Vor dem Pilgern musste ich Gehen lernen. Das Gehen hat eine enorme Bedeutung für mich, denn es beeinflusst auch mein Denken, meine Gefühle und Emotionen.

Mit dem Hirnabszess habe ich eine Aufgabe bekommen, die noch lange nicht zu Ende ist oder besser gesagt, erst mit meinem Tod aufhören wird. Seit dem Überleben des Hirnabszesses wurde die Frage nach meinem Hiersein oder dem Sinn des Lebens immer wichtiger. Ohne Sinn hätte ich die letzten Jahre nicht überlebt.

Den Sinn des Lebens finden
Den Sinn des Lebens finden

Sinn

Es ist mir nicht möglich zu Arbeiten oder kreativ tätig zu sein, um mir damit meinen Unterhalt zu verdienen. Was hat es also für einen Sinn zu existieren? Hätte ich nicht die Erwerbsunfähigkeitspension, könnte ich nicht existieren. Vor mehreren hundert Jahren hätte ich betteln gehen müssen oder wäre als Indianer alleine in die Wüste gegangen um zu sterben, damit ich für mein Volk keine Belastung darstelle.

Das sind Fragen die mich beschäftigen, die ich allerdings nicht oder nur sehr langsam weiterdenken kann. Da kommt für mich das Gehen ins Spiel. Ich brauche nur zu gehen und komme weg von den Gedanken, die ich doch nicht denken kann.

Ich lebe im Hier und Jetzt, konzentriere mich auf die Natur und spüre den für mich einzigen Sinn des Lebens, nämlich im Jetzt mit Freude zu sein. Das kann ich am besten in der Natur.

Der Lockdown hat vieles "zerstört", was ich mir mühsam in den letzten Jahren angeeignet habe. Besonders die Sensibilität hat zugenommen. Seit drei Monaten bin ich nicht mehr in der Stadt gewesen und es fühlt sich an, wie in der ersten Zeit nach dem Hirnabszess.

Verkehr, Menschen und Lärm strengen mich übermäßig an. Alleine Einkaufen ist ein Horror für mich. Am Hauptplatz von Graz würde ich mich kaum zurechtfinden, weil meine Sensoren alle geöffnet sind. Das merke ich an einer Steifigkeit in mir, die alles erfasst und das geschieht derzeit beim Einkaufen. An die Stadt mag ich gar nicht denken.

Wie gehe ich um damit?

Zunächst merke ich wieder eine erhöhte Vermeidungsstrategie. Ich setze mich Dingen, die mir nicht guttun, einfach nicht aus. Den Kontakt zur Natur habe ich intensiviert. Es geht mir nicht mehr ums Gewöhnen an Situationen, sondern mein Körpersystem dem Auszusetzen, was ihm guttut und es dadurch zu stärken. Alles andere vermeide ich.

Soziale Kontakte, lernen ins Kino zu gehen, Essen zu gehen und vieles mehr ist weggefallen. Es kommt zwar langsam wieder und immer mehr wird erlaubt, aber es ist neuerlich Therapie, mich daran zu gewöhnen, in die Stadt oder Essen zu gehen. Die Leichtigkeit des Lebens ging verloren. Eine Leichtigkeit, die ich mir besonders wieder im letzten Jahr anzueignen versucht habe.

Das erste Mal das Gefühl zu Leben hatte ich im vorigen Jahr am Camino Norte gemacht. Mit meinem Pilgerfreund Günter redete ich oft über, "...das Leben zelebrieren!" und ich versuchte es immer öfter. In der Gemeinschaft von vier, fünf Menschen erfuhr ich das Leben, ohne an Therapie zu denken. Es waren Momente, die mich mein behindert sein vergessen ließen.

Trotzdem wurde ich therapiert, ohne es zu merken. Ob Greifen, Hantieren, Essen, Sprechen oder meine Gedanken, ich begann all das einzusetzen, was ich mir mühsam über die letzten Jahre aufgebaut hatte. Das Gehen oder Pilgern wurde meine beste Medizin.

Noch im Februar dieses Jahres, am Camino Frances, hatte ich Pläne für das zukünftige Leben. Erstmals hatte ich es geschafft, in die Kathedrale von Santiago zu gehen, Museen zu besuchen oder durch Santiago zu schlendern. Das habe ich meinen Pilgerfreunden Effie und Pedro zu verdanken, die mich dabei begleiteten. Alleine hätte ich es noch immer nicht geschafft.

So konnte ich mich immer wieder den Reizen in vertretbaren Dosen aussetzen, die mich näher an das Leben herankommen ließen.

Leon, Leben lernen in der Stadt
Leon

Gehen lernen

Was viele übersehen, zu all dem Leben lernen, habe ich trotzdem noch immer gehen zu lernen. Das klingt komisch für einen, der drei Caminos in Spanien hinter sich hat.

Ich verbrachte bisher 3.500 Kilometer auf Pilgerwegen. Dazu kommen noch rund 4000 Kilometer, die ich zu Hause gegangen bin. Das ist nur eine Schätzung, denn ich schreibe es mir nicht auf. Wahrscheinlich bin ich noch mehr gegangen.

Das Gehen setzt wichtige Impulse in mir. Zunächst war es wichtig die Technik zu lernen und diese versuchen zu automatisieren. Am Automatisieren arbeite ich noch heute, denn ich bin Single-Tasking fähig, nicht Multi-Tasking. Automatisierung hilft mir da enorm.

Einer meiner größten Erfolge der letzten Jahren ist es, mich wieder auf ebenen Wegen und Strecken unterhalten zu können. Dafür waren unzählige Kilometer notwendig, bis ich so weit war. Bis dahin musste ich mich so aufs Gehen konzentrieren, das für anderes nichts übrigblieb.

Das Gehen hat auch großen Einfluss auf mein Denken. Kann ich nicht Gehen, stockt auch mein Denken. Mit Gehen meine ich immer Bewegen, denn wäre es mir nicht mehr möglich zu gehen, würde ich alles daransetzen, mich bewegen zu können. Viele Rollstuhlfahrer zeigen es ja vor, wie wichtig Bewegung für den Geist ist.

Noch immer beim Gehen lernen

Pilgern von zu Hause aus

Bisher bin ich mehrmals am Camino in Spanien gepilgert. Dabei entstand der Wunsch, von zu Hause weg zu Pilgern. Corona hat mir diese Entscheidung abgenommen. Zumindest in Österreich ist es wieder erlaubt und mein Ziel ist es, von Graz zum Bodensee zu gelangen.

Verhindert hat es bisher immer das Gewicht des Rucksacks. Ein Gehen mit Zelt und dem Zubehör zum Campieren im Freien war mir bisher zu schwer. Was also tun?

Am Camino gibt es ein engmaschiges Netz von Herbergen. Daher ist ein Zelt nicht notwendig. Auch in Österreich gibt es genug Gasthöfe und Hotels am Weg. Allerdings steigen die Mittel auf €50,- bis €100,- pro Tag. Das kann ich mir beim besten Willen nicht leisten. Als Alternative steht nur ein Zelt zur Verfügung, mit allen Vor- und Nachteilen.

