an mich

Die Frage war: Wie definiert sich ein Ziel? Obwohl ich mich oft damit auseinandersetze, konnte mein Gehirn nicht auf das Wissen zurückgreifen und das entsprechende finden. Die Verbindungen fehlen. Das Wissen ist noch da, aber die Verbindung dorthin fehlt. Es heißt das wieder, soweit wie möglich, herstellen. Da wartet noch eine Menge Arbeit auf mich.

Eigentlich ganz einfache Antworten, die jedem klar sind, sind mir derzeit nicht möglich. Das Wissen ist da, aber die Synapsen dazu fehlen. In einer Dreier-Runde sollten wir die Frage erörtern und die Ergebnisse präsentieren. Eine komische Situation für mich, in der mir meine Unzulänglichkeit wieder bewusst wurde. Aber diese Unzulänglichkeiten sind auch meine Chance. Ich darf alles neu programmieren.

Die Kraft der Gedanken

Folgender Spruch zeigt mir die Wichtigkeit des Geistes. Es ist nicht mein Schicksal des Hirnabszess und deren Auswirkungen, sondern mein Geist zählt.

"Der Mensch ist nicht Gefangener des Schicksals, sondern einzig und allein seines eigenen Geistes."

Franklin D. Roosevelt, 52. Präsident der Vereinigten Staaten

Daher ist die Arbeit am Geist so wichtig und dazu eignet sich Mental-Training sehr gut. Zum Glück habe ich mich schon vorher damit beschäftigt, so kann ich jetzt darauf zurückgreifen. Besonders die Vorstellungskraft spielt in meiner Genesung eine große Rolle.

Dort will ich wieder hin!
Mental-Training hilft
Dort will ich wieder hin!

Der Geist kennt keine Grenzen!

Wenn man erkennt, wie groß und stark der Geist ist, sind einem keine Grenzen gesetzt. Mental-Training hilft, seine Grenzen auszuweiten. Es ist kein Hokuspokus, der von heute auf morgen passiert. Das war es auch damals im Sport nicht. Aber wenn mir die Krankheit eines zeigte, dann ist es: Wie fokussiere ich mich auf eine Sache und bleibe dran!

Ich war früher im Sport sehr fokussiert, habe aber später in der Wirtschaft diesen Focus nicht immer beibehalten. Jetzt wurde ich durch die Krankheit dazu wieder gezwungen, fokussiert zu sein. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich esse, dann esse ich. Wenn ich schreibe, dann schreibe ich. Diese Liste lässt sich fast endlos fortführen. Denn auf alles was ich mache, ist meine Konzentration fokussiert. Es gibt kein Abschweifen und kaum Ablenkung mehr. Dazu lebe ich absolut im Hier und Jetzt.

Aus Erfahrung kann ich nur jedem empfehlen, sich mit Mental-Training zu beschäftigen. Matthias gibt kostenlose Infoabende, um sein System kennen zu lernen. Besonders interessant ist der Teil: Wer bin ich?

Mehr Information dazu findet ihr unter:  www.icorlink.at


Ich möchte heute anreißen, was für mich schon lange Thema ist. Der Umgang mit den Auswirkungen der Krankheit.

Anreißen deshalb, weil ich den Umfang bisher noch nicht erfassen konnte. Aber es ist ein wichtiges Thema und ich möchte nicht länger damit warten.....nämlich der offene Umgang mit der Krankheit und seine Auswirkungen auf die Umgebung.

Ich bitte um Verständnis, dass es unvollständig ist oder durcheinander. Dazu fehlt mir noch die Übersicht. Aber es ist wichtig und ich merke, ich kann jetzt beginnen es aufzuarbeiten.

Alleine gelassen

Alleine, eine der Auswirkungen
Ich fühle mich alleine

Es wird oft geschwiegen in diesem Bereich und man bekommt schnell das Gefühl, damit alleine gelassen zu werden. Oft sind es auch Scham oder Angst, mit dieser Situation nicht zurechtzukommen. Dieses Tabu möchte ich brechen. Der Sinn meines Blogs ist es, mit diesem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen. Lösungen habe ich nicht, aber ich kann sagen, was ich mir gewünscht hätte.

Die Auswirkungen der Krankheit sind ja mein Thema hier im Blog. Bisher behandelte ich nur meine eigenen körperlichen und geistigen Auswirkungen und meine Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben. Es ist sicher interessant, wie man in dieser Lage damit umgeht, sich auch nach Rückschlägen wieder aufzurichten.

Untrennbar mit der Krankheit verbunden sind Schwierigkeiten, die während des Krankheitsverlaufs auftreten oder einem in den Weg gelegt werden. Ich bin mit  vielen Dingen neben der Rehabilitation beschäftigt, dabei geht es doch für mich in erster Linie darum, wieder gesund zu werden. Dieses "Allein gelassen werden"  nimmt einen großen Teil ein, der mich auf dem Weg zurück ins Leben oft behindert. Dazu ein andermal mehr.

Auswirkungen auf das Umfeld

Ein weiterer Aspekt, der dazu gehört, ist die Auswirkung auf das Umfeld. Je nachdem wie groß dieses ist, ist sie mehr oder weniger groß. Dazu gehört alles, was mit dem Ausnahmezustand zu tun hat. Familie, Freunde, Ärzte, Krankenhaus, Arbeitskollegen, Ämter, Behörden und, und, und.....! Ich kann gar nicht alles aufzählen, da ich das noch nicht gesamt "denken" kann.

Von einem Tag auf den anderen trat ein Ausnahmezustand auf. Niemand, der nicht schon selbst in einer solchen Lage war, kann das in diesem Umfang nachvollziehen. Man kann es verstehen, aber nicht wirklich nachvollziehen, wie es den Personen geht. Obwohl in einem solchen Fall so viel passiert und sich verändert, ist es nach wie vor ein Tabuthema. Man spricht kaum darüber, gibt sich nicht preis, oft einfach aus Scham so schwach zu sein.

Dabei gilt: Was ist, dass ist. Es ist geschehen. Die ersten Wochen verkroch ich mich zu Hause. Ich konnte nicht denken und mich nur wenig bewegen. Jeden Kontakt zu Außenstehenden vermied ich, weil es mich belastete. Zu Sprechen war mir nur begrenzt möglich. Selbst mit Silvia konnte ich nicht über die Probleme sprechen, die anstanden. Mein Organismus war nur auf sich selbst konzentriert und ließ gar nichts anderes zu.

Zu Hause und doch nicht da!

Es war eine schwierige Zeit, wieder nur ansatzmäßig ins Leben zu finden. Erstmals bekam ich mit wie es Silvia geht, wie es den Kindern geht. Und konnte doch nicht darauf reagieren. Ich war zu schwach, die Defizite zu groß und ich musste noch so viel neu lernen. Kaum aus dem Krankenhaus draußen, waren wir auf uns alleine gestellt.

Ich war zwar zu Hause, aber so mit mir und den Auswirkungen beschäftigt, dass ich mit allem anderem überfordert war. Silvia war mit den Problemen noch immer alleine gestellt. Dabei wollte sie einfach einmal nur durchschnaufen, sich aussprechen, reflektieren können. Aber es war mir noch nicht möglich.

Die Angehörigen werden meist von keinem Sicherheitsnetz aufgefangen, wie ich es als Betroffener erleben durfte. Mir wurde sofort und längerfristig geholfen und die Schulmedizin tat ihr möglichstes. Ich bekam im Krankenhaus unter anderem psychische Betreuung, da mit den Folgen eines Hirnabszesses auch psychische Probleme auftreten können.

Bei einer Untersuchung wurde einmal festgehalten, dass bei mir keine Suizidgedanken vorliegen bzw. feststellbar sind. Ich kann mir gut vorstellen, dass nach so einem Vorfall der Eine oder Andere ans Aufgeben denkt.

Während der 5 Monate im Krankenhaus wechselten zahlreiche andere Patienten in meinem Zimmer. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Ich sah jedem an, ob er leben wollte oder nicht. Die einen arbeiteten an sich und waren optimistisch, andere hatten sich aufgegeben und waren negativ.

Sicherheitsnetz für Angehörige gab es nicht

Auf einen wichtigen Teil in diesem Puzzle wurde allerdings vergessen. In meinem Fall auf Silvia und die Kinder. Sie wurden von keinem Netz aufgefangen. Sie waren sich selbst überlassen und damit heillos überfordert. Das ganze Ausmaß und die Auswirkungen eines solchen Schicksalsschlages sind enorm und für Unbeteiligte schwer nachvollziehbar.

Unserer beiden Familie ist nicht groß, daher waren auch nicht viele helfende Hände da. Meine Mutter übernahm Kinderdienste. Meine Tante half organisatorisch, ging mit zu Ämtern und kümmerte sich um mich im Spital. Dann war es aber aus. Mehr waren nicht da.

Um die Lage zu erklären.... Silvia war größtenteils auf sich allein gestellt. Sie sollte den Kindern Sicherheit geben, mit der Schule helfen, täglich kochen und den Haushalt führen. Dazu der tägliche Besuch auf der Intensivstation, verbunden mit der großen Sorge um mich. Dass ich um mein Leben kämpfte, bekamen sie und ein paar Menschen im näheren Umfeld mit.

Es gab von Tag zu Tag nur eine einzige Frage: wird es besser oder schlechter. Bei mir setzten die Lähmungen ein und ich wurde immer schwächer. Keine guten Aussichten. Von vollständiger Genesung bis zum Pflegefall oder auch dem Tod, war alles möglich.

Am Limit

Formulare ausfüllen

Silvia konnte sich in dieser Situation aber nicht nur auf mich konzentrieren, was das nächstliegendste gewesen wäre. Nein, sie hatte ja auch die Kinder und den Haushalt. Und es kam recht bald noch etwas dazu. Sie hatte meine Gewerbe aufzulösen und so schnell wie möglich die Erwerbsunfähigkeitspension für mich anzusuchen. Aufgrund von Investitionen im Jahr davor war kaum Geld da und es drohte die Zahlungsunfähigkeit.

Sie musste den Mitarbeiter entlassen und an so vielen Fronten kämpfen, dass sie eigentlich gar keine Zeit für die Kinder oder die Sorge um mich dafür hatte. Die Existenz stand am Spiel.

Vieles lastete auf Silvias Schultern. Sie kämpfte an einer anderen Front ums Überleben. Mehrere Freundinnen wandten sich ab von ihr, weil sie mit der Situation nicht umgehen konnten oder wollten. Silvia fühlte sich alleine gelassen. Sie hätte manchmal nur jemanden gebraucht, der ihr seine Zeit gab und zuhörte. Hilfe anfordern war ihr nicht möglich, denn sie funktionierte nur mehr. Gedanken und Überlegungen waren kaum möglich. Es war und wurde zuviel.

Psychologische Hilfe für zu Hause blieb aus

Der Jüngere bekam Probleme in der Schule, was eine zusätzliche Belastung brachte. Ich lag auf der Intensivstation, von alldem nicht berührt, was draußen vor sich ging. Zwischendurch war Silvia richtig wütend auf mich, dass ich sie so im Stich gelassen habe. Sie wusste weder ein noch aus, aber alles drehte sich nur um mich.

Es erkannte niemand, weder im Krankenhaus noch anderweitig, dass eigentlich Silvia und die Kinder psychologische Hilfe benötigt hätten. Besonders die Sache mit unserem Sohn belastete sie sehr. Sie war so am Limit, dass sie nur mehr irgendwie funktionierte, um das Wichtigste zu erledigen. Die Gedanken drehten sich unaufhörlich im Kreis. Ruhe zu finden war kaum möglich.

Tätigkeiten wie Kochen oder die zahllosen Erledigungen wurden fast unlösbar, Telefonate immer schwieriger. Sie konnte kaum mehr abheben und zuckte zusammen, wenn das Telefon läutete. Gespräche mit Ämtern und anderes wurde fast unmöglich, so auch Überlegungen, was sie wie angehen sollte.

Danke an meine Freunde

Nach der OP im Krankenhaus

Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um mich bei verschiedenen Freunden zu bedanken. Ich war sicher kein schöner Anblick im Krankenhaus, darum ist es umso bewundernswerter, dass sie mich trotzdem besuchen kamen. Sie gaben Silvia die Gelegenheit, etwas zur Ruhe zu bekommen. Nach der Operation war es möglich, mich einmal in der Woche zu besuchen. Mehr vertrug ich nicht. Damit war Silvia manchmal frei gespielt und konnte, soweit dies möglich war, auf sich selbst schauen.

Ich danke meinen ehemalige Radlerkollegen Flo, Niki, Heinz und Hermann, dass sie mich besuchten und mich in Gesprächen vom Alltag ablenkten. Ein Danke auch an Harry, der mich mit gesunden Nährstoffen versorgte und mir mental geholfen hat, sowie Dietmar, der mir mit fachlichem Rat aus seinem großen Background zur Seite stand.

Auch Alexander, der in Telefonaten Silvia immer wieder Trost spendete. Sorry, ich konnte leider nicht abheben 😉

Besonders bedanken möchte ich mich bei Bernd, der mich immer wieder besuchte und Silvia und meine Kinder unterstützte und ohne viel zu fragen geholfen hat.

Allen gemeinsam steht, dass sie meinen Anblick ertragen haben, der in der Zeit nach der OP nicht der schönste war. Danke dafür!

Soviel in einem ersten Bericht über die wohl schwerste Zeit in meinem Leben. Es wird noch mehr folgen, aber ich brauche noch Zeit, um vieles aufzuarbeiten. Viele Gedanken kommen erst jetzt oder werden mir wieder bewusst. Gerade mein jüngerer Sohn zeigt mir immer wieder viel auf und erinnert mich daran, dass es noch nicht vorbei ist.

Die Ausnahmesituation hält noch immer an und die Auswirkungen sind noch immer zu spüren, wenn auch ein wenig entschärft. Zeit spielt dabei eine große Rolle für mich. Ich lerne, was wirklich wichtig im Leben ist. Leider brauchte es die Krankheit dafür.

"Zeit ist alles, was du hast. Du könntest eines Tages herausfinden, dass du weniger davon hast, als du denkst."


Am 17. November gab es einen Bericht auf Puls4 über meinen "Mein Weg zurück ins Leben" zu sehen. Dazu besuchte mich ein Kamerateam von Puls4, mit dem Kameramann Robert Lerch, bei mir zu Hause.

Ein Jahr und 8 Monate sind seit dem Anfang des Hirnabszesses vergangen. Es sind meine ersten Videoaufnahmen seit damals.

Mein Weg zurück ins Leben

Puls4 Bericht
Mein Weg zurück ins Leben

Gestaltet hat ihn meine ehemalige Kollegin Nadja El-Gedawi. Der Beitrag wurde für die Reihe “Starke Menschen” in den Puls4 News gedreht.

Es war komisch für mich, einmal auf der anderen Seite der Kamera zu stehen. In den letzten Jahren machte ich genau diese Art von Beiträgen. Für mich lag die Herausforderung im Interview, wo mir mehrmals die Wörter oder was ich sagen wollte, entfallen ist.

Zum Ersten mal selbst auf Filmaufnahmen gesehen

Dazu  konnte ich mich zum ersten Mal selbst auf Filmaufnahmen sehen. Ein bisschen bin ich erschrocken, mich so zu sehen. Es hat mich aber motiviert, mich auch mal mit der Videokamera festzuhalten. Bisher war es mir aber nicht möglich. Ich muss mich erst wieder langsam daran gewöhnen.

Es war gut, mich einmal selbst zu sehen. Wie ich gehe und wie ich spreche.

Vicky Wolf mit Kameramann Robert Lerch von Puls4
Interview zu Mein Weg zurück ins Leben
Vicky Wolf mit Kameramann Robert Lerch von Puls4 und ich

Meine Message “Nicht aufgeben” war der Aufhänger für den Film. Selbst in scheinbar aussichtslosen Situationen nicht aufzugeben. Das war nicht immer klar. Denn gerade am Anfang wäre es leicht gewesen nicht mehr zu wollen. Diesen Gedanken hatte ich aber nicht in mir.

Es wird noch lange dauern, bis ich wieder ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben führen kann. Bis dahin heißt es, weitermachen. Als ehemaliger Postler gibt man nur einen Brief auf, nicht sich selbst!

"Never give up"


Die Bewegung hat für mich noch immer Vorrang. Wobei das andere, das Denken und Greifen, dabei sowieso mittrainiert wird.

Ich bewege mich noch immer Schritt für Schritt weiter. Wie auch seinerzeit beim Gipfelgang auf den Denali. Auf 6000 Meter geht alles langsamer, wie auch heute. Darum beschreibt es meinen derzeitigen Zustand sehr gut mit diesem Vergleich. Mein jetziger Gipfelgang dauert allerdings länger und ist mit nichts bisherigem vergleichbar.

Körperlich fühle ich mich schnell außer Atem, brauche viele Pausen, die Langsamkeit beherrscht mich - eben wie Höhenbergsteigen. Dort ist auch Ausdauer gefragt. Wobei es diesmal mehr um die mentale Ausdauer geht. Man braucht einen langen Atem, um das durchzustehen. Ein Projekt von so langer Dauer hatte ich noch nie.

Schrittweise vorwärts bis zum Laufen!

Bis zum Laufen ist es noch ein weiter Weg. Ich musste anfangen wie ein Baby, mit dem Vorteil, schon einmal gegangen und gelaufen zu sein. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein schrittweiser Beginn. Mein derzeitiger Stand mit Gehen und Laufen ist ähnlich jemandem, der mit starkem Übergewicht beginnt oder der lange Zeit überhaupt keinen Sport machte.

Im Krankenhaus ging es erstmals darum gehen zu lernen. Am Anfang war es schon schwer nur aufzustehen, später hantelte ich mich am Bett entlang, bis ich frei gehen konnte, ohne mich anzuhalten. Es dauerte Monate bis zu den ersten Schritten im Freien. Nach 5 Monaten konnte ich gerade 50 - 100 Meter am Stück gehen. Dann war die Kraft zu Ende, ich brauchte eine Pause und musste mich hinsetzen.

Bewegung, Schritt für Schritt

Meinen geduldigen Therapeutinnen gehört dafür großes Lob, dass sie mir wieder Gehen beibrachten. Es war ungewohnt für mich, als Sportler gesagt zu bekommen, was man zum Gehen alles braucht. Welche Muskeln, auf was ich achten soll, Abstände der Schritte, richtiges Abrollen und vieles mehr. Meine ganze Kraft und die Gedanken waren auf das wieder Erlernen von Gehen und auf die Bewegung ausgerichtet.

Meine dünnen Beine

Meine Beine waren damals um die Hälfte dünner als vorher. Nur Haut und Knochen, gestützt durch Thrombose-Strümpfe. Erst nach meinem ersten Reha Aufenthalt nahmen meine Beine an Umfang wieder zu und das Gehen konnte wirklich beginnen. Auch den Puls musste ich erst in Schwung bringen. Ein einziger schneller Schritt brachte mich zum Schnaufen und bergauf gehen war sowieso nicht möglich.

Meine Beine im Krankenhaus
Meine Beine im Krankenhaus

Es änderte sich dann vieles ab Februar 2017. Der Schleier der Krankheit begann langsam zu verschwinden und meine Defizite wurden ersichtlicher. Ich musste akzeptieren, dass mir nicht einfach nur die Kraft und die Ausdauer fehlten, sondern dass die neurologischen Defizite doch stärker als gedacht waren. Immer wieder auftretender Schwindel und Gleichgewichtsstörungen stehen bis heute an der Tagesordnung. Es bessert sich, aber eben nur sehr langsam.

Neurologische Defizite beim Denken und in der Bewegung

Diese neurologischen Defizite beinhalten auch mein Denken. Bisher habe ich diese Defizite immer nur am Rande erwähnt. Das körperliche Handicap stand für mich im Vordergrund, weil es mich offensichtlicher behindert. Aber das Denken ist trotzdem entscheidend, auch für die Bewegung, weil die eben nur mit Multitasking funktioniert.

Meine Denk-Defizite sind aber auch, dass ich leicht Sachen zum Erledigen vergesse oder etwas verschieben muss, weil es mir zu viel wird. Es ist mir oft gar nicht bewusst, dass es so ist.

Ich habe ein Computer Programm für das Üben des Gehirns. Damit steigere ich meine Merkfähigkeit und Reaktionsfähigkeit. Auch das gehört zu meinem "Gipfelgang" dazu.

Lieber sind mir oft die praktischen Dinge im Alltag. Schauen, wie viele Dinge ich mir von der Einkaufsliste merke oder was ich zum Erledigen habe. Auch das Bloggen oder mich an verschiedenste Dinge von früher wieder erinnern, ist Teil meiner "Therapie". Der Alltag ist Therapie.

Automatisation im Alltag

Alles an mir ist stark verlangsamt. Die Reaktionsfähigkeit, die Bewegung und das Denken. Das Hirn hat eine wichtige Funktion. Es steuert die Bewegungen, was früher hauptsächlich automatisch geschah. Diese Automatisation funktioniert bei mir aber nicht mehr oder nur eingeschränkt. Muskeln, Bewegungsabläufe - alles muss ich andenken und steuern lernen.

Zumindest auf Asphalt kann ich schon mehrere Meter automatisiert gehen. Es ist wie eine Erlösung, einmal nicht denken zu müssen. Dieses dauernde Konzentrieren kostet nämlich enorm viel Energie. Daher bin ich am Ende des Tages (oder meist früher) erschöpft. Die Gehirnleistung fordert mich gleich wie die Körperliche.

Worüber ich früher nie nachdachte, nämlich das Gehen, kostet jetzt unheimlich viel Energie. Laufen ist noch immer weit weg, erst muss ich gehen lernen, die Technik verbessern. Das ist aber nur im Kleinen möglich. Es gibt keine großen Sprünge.

Überschaubare Zwischenziele setzen

Es war für mich immer klar, wieder gehen zu können. Das dies aber nicht selbstverständlich sein sollte, musste ich erst erkennen. Meine Zwischenziele ändern sich immer wieder, da sich so viel an mir ständig ändert.

Meine kleinen Ziele sind vielfältig. Einen neuen Score am Computer Programm erreichen, balancieren auf einem Baum lernen, eine weitere Strecke automatisiert zu gehen schaffen und noch vieles mehr. Anhand dieser kleinen Schritte kann ich auf Zwischenzielen aufbauen.

Eines ist für nächstes Jahr, auf einem Pilgerweg unterwegs sein. Einen Teil des Franziskusweges von Florenz weg zu gehen, wäre schön. Der Jakobsweg wird mir zu lang sein, wenngleich es eine Herausforderung wäre.

Pilgern als Ziel

Dass alles so lange dauert, hat auch einen anderen Grund. Ich habe von vielen Betroffenen gehört, die denselben Problemen ausgesetzt sind. Zunächst auf Reha, tut sich viel. Man hat den ganzen Tag Zeit, sich mit sich selbst auseinander zu setzen. Kaum zu Hause hat man zusätzlich zu einem selbst, noch mit den Herausforderungen des Alltags zu tun. Auch ich versuche beides unter einen Hut zu bekommen, was aber selten gelingt.

Ich muss am Morgen genau überlegen, was ansteht und was erledigt gehört. Da bleibt nicht immer Zeit und Kraft für's Training über.

So sieht es bei mir derzeit aus. Auf jeden Fall mache ich das Beste aus allem!


Diese Woche stand mein erster Besuch in der Kraftkammer oder, wie man heute sagt, im Fitness Studio auf dem Programm.

Ich erinnere mich an meine Zeit als aktiver Straßenradrennfahrer Ende der 80-iger Jahre zurück. In den Katakomben des Liebenauer Fußballstadion stemmte ich meine ersten Gewichte. Vor uns waren immer die Spieler des SK Sturm dran, danach hatten mein Radteam und ich 90 min. Zeit fürs Training.

Kraftkammer versus Fitness Studio

Im Fitness Studio, früher Kraftkammer
Gehen lernen, zuerst bewusst, dann wieder automatisch

Es war noch eine der alten Kraftkammern, mit Gewichten aus Eisen, wie es sie heute kaum noch gibt. Schon Arnold Schwarzenegger trainierte hier in seinen jungen Jahren. Das war meine erste Bekanntschaft mit Krafttraining. Diesmal kam ich allerdings unter anderen Vorzeichen und es hieß nicht mehr Kraftkammer, sondern Fitness Studio.

Ich brauchte recht lange Zeit für das Lernen der Geh-Technik und machte dabei, vor allem im Sommer, diverse Kräftigungsübungen im Wald. Das ging lange miteinander einher. Ein Sturz auf der Stiege zeigte mir vor kurzem aber mein Kraftdefizit unweigerlich auf. Unter punktueller Belastung auf einem Bein knickte ich ein. Daher werde ich wieder mehr Augenmerk auf Kraft und Beweglichkeit legen.

Das letzte Mal war es im Juni,  im Zuge der Reha in Judendorf, dass ich Geräte für Krafttraining und ein Laufband (Gehband) zur Verfügung hatte. Die Reha war anstrengend, brachte mir aber viele Übungen, wie ich den Sommer über meine Standfestigkeit verbessern konnte.

Danach benötigte ich eineinhalb Monate, um mich zu Erholen. Ich war allerdings motiviert, soviel Zeit wie möglich, in der Natur zu verbringen. Das auf der Reha gelernte, habe ich versucht, im Wald umzusetzen, was auch ganz gut gelang.

Dazu zählte das Gehen auf unebenen Untergrund im Wald und besonders die Ausdauer. Ich habe heute zwar noch das Problem, dass ich oftmalige Pausen brauche, aber ich kann mich, zeitlich gesehen, schon länger belasten. Nach dem Krankenhaus waren es vielleicht 100 Meter, die ich gehen konnte. Heute schaffe ich, an besonders guten Tagen, 5 Kilometer.

Minus Grade  - daher auf ins Fitness Studio

Fitness Studio

Im November wurden die Tage immer kälter. Minus Grade in der Nacht und nur wenige Plusgrade am Tag. Wenn ich am Morgen aufstehe oder wenn ich wo länger sitze, brauche ich ein paar Meter, um die Steifigkeit aus dem Körper und den Gelenken zu bekommen. Die Muskeln und Bänder behindern meine Beweglichkeit und die ersten Meter mühe ich mich ab, wie einer von den Teletubbies. Die Sprunggelenke sind besonders betroffen. Keine guten Voraussetzungen für mein Training, da mir die Kälte im Freien es nicht einfach macht.

Aus diesem Grund der Entschluss, mich endlich im Fitness Studio anzumelden. Ich bin ja an für sich kein Freund davon, in Innenräumen zu trainieren. Die Vorzüge sind aber diesmal da. Ich kann spezifisch die Muskeln ansprechen und aufbauen. Obwohl ich  lange im Leistungssport tätig war, waren nach meinem 5-monatigen Krankenhausaufenthalt Muskeln beeinträchtigt, die ich noch nie gespürt bzw. gar nicht gewusst hatte, dass sie existieren. Es ist in dieser Beziehung ein wirkliches von Null an.

Muskel und neurologische Probleme

Beinpresse im Fitness Studio

Allerdings sind nicht NUR die fehlenden Muskeln das Problem, sondern auch die neurologischen Defizite. Deswegen erwarte ich mir jetzt keine Wunder. Es ist aber an der Zeit, einen Ausgleich zu meiner anderen Bewegung zu machen oder besser gesagt, meiner Nichtbewegung. Mein ganzes Bindegewebe hat abgebaut und die Muskeln sind schlaff und locker. Ich spüre das besonders in der Rückenmuskulatur, die von der Schlaffheit sehr betroffen ist und Schmerzen verursacht.

Da heißt es Schritt für Schritt vorgehen. Langsames steigern und nur auf mich schauen. Mich nicht von anderen beeindrucken lassen. Meine Gewichte, die ich auflege, sind nicht mit dem zu vergleichen was andere verwenden. Habe ich früher bei der Beinpresse 220 kg gedrückt, sind es im Moment 80 kg. Begonnen habe ich mit 20 kg in der ersten Reha. Dasselbe beim Rückentraining. 10 bis 15 kg verwende ich zurzeit.

Man muss schon sagen, es ist gut, dass ich den Schritt wagte, endlich ins Fitness Studio zu gehen. Für mich steht die Rehabilitation am Programm und in erster Linie möchte ich meinem durch 5-monatiges Liegen geschwächten Körper wieder mehr Stabilität geben. Außerdem tut die neue Umgebung wohl und ich bin motivierter für Stretching.

Neue Reize setzen spielt ja eine große Rolle bei mir. Auch wenn man es mir optisch nicht ansieht, ich bin noch in Reha und baue meinen Körper völlig neu auf. Das merke ich auch an den Gewichten. Ich lasse alles in Ruhe auf mich zukommen und werde auf mich schauen.

Einen Ablaufplan habe ich mir geschrieben, die Wiederholungsanzahl lasse ich noch offen. Mal schauen was ich vertrage. Am Anfang steht sicher mehr das Stretching im Vordergrund, die Gewichte werde ich sehr vorsichtig behandeln. Der Anfang ist jetzt einmal gemacht, ich habe es in der Hand daraus etwas zu machen.

Fernsehbericht auf Puls4

Am 17. November gab es einen Bericht auf Puls4 über mein Schicksal zu sehen. Dazu besuchte mich ein Kamerateam zu Hause. Hier könnt ihr den Bericht anschauen.

Gestaltet hat ihn meine ehemalige Kollegin Nadja El-Gedawi bei Puls4. Es war ein Beitrag für "Starke Menschen", im Rahmen der Puls4 News.

Puls4 bei mir zu Hause
Puls4 bei mir zu Hause


Es war komisch für mich, einmal auf der anderen Seite der Kamera zu stehen. In den letzten Jahren machte ich genau diese Art von Beiträgen. Für mich lag die Herausforderung im Interview, wo mir mehrmals die Wörter oder was ich sagen wollte, entfallen ist. Dazu  konnte ich mich zum ersten Mal selbst auf Filmaufnahmen sehen. Ein bisschen bin ich erschrocken, mich so zu sehen. Es hat mich aber motiviert, mich auch mal mit der Filmkamera festzuhalten. Bisher war es mir aber nicht möglich. Ich muss mich erst wieder langsam daran gewöhnen.

Meine Message "Nicht aufgeben" war der Aufhänger für den Film. Selbst in scheinbar aussichtslosen Situationen nicht aufzugeben. Das war nicht immer klar. Denn gerade am Anfang wäre es leicht gewesen nicht mehr zu wollen. Diesen Gedanken hatte ich aber nicht in mir. Es wird noch lange dauern, bis ich wieder ein selbständiges, selbstbestimmtes Leben führen kann. Bis dahin heißt es weitermachen.

"Als ehemaliger Postler gibt man nur einen Brief auf, nicht sich selbst!"


In meinem mittlerweile 31. Blogbeitrag seit April 2017 ziehe ich ein gesundheitliches Resümee nach meinem Hirnabszess. Ein Jahr und neun Monate sind seit der Erkrankung vergangen. Ich habe bereits mehrere Reha-Aufenthalte hinter mir und weitere stehen noch bevor. Derzeit trainiere ich täglich zu Hause – mit Fokus auf Bewegung und Ergotherapie.

In den letzten Wochen stellte ich mir nach dem Hirnabszess öfter die Fragen:

  • Wo stehe ich jetzt?
  • Was kann ich, was kann ich nicht?
  • Bin ich zurück im Leben?
  • Wie geht es mir eigentlich

Diese Fragen lassen mich nicht los – klare Antworten habe ich bisher kaum gefunden. Noch immer lerne ich, damit umzugehen, dass der Heilungsprozess so lange dauert. Die ständigen Veränderungen meines körperlichen Zustands erschweren es mir, mich selbst richtig einzuschätzen.

Manche haben das Ausmaß meiner Erkrankung gar nicht wahrgenommen – ich selbst eingeschlossen. Erst seit Kurzem kann ich mich intensiver damit auseinandersetzen, vorher fehlte mir diese Fähigkeit. Doch mein Gehirntraining zeigt erste Erfolge: Hin und wieder gelingt es mir, mehrere Gedanken gleichzeitig zu fassen und miteinander zu verknüpfen – zumindest, wenn es um meine Krankheit geht, mit der ich mich zwangsläufig oft beschäftige.

Daher möchte ich zunächst erklären, was ein Hirnabszess überhaupt ist und welche Folgen er für mich hatte.

Der Hirnabszess

Bei mir waren die Kopfschmerzen und der Schwindel so stark, dass ich von einer zur nächsten Stunde nicht mehr aufstehen konnte. Der Abszess lag am Thalamus, der Steuerzentrale des Körpers. Viele Bereiche wurden beschädigt oder beeinträchtigt.

Ein Hirnabszess – eine seltene, aber gefährliche Infektion. Dabei sammelt sich Eiter in einer Kapsel im Gehirn. Meist sind Bakterien die Ursache, die auf unterschiedlichen Wegen ins Gehirn gelangen. Oft entstehen sie durch Infektionen in der Nähe – in den Nebenhöhlen, den Zähnen. In meinem Fall waren es die Zähne. Keime überwanden die Blut-Hirn-Schranke und drangen ins Gehirn ein.

Ein Hirnabszess kann epileptische Anfälle auslösen. Oft treten Übelkeit und Erbrechen auf. Bei mir waren es vor allem die Kopfschmerzen und der Schwindel. Sie wurden so stark, dass ich von einer Stunde auf die nächste nicht mehr aufstehen konnte. Der Abszess saß am Thalamus – der Steuerzentrale des Körpers. Viele Funktionen wurden beeinträchtigt, einige dauerhaft beschädigt.

Thalamus im Gehirn.
Hirnabszess
Thalamus

Rechtsseitig war ich vollständig gelähmt – selbst mein Mund und die Gesichtsmuskeln waren betroffen. Dazu kamen Sprachstörungen. Mir selbst fielen sie kaum auf, doch für mein Gegenüber mussten sie unüberhörbar gewesen sein. Oft brachte ich nur einzelne, unzusammenhängende Wörter hervor, ohne es zu merken.

Mein Körper war schwach. Einen Arm zu heben, war Schwerstarbeit. Sich im Bett auf die Seite zu drehen, beinahe unmöglich. Auch mein Denken war eingeschränkt. Es gab nur das HIER und JETZT.

Nach der OP am Hirnabszess
Nach der OP

Nach zwei Monaten entschloss man sich für die Operation, die bei vollem Bewusstsein ablief. Da der Thalamus recht tief lag, eine nicht ganz ungefährliche Operation, die aber an und für sich recht gut verlief. Nachlesen über die OP, hier klicken.

Wenn du krank bist - sollst du nicht denken: "Ich bin krank", sondern - "Ich befinde mich in einem Heilungsprozess" - Die Krankheit ist die Heilung.


Safi Nidiaye

So war es auch bei mir. Auch ich hatte das Empfinden, vom ersten Tag an im Heilungsprozess zu sein.

Meine Aussichten vor einem Jahr

Die Aussichten vor einem Jahr waren ganz gut. Aber die Rehabilitation würde dauern, meinten die Ärzte. Ich soll mich auf einen längeren Zeitraum einstellen. Wie recht sie hatten!

Meine größte Herausforderung besteht darin, mein Denken mit meiner Bewegung zu verbinden. Am Anfang der Krankheit war das schon so und ist es jetzt noch immer. Bewegung hat für mich im Leben eine wichtige Bedeutung, daher nimmt es einen großen Teil meiner Therapie ein. Wieder unbeschwert gehen zu können, eine Runde im Wald laufen. Im Moment Wunschträume!

Und wie steht es jetzt um meine Bewegung?

Kurz gesagt: besser als vor einem Jahr. Ich kann weitere Strecken zurücklegen, und wenn ich über einen Platz gehe, fällt es kaum auf. Doch das ist nur die Außensicht. Innerlich sieht es anders aus. Noch immer muss ich jede Bewegung bewusst vorwegnehmen, mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren.

Die Automatisierung der Bewegungen? Nur teilweise gelungen. Am besten auf Asphalt. Für ein paar Meter kann ich gehen, ohne darüber nachzudenken – doch dann kommt die Unsicherheit. Das fehlende Gleichgewicht holt mich ein, das Denken kehrt sofort zur Bewegung zurück.

Eine meiner Übungen: Bälle in die Luft werfen, während ich gehe. Ich zwinge mich, mich abzulenken – und trotzdem weiterzugehen. Jonglieren? Noch kaum möglich. Vor allem in Bewegung. Meine Hände sind zu ungelenkig, meine Reaktionszeit zu langsam. Aber es wäre der nächste Schritt. Mal sehen, wann es so weit ist.

Bälle zum Jonglieren
Meine Jongliere-Bälle sind immer dabei

Laufen oder Trailrunning nach dem Hirnabszess

Gehen im Wald nach dem Hirnabszess

Aus oben genannten Gründen ist Laufen eben noch nicht möglich. Es geht mir zu schnell. Laufen passiert größtenteils automatisch. Ich komme mit der Koordination nicht mit, da ich nicht so schnell denken kann. Stürze wären die Folge und bei meiner Ungelenkigkeit zurzeit auch gefährlich. Das stresst mich. Deswegen bleibe ich beim Gehen. Laufen oder Trailrunning wird noch kommen, gut Ding braucht eben Weile.

Ich habe nie damit gerechnet, dass das Gleichgewicht eine so große Rolle spielt. Aber es ist so. Zusammen mit meiner verlangsamten Fähigkeit auf Reize zu reagieren, lässt es mich nur langsam vorankommen.

Standfestigkeit

In den letzten Monaten habe ich Fortschritte mit meiner Standfestigkeit gemacht. Löcher oder Unebenheiten im Boden sind kein so großes Problem mehr, wie am Anfang. Auch anrempeln vertrage ich jetzt besser und falle nicht gleich um. Begonnen habe ich in der Reha im Juni damit und dann damit fleißig weiter trainiert. Das Ergebnis freut mich, denn damit ist es mir leichter, wieder unter Menschen zu gehen. Ein Erfolg, den ich diesmal auch selbst mitbekommen habe.

Ergotherapie

Ergotherapeutisch habe ich noch Aufholbedarf. Es geht zwar schon besser, aber mir ist klar, dass noch mehr geht. Das Gefühl, die Hände gehören nicht zu mir, habe ich leider noch oft.
Es fühlt sich an, als seien sie Computer gesteuert. Kleine pingelige Arbeiten sind noch immer schwer, wie zum Beispiel eine Nadel aufheben oder mit dem Schraubenzieher hantieren.

Schreiben lernen
Meine ersten Schreibversuche


Mit der Hand schreiben tue ich mir noch immer schwer. Sehr langsam geht es ganz gut. Aber ich ermüde doch recht schnell mit der Hand. Eine halbe Seite DIN A2 voll schreiben ist das Maximum. Dann wird es unleserlicher. Deswegen bevorzuge ich den Computer, da geht mehr. Die Zweifingertechnik geht schon ganz gut.

Besonders die Kraft fehlt mir in den Händen. Eine Flasche aufschrauben oder hantieren mit Werkzeug geht nicht gut. Das ist für mich schwer zu verkraften. Ich habe Probleme, die Fahrräder der Kinder zu reparieren oder in der Wohnung kleinere Reparaturen zu machen.

Denken

Das Denken ist eine eigene Sache. Ich brauche viel Ruhe, dann kann ich über gewisse Dinge nachdenken. Was nicht heißt, dass ich auch zu einem Ergebnis komme. Unter Stress geht gar nichts. Die Reaktionsfähigkeit hat sich verbessert, ist aber noch immer langsam. Denken heißt aber auch, einzelne Körperfunktionen andenken, um sie ausführen zu können. Es ist sehr komplex und für mich schwer zu beschreiben.

Das Denken spielt jedenfalls in jeder Situation eine große Rolle. Multitasking zum Beispiel. Früher war das für mich, beruflich gesehen, ein Interview zu führen. Gleichzeitig die Kamera bedienen - das Bild im Auge zu behalten und auf die Antworten zu hören, um darauf reagieren zu können.

Heute ist Multitasking für mich anderes. Darüber habe ich früher gar nicht nachgedacht. Ein Beispiel - Gehen. Zum Gehen gehört so vieles. Ich muss jeden Muskel andenken, jede Bewegung, die Körperneigung, eventuelle Richtungsänderungen und, und, und...!

Multitasking
Multitasking

Diese Art Multitasking war früher selbstverständlich. Heute ist es das nicht mehr. Ich muss wieder lernen, alle Körperfunktionen zu automatisieren, eben Multitasking in Urform. Der Hirnabszess veränderte mein Leben.

Wo stehe ich jetzt?

Oft kommt es mir vor, als wäre alles ein Traum. Aber es ist umgekehrt. Der Traum ist Wirklichkeit.
Diese Wirklichkeit heißt es jetzt zu meistern. Das Schicksal annehmen, gehört zu den wahrlich nicht einfachen Dingen dieser Welt.

Aber zum Glück zeigen mir viele vor, dass es geht. Die Trailrunning- und Skitourenläuferin Gela Allmann, die Fernsehmoderatorin Monica Lierhaus oder der Skispringer Lukas Müller. Sie alle haben schwere Schicksale zu meistern.
Wie sagt Lukas Müller:

"Ich kann nur beeinflussen, was vor mir liegt, nicht das Vergangene." 

Auch mein Blick ist nur vorwärts gerichtet. Nie rückwärts. Leben tue ich nur nach vorne. Manchmal fällt es aber nicht leicht. Dann muss ich mir mein Ziel vor Augen halten und ich weiß wieder, wo es lang geht.

Es gibt noch viele Sachen, die betroffen sind. Ich kann sie gar nicht alle aufzählen. Das wichtigste ist hier beschrieben.


Feinfühligkeit und Hochsensibilität dominieren meinen Alltag. Der Hirnabszess hat vieles in meiner Wahrnehmung verändert. Reizüberflutung und hohe Empathie sind die Folge. Ich muss erst wieder damit umgehen lernen.

Es geht eben nicht nur um die Bewegung, es ist auch die Psyche betroffen. Vieles schon gekonnte muss ich wieder neu lernen oder entsprechend damit umgehen lernen.

Eustress und Disstress

In meinem früheren Beruf als Videojournalist hat mir eine hohe Stressresistenz die Arbeit sehr erleichtert. Im Sport lernte ich sehr früh, mit Stress umzugehen. Erhöhte Anforderungen steckte ich gut weg. Meistens bewegte ich mich damit im Eustress. Erst die letzten Jahre, vor dem Hirnabszess, war ich immer öfter Disstress ausgesetzt.

Die Folge war ein Abschalten des Gehirns. Es begab sich in den Ruhemodus und war ähnlich einem Computerabsturz. Reparieren braucht Zeit und oft dauert auch die Diagnose länger damit, was überhaupt kaputt ist. Bei mir ist nicht nur die Bewegung, sondern auch das Denken und die Wahrnehmung verändert.

Was alles betroffen ist, kann ich nur schwer erfassen oder beschreiben. Aus diesem Grund habe ich begonnen, darüber Buch zu führen. Das Aufschreiben und Ergänzen dauert noch immer an. Vieles wird mir erst mit der Zeit bewusst. Mein Zustand ändert sich täglich und das nicht immer nur zum Positiven.

Stress
Feinfühligkeit Hochsensibilität

Multitasking funktioniert nur bedingt

Das ist das Schwierige am Training und fürs Üben allgemein. Ich brauche so viele verschiedene Maßnahmen, dass ich das gar nicht alles (an)denken kann, geschweige denn durchführen. Multitasking funktioniert immer noch nicht wirklich. Im Moment versuche ich beim Gehen mit jemanden zu reden, einen Ball in die Luft zu werfen oder nebenbei Musik zu hören. Damit werde ich abgelenkt und ich denke nicht so sehr an die Bewegung des Gehens. Ziel ist noch immer, es wieder zu automatisieren.

Seit kurzem schreibe ich mir einen Wochenplan, wo ich versuche, möglichst alles abzudecken und einzubinden. Mit Schwerpunkten und aufbauenden Phasen. Ein Trainingsplan wie früher im Sport, nur soll er mich diesmal dem Leben wieder näher bringen. So einen Plan zu schreiben ist eine Herausforderung, also eigentlich wieder Therapie. Denn ich muss mehreres andenken und versuchen unter einen Hut zu bringen. Oft nicht einfach.

 schreiben für Feinfühligkeit und Hochsensibilität

Feinfühligkeit, gut oder schlecht?

Heute geht es aber um die Feinfühligkeit und Hochsensibilität. Ein Phänomen, das mit der Krankheit gekommen ist oder besser gesagt, offen gelegt wurde. Ich bin löchrig wie ein Emmentaler Käse.

Feinfühlig war ich schon vorher und ich hatte auch eine gewisse Hochsensibilität. Das Kriterium ist, wie geht man damit um?

Ich hatte früher kaum Probleme damit und konnte es sehr gut ausschalten, wenn ich es nicht benötigte. Was Menschen in Einkaufszentren so stresst, konnte ich nicht wirklich verstehen. Jetzt kann ich aus eigener Erfahrung mitreden. Gerade große Kaufhäuser können eine Herausforderung sein.

FEINFÜHLIGKEIT UND HOCHSENSIBILITÄT

Als Videojournalist meisterte ich heikle Aufträge sehr gut. Gerade Interviews mit Menschen in schwieriger Lage waren meine Spezialität. Ich brauchte nicht viel nachdenken, konnte mich gut einfühlen und tat automatisch das Richtige. Da kamen mir Feinfühligkeit und Hochsensibilität sehr recht. Ich konnte sehr gut damit leben.

Auch auf Reisen hat es mir sehr gut geholfen. Ich war in den Slums von Agadez, Mombasas und vielen anderen Städten unterwegs. Die Begegnungen dort haben mich sehr geprägt. Ich hatte nie Angst oder gefährliche Momente erlebt. Im Gegenteil, ich wurde von den Menschen immer gut aufgenommen, behandelt oder beschützt.

Heute allerdings beeinträchtigt mich diese Hochsensibilität. Was früher so einfach zu handeln war, ist für mich heute anstrengend und belastend.

Was ist Hochsensibilität?

Ein Erklärungsansatz ist, dass der Thalamus bei hochsensiblen Personen mehr Reize als „wichtig“ einstuft, die das Bewusstsein erreichen. Eine für mich gute und logische Erklärung, was die Empfindlichkeit auslöste. Bei mir ist ja ein Abszess am Thalamus entstanden.

Thalamus
Thalamus

Es wird von einer höheren Intensität des Empfindens von Stimmungen der anderen Menschen berichtet. Man analysiert gründlicher und intensiver, mit einer Neigung zur Spiritualität. Dieses hohe spüren mit allen Sinnen wird auch als der sechste Sinn bezeichnet. Das alles kann ich auch an mir feststellen.

Der Unterschied zu damals ist, dass ich es jetzt nicht steuern kann. Ich war unter anderem Spezialist darin, mich Abzugrenzen. In meiner Zeit als Energetiker eine besonders wichtige Fähigkeit. Einerseits feinfühlig, andererseits konnte ich mich abgrenzen. Manche Energetiker nehmen die Eindrücke und Leiden ihrer Kunden zu stark an. Das führt in der Folge zu Stress und Burn-out. Damit hatte ich keine Probleme.

Bisher behandelte ich eigentlich nur den Einfluss von außen. Ein weiterer Aspekt ist der zwischenmenschliche Bereich, bzw. was in mir innerlich vorgeht. Noch kann ich nicht viel darüber schreiben. Es ist mir zu schwer, alles gleichzeitig zu erfassen. Es belastet mich aber, so viel von meinem Gegenüber zu spüren und aufzunehmen, egal ob VerkäuferIn, Partner oder Kinder. Sich abgrenzen zu lernen ist wichtig und auch, dem etwas Positives abgewinnen zu können, um daraus zu lernen.

Ausflug in die Stadt

Neben all den körperlichen Defiziten, belastet mich die Feinfühligkeit am meisten. Ich lerne langsam damit zu leben, für alle Reize so empfänglich zu sein. Manchmal nicht leicht.

Ich kann mich gut an meinen ersten Ausflug, mit der Straßenbahn in die Stadt, erinnern. Es war Spät-Herbst vorigen Jahres. Am Jakominiplatz stieg ich aus. Es war ein Schock. Straßenbahn von links, Bus von rechts, Radfahrer von vorne und überall Fußgänger. Dazu ein Klingeln und Hupen.

FEINFÜHLIGKEIT UND HOCHSENSIBILITÄT am Jakominiplatz

Mit meinem damals noch recht engen Tunnelblick war ich überfordert. Ich ließ mich neben eine Säule bringen, machte die Augen zu und versuchte mich zu entspannen. Dann wollte ich nur mehr weg von dort. Nach einiger Zeit beruhigte ich mich und ich konnte den Platz überqueren. In den Ausläufern des Stadtparks fand ich Zuflucht.

Heute ist es etwas besser

Es war damals noch zu früh für die Innenstadt. Aber wann ist zu früh? Ich wollte es ausprobieren und mich den Reizen aussetzen, um den nächsten Level zu ersteigen. Es brauchte aber damals noch Wochen, ehe ich den nächsten Versuch wagen konnte.

Das gleiche war mit dem Konzert letztens. Auch da wollte ich neues versuchen. So schraube ich immer wieder mein Limit, Stück für Stück, höher. Oder eben auch nicht. Den Faktor Zeit kann ich kaum beeinflussen.

Heute, ungefähr ein Jahr später, ist es nur um Nuancen besser. Der Tunnelblick ist unter Stresssituationen noch immer da, aber ich kann schon besser damit umgehen. Damals wusste ich nicht, was mich erwartet, heute kann ich mich darauf schon besser einstellen.

Einkaufszentrum

Dasselbe war mit meinem ersten Besuch in einem Einkaufszentrum. Der Gang durch die Eintrittspforte war schrecklich. Innerhalb vonSekunden war ich zahllosen Reizen ausgesetzt. So stelle ich mir den Übertritt in die Hölle vor.

In solchen Momenten engt sich mein Blick ein und ich konzentriere mich nur mehr auf das, was direkt vor mir geschieht. Ich neh me nichts mehr von der Seite wahr und verfalle in eine Art Starre. Von der Seite querende Menschen sind der Horror. Ich will mich nicht mehr bewegen.

Einerseits erschreckend, plötzlich so auf Reize anfällig zu sein. Andererseits auch interessant, wie  Dinge auf einmal wahrgenommen werden.

Empfehlung

Zum Thema Hochsensibilität und Feinfühligkeit möchte ich auf den Youtube Kanal von Peter Beer hinweisen, der sehr gute Aspekte zum Thema findet. Seine Videos helfen mir sehr, meine momentane Situation besser zu verstehen und positive Aspekte zu finden. Wer mehr darüber wissen möchte, kann einmal hineinhören. Es zahlt sich aus.

Ich bin noch immer am Aufarbeiten der Umstände, die das Hirnabszess verursachten, dran. Das zu verstehen erfordert Zeit. Unter anderem ist auch ein Thema die Langsamkeit. Darum bin ich in der für mich richtigen "Schnelligkeit" unterwegs. Mein Gehirn legt das Tempo vor, in dem ich mich bewegen und denken kann.

Zum Schluss noch zwei Tipps, die mir helfen, damit umzugehen:

  • Nein sagen. Dinge ablehnen. Sich dabei nicht erklären. Sofort zum Punkt kommen – nein, das geht gerade nicht.
  • Eine gewisse Tagesstruktur und Routine einführen. Man muss am Tag weniger Entscheidungen treffen und der Tag verläuft damit angenehmer und ruhiger.

Meine 11 Punkte, wie der Hirnabszess mein Leben veränderte?

Früher oder später stellt man sich die Frage:
Wie sehr hat der Hirnabszess mein Leben verändert?

Ich habe elf Punkte gefunden, die mein Leben nach dem Hirnabszess geprägt und verändert haben. Für Außenstehende mag es vielleicht nicht offensichtlich sein, doch der Hirnabszess hat mein Leben zu einem großen Teil positiv beeinflusst. Ich durfte Erfahrungen machen und Erkenntnisse gewinnen, die den meisten Menschen verborgen bleiben.

Natürlich gibt es auch Dinge, die unangenehm sind – das lässt sich nicht leugnen. Doch ohne die schweren Momente hätte ich vieles nie entdeckt, nie verstanden. Manchmal braucht es Umwege, um den richtigen Weg zu finden.

Mein Schicksal, der Hirnabszess

Man lernt, die Spreu vom Weizen zu trennen. Ich könnte mit meinem Schicksal hadern, alles aufzählen, was nicht mehr geht, was mir verloren geblieben ist. Oder ich entscheide mich bewusst für den anderen Weg: den Blick auf das, was ich neu entdecken durfte, was ich anders machen darf. Ich habe mich für Letzteres entschieden.

Vieles habe ich schon in meinem Sportlerleben erlebt, doch manches glaubte ich nur zu wissen, ohne es wirklich verstanden zu haben. Erst der Hirnabszess hat mir die Augen geöffnet, hat mir gezeigt, was es heißt, Schattenseiten anzunehmen und in das Leben zu integrieren. Diese Erfahrungen, so schwer sie auch sein mögen, sind zu einer Quelle der Stärke geworden.

1. Ich lebe im HIER und JETZT

Seit dem Hirnabszess lebe ich im Hier und Jetzt – gezwungenermaßen. Doch gerade darin liegt ein Vorteil: Nicht an Zukunft oder Vergangenheit zu denken, macht es mir leichter, im Moment zu bleiben. Das Glück finde ich nur in der Gegenwart, nicht in einer fernen Zukunft, die vielleicht nie so kommt, wie man es sich ausmalt.

Schon in den letzten Jahren war das ein großes Thema für mich. Ich habe viele Bücher darüber gelesen, mich immer wieder damit beschäftigt. Doch trotz aller Theorie lebte ich zu oft in der Vergangenheit oder plante schon den nächsten Schritt, anstatt den gegenwärtigen bewusst zu erleben. Es klang gut, verstand sich leicht, doch aus meinem Gedankenkarussell auszusteigen war mir nie wirklich möglich.

Erst durch den Hirnabszess habe ich auf eindrucksvolle Weise erfahren, was es wirklich heißt, im Jetzt zu leben. Es ist keine Wahl mehr, sondern eine Notwendigkeit. Gedanken an morgen oder gestern haben keinen Platz, wenn der nächste Schritt alles ist, was zählt. Das Leben findet nur hier statt, genau in diesem Moment.

Und so finde ich in der erzwungenen Gegenwart eine unerwartete Freiheit. Die Freiheit, das Leben so zu erleben, wie es jetzt ist – ohne Gedanken daran, was war oder sein könnte. Ein einfacher Schritt, ein tiefer Atemzug, ein Moment voller Klarheit. In dieser Einfachheit liegt eine Kraft, die ich nie geahnt hätte.

Meine 11 Punkte, im Leben nach dem Hirnabszess

2. Ich habe die Chance bekommen, meine Festplatte neu zu beschreiben

Manches muss neu erlernt werden – Bewegungsabläufe, aber auch Verhaltensmuster. Doch nicht alles, was früher fest verankert war, war wirklich gut für mich. Im Rückblick erkenne ich nun vieles, was mich mehr belastet als gestärkt hat. Jetzt habe ich die Möglichkeit, bewusst umzudenken und meine „Festplatte“ neu zu beschreiben – so, wie es mir heute guttut und wie ich es wirklich brauche.

Im Grunde funktioniert geistiges Heilen genau so: Alte Muster erkennen, loslassen und durch neue, gesündere ersetzen. Das Gehirn neu programmieren, Schritt für Schritt. Es ist eine zweite Chance – ein Neuanfang, der nicht einfach ist, aber voller Möglichkeiten steckt.

Manchmal frage ich mich, ob ich ohne den Hirnabszess je die Notwendigkeit erkannt hätte, Dinge zu ändern. Vielleicht nicht. So gesehen ist dieser Einschnitt auch eine Einladung, das Leben bewusster zu gestalten und alte Pfade zu verlassen. Eine Gelegenheit, das eigene Denken und Handeln neu auszurichten.

Ich schreibe meine Festplatte neu – nicht, weil ich es will, sondern weil ich es muss. Und genau darin liegt die Chance.

3. Ich kann mein Leben völlig NEU organisieren

Abläufe, die früher automatisch abliefen, sind verschwunden. Routinen, die sich über Jahre eingebrannt hatten, existieren nicht mehr. Auf den ersten Blick ein Verlust, doch bei genauerem Hinsehen auch eine Befreiung. Vieles, was mich unbemerkt eingeschränkt hat, ist einfach weg.

Jetzt habe ich die Chance, mein Leben neu zu ordnen – nicht nach alten Mustern, sondern so, wie es mir wirklich entspricht. Warum also nicht gleich so gestalten, wie ich es möchte? Ohne die Automatismen, die mich gebremst haben, ohne die Gewohnheiten, die längst überholt waren.

Es ist, als hätte jemand den Reset-Knopf gedrückt. Eine Herausforderung, ja, aber auch eine Gelegenheit. Ich kann mein Leben bewusst formen, Schritt für Schritt. Es ist nicht einfach, diesen neuen Weg zu gehen, aber es ist mein Weg. Und ich bestimme, wohin er führt.

4. Schreiben als Therapie und an meinem Buchprojekt arbeiten (dauert halt noch)

Für den Blog zu schreiben hilft mir, die Krankheit zu verarbeiten. Es ist ein Weg, meine Gedanken und mein Tun festzuhalten und zu reflektieren. Da ich oft länger brauche, um Dinge wirklich zu verstehen, lege ich meine Gedanken schriftlich ab – um sie später, wenn die Zeit reif ist, noch einmal aufzugreifen und zu verarbeiten.

Manches halte ich gezielt für ein Buchprojekt fest. Bis zum fertigen Buch ist es jedoch noch ein weiter Weg, denn im Moment fehlt mir oft der passende Wortschatz. Für den Blog spielt das keine Rolle – hier bin ich einfach ich. Es muss nicht perfekt sein. Das Schreiben ist eine wertvolle Übung für mein Gehirn, auch wenn es lange nicht fehlerfrei ist. Die richtigen Formulierungen werden später kommen.

Oft vergesse ich, Dinge ausführlich zu beschreiben, weil mir schlicht die Worte fehlen. Doch das stört mich nicht. Wichtig ist, dass ich weitermache. Jeder Satz ist ein Schritt nach vorne, jeder Gedanke ein Baustein für das große Ganze. Schritt für Schritt wächst etwas heran – ein Buch vielleicht, aber vor allem ein Stück mehr Verständnis für meinen eigenen Weg.

Blog schreiben über die Erahrungen mit dem Hirnabszess

5. Ich kann mein Schicksal filmisch verarbeiten (vielleicht)

Hinter der Kamera

Das ist zwar noch weit weg, aber ich betrachte es als Möglichkeit. Da ich ja vom Film komme, ein naheliegendes Vorhaben. Derzeit fehlt mir der Überblick dafür. Ich kann noch immer schwer zusammenhängend und weiterführend denken. Für einen Film aber eine Voraussetzung. Vielleicht übernimmt diesen Part aber auch jemand anderes. Mir ist es derzeit einfach nicht möglich, mich damit zu beschäftigen. Mal schauen was die Zukunft bringt.

6. Ich lerne Laufen von der Pike auf (war bisher ja nur Radfahrer)

Das wird ein längeres Projekt. Ich war die letzten 2 Jahre vor der Krankheit Trailrunner, davor allerdings ein Leben lang Radfahrer. Jetzt muss ich in allem von 0 beginnen, wie ein Kind. Gerade die Technik beim Gehen und Laufen muss ich neu lernen. Das alles ist abhängig vom Fortschritt der Genesung. Gleichgewichts- und Koordinationsverbesserung sind der Grad meines Fortschrittes. Noch muss ich alles einzeln andenken, nichts geht automatisch. Ich kann keinen Schritt überspringen. Hier ist step by step angesagt, bis Gehen (Laufen) wieder automatisch funktioniert.

7. Ich habe die Muße zum Pilgern (langsames Gehen)

Langsames Gehen war lange Zeit nicht meines. Erst im Jahr vor der Krankheit begann ich Überlegungen über einen Pilgerweg anzustellen. Zu Silvias und meinem runden Geburtstag wollten wir uns mit dem Franziskusweg, von Florenz nach Rom, selbst beschenken. Es war ein Versuch, aus dem immer schneller werdenden Leben, auszusteigen. Es sollte nicht mehr dazu kommen.

Jetzt wird dieser Wunsch in mir wieder stärker. Die Muße für die Langsamkeit habe ich, Pilgern kann kommen. Ich lese Reiseführer und beschäftige mich mit dem Jakobsweg. Noch lässt es mein Körper nicht zu, obwohl der Plan in mir reift. Es ist ein gutes Zwischenziel auf dem Weg zum Laufen. Wobei der Jakobsweg eigentlich schon ein eigenständiges Ziel darstellt. Allerdings sollte die Kondition schon passen und da bin ich beim Gehen noch nicht so weit.

Kirchenfenster, Pilgern

8. Ich konnte mein Leben entschleunigen

Alles geht bei mir langsam. Bewegung, Aufmerksamkeit, Denken, einfach alles. Aus dieser Not habe ich eine Tugend gemacht. Ich konnte mein Leben wegen des Hirnabszesses entschleunigen. Ich sehe das als grossen Benefit. Manch einer sieht nur mein Handicap, meine Behinderungen im täglichen Leben. Aber dass ich damit aus dem Hamsterrad aussteigen konnte, ist vielen nicht bewusst.

Hape Kerkeling hat es schon vor Jahren vorgemacht. Mit dem Spruch und seinem Buchtitel "Ich bin dann mal weg!", hat er vielen aus dem Mund gesprochen. Immer mehr Menschen suchen einen Weg um auszusteigen, aus dieser schnelllebigen Welt zu fliehen. Auch ich suchte einen solchen, sah aber keinen und hatte nicht den Mut, es trotzdem zu tun. Das Hirnabszess regelte es dann für mich. Manchmal brauchen wir eben einen ordentlichen Hinweis, bis wir begreifen, dass ein Ausstieg doch geht.

9. Ich habe die Langsamkeit ins Leben integriert (gezwungenermaßen, tut aber soo gut)

Es gilt ähnliches wie fürs Entschleunigen. Das alles auf einmal langsamer geht, habe ich erst lernen müssen. Besonders die Bewegungen. "Zu schnell" geht gar nichts. Zeit ist nicht mehr von Bedeutung. So lange wie es dauert, dauert es eben. Schneller geht einfach nicht. "Kannst du mal schnell in den Keller Kartoffeln holen gehen?". Holen kann ich sie, aber nicht schnell.

Die Langsamkeit stellt aber auch einige Fragen:
Eine davon: "Was will ich eigentlich?"

Der Knackpunkt ist, nicht mehr so weiterzumachen wie bisher. Bei mir war für diesen radikalen Schnitt eben die Krankheit nötig. Sie definierte meinen Umgang mit Gesundheit neu. Der Lebensstil wird dem Neuen angepasst. Überlegungen wie "Was will ich wirklich?", kommen jetzt öfter.

10. Ich habe "NEIN" sagen gelernt (nicht immer und jederzeit für alle verfügbar sein)

NEIN

Das war etwas besonders Wichtiges für mich. Ich wollte immer für alle da sein. Habe immer "Ja" gesagt, auch wenn ich eigentlich  nicht wollte. Ich durfte erkennen, dass mit einem NEIN trotzdem alles funktioniert.

Aufgrund meines Handicaps muss ich oft NEIN sagen. Es würde mich sonst überfordern und oft einfache Sachen sind nicht machbar. Ich bin ja kaum belastbar. Die Krankheit brachte mir also vieles, was ich sonst kaum verändert hätte. Zu etwas "Nein" zu sagen, ist heute kein Problem mehr für mich. Hätte ich geahnt, wie einfach das ist, hätte ich nicht krank dafür werden brauchen. 😉

11. Ich genieße die Heilkraft der Natur (der neue Begriff: "Waldbaden")

Der Wald, mein Heiler

Der Wald und die Natur haben einen besonderen Stellenwert bekommen. Ich war schon immer gerne in der Natur unterwegs und genoss die Stille und Einsamkeit. Mit dem Hirnabszess bekam alles eine neue Bedeutung. Viele Menschen spüren sich nicht mehr und können so die Sprache der Natur nicht mehr verstehen. Durch meine Sensibilität und die gesteigerte Wahrnehmung kann ich die Natur jetzt noch besser wahrnehmen und aufnehmen. Ohne den Wald würde es mir jetzt noch nicht so gut gehen.

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als es im Krankenhaus zum erstenmal nach draußen, in die Nähe von Bäumen, ging. Nach über 4 Monaten im Zimmer war es endlich soweit. Ich sehe und spüre noch heute, wie es mir damals erging. Ich blühte innerlich auf. Hätte ich die Bedeutung des Waldes für meine Krankheit schon damals gewusst, ich hätte mich früher in den Wald bringen lassen. Er beschleunigt die Rehabilitation enorm. Darum gehe ich auch heute fast täglich in die Natur. Ein Tag ohne Wald ist für mich wie ein verlorener Tag.

Diese 11 Punkte umfassen großteils Punkte, die ich auch schon vor dem Hirnabszess ändern wollte. Allerdings konnte ich vieles nicht umsetzen, manches nur anreißen oder ich gestattete es mir nicht. Viel zu groß schienen mir die auferlegten Pflichten zu sein. Dafür opferte ich vieles, wenn nicht alles.

 Das Hamsterrad des Lebens

Um aus dem Hamsterrad des Lebens auszusteigen, ist Mut erforderlich. Nicht jeder braucht dafür ein Hirnabszess, so wie ich.  Vielleicht kann der eine oder andere Punkt helfen, sich hin und wieder aus der schnelllebigen Zeit ein bisschen zu entziehen. Ich wünsche es Euch! 


Mein Weg "zurück ins Leben" ist noch lange nicht vorbei. Es ändert sich derzeit laufend etwas. Jeden Tag, jede Woche, jedes Monat erlebe ich neu oder denke ich neu.

Mein "unmögliches" Ziel

Eiger Ultra Trail
Filmen beim Eiger Ultra Trail

Manchmal fällt es mir schwer, auf diese Veränderungen zu reagieren. Noch im Krankenhaus habe ich mich entschieden, meinen "Weg zurück ins Leben", über den Sport zu schaffen. Mir war klar, ich muss motiviert sein, um die Therapien durchzustehen. In meinen bisherigen Trainingslagern trainierte ich für ein Ziel. Ein gewisses Rennen, eine Rundfahrt oder einen Lauf. So sollte für mich der Eiger Ultra Trail das neues Ziel sein, mit einem ernsten Hintergrund.

So wie es 2013 utopisch war in einem Jahr, an diesem Ultralauf teilzunehmen, so utopisch ist dieses  Ziel auch heute. Wenn ich mir jetzt, nach 18 Monaten, meinen körperlichen Zustand anschaue, bin ich vom Trailrunning noch weit weg. So weit, dass ich es noch nicht richtig fassen kann. Trotzdem ist und bleibt der Lauf in der Schweiz mein Ziel.

In meiner Lage an Sport denken?

Mit Sport zurück ins Leben
Eiger Ultra Trail, First

Immer wieder sind Menschen irritiert darüber, dass ich vom Laufen spreche oder gar zum Eiger Ultra Trail möchte. Und das in meinem Zustand. Das ist verständlich, denn eigentlich stehen andere Ziele an. Gehen lernen, wieder zusammenhängend denken lernen und folglich, was mache ich beruflich weiter? Außerdem, wie kann ich mich wieder in die Gesellschaft integrieren?

Natürlich arbeite ich auch an diesen Dingen. Sogar vorrangig. Sie sind ja essentiell wichtig für mich. Aber an dem Ziel "Eiger Ultra Trail" hängt ja mehr, als viele glauben. Wenn ich dort wieder laufen kann, beinhaltet das mehrere Dinge. Mein Schwindel, bzw. das Gleichgewicht, muss dort wieder funktionieren. Ich muss bis zu 20 Stunden belastbar sein und auch noch nach Stunden konzentriert über schmale Trails bergab laufen können. Das Wetter einschätzen und noch vieles mehr gehört dazu.

Das heißt, umgelegt auf den normalen Alltag, dass ich auch diesen wieder bewältigen und beruflichen Herausforderungen trotzen kann. In einem Beratungsgespräch im Juli dieses Jahres waren auch meine beruflichen Aussichten ein Thema. Mir wurde erklärt, dass es auch Einrichtungen gibt, wo ich einfache Tätigkeiten ausüben kann. Damit kann und will ich mich aber nicht abfinden.

Seit 1996 bin ich selbständig und habe gemacht, was mir Sinn gab. Die letzten 10 Jahre war ich mit Videoproduktionen über interessante Themen beschäftigt. Unter anderem auch Berichte über "Jugend am Werk" oder die "Lebenshilfe". Dort lernte ich Menschen mit Handicap kennen und den achtsamen Umgang mit Ihnen. Es waren für mich lehrreiche Beiträge. Jetzt bin ich plötzlich einer von Ihnen, einer mit Handicap.

Wie geht es weiter mit "Zurück ins Leben"?

Meine Gehirn kann sich noch immer nicht mit der Zukunft beschäftigen. Aber eines weiß es. Ich kann nicht Kisten zusammen bauen, etwas anmalen oder ähnliche einfache Tätigkeiten machen.

Darum hat der Sport für mich einen besonderen Stellenwert. Es klingt ja irgendwie absurd. Da befinde ich mich mitten in den Vorbereitungen für einen Ultra-Lauf, bekomme ein Hirnabszess und möchte danach wieder einen Ultra-Lauf laufen. Eigentlich ein Blödsinn. Aber mein Ziel bleibt ein Ultra-Lauf und das macht für mich sehr wohl  Sinn.

Denn daran hängt mein restliches Leben. Denn in Wirklichkeit geht es nicht um den Lauf, sondern darum, dass ich es körperlich schaffen kann - nicht muss. Denn wenn ich soweit bin, den Eiger zu schaffen, dann habe ich wieder die Möglichkeit, meinen Part in der Familie, als Partner und Vater, aber auch beruflich, wieder einzunehmen. Deswegen nimmt dieses Ziel einen so großen Platz ein. Gehen und Laufen lernen sind somit Zwischenziele auf dem Weg zum Hauptziel.

Meine Zukunft hängt von mir ab

Zurück ins Leben, das Gehirn entscheidet

Was ich in Zukunft erreichen möchte, hängt natürlich von mir ab. Mein Denken bleibt dabei einer der wichtigsten Faktoren, neben dem Training und den Übungen. Das Denken entscheidet, nicht nur im Sport, über Sieg oder Niederlage. Denken ist meine wichtigste Therapie auf dem Weg zurück ins Leben.

Für mich geht es nicht darum, über etwas zu Siegen. Für mich geht es darum, mit einer optimistischen, positiven Lebenseinstellung, jeden Tag aufs Neue zu bewältigen. Im Hier und Jetzt zu leben und das Annehmen der Situation, was auch immer kommen mag.

Ich muss aufpassen, nicht wie früher, vermehrt in die Zukunft abzugleiten. Das ist oft nicht leicht. Denn im Denken über die Zukunft verliere ich den Gegenwärtigen Moment. Dabei lebe ich im Jetzt. Nicht nur ich bin so einem Gedanken oft nachgelaufen. Besser ist es, eine Entscheidung so zu fällen, als wäre es die letzte. Das meinen viele Mentaltrainer mit "Auf des Messers Schneide leben!".

Ich tue mich natürlich leichter damit, habe ich doch die Erfahrung machen dürfen, am Tod anzuklopfen. Da wird das Leben gleich viel mehr wert und man macht keine halbherzigen Entscheidungen mehr.

Artikel in der "Kleinen Zeitung"

Letzten Sonntag kam ein Artikel über mein Schicksal in der Kleinen Zeitung. Die Überschrift sagt aus, wie ich vom ersten Tag an mit der Erkrankung umgegangen bin.

"Ich wusste, dass ich nie aufgeben darf und will!"

Kleine Zeitung, Krasser Jörg, zurück ins Leben
Ein Danke an die Kleine Zeitung und Thomas Neffe

Ich wurde mit dem Interview wieder an die Zeit im Krankenhaus erinnert und viele Vorfälle von damals kamen hoch.
Es waren gute und weniger gute Erinnerungen. Eine war aber besonders beeindruckend für mich. Die möchte ich hier erzählen und mich damit bei allen beteiligten Personen bedanken.

Auf der Intensivstation

Es war auf der Intensivstation und ich habe alles nicht so genau wahrnehmen können. Ich kenne keine Namen mehr und an die Gesichter kann ich mich nur sehr vage erinnern, wenn überhaupt. Das Datum weiß ich ebenfalls nicht mehr genau, es dürfte aber die dritte Woche auf der Intensivstation gewesen sein.

Ich habe in einem Beitrag meine Erlebnisse auf der Intensivstation ja schon einmal beschrieben. Dieses Erlebnis war noch nicht dabei. Ich erinnere mich jetzt wieder daran und möchte es hiermit öffentlich machen.

Überraschung auf der Intensivstation

Neurologie LKH Graz

Ich konnte, praktisch gesagt, noch immer nur liegen. Mehr war mir fast nicht möglich. Hin und wieder sollte ich mich am Bett zur Mobilität aufsetzen. Den Krankenschwestern war der Stuhl dazu lieber. Ich mochte ihn gar nicht, denn dafür war ein irrer Aufwand nötig. Und das für eine Viertelstunde sitzen, denn mehr halte ich nicht aus. So war meine erste Mobilisation. Für mich entsetzlich anstrengend.

Da kommen zwei Krankenschwestern nach dem Frühstück zu mir und eine sagt: "Jetzt haben wir was besonderes vor. Sie liegen schon so lange, jetzt gehört einmal eine Dusche gemacht!".

Zuerst war ich freudig überrascht, denn seit drei Wochen wurde ich zwar fürsorglich in der Früh gewaschen, aber ich konnte noch nie baden oder duschen. Meine Haare waren schon strähnig und verklebt. Aber dann kommen mir Bedenken. Ich bin einerseits froh, aber andererseits verunsichert. Wie sollte das denn funktionieren? Aufsetzen ist schon schwer genug, aber duschen? Ich kann es mir beim besten Willen nicht vorstellen.

Ich soll mir keine Sorgen machen, dafür wären sie ja zu zweit, zerstreuen sie meine Bedenken. Leicht gesagt, ich kann ja kaum mithelfen. Schon alleine umdrehen ist mir nicht möglich. Ich lasse mich aber von Ihrer Fröhlichkeit anstecken und begebe mich vertrauensvoll in ihre Hände.

Zuerst muss ich aus dem Bett kommen. Es wird eine fahrbare Trage an mein Bett gerbracht und mit vereinten Kräften werde ich hinübergerollt. Vorbei an anderen Patienten werde ich in einen Raum gebracht, der mit weißen Kacheln verfliest ist. Auf einer erhöhten Fläche werde ich liegend geduscht, dass meine ich wörtlich. Denn mir selbst ist es kaum möglich einen Arm oder ein Bein zu heben, geschweige denn, selbst zu duschen.

Wasser - der Quell des Lebens

Baden in der Intensivstation

Mit Bedacht legen sie mich auf den Waschtisch und das angenehm temperierte Wasser rieselt über meinen Körper. Welch eine Wohltat! Das Haare waschen ist ein Gefühl, wie neu geboren zu werden. Jeder Handgriff sitzt, ich brauchte nichts tun, außer zu genießen.

Mit großer Professionalität gehen die beiden Schwestern ans Werk. Viele Emotionen überkommen mich. Ich lasse sie frei fließen. Aufregung und Motivation wechseln mit Frustration ab. Schmerzlich wird mir bewusst, dass ich mich kaum bewegen kann. Ich möchte mich aufstützen, knicke aber ein, der Arm ist zu schwach. Ich fühle mich als lebendiger Fleischkloß. Frustration über das Nicht-Gelingen des Aufrichtens überkommt mich. So wechseln sich meine Gefühle und Emotionen ab.

Ich finde mich mit der Situation nicht ab. So schwerfällig mein Gehirn und mein Körper arbeitet, so genau weiß ich, dass ich nicht resignieren werde. Dieses Wissen bringt mich über schwache Momente hinweg. Ich bin so froh, duschen zu können. Es ist ein erster Schritt zurück ins Leben, wenngleich das, was ich unter Leben verstehe, noch sehr weit weg ist.

Mehr als "Duschen"

Bei der  Denali Besteigung (6190m) konnte ich mich 11 Tage nicht duschen, nur begrenzt waschen. Bei -25 Grad auch kein Wunder. Es war nicht angenehm,  täglich Schwerarbeit zu verrichten und zu schwitzen. Aber es war auszuhalten, ebenso der Gestank. Hier liege ich nur im Bett und hätte man mich nicht geholt, es wäre mir gar nicht aufgefallen. Mein ganzes System ist nur auf Überleben eingestellt. Duschen ist darin nicht vorgesehen.

Danach aber war es ein Unterschied. Ich war nicht nur sauber gemacht. Mit dem Duschen wurde mir auch ein Teil der Krankheit abgewaschen. Zumindest hatte ich das Gefühl.
Den Rückweg ins Bett bekomme ich fast nicht mehr mit. Zu groß ist die Erschöpfung. Ich bin den beiden unendlich dankbar. Ihre Fröhlichkeit hat auch mich angesteckt und mir trotz meines Zustandes, wieder Optimismus gegeben.

Überhaupt waren die mich umgebenden Menschen fröhlich und freundlich. So wurde die Intensivstation kein Ort des Schreckens, sondern ich habe sie in sehr guter Erinnerung behalten.

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich dem Leiter der Neurologie, Univ.-Prof. Dr.med.univ. Franz Fazekas, sehr herzlich danken. Für fünf Monate waren die diversen Stationen mein zuhause und die Betreuung war hervorragend.

Mein Dank gilt auch allen Bediensteten der Neurologischen Station. Egal ob Intensivstation, Reha- oder Normalstation, ob Arzt, Krankenschwester, Pfleger oder Putzfrau. Ich kenne fast niemanden namentlich, aber es waren alle um mich bemüht.   

VIELEN HERZLICHEN DANK  DAFÜR!


Behindert - Wenn alles plötzlich anders ist, wie es war!

Ich definiere mich deswegen als behindert, weil ich es schlichtweg bin. Wenn ich sage „Ich bin behindert“, dann ist das kein Selbstmitleid und kein Eingeständnis von Schwäche, sondern es ist derzeit so.

Es ist nun an der Zeit, dass ich einmal über mein Handicap schreibe. Denn ja, ich habe eines (oder mehrere). Und Handicap meint, dass ich Behinderungen habe, die mir das Leben erschweren, besonders wenn ich in der Öffentlichkeit unterwegs bin. Ich muss damit rechnen, dass sich einiges eventuell nicht mehr viel verbessert.

Behindert - Wenn alles plötzlich anders ist, wie es war!

Also, was versteht man unter Handicap?

  • eine soziale (und/oder körperliche) Benachteiligung aufgrund einer Behinderung
  • Vorbelastung, Erschwerung, Benachteiligung
  • Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.

Seit März 2016 kämpfe ich um meine Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben. Von einem Tag auf den anderen war nichts mehr wie zuvor. Ich musste von 0 anfangen.

Die Vorgeschichte zum Projekt "von 0 auf 101"

Ich hatte 2014 ein Projekt vor, dass sich mit dem Beginn von 0 an beschäftigte. Damals wurde von mir die Idee des "von 0 auf 101" geboren. Es sollte meinen Weg zum Trailrunner zeigen. Mein Leben war bestimmt vom Radfahren und ich hatte mit Laufen nichts am Hut. 2013 dann der Wendepunkt. Ich filmte beim Eiger Ultra Trail für eine Werbeagentur. Die lockere Atmosphäre gefiel mir und ich entschied mich, ein Jahr später am Start zu stehen.

Mein Trailrunning-Fieber war ausgebrochen. Ich lief zwar kaum Wettkämpfe, war aber viel in den Bergen unterwegs. Für 2016 hatte ich die Teilnahme am Großglockner Ultra-Trail (GGUT) geplant. Doch es kam anders.

Eiger Ultra Trail, noch vor der Behinderung
Die Eiger Nordwand

Einschneidendes Erlebnis: Hirnabszess

Ab März 2016 stand mir ein 5-monatiger Krankenhausaufenthalt bevor. Erst Ende August kam ich mit den Nachwehen eines Hirnabszess aus dem Krankenhaus.

Die folgenden Monate musste ich mein Leben komplett von vorne beginnen. Wie ein Kind lernte ich wieder Gehen, Greifen und sogar Denken. Ich war noch viel mit dem Rollstuhl unterwegs, da ich nur wenige Meter zu Fuß zurücklegen konnte. In der letzten Woche machte man mich darauf aufmerksam, dass ich einen Behinderten Ausweis beantragen soll.

Es war schwierig für mich, den Antrag zu stellen, stand dann doch schwarz auf weiß fest, dass ich behindert bin. Damit wollte ich mich nicht abfinden. Es sollte noch drei Monate dauern, bis ich soweit war. Denn ich brauchte lange, um zu realisieren, dass ich mit meiner Rehabilitation noch länger brauche werde.

Behindert wegen Krankheit
Stunden nach der lebensrettenden OP

Mit Handicap in den Alltag

Meine Blogbeiträge behandeln in erster Linie, was ich im Krankenhaus erlebte oder was ich daraus lernen konnte. Was meine Defizite für Auswirkungen auf mich im Alltag und in der Öffentlichkeit haben, dieses Thema behandelte ich kaum. Die Öffentlichkeit eigentlich nie, denn dort halte ich mich ja kaum auf.

Und dann war er da. Mit dem Erhalt des Behindertenausweises wurde mir schwarz auf weiß bestätigt, dass ich behindert bin. Ein komisches Gefühl. Am Ausweis steht, dass mir das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zumutbar ist. Dafür darf ich gratis in Kurzparkzonen parken. Allerdings, seit März 2016 bin ich nicht mehr Auto gefahren.

Es ist zurzeit so, dass ich reaktionsfähig noch nicht in der Lage dafür bin. Es ist schwer für mich, darauf angewiesen zu sein, dass ich einen Chauffeur brauche, um wohin zu gelangen. Das war sicher die größte Herausforderung für mich, nicht mehr selbständig unterwegs zu sein, wann und wohin ich will.

Behindert im Alltag und Öffentlichkeit

Man sieht mir eigentlich kaum etwas an. Hätte ich ein Gipsbein, würde mir in der Straßenbahn jeder Platz machen oder auf der Straße ausweichen. Bei mir ist es anders. Rein äußerlich kann man kaum was erkennen. Trotzdem sind die Defizite da. Sie sind kaum sichtbar.

Die ARD Moderatorin Monica Lierhaus, von einer Hirnblutung betroffen, sagte einmal:

"Es gibt nicht nur den äußeren Teil einer Behinderung, den jeder außenstehende sofort erkennt. Von den unsichtbaren Behinderungen bekommen die wenigsten etwas mit." 

Wie recht sie hat. So geht es auch mir. Man sieht es mir nicht an, dass ich Handicaps habe. Den sie sitzen im Gehirn, schränken mich zwar ein, sind aber kaum zu sehen. Schon im Sport war ich ein eher nicht so kräftiger Typ. Daher versuchte ich mit einer perfekten Technik, die fehlende Kraft auszugleichen.

Beim Gehen lernen versuchte ich möglichst schnell, die perfekte Technik zu lernen. Die Kraft fehlt mir heute noch, aber die gute Technik bewahrt mich vorm Stürzen. Deswegen sieht man mir beim Gehen auch fast nicht an.

Wie gehe ich also damit um?

Zum Glück bin ich ein positiver Mensch und kann in jeder Widrigkeit etwas Gutes finden. Ich genieße es, dass alles langsamer geht. Natürlich fehlt mir das Laufen, aber die Langsamkeit konnte damit wieder in meinem Leben Einzug halten. Ich arbeite noch an meinem Ziel, laufen zu können. Aber es ist nicht mehr mein vorrangiges Ziel. Da alles so lange dauert, orientiere ich mich mehr an den Zwischenzielen. Das Laufen kommt damit automatisch.

Es ist ungewohnt, mich als Behinderten zu sehen und auch so zu behandeln. Besonders unter Menschen fällt es mir auf. In der Natur bin ich ich. Da ist es egal, ob ich ein Handicap habe oder nicht. Aber unter Menschen ist das nicht so. Da zählen Äußerlichkeiten sehr wohl und man fühlt sich beobachtet, wenn man sich nicht so verhält, wie es erwartet wird.

Mit Handicap eine Strasse überqueren

Es kann passieren, dass ich am Gehsteig nicht so schnell ausweichen kann oder langsam über die Straße gehe. Dazu ist meine Reaktion noch stark verlangsamt. Viele glauben dann, dass ich das absichtlich mache. Besonders Autofahrer fühlen sich schnell geärgert und reagieren sauer. Dabei gehe ich am Limit über die Strasse. Das mein Limit aber noch so langsam ist, können Sie ja nicht wissen. Mittlerweile habe ich mich gut unter Kontrolle und reagiere nicht darauf.

Vor einem halben Jahr war das anders. Mein Thalamus ist betroffen. Das hat zur Folge, dass ich meine Emotionen nicht leicht abstufen kann. Es gibt nur 0% oder 100% Emotion. Das war nicht leicht für mich. Deswegen bin ich auch kaum alleine auf die Straße gegangen. Drängte mich wer mit Hupen, schrie ich lautstark zurück. Heute geht es schon besser, weil mein Denken langsam zurück kommt. Dafür dauert alles länger, weil ich eine verzögerte Reaktionsfähigkeit habe.

Ich weiß, dass ich nur begrenzte Kraft-Ressourcen besitze, die einem Menschen ohne Behinderung nur schwer zu vermitteln sind.

Wo Licht ist, da ist auch Schatten

Ich bin ein bisschen konfus derzeit. Ich musste ausbrechen. Neues wagen. An die Grenze gehen, schauen wie weit ich komme. Dieser Test ging nicht unbedingt in die Hose, aber mir wurden meine Defizite eindringlich sichtbar gemacht. Im Wald geht es oft schon ganz gut, besonders die Aufmerksamkeit. Das mit der Stadt werde ich auch noch hinbekommen, noch stresst es mich sehr.

Der Test - Konzert "Laut gegen Armut"

Letzte Woche ging ich mit Silvia auf ein Konzert. Da es mir die letzten Tage im Wald sehr gut ging, dachte ich mir, dass möchte ich jetzt auch unter Menschen ausprobieren. Gesagt getan. Es war das Konzert "Laut gegen Armut", veranstaltet von der Volkshilfe.

Verbindung hatte ich nur zu einer Band, den Gnackwatschn. In meiner Zeit bei Puls4 habe ich sie Interviewt und als sehr angenehme Band kennen gelernt.

Lazt gegen Armut, Gnackwatschn
Die "Gnackwatschn"
Laut gegen Armut, Volkshilfe

Ich wollte das Durchziehen und mir zumuten. Ich kann mich doch nicht ewig vor anderen Menschen verstecken. Bisher wollte ich zwar das ein oder andere Mal eine Veranstaltung besuchen, habe aber jedes Mal einen Rückzieher gemacht. Es ging mir nicht gut im Vorfeld. Im Wissen, dass ich eine Sitzgelegenheit brauche, hält mich immer wieder zurück. Muss ich zu lange stehen, wird mir schwindlig und die Kraft fehlt auch noch.

Was mich auch stört, dass ich in einer Unterhaltung plötzlich nicht mehr weiter weiß. Dann fange ich zum Überlegen an und weiß nicht einmal mehr, worum es im Gespräch überhaupt ging. Früher war es mir peinlich. Jetzt frage ich einfach nach, worüber wir gerade gesprochen haben. So komisch das auch klingt. Meine Freunde haben sich daran bereits gewöhnt. Wer mich nicht kennt, ist verwundert darüber und fragt sich, was soll das denn jetzt.

Mein Leben ist oft Grenzwertig

Kurze Ausflüge in die Stadt mache ich ja immer wieder, um mich an den Lärm und die Hektik der Stadt zu gewöhnen. Es ist aber noch immer Grenzwertig. Ich ziehe mich sofort in mich zurück und wirke dann abwesend.

Beim Konzert wollte ich mich erstmals den vielen Menschen aussetzen. Ich war neugierig, wie ich auf das und die laute Musik reagieren werde.

Nervös und aufgeregt fuhren wir hin. Das kannte ich nicht von mir. Ich habe schon bei vielen großen Konzerten gefilmt und mit weltweit bekannten Gruppen Interviews geführt. Nervosität hatte ich nie. Diesmal war es anders. Ich kam mit dem Bewusstsein, dass ich ein Handicap habe. Meine Wahrnehmungen sind komplett gestört und werden von außen beeinflusst.

Die guten Tage im Wald konnten mir nur bedingt helfen. Das war eine neue Situation. Dem wollte ich mich aber aussetzen. Ich muss immer wieder meine Grenzen neu ausloten und verschieben. Mit dem Konzert war es ein neuer Schritt, den ich bisher noch nie wagte.

Der Beginn

Bereits beim Hingehen hatte ich einen unsicheren Gang. Vor der Halle waren bereits viele Leute und beim Einlass hatte ich bereits einen einsetzenden Tunnelblick. Fixiert auf Silvia, ging ich hinter ihr nach. An der Wand sah ich Sitzwürfel. Das war mein Ziel, auf das ich zusteuerte. Da ich nicht lange stehen kann, war eine Sitzgelegenheit vonnöten. Erst als ich mich hinsetzte, fühlte mich in Sicherheit. Gleich vor mir, war der Behindertenbereich. Mehrere Rollstuhlfahrer waren da.

Der Rhythmus der Musik

Konzert

Die Laute Musik war gar nicht so schlimm. Da hatte ich die meiste Angst davor und das ich womöglich noch während des Konzerts gehen musste. Auch der Rhythmus der Musik setzte bei mir ein. Lustigerweise mehr bei meiner rechten Hand, wo ich die Lähmungen hatte. Ich merkte eine Unbeholfenheit, denn ganz hatte ich die Hand nicht unter Kontrolle. Es war aber interessant, das ich so stark auf Musik reagierte. Ich werde in Zukunft mehr mit Musik arbeiten.

Das Denken war allerdings ein Problem. Ich muss noch zu viele Sachen einzeln Andenken. Deswegen war meine Hand zwar im Rhythmus unterwegs, aber es fiel mir erst auf, wenn ich daran dachte. Zu viel anderes wollte kontrolliert sein.

Hinausgehen

Als die Gnackwatschen vorbei waren, war genug. Wir brachen auf. Durch so viele Menschen zu gehen, war der pure Stress für mich. Nur reagieren, nicht agieren zu können. Es waren zu viele. Ausweichen zum Beispiel. Ich muss es erst einzeln andenken, dass ich das Bein, den Arm wegziehe, mich versuche seitlich durchzuschlängeln. Wobei, seitlich gehen, ist fast nicht möglich, da muss ich noch mehr trainieren.

Ich war meist zu spät dran. Ich laufe gegen Beine, ramme andere Menschen. Alles geht mir zu schnell. Das ist auch der Grund, warum ich noch nicht Laufen oder Trailrunning machen kann. Meine Reaktionszeit ist zu langsam. Laufen geht mir zu schnell. Ich kann nicht so schnell denken, wie ich für die Koordination dazu bräuchte.

Meine Denkkraft war aufs Äußerste angespannt und ich funktionierte nur mehr mechanisch. Das war das schlimmste für mich. Alleine hätte ich das nicht geschafft. Ich war trotzdem froh, alles so gut überstanden zu haben. Das Gehen über Asphalt zum Auto, war schleppend. Es hatte mich doch mehr mitgenommen, als gedacht.

Einmal mehr wurden mir meine Defizite wieder bewusst gemacht.

Fazit

never give up

Ja, diesmal war ich als Behinderter unterwegs. Steht auch so in meinem Behinderten Ausweis drinnen. 60% Beeinträchtigung. Und es ist noch immer so.

Da komme ich nicht dran vorbei.

Aber ich werde weiter trainieren und üben, dass wieder mehr möglich sein wird.


Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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