Je länger es dauert, umso mehr Gedanken und Erinnerungen an früher kommen hoch. Ich bereiste 2014 zusammen mit Silvia die Insel Sri Lanka. Die Besteigung des Adams Peak, der auch Sri Pada genannt wird, war eines unserer Ziele. Er ist auch für viele Pilger das Ziel.
Dieser 2243m hohe Berg gilt für vier Religionen als heilig. Diesen Pilgerweg sehe ich heute mit anderen Augen. Ich kann die Pilger jetzt besser verstehen und das damals Erlebte neu einordnen.
Wir lernten das Land mit Zug, Bus, Tuktuk und per Pedes in all seinen Facetten kennen. In vielen Gesprächen lernten wir die Einheimischen kennen. So erfuhren wir ihre Nöte, aber auch ihre positive Einstellung dem Leben gegenüber. Jahrelang wurden die Menschen durch Krieg schwer gebeutelt. Erst seit einigen Jahren herrscht wieder Frieden.
Für mich als Trailrunner war einer der Höhepunkte das Hochland. Hier thront der Adams Peak hoch über dem Dorf Delhouse. Es war eine Herausforderung die über 6000 Stufen zum Gipfel zu bewältigen. Ja, Stufen! In allen Variationen. Mal höher, mal weniger hoch.
Ich sah es spirituell und meditativ, allerdings fehlte die Zeit, um mich darauf richtig einzulassen. Auf- und Abstieg war an einem Tag zu bewältigen. Meditation und Innehalten blieben da auf der Strecke. Mein Meditieren war das Gehen und Stufen steigen.
Wir fahren mit dem Zug von Kandy nach Hatton. Dort angekommen, finden wir einen Bus nach Delhouse. Er ist bummvoll und wir sind eingequetscht wie Ölsardinen. Über eine kurvige Straße geht es weiter. In jeder Kurve werden wir hin und her geschmissen, aber da er so voll ist, ist umfallen nicht möglich. Nach eineinhalb Stunden Fahrt kommen wir am Ausgangspunkt für die Besteigung des Adams Peak komplett fertig an.
Der Adams Peak zieht Pilger und Touristen aus aller Welt an. Es heißt im Buddhismus, Buddha habe den Abdruck bei seinem letzten Besuch auf Sri Lanka hinterlassen. Hindus verehren die Vertiefung im Gestein als den Fußabdruck des Gottes Shiva, während die Muslime glauben, dass Adam dort seinen Fuß auf die Erde setzte, nachdem er aus dem Paradies verstoßen wurde. Christen sehen den Abdruck des Apostels Thomas, der ihre Religion nach Südindien brachte.
So ist dieser Pilgerweg für viele Religionen interessant, besonders aber für Buddhisten, die einmal in ihrem Leben am Gipfel stehen sollen. Das gilt im Besonderen für die Einheimischen. Außerdem gibt es nur wenige Stätten auf dieser Welt, die für vier Weltreligionen gleichzeitig als heilig gelten.
Für uns ist zunächst keine Eile angesagt. Ich möchte das Hochland nutzen, um die Gegend ein wenig läuferisch zu entdecken. Ich bereitete mich ja auf den Eiger Ultra Trail vor und möchte die Höhenlage für ein Training nutzen.
Unser Hotel liegt gleich neben der Aufstiegsstrecke auf den Adams Peak. Das Green House ist ein einfaches Guesthouse, aber in traumhafter Lage. Dort lernen wir die 90-jährige Miss Brenda kennen, die uns aus ihrem bewegten Leben erzählt. Sie war bereits rund 100 mal am Gipfel, wie sie uns erzählt.
Buddhistische Pilger glauben unter anderem daran, mit der Besteigung ein Jahr länger zu leben. Deswegen sieht man auch so viele ältere Pilger. Die Zeit bekommt für sie mehr Gewichtigkeit. Sie möchten durch die Besteigung ein Jahr mehr Lebenszeit erkaufen.
Vorbei an Teeplantagen, laufe ich einen Weg in die Höhe. Eine traumhafte Aussicht über die Bergwelt von Sri Lanka entschädigt für die Anstrengung, denn ich spüre die Höhe. Soweit das Auge reicht, ziehen sich die Teeplantagen hin. Nur zwischendurch komme ich durch Waldgebiet. Es gefällt mir so gut hier, dass ich mir vorstelle, ein Trainingslager hier abzuhalten.
Nach zwei Tagen, in denen ich dem Trailrunning fröne, heißt es umdenken. Der Weg auf den Adams Peak wartet. Er ist spirituell und meditativ zu sehen, nicht leistungsorientiert. Obwohl die rund 6000 Stufen hinauf auch körperlich einiges abverlangen, haben wir nicht die notwendige Zeit um uns ausreichend spirituell darauf einzulassen. Es bleibt ein Hinauf und Hinunter laufen. Im Nachhinein tut es mir leid, mir nicht mehr Zeit dafür genommen zu haben.
Handy läuten weckt uns aus den Träumen und es ist zum ersten Mal kühl in Sri Lanka. In unseren kleinen Rucksäcken nehmen wir nur das notwendigste mit. Eine Fleecejacke, eine Haube und ein Regenschutz gehören zum Standard. Dazu ausreichend Flüssigkeit und eine Packung Schnitten.
So starten wir um 2 Uhr morgens. Die Laternen lassen Holz- und Wellblechhütten dunkel erahnen. Vor uns erhebt sich mächtig der Berg im Mondlicht. Eine Lichterkette zieht sich in den Himmel. Es ist die Beleuchtung der Stiegen, erkennbar an der langen Lichterschnur von unten weg.
Unterwegs lassen wir uns an einem Teestand nieder und beobachten im Mondlicht die vorbeiziehenden Pilger. Auf den ersten Metern steht Bude an Bude, in denen auch warme Bekleidung angeboten wird. Unsere Jacken hätten wir getrost zu Hause lassen können. Alles was man braucht, bekommt man hier. Nach der Besteigung verschenkt man es weiter, zumeist an bedürftige. Nachhaltigkeit pur.
Stufe um Stufe geht es höher. Manche sind fast einen halben Meter hoch. Nach jeder Kurve schaut es anders aus. Einmal sind die Stufen flach und langgezogen, um im nächsten Augenblick steil nach oben zu führen. Heute, nach dem Hirnabszess, hätte ich Probleme damit. Die unterschiedliche Höhe der Stufen würde mir Probleme bereiten, besonders beim runter gehen.
Vorbei an rastenden Menschen geht es höher. Menschen mit Behinderung schleppen sich im wahrsten Sinn des Wortes, Stück für Stück höher. Jede Stufe ist ein Hindernis. Heute kann ich es nachempfinden was es bedeutet, mit Handicap dort hochzusteigen.
Ich empfand damals schon eine unglaubliche Hochachtung vor Ihnen. Erst jetzt kann ich es wirklich einordnen, was Sie leisten. Für mich in meinem Zustand wäre es unmöglich, dort hoch zukommen. Ich bin mir aber sicher, manch ältere Pilger ist nicht besser drauf wie ich im Moment. Aber diese heilige Stätte zu erreichen, verleiht Ihnen Kraft für den Aufstieg. Manche brauchen bis zu drei Tage nur hinauf.
Es wird immer steiler. Der Weg ist zwischendurch mit Stahlgeländer getrennt, um die Absteigenden von den Aufsteigenden zu trennen. Immer öfter wird man durch langsam Aufsteigende gestoppt, da es sehr eng ist. Ruhig wartet man auf einen passenden Augenblick, um zu überholen. Da kommt allerdings wieder das Getrieben sein der Europäer zum Vorschein.
Nach den letzten steilen Treppen steht das Kloster vor uns. Zahlreiche Pilger warten bereits auf den überall beschriebenen Sonnenaufgang. Es herrscht großes Gedränge. Touristen und Einheimische werden getrennt. Es ist kalt und ähnelt dem Anstellen auf dem Jahrmarkt.
Oben angekommen, schlägt man eine Glocke, so oft, wie man bisher den Berg erklommen hat. Manche schlagen öfter an, einige bis zu Zehnmal.
An der östlichen Seite des Klosters drängen sich Einheimische und Touristen, um den Sonnenaufgang zu erwarten. Wenige Plusgrade lassen jeden frösteln, aber in der Menge wird es nicht zu kalt.
Plötzlich taucht ein erster sanfter Lichtstrahl auf. In allen Farben beginnt es zu leuchten. Ein erhebendes Naturschauspiel beginnt. Die Stimmung ist beeindruckend. So beobachten wir den beginnenden Morgen, staunend die unter uns liegende Landschaft bewundernd.
Es ist aber noch nicht vorbei. In einer langen Schlange stellen sich die Leute an, um den Fußabdruck des Buddhas zu sehen und zu beten. Wir kommen an die Reihe, können aber vor lauter Tüchern am Boden nichts erkennen. Ein kurzes Gebet und der nächste ist dran.
Wieder draußen, setzen wir uns auf die Stufen und lassen uns von den Sonnenstrahlen erwärmen. Meine Gedanken fliegen dahin und ich lasse das Treiben der Pilger und die Landschaft auf mich wirken. Auch Silvia genießt die wärmende Sonne, bevor es die 6000 Stufen zurück nach unten geht.
Es war ein beeindruckendes Schauspiel, fast ein mystisches Erlebnis. Am imponierendsten waren aber für mich die Menschen, die diesen Berg erklommen. Stufe für Stufe schleppen sich viele empor und brauchen mehrere Tage nur für den Aufstieg.
Tiefgläubig murmeln sie Mantras und erhalten dadurch Kraft. In Meditation versunken, vergessen sie die Schwierigkeiten. So kommen sie ihrem Lebensziel, einmal am Berg oben zu stehen, näher.
Wenn es mir heute einmal nicht so gut geht, dann denke ich an diese Menschen. Das relativiert vieles. Es gibt mir wiederum Kraft, mein Schicksal anzunehmen.
Erst einmal anerkennen und akzeptieren was IST (Ich muss es nicht gut heißen). Wir können eine Situation nur verändern, wenn wir sie akzeptieren wie sie nun mal im Moment ist.
Erst dann kann ich darangehen es zu ändern.
Fragen über Fragen, die mich weiterbringen. Noch fehlen mir oft die Zusammenhänge. Mein Denken verbessert sich langsam, neue Synapsen gebildet. So werden sich mit der Zeit meine Fragen beantworten.
Die Pilger am Adams Peak leben es mir vor. Diese Erfahrungen haben Spuren in Silvia und mir hinterlassen.