Es kommt wieder mein 420g leichter Daunenschlafsack von Northland zum Einsatz, der bisher auf allen meinen Caminos dabei war. Als Isomatte nehme ich eine aufblasbare, 430g schwere Matte. Es gibt noch leichtere, aber diese eingesparten 160 Gramm werden mit €160,- erkauft. Zu teuer das Verhältnis von Gewicht zu Preis. In manchen Sachen bevorzuge ich die preislich günstigere Alternative. Der Schlaf- und Campingbereich macht somit einen großen Teil des Gewichts aus, dass ich zu tragen habe.

Bei der Ausrüstung zählt jeder Gramm
Bei der Ausrüstung zählt jeder Gramm

Kochen und Ernährung am Pilgerweg

Dazu kommt ein superleichter Kocher ins Gepäck, um zumindest Fertiggerichte zwischendurch zubereiten zu können. Vor allem Nudeln und Suppen kommen dabei zum Einsatz. Wenn möglich, werde ich auch Essen gehen. Aber da ich mit Zelt unabhängiger bin, werde ich öfter selbst kochen, vor allem wenn es in der Nähe nichts gibt.

Natürlich muss ich beim Kochen mehr aufpassen, denn auch zu Hause ist es eine Herausforderung. Vor allem mit Brandwunden bin ich gezeichnet, unterwegs darf da nicht zu viel passieren.

Ich werde mich sehr oft mit Kaltem begnügen, wie ich es auch am Camino in Spanien gemacht habe. Studentenfutter und Obst sind ideal für unterwegs, am Abend reicht Brot, Käse, Oliven oder Tomaten, eventuell mit einem Stückchen Wurst. Kaffee im Caféhaus zu trinken, gehört zum Lifestyle dazu, denn ich möchte mich ja nicht kasteien.

Ich bin kein Veganer oder Vegetarier, esse aber sehr wenig Fleisch. Alles zu Essen habe ich mir auf meinen Reisen in den letzten dreißig Jahren angewöhnt und bin dadurch sehr genügsam geworden. Vom Luxushotel, bis zur Nacht im Dschungel, war alles dabei, dementsprechend auch das Essen. Aber das war in der Vergangenheit und jetzt heißt es alles wieder neu lernen. Immer unter dem Gesichtspunkt, wie es mein Körper vertragt oder wie ich ihn an neues gewöhne.

Der Weg

Ich gehe einfach los. Die erste Zeit wird mich mein Sohn Elvin begleiten. Was liegt näher, als am Weststeirischen Jakobsweg zu beginnen. Er führt in meiner Nähe vorbei, bzw. ist die Wallfahrtskirche Judendorf Straßengel ein Zubringer. Über die Koralm führt der Weg in den Süden und mündet am Ende in den Jakobsweg Kärnten.

Je nachdem, wie man Gehen möchte, geht es im Süden weiter oder man geht nördlicher, auf die Hohen Tauern zu. Das ist mein erstes Ziel, Kärnten zu durchqueren. Danach werde ich weitersehen. Der weitere Hauptweg über Sillian, Brixen und dem Brenner nach Innsbruck fällt derzeit aus. Alternativen sind nur der Weg über die Hohen Tauern, um in den Norden auf den Jakobsweg Österreich zu stoßen.

Von zu Hause weg Pilgern, um Leben zu lernen.

Danach geht es über den Arlberg zum Bodensee. Ihn zu erreichen ist mein zweites Ziel. Danach bleibt alles offen. Weiter ginge der Jakobsweg durch die Schweiz und Frankreich, bis an die Grenze zu Spanien. Das ist aber alles Zukunftsmusik, da Corona alles unsicher macht, aber derzeit zumindest nichts unmöglich. Der Camino del Norte, mit dem Camino Primitivo nach Santiago, wäre eine schöne Sache, aber wie bereits gesagt, derzeit nicht sicher.

Eine ebenso schöne Überlegung würde mich zu Fuß vom Bodensee zurück nach Wien und weiter in die Steiermark bringen. Entscheidend wird sein, wie ich das Übernachten im Freien vertrage.

Pilgern nach Santiago von Zuhause aus. Leben lernen am Weg.

Mein Ziel im Ziel

Das Pilgern ist für mich die beste Rehabilitation. Meine Beweglichkeit, Wahrnehmung und Denken wird im Gehen verbessert, was könnte ich mir anderes wünschen.

Ich habe über zwei Jahre in Reha Zentren, bei privaten Physiotherapeut*innen, Ergotherapeut*innen und Logopäd*innen mit gezielter Therapie verbracht. Zwischendurch brauche ich es noch immer, aber die Arbeit an mir soll wieder mehr mit dem Leben zu tun haben.

Selbst zu Hause kann ich nicht so an mir arbeiten, wie auf einer Pilgerreise. Daher ist es meine beste Medizin. Gehen lernen am Weg!

Mit meinem Sohn Elvin

Es ist die letzte Zeit, ehe Elvin ins Berufsleben eintritt. Genauso wie Noah, möchte ich ihm den Camino davor noch ermöglichen. Es wird leider nicht der Camino in Spanien, aber ich denke, wir werden auch in Österreich viel Spass haben.

Camino heißt Weg, es muss also nicht der Weg in Spanien sein. Sicher hat es dort seine Vorteile, aber Pilgern ist eine Auseinandersetzung mit seinem Inneren. Das ist überall möglich. Zur Zeit von Corona macht es zu einer besonderen Erfahrung.

Elvin und Ich in Thal
Elvin und Ich in Thal

Dieses Erleben am Weg spiegelt das Leben im Allgemeinen. Diese Erfahrungen sind für sein späteres Leben gewinnbringend. Ich freue mich schon auf die Zeit mit ihm.

Buen Camino


Meine Herausforderung, Pilgern und Zelten

Pilgern und Zelten, diese Herausforderung habe ich bisher gemieden oder musste ich zwangsweise meiden. Der Grund bisher, immer nach Spanien zu fahren war der, dass ich dort eine bessere Infrastruktur vorfand, die meiner Rehabilitation zugutekam.

Die Corona-Krise hat mein Leben zum Dritten mal in den letzten vier Jahren durcheinander gewürfelt und verlangt wieder einmal einen gewissen Neustart. Diese Krise hat meine gesamte Wiederherstellung stark beeinträchtigt und bereits funktionierende Dinge, wieder auf den Kopf gestellt. Neue Wege und alternative Zugänge wollen gefunden werden.

Ich fühle mich oft wie ein Tiger, der im Käfig hin und her geht. Das Denken stellt sich allerdings nicht ein, daher versuche ich mich an das zu halten, was mir bisher geholfen hat. Was nicht leicht ist, denn selbst das hat sich verändert.

Zelten, eine Herausforderung
Zelten, eine Herausforderung

Pilgern

Das Pilgern ist mir sehr wichtig. Das viele gehen hat positive Auswirkungen auf mein Gehirn. Nach dem Lockdown fuhr mein System extrem schnell herunter und das beinhaltete auch mein Gehirn. Denken ist wieder mehr zur Herausforderung geworden, als vorher.

Von Ende Jänner bis Anfang März war ich ja am Camino Frances unterwegs. Die gesundheitlichen Fortschritte waren für meine Verhältnisse riesig und ich freute mich auf zu Hause und auf die weiteren Therapien.

Motivation Pilgern

Besonders auf die Traumatherapie war ich gespannt, denn dort erhoffte ich mir einiges. Auch mein körperlicher Zustand war so gut wie nie zuvor, trotz der noch immer auftretenden Schwindelanfälle und der verminderten Koordination durch die Muskelschwäche.

Innerhalb kürzester Zeit war wieder einmal alles anders. Mein Gehirn kommt damit kaum zurecht und ich brauche lange, um das alles zu verstehen. Pilgern im herkömmlichen Sinne, ist durch die Pandemie damit für einige Zeit gestorben. Ebenso wie alle anderen Therapien, Fitnessstudio und vor allem das Gewöhnen an den Trubel in der Stadt. Seit zwei Monaten war ich nicht mehr in Graz.

Die größten gesundheitlichen Fortschritte machte ich bisher beim Pilgern. Nach der Öffnung wurde Gehen wieder leichter möglich und zumindest, in Österreich, ist es wieder realisierbar.

Pilgern und Zelten

Damit komme ich zum Zelten. Seit dem Hirnabszess lebe ich von der Erwerbsunfähigkeit (Mindest-)Pension. Damit sind keine großen Sprünge machbar, aber die Struktur am Camino in Spanien ist für mich leistbar. Außerdem kommt mir das tolle Herbergsnetz entgegen, welches ich nur dort kenne.

Es gibt viele tolle Wege, auch in Österreich. Bisher war ich limitiert im Tragen. Die Muskelschwäche lässt mich alles drei- bis viermal so schwer fühlen. Vom Gefühl her fühlt sich mein bisheriger 5 kg Rucksack wie 15 bis 20 kg an. Daher achtete ich bei allem auf das Gewicht und bin sehr minimalistisch unterwegs.

Die Übernachtung im Freien war bisher kein Thema, denn das Zusatzgewicht von 1,5 bis 2 kg ist mir bisher nicht möglich. Wozu auch, gibt es doch genug Herbergen in Spanien.

Auf dem letzten Camino im Februar kam mir immer öfter die Überlegung, von daheim nach Santiago de Compostela zu gehen. Dem gegenüber stand bisher immer, dass das Übernachtungsnetz nicht so gut wie in Spanien ist und mein Einkommen für Übernachtungen in Hotels nicht ausgelegt ist. Zu Zelten ist somit unumgänglich. Dazu gehören weitere Dinge, die das Gewicht des Rucksacks erhöhen.

Zelten

Der Plan für heuer war ein anderer

Ursprünglich plante ich nach meinem Camino im Winter, wieder zum Camino Frances im April zurückzukehren, zusammen mit meinem Sohn Elvin. Vor seinem Einstieg ins Berufsleben wollte ich mit ihm zusammen noch die Erfahrungen des Pilgerns machen.

Die ursprünglich gedachte Version des Camino in Spanien, zusammen mit meinem Sohn, wird nicht möglich sein, daher sollte ein Ersatz her. Dieser Ersatz heißt jetzt "Pilgern in Österreich", allerdings mit Zelt. Ob es möglich ist, wird sich zeigen.

Es wird sich demnächst entscheiden, was genau erlaubt wird. Wichtig sind die Covid-Regeln, wie sie das Gehen und Reisen in Österreich erlauben oder beschränken. Entscheidend ist es aber, wie und ob mein Körper es überhaupt verträgt, mit dem Zelt im Freien zu übernachten.

Unbestritten ist, dass Pilgern mir in meiner Rehabilitation und Wiederherstellung sehr viel geholfen hat. Hätte ich es vor zwei Jahren nicht für mich gefunden, dann wäre meine weitere Rehabilitation nicht so positiv verlaufen. Das Pilgern motiviert mich und ich konnte damit bisher mehr erreichen, als ich mir erwarten konnte.

Wie lange ich es per Zelt aushalten werde, wird sich erst zeigen. Es ist mir für heuer damit eigentlich noch zu früh, aber es ist den Versuch Wert. Der Nutzen ist groß, um weiterhin Gehen zu lernen. Pilgern und Gehen gibt mir Sinn und gehört mittlerweile zu meinem Leben. Ich möchte es nicht mehr missen.

Los geht's Mitte Juni

Die Streckenplanung habe ich nur grob geplant und wird uns, zunächst im Südwesten Österreichs entlangführen. Ich starte mit meinem Sohn Elvin auf dem Weststeirischen Jakobsweg und kann damit direkt von Zuhause losgehen. Ich freue mich darauf, ihm das Leben von dieser Seite zu zeigen. Zu lange war ich als Vater nach dem Hirnabszess nicht vorhanden.

Dieses befreite losgehen, es ist so wichtig für meine Rehabilitation. Ich habe keine berufliche Aussicht, weder in naher, noch in ferner Zukunft. Mein Sinn im Leben besteht derzeit darin, wieder einigermaßen Leben zu lernen. Das Pilgern beinhaltet Training und Leben in einem.

Pilgern wurde für mich eine Suche nach innerer Begegnung und einem zusammenführen von Körper und Geist. Nur so kann ich meine Identität wieder finden. Ich kann mir nichts Besseres dazu vorstellen. Nach dem Hirnabszess genau das richtige für mich.

Hirnabszess

Meine Vorbereitung, mein Training

Die größte Hilfe zum Gehen lernen, bekam ich letztes Jahr von einem Psychologen. Er empfahl mir, langsam zu gehen. So langsam, dass man das Auftreten nicht hören sollte. Es ist eine besondere Art, das Gehen zu lernen.

Am Camino Frances, heuer im Februar, legte ich immer wieder Strecken in diesem Sinne zurück. Es trainiert jeden kleinsten Muskel. Da es durch die Muskelschwäche und die gestörte Reizweiterleitung lange dauert, darf ich nicht nachlassen. Es ist vergleichbar mit einem Tropfstein, wo jeder einzelne Tropfen wichtig ist, um langsam zu wachsen.

Durch den Lockdown habe ich viel von meinen Fortschritten verloren. Die psychische Belastung der letzten Wochen ist nicht zu unterschätzen.

Besonders die Wahrnehmung hat gelitten. Das Üben im Park von Frohnleiten zeigt mir viel auf. Die ersten Schritte über die Steine am Teich waren so anders, als zuvor. Ich habe viel zum Nachholen und werde am Jakobsweg-Österreich weiter daran arbeiten.

Gehen lernen

Therapie und Leben

Mit dem Beginn der Corona-Krise habe ich mich entschieden, die Therapie wieder in den Vordergrund zu stellen. Das vergangene Jahr ist wie unter einem Schleier verschwunden und das Leben lernen vorläufig in den Hintergrund getreten. Zuvor schaffte ich es schon ins Kino und fuhr des Öfteren nach Graz, um mich an Menschen in der Stadt zu gewöhnen. Das fällt zurzeit alles weg.

Am Jakobsweg, diesmal in Österreich, versuche ich mir ein Stück von all dem wieder zurückzuholen und durch den Aufenthalt in der Natur zu verbessern. Das Zelten kann mir dabei helfen, zu noch mehr Kontakt mit der Natur zu kommen, ...oder mein System überfordern. Wir werden sehen?

Pilgern und Zelten in Österreich
Die Natur, mein Freund

Demnächst werde ich über meine Schwierigkeiten, die Ausrüstung zusammenzustellen, berichten.


Radfahren und Muskelschwäche

Die Rehabilitation hat mich wieder eingeholt oder besser gesagt, ich habe mich bewusst dafür entschieden. Durch das Erlernen von Radfahren, möchte ich meine Wahrnehmung verbessern und die Muskelschwäche besser in den Griff bekommen.

Der Lockdown hat mich schwer erwischt und ich brauchte doch lange um mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Leben lernen, dass konnte ich erstmal streichen. Soziale Distanz spricht all dem entgegen, was ich mir mühsam in den letzten Monaten und am Camino aufgebaut hatte.

Der Camino Frances im Februar

Am Camino habe ich große Fortschritte gemacht und ich freute mich schon, das Gelernte zu Hause in Anwendung zu bringen und weiter zu Verfolgen.

Im Nachhinein bin ich glücklich, mich für den Camino Frances im Jänner entschieden zu haben. Das Gefühl wieder zu leben, hatte ich noch nie so intensiv wie diesmal gespürt. Die Freude am Gehen ließ mich keinen Tag aus, es war mein neues Leben.

Langsam bekomme ich wieder einen geregelten Tagesablauf zu Hause, wie ich am Camino einen hatte. Er ist mein Vorbild und es zeigte mir, dass der Camino zu Hause erst richtig weiter geht. Was hilft es mir, wenn es mir nur unterwegs gut geht?

Viele sehen nur das Abenteuer Jakobsweg, dass zweifelsohne ein Abenteuer ist, dass es zu bestehen gilt. Aber der hauptsächliche Grund ist der, dass ich meine dort gelernten Fähigkeiten, zu Hause im Alltag einsetzen möchte. 

Camino Frances

Neue Routinen

Die ersten Wochen in der Krise war ich damit beschäftigt, mir neue Routinen anzueignen. Ohne Anleitung von einem Therapeuten, versuchte ich meinen Weg zu finden. Die Herausforderung war es, ohne zusammenhängende Gedanken führen zu können, einen Weg zu finden, der mir hilft.

Leben zu lernen, ist mir derzeit mit den alten Vorgaben praktisch nicht möglich, darum habe ich beschlossen, wieder mehr Therapie einfließen zu lassen. Es ist eine Gratwanderung, denn vor zwei Jahren war ich gedanklich knapp am Aufgeben, weil mein Leben nur aus Therapie bestand.

"Never give Up"

Ich bin schon zu weit gekommen, daher gibt es auch kein Aufgeben. Trotzdem musste ich mir etwas Neues einfallen lassen, als gleich weiterzumachen. In der Muskelschwäche bin ich praktisch nicht weiter gekommen. Sie verhindert vieles und lässt mich in vielem permanent ans Limit stoßen.

Ein Erfolg der letzten Zeit ist das Senken meines Pulses gewesen. Weniger Pulsschlag heißt weniger Arbeit für das Herz, wie bei einem Auto. Fast vier Jahre war ich zu hochtourig unterwegs. Seitdem tue alles, um ihn wieder zu beruhigen. Ein Ergebnis von mehreren tausend Kilometern gehen.

Seit kurzem ist jetzt mein Ruhepuls viel niedriger und er schnellt nicht bei jeder kleinsten Bewegung nach oben. Das viele Gehen im unteren Bereich zeigte endlich Wirkung. Darüber bin ich so glücklich, denn es ist ein wichtiger Meilenstein.

Der Versuch Radfahren

An meiner Kraftlosigkeit änderte sich bisher kaum was, trotz des vieles Gehen und Trainings. Neue Reize mussten her und ich probiere es mit Radfahren.

Was ich nicht bedachte, es ist ähnlich mit dem Gehen lernen. Ein neuer Bewegungsablauf fordert das Gehirn. Außerdem ist mein Körper darauf noch nicht vorbereitet. Mein Körper fühlt sich fragil an. Es kostet Anstrengung, bloß auf dem Rad zu sitzen.

Trotzdem habe ich erstmals ein gutes Gefühl. Ich probierte es schon öfter, aber nach wenigen Metern musste ich den Versuch bisher abbrechen. Diesmal bin ich aber dran geblieben, wenn es auch noch ein weiter Weg ist.

Zunächst möchte ich mich an die Wahrnehmung gewöhnen. Die vielen Eindrücke in der Schnelligkeit belasten mein Gehirn. Es ist wie beim Gehen, wo ich mich Schritt für Schritt herantasten musste, dasselbe gilt auch für das Radfahren.

Ich beim Radfahren

Langsame Steigerung beim Radfahren

Anfang Mai habe ich gestartet. Allerdings brauche ich noch viel Erholung, es ist nur etwa alle zwei bis drei Tage möglich. An den anderen Tagen gehe ich in den Motorik-Park, um meine Balance zu stärken.

Zunächst fahre ich nur langsam in meiner näheren Umgebung. Eine halbe Stunde (mit Pausen) reicht aus und den restlichen Tag liege ich flach, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich muss mich in die Waagrechte begeben und schlafe sehr viel. Das wird noch länger so gehen, bis ich mich daran gewöhne. Hoffentlich nicht so lange, wie ich für das Gehen brauchte.

Meine letzte Tour führte mich das erste Mal auf den nahen Radweg. Das Gefühl auf der Straße ist komisch. Es fehlt mir die Aufmerksamkeit und Reaktion. Langsames Fahren, um jederzeit reagieren zu können, ist Pflicht.

Die Konzentration ist so hoch, dass ich nach 15 Minuten erschöpft bin. Wie beim Gehen, wo ich immer wieder sitzen oder liegen muss, ist es auch beim Radfahren. Beim Hinlegen habe ich die beste Erholung.

Muskelaufbau

Ob und wie es mir beim Muskelaufbau helfen kann, wird die Zeit zeigen. Es ist jedenfalls ein gutes Krafttraining, in einer Zeit, wo die Fitnessstudios geschlossen haben.

Dazu nehme ich Eiweißstoffe und andere gezielte Nahrungsergänzungen zu mir, um meinen Körper auf die neue Arbeit zu unterstützen. Besonders dem Denken tut die Bewegung gut. In der Zeit der Ausgangsbeschränkungen funktionierte das Gehirn nicht so gut, was sich auch darin niederschlug, dass ich keine Blogartikel zusammen brachte. Es war mir schlichtweg nicht möglich, Gedanken dafür zu haben.

Radfahren

Dies neues Ziel, dass ich durchs Radfahren erreichen möchte, lässt mich konzentrierter arbeiten und lenkt mich von den Folgen der Corona-Krise ein wenig ab.

Mal sehen, was ich in den nächsten Wochen berichten kann!


Der WingsforlifeworldRun

Am Sonntag habe ich an meinem ersten Wingsforlifeworldrun teilgenommen. Laufen kann ich zwar noch immer nicht, aber ich möchte es wieder können.

"Gemeinsam laufen wir für alle, die es selbst nicht können."

Motto des "Wings for Life World Run"

Per APP ist es kurzfristig durch die Corona-Krise sogar ein Muss geworden. Ich wollte mich erstmals damit auseinandersetzen und schauen, ob ich damit schon zurechtkomme.

Schon letztes Jahr war ich nahe dran am Wingsforlifeworldrun teilzunehmen, habe aber im letzten Moment zurückgezogen. Denn es geht nicht nur um mein körperliches Befinden, sondern auch um das Gehirn. Es gibt mir alles in letzter Konsequenz vor, was geht und was nicht. Ich fühlte mich noch nicht so weit und so startete ich dieses Jahr zum ersten Mal.

Die Corona-Viruskrise nahm mir viel von dem, was ich mir in den letzten Jahren hart erarbeitet habe. Neue Ziele und Strategien mussten her. Ich durfte aber nichts überstürzen, alles Step by Step. Durch den Corona-Virus hat sich einiges geändert in meinem Leben, wofür ich die letzten Jahre gearbeitet habe.

Meine Teilnahme am Wingsforlifeworldrun

Der Wingsforlifeworldrun, der für mich ein Gehen bedeutete

Ich mache keine Wettkämpfe mehr, denn ich habe in meinem Leben schon genug gemacht. Trotzdem kann so etwas wie der Wingsforlifeworldrun eine große Motivation sein. Allein der Slogan "Ich laufe für die, die es nicht können" motiviert und Motivation kann ich in meiner Lage gar nicht genug bekommen.

Die App sollte man vorher ausprobieren und ich wurde in den Tagen davor auch mehrmals daran erinnert. Jedoch jedes Mal, wenn ich unterwegs war, habe ich darauf vergessen.

Ich bin mit den derzeit herrschenden Regeln überfordert und selbst mich im Freien bedarf einer Aufmerksamkeit, die für das Gehirn zu viel ist. Wo ich normalerweise abschalten kann und mich nur aufs Gehen konzentriere, arbeitet mein Gehirn jetzt auf Hochtouren. Dazu aber später mehr.

Der Lauf, bzw. das Gehen, bin ich ja gewohnt. Dass ich die Wochen zuvor weniger gemacht habe, spürte ich. Mein Weg führte mich auf Nebenstraßen durch Judendorf, eigentlich flach, aber eine Eisenbahnunterführung ließ meine Durchschnittsgeschwindigkeit beim folgenden Anstieg merkbar sinken.

Ziel am Wingsforlifeworldrun nicht ganz erreicht

Mein Ziel, die 5 km Marke zu erreichen, erreichte ich nicht ganz, dass virtuelle Catcher Car holte mich nach 4,71 Kilometer oder 50 Minuten und 15 Sekunden ein. Das waren aber immerhin 5,6 km/h Schnitt. Mein Ziel habe ich zwar nicht erreicht, bin aber damit zufrieden, denn mein größtes Ziel wieder Gehen zu lernen habe ich erreicht. Jetzt fehlt nur mehr Laufen!

Ab 6 km/h ist zum Überlegen, ob ein langsamer Dauerlauf nicht besser wäre. Ich habe es versucht, aber es geht nicht. Die Muskelschwäche lässt ein schwammiges Gefühl zurück und bei jedem Schritt stampft es meinen Körper, nach der Flugphase wo beide Beine vom Boden entfernt sind, in den Asphalt.

Nach 5 - 10 Schritten im Laufversuch, bin ich froh, wieder gehen zu können. Mein ganzes Körpersystem, inklusive Gehirn und Koordination, kommt dabei durcheinander. Die Muskeln werden dabei auf eine Art angespannt, die es mir nicht erlaubt, danach überhaupt noch zu gehen.

Meine Bewegung wird unkontrolliert und ich muss mich hinlegen. Hinsetzen geht auch, aber hinlegen ist besser. Nur so ist eine Erholung gewährleistet. Überschreite ich diese Phase, auch beim Gehen, kann es schwerwiegende Folgen haben.

Urkunde vom Wingsforlifeworldrun
Urkunde vom Wingsforlifeworldrun

In die Spur zu kommen

Es heißt, mich auf die kommenden Monate vorzubereiten. Da meine Rehabilitation besonders körperlich bezogen ist, war das Ziel für den Lauf, an meiner Motivation zu arbeiten, wieder in die Spur des täglichen Lebens zu kommen.

Neue Strategien, Ziele und anderes mussten definiert und gefunden werden. Das alles ergibt Motivation für das Training und Tun. Und das ich tun möchte, steht außer Zweifel.

Das alles schreibe ich mir in ein Heft, unterteilt in Monatliche, Wöchentliche und tägliche Ziele, aber auch, was ich dafür zu tun habe. Ich habe mich bewusst dazu entschieden, ein analoges Heft zu benutzen. Schreiben mit einem Stift gehört nämlich mit zu meinen Zielen, wie auch das Trainieren meiner Finger.

Gehen ist nicht gleich Gehen

Die Zeit der Krise nutze ich auch, um meinen Blog neu aufzusetzen. Mein Sohn hat mir den Blog neu programmiert. Dazu ist auch ein Überarbeiten der Artikel notwendig geworden. So habe ich mir am Abend nach dem Wingsforlifeworldrun meine ersten Blogartikel beim Überarbeiten durchgelesen, die von meiner Rehabilitation und den Tagen im Krankenhaus handeln.

So wurde ich daran erinnert, von wo ich herkomme. Wieder Gehen zu können, war vor vier Jahren mein Wunschtraum, den ich mir mit dem Absolvieren von mittlerweile drei Caminos in den letzten zwei Jahren erfüllt habe.

Allerdings ist Gehen, nicht gleich Gehen. Mein Gehen ist eigentlich besser mit dem Wort "Fortbewegen" beschrieben. In Wirklichkeit kämpfe ich noch um jeden Meter, auch wenn es von Außen nicht so ausschaut. Allerdings auf einem recht hohen Niveau. Es ist mir kaum etwas anzusehen, vor allem wenn man nicht um meine Vorgeschichte weiß. Es gibt aber mehr, als man sieht.

Fast jeder hat bestimmt schon einmal erlebt, dass Beschwerden vorhanden sind, die das Gegenüber nicht wahrnimmt. Bei mir ist es aber kein Zahnschmerz, ein Hexenschuss oder andere große Schmerzen, die niemand sehen kann. Bei mir geht es ums Gehen, die Bewegung und die Funktion des Gehirns

Gehen am Camino

Gehen als Selbstverständlichkeit

An für sich etwas Selbstverständliches und darum nehmen wir es auch als Selbstverständlich wahr. Bei mir beinhaltet dieses Selbstverständliche aber weit mehr. Praktisch jede Bewegung oder Gewichtsverlagerung muss bewusst angedacht werden. Da hat dann nichts Platz für anderes. Gleichzeitig einem Gespräch folgen und mich zu Bewegen ist eine Herausforderung. Eine meiner größten Errungenschaften der letzten Jahre war sicher, dass ich mich beim Gehen auf ebenen Boden unterhalten kann.

Ein Beispiel für Bewegung andenken ist mein rechter Arm, gehandicapt durch die Hemiparese (einseitige Lähmung). An für sich gut unter Kontrolle gebracht, merkt man bei der Bewegung nichts. Kommt mir jemand aber am Gehsteig entgegen, bin ich so mit dem Rundherum beschäftigt, dass ich darauf vergesse, ihn mitzuschwingen, um besser im Gleichgewicht zu bleiben. Er hängt dann schlaff an mir runter, bis ich mir dessen wieder bewusst werde und ihn bewusst bewege.

Selbstbestimmung durch Gehen

Dieses Bewegen können brachte mir einen gewissen Grad an Selbstbestimmung zurück. Es war mir sehr wichtig, alles daranzusetzen, mich wieder fortbewegen zu können. Das habe ich geschafft, wenn auch mit Einschränkungen. Dadurch bin ich heute in der Lage, selbstbestimmt zu trainieren oder Einkaufen zu gehen.

Diese Selbstbestimmung hat aber ihre Grenzen. Kochen, Wäsche waschen und Putzen ist nur mit einem sehr hohen Einsatz meinerseits möglich. Normalerweise hilft mir jemand, aber in dieser Zeit der Corona-Krise bin ich darauf angewiesen, vieles selbst zu machen.

Die Corona-Krise

Sie hat unser aller Leben durcheinander gewirbelt. Jeder kommt anders damit zurecht oder ist anders davon betroffen. Während die einen plötzlich viel Zeit haben und eine Entschleunigung des Lebens einsetzte, sind andere Berufsgruppen davon gar nicht betroffen. Pflegedienste, Krankenhauspersonal und der Lebensmittelhandel sind extrem gefordert in dieser Zeit. 

Die Auflagen bringen mir immer wieder Schwierigkeiten. Eigentlich bin ich darauf konzentriert die Bewegung beim Gehen richtig auszuführen, egal ob im Wald oder beim Einkaufen. Da ich noch immer nicht Multitasking fähig bin, kann ich mich nur auf das Eine oder das Andere konzentrieren. Die Bewegung leidet darunter und der Energieverbrauch ist weit höher. Die Tage werde wieder "kürzer" mit der Corona-Krise.

Beispiel einkaufen

Abstand halten, Gesichtsmaske auf, nicht ins Gesicht greifen, usw. Auf viele Regeln muss ich achten. Multitasking wäre dabei von Vorteil, aber das beherrsche ich noch immer nicht. Einkaufen wird somit wieder zur besonderen Aufgabe. Es kostet mir soviel Energie, dass ich mir einen ganzen Tag dafür reserviere.

Einmal vergesse ich die Gesichtsmaske, dass andere Mal konzentriere ich mich so sehr darauf, die Maske nicht zu vergessen, dass ich nach vier Kilometern Fußmarsch zum Supermarkt draufkomme, die Einkaufsliste vergessen zu haben.

Im Supermarkt soll ich genügend Abstand zu anderen halten. Achte ich jedoch immer darauf, komme ich nicht zu den Artikeln. Meine Hochsensibilität lässt einen Einkauf zu einer hoch anstrengenden Tätigkeit werden. Nach einem Einkauf ist der Tag vorbei und ich erhole mich im Bett.

Einkaufen mit Rucksack

Begegnungen auf der Straße

Begegnungen auf der Straße sind auch ein Thema. Mit Abstand aneinander vorbeigehen, ist auf vielen Gehsteigen nicht möglich und ein Ausweichen auf die Straße unumgänglich. Ich fühle mich wie in die erste Zeit nach dem Hirnabszess zurückversetzt. Unfähig zu handeln und eingeschränkt in der Bewegung.

Meine Erfolge

Auf meine größten Erfolge seit dem Hirnabszess angesprochen, zähle ich sicher das Sprechen und Zuhören können, während dem Gehen. Wer meinen Blog oder Instagram verfolgt, weiß wie lange ich schon daran arbeitete.

Noch muss ich es Eingrenzen auf ebene und befestigte Wege. Im Gelände oder schmalen Trails habe ich noch zu viel mit mir zu tun und kann einem Gespräch kaum folgen.

Mit dem Gehen hatte ich am Camino wohl das schönste und beste Erlebnis seit dem Hirnabszess. So große Freude empfand ich wohl noch nie dabei. Keine Blasen, keine Schmerzen, nichts was diese Freude dämpfen konnte. Es war einmalig seit der Erkrankung und machte mich Hoffnungsvoll für die Zukunft, eine Zukunft die bald anders als gedacht ausschauen sollte.

Gehen am Camino Frances
Gehen am Camino Frances

Der Hirnabszess und der Corona-Virus

Am Camino Frances habe ich noch einen Riesenschritt nach vorne machen können, um kurz darauf wieder auf einen Stand von vor ein bis zwei Jahren zurückzufallen. Allein durch den Shutdown, die Ausgangsbeschränkungen und alles auf null niederzufahren, sind viele meiner erlernten Fähigkeiten verloren gegangen oder verschüttet worden.

Durch die Muskelschwäche und die neurologische Erkrankung zähle ich zur Risikogruppe. Zwei Wochen im Bett liegen zu müssen, hätte bei mir fatale Folgen, wenn ich an mir sehe, was der Shutdown auslöste.

Am Camino freute ich mich schon auf die Zeit danach und auf weitere Zielführende Therapien. Wieder zuhause, sollte sich alles ändern. Alle Therapien abgesagt und allein auf mich gestellt, musste ich neue Ansätze finden, Strategien entwickeln und neue Ziele finden.

Mein Strategiebuch

Bisher machte ich viel über den Computer. Diesmal wählte ich allerdings meinen alten Organizer mit Schreibstift. Hier halte ich meine Monatlichen, Wöchentlichen und täglichen Ziele fest. Habe ich sie erreicht, dann hake ich sie ab.

Dadurch möchte ich mich mehr am handschriftlichen Schreiben üben, denn meine Handgelenke und Arme sind von der Muskelschwäche sehr betroffen und ich werde sehr beschränkt darin.

Der Organizer hat den Vorteil, leicht Seiten zu entfernen oder dazuzugeben.

Meine Ziele

Ziele brauche ich, um mich zu motivieren. Ein Endziel war immer vorhanden, aber ich brauche auch Zwischenziele zur Motivation, um dieses zu Erreichen. Ist mein Ziel zu klein, ist meine Motivation zu gering. Nur wenn mein Ziel groß genug ist, werde ich es auch erreichen. Der Wingsforlifeworldrun war geeignet, um mir meiner Ziele wieder bewusst zu werden.

Viele dieser Zwischenziele sind weggefallen. Pilgern in Spanien fällt länger aus, an dem doch mehr hängt, als viele glauben. Und so ist es mit vielem. Die Ungewissheit macht mir am meisten zu schaffen, denn fast alles ist damit verbunden, was jetzt und vielleicht auch in Zukunft, nicht möglich ist.

Vorrangig ist, wie ich jetzt Leben lernen kann, ohne die Therapie zu vernachlässigen. Alle Strategien des letzten Jahres funktionieren nicht mehr. Dafür Ersatz zu finden dauert. Mein Gehirn ist damit überfordert und braucht lange, um sich auf diese neue Situation einzustellen.

Wieder auf Spur kommen

Ich arbeite schon länger daran und mit dem Wingsforlifeworldrun habe ich einen Motivationsschub bekommen, auch in dieser Lage das bestmögliche für mich zu finden und herauszuholen.

Es gäbe noch viel zu schreiben über die Vorkommnisse der letzten Zeit, aber ich habe derzeit so viel mit mir zu tun, dass ich nicht dazu komme. Durch die Anforderungen ist meine Konzentrationsfähigkeit derzeit um ein vielfaches gesunken und ich muss das akzeptieren. Schreiben strengt mich sehr an, aber es ist auch eine gute Möglichkeit um mir bewusst zu machen, was gerade passiert ist.

Zum Abschluss ein Spruch von Konfuzius, der sagt:

Wer das Ziel kennt, kann entscheiden. Wer entscheidet, findet Ruhe. Wer Ruhe findet, ist sicher. Wer sicher ist, kann überlegen. Wer überlegt, kann verbessern.

Konfuzius

Ich wünsche jedem in dieser Zeit, seine Ziele zu kennen.


Heute, dem 27.03.2020, feiere ich meinen vierten Geburtstag nach dem Hirnabszess. Das Datum steht für meinen Neubeginn und der Einlieferung ins Krankenhaus. Mit dem Corona Virus hat sich allerdings viel verändert. Seit der Krise gelten meine mühsam Erlernten Routinen nicht mehr und ich muss einiges neu zulassen und lernen. 

Es gibt zur Zeit keine Therapien und die Rehabilitation findet ausschließlich bei mir zu Hause in Eigenregie statt. Ein wichtiger Anker fehlt somit und ohne Anleitung muss ich mir ein Programm zusammen stellen, mit dem ich zurecht komme. Für mein Gehirn eine Herausforderung, denn die Unterstützung von Außen fehlt. Langsam und Schritt für Schritt beginne ich erneut, mich und das Leben auszuloten.

Gehen

Was geschah bisher?

Es begann am 27.März 2016. An diesem Tag wurde ich mit der Diagnose Hirnabszess ins Krankenhaus eingeliefert. Einen Monat wurde ich auf der Intensivstation behandelt. An diese Zeit habe ich nur bruchstückhafte Erinnerungen. Sehr viel später erfuhr ich erst, was sich alles zugetragen hat.

Noch weitere vier Monate verbrachte ich auf der Normal- oder Reha-Station. Praktisch rund um die Uhr bekam ich Infusionen mit Antibiotica, fünfmal am Tag, jeweils drei Flaschen. In den kurzen Pausen dazwischen bekam ich Mobilisation und wurden erste Reha-Maßnahmen gesetzt. Ich lernte die Basis des Gehen und der Bewegung.

ich auf der intensivstation

September 2016

Ab September war ich wieder Zuhause, im vertrauten Umfeld der Familie. Schwach und Kraftlos war mein Tagespensum 50 - 100 Meter gehen, danach ging nichts mehr.

Statt wieder daheim, war ich das dritte "Kind". Alles neu zu lernen, war auch für meine Familie eine Belastung. Jede Bewegung war gleichzeitig Therapie. Darum tue ich mich auch heute noch schwer, nicht in allem was ich mache, Therapie zu sehen.

Im Dezember ging es auf Reha, wo ich meinen 50. Geburtstag "feierte". Nach vier Wochen Stationärer Therapie war ich am Limit. Ich brauchte vier Monate, bis ich mich davon erfangen habe. Allerdings benutzte ich danach nie mehr einen Rollstuhl.

In der Reha feierte ich meinen 50. Geburtstag

2017

Im Mai 2017 begann ich meinen Blog und auf Instagram zu schreiben, was auch ein Teil meiner Rehabilitation war. Das Schreiben hilft mir bis heute. Allerdings ist es mir noch nicht gelungen, das eine oder andere Trauma aufzulösen.

Im Sommer machte ich dann meine zweite stationäre Rehabilitation. Im Herbst konnte ich bereits zwei bis drei Kilometer weit gehen, allerdings mit vielen Pausen. Ich kämpfte, bildlich gesehen, um jeden Milimeter.

In den 200 Meter entfernten Wald ging es bergauf und ich versuchte jedesmal ein paar Meter höher zu kommen. "Never give up", entstand in diesen Tagen.

Ende des Jahres begann ich wieder zu Denken, allerdings hatte ich kein Kurzzeitgedächtnis mehr und konnte nichts aufbauendes Denken.

Geburtstag in der Reha

2018

Es wurde ein sehr gemischtes Jahr. Die Trennung von meiner Lebensgefährtin, mit der ich immerhin zwanzig Jahre zusammen lebte und zwei Kinder habe, warf mich fast an den Anfang zurück. Ich bekam große gesundheitliche Probleme, noch konnte ich es gedanklich verarbeiten.

Im Juni entschloss ich mich, trotz der gesundheitlichen Schwierigkeiten, zum Jakobsweg nach Spanien zu fahren. Ich kam weiter als gedacht, aber nach rund 500 Kilometer musste ich in Astorga abbrechen, denn Ende Juli stand mein dritter Reha-Aufenthalt bevor. Die sechs Wochen in der Reha-Klinik brachten mich wieder an, bzw. übers Limit.

Nach wenigen Tagen Erholung, fuhr ich zurück zum Camino France, der eine andere Art der Reha für mich war und beendete ihn in Finesterre am Meer.

2019

Judendorf wurde meine neue Heimat und ich brauchte lange (eigentlich bis heute noch), um einen eigenen Haushalt zu gründen. Statt einer stationären Reha ging ich diesmal über drei Monate hinweg zur Physio- und Ergotherapie. Das half mir besser, wie ein sechswöchiger Reha-Aufenthalt. Das größte Problem für mich, war der noch immer auftretende Schwindel. 

Im Juni und Juli war ich wieder am Jakobsweg unterwegs, diesmal am Camino Norte. "Gehen als Medizin", bekam für mich eine immer größere Bedeutung. Wieder Zuhause trainierte ich vor allem weiter die Bewegung, denn ich merkte, dass mir die Umfänge und vielen Wiederholungen beim Gehen gut taten. Außerdem wird das Gehirn mittrainiert.

Gleichzeitig begann ich im Spätsommer eine Traumatherapie und nahm psychologische Hilfe in Anspruch. Ich hatte mich zwar in allem verbessert, musste gleichzeitig aber akzeptieren, dass Verbesserungen zwar da waren, aber nicht in dem Umfang, wie ich es mir gewünscht hätte.

Camino de Norte

Der Jakobsweg Weinviertel ließ mich noch einmal das Gehen intensiver erleben.

Anfang des Jahres bekam ich in der Ergotherapie die Aufgabe, auch öfter einmal etwas NICHT unter dem Mantel der Therapie zu machen. Hin und wieder gelang es mir, aber der Beweggrund bestand doch meist aus Therapie. Mit Behinderung das Leben wieder zulassen können, wurde immer wichtiger.

2020

Da ich Postler war, wusste ich, "Aufgeben tut man nur einen Brief!", also habe ich nie aufgegeben. Darum arbeitete ich weiter am Gehen, in der Bewegung, im Denken und besonders in der Bewusstseinsbildung. Den langsamen Fortschritt lernte ich zu akzeptieren.

Im Februar fuhr ich erneut zum Camino Frances. Gehen nicht nur als Therapie zu sehen, war meine Herausforderung. Es gelang auch oft und ich hatte große Freude am Gehen. Es ist kaum zu beschreiben und ich wollte gar nicht aufhören. In einem für meine Verhältnisse, nach dem Hirnabszess, super Zustand, kam ich zurück. 

Crux de Ferro
Crux de Ferro

Eine weitere vier Tage lange Wanderung am Wiener Wallfahrerweg nach Mariazell, ließ mich langsam wieder in der Heimat ankommen.

Gleich darauf begann die Corona Virus Krise und stellt meine mühsam und über lange Zeit erlernte Routinen auf den Kopf. Statt soziales Leben lernen, trat wieder Soziale Distanz in mein Leben. Wie auch den Hirnabszess vor vier Jahren, kann ich es nur hinnehmen und versuchen, wieder eine neue Struktur in mein Leben zu bekommen.

Geburtstag

4. Geburtstag

Ich habe den 27. März als meinen zweiten Geburtstag genommen, weil mit der Einlieferung ins Krankenhaus mein 2. Leben begann. Ich feiere diesen Geburtstag für mich, denn ich bin dankbar, ihn bereits zum vierten Mal erleben zu dürfen!

Mit dem Camino Frances im Winter und dem Wiener Wallfahrerweg konnte ich noch zwei Pilgerwege vollenden, bevor der Coronavirus Österreich und die Welt stilllegte.

So wie ich vor ziemlich genau vier Jahren stillgelegt wurde, passiert es auch dieser Tage mit der Mehrheit von uns. "Das Leben neu kennen lernen", seit vier Jahren meine Aufgabe, ist es jetzt auch für die meisten Menschen eine Herausforderung geworden.

Mich selbst hat es auf die Zeit nach dem Hirnabszess zurückgeworfen. Im letzten Jahr bekam ich die Aufgabe, mich wieder unter Menschen zu begeben und das Sozialleben wieder zu lernen. Jetzt ist es genau umgekehrt.

"Socialdistance" 

"Socialdistance" zu praktizieren, verwirrt mein Gehirn. Ich gebe mir Zeit, um all die Anforderungen zu verstehen. Das Gehirn gibt mir das Tempo vor, alles zu verstehen und in meinen Alltag integrieren zu können.

Für mich besteht jetzt die Aufgabe, trotz des Abstand halten nicht in die soziale Einsamkeit zurück zu fallen. Seit einem Jahr arbeite ich daran, das Leben wieder zuzulassen zu können und gedanklich nicht in allem bei Rehabilitation und Therapie zu sein.

Social Distancing am Wiener Wallfahrerweg

Das Pilgern hat mir bisher am meisten dabei geholfen, denn in der Normalität des Gehens findet, fast unbemerkt, auch Therapie statt. Gerade das soziale Leben kann ich nur mit einer entsprechenden Geschwindigkeit neu lernen, die meinem Geist angepasst ist. Mich auf Menschen einlassen, in einem Umfang, der mir gut tut und mich nicht überfordert.

Allerdings sollte sich das nach dem Wiener Wallfahrerweg ändern. Da ja eigentlich noch Winter ist, traf ich auf diesem Weg nur wenigen Menschen. Nach der Rückkehr sollte sich das noch dramatischer verstärken. In diesen Tagen kam dann das Wort "Socialdistance" auf. Für mich schlimm, da ich ja "Sozialnähe" üben sollte. Da ich in diesen ersten Tagen der beginnenden Corona-Krise aber in Wald und Wiese unterwegs war, konnte ich mich auf das später Folgende langsam einstimmen.

Der Wiener Wallfahrerweg

Zusammen mit Alexander Rüdiger startete ich am äußersten Stadtrand von Wien, in Kaltenleutgeben, am 12. März und wir gingen bis 15. März. Mit einigen Schritten ging es über die Stadtgrenze und wir waren im Wienerwald. Bis auf wenige Begegnungen, waren wir vollkommen alleine. So nahe der größten Stadt Österreichs, war so wenig los. Mit jedem Tag sollte es aber noch weniger werden.

Am ersten Tag pilgerten wir von Kaltenleutgeben bzw. Perchtoldsdorf nach Weissenbach an der Triesting. 30 Kilometer, meistens durch Wald. In Heiligenkreuz machten wir Pause im Stiftskeller. Zum Pilgern und Gehen gehört auch Genuss, der hier in köstlicher Weise in Form von hervorragenden Gerichten zelebriert wird. Für uns das letzte Mal, vor dem Beginn des Ausnahmezustandes. Wir besichtigten noch die Kirche und dann ging es in die zweite Hälfte der Strecke.

Über den Peilstein erreichten wir am späten Nachmittag Weissenbach. Die großen Fabriken überraschten uns, unter denen sich auch Weltmarktführer befinden. Im einzig geöffneten Gasthof nahmen wir ein Zimmer. Wir bekamen erste Diskussionen um den Corona Virus mit. Es schien doch schlimmer zu werden, als angenommen.

Heiligenkreuz

Regentropfen und Sonne

Einzig für den zweiten Tag war Regen vorhergesagt. Allerdings gab es auch starken Wind der den Regen verblasen hat und so gab es nur Vormittag ein paar Regentropfen. Der Weg führte über das Kieneck und weiter nach Rohr.

Den Trail gerockt

Über Wurzeln und Steine stiegen wir höher. Hier merkte ich wieder, wie unterschiedlich Gehen sein konnte. Solange ich einen Fuß vor den anderen setzen, ja eigentlich schleudern, konnte, blieb es einfach. Musste ich jedoch ein Bein anheben oder knapp Kniehoch steigen, so setzte mir die Muskelschwäche Grenzen. Selbst steile Hänge versuche ich in viele kleine Schritte zu zerlegen, um das Steigen zu verhindern.

Gehen und Steigen

Pilgern funktioniert deswegen so gut für mich, weil es im Grunde nur Gehen und kein Steigen ist. Die Strecken sind meist so, dass auch schlecht trainierte Menschen meist zurechtkommen. Daher ist auch das Hochgebirge noch nichts für mich, denn dort ist Steigen gefragt. Ich trainiere natürlich auch zu Hause, dass Treppen steigen, habe aber bisher nur minimalen Erfolg. 

Durch traumhafte Landschaft geht es weiter und ich bemerke wieder, wie gut mir die Natur tut. Umso länger ich mich darin aufhalte, umso besser wird auch meine Wahrnehmung. Der Schwindel wird weniger, die Konzentration ist besser und das Gleichgewicht fühlt sich stabiler an. Kann ich längere Zeit in der Natur verbringen, fühle ich mich einfach besser. Nur wenige Augenblicke in der Stadt können reichen, um dieses Gefühl zu verlieren und in einen inneren Alarmzustand zu verfallen, als ob mein Leben bedroht wird.

Verbessern lässt es sich, indem ich mich öfter der Stadt aussetze, sondern indem ich das gute Gefühl in der Natur verlängere und dadurch verbessere. Es geht aber nur langsam, Schritt für Schritt voran. Wahrscheinlich auch deswegen, weil es (mir) nicht möglich ist, solange in der Natur zu bleiben.

Auf einem meiner nächsten Pilgerwege möchte ich versuchen, im Freien im Schlafsack zu nächtigen. Ich bin mir sicher, gesundheitlich auf einen nächsten Level zu kommen. Aber diese Gedanken, bleiben im Moment Gedanken. Der Coronavirus hat anderes mit uns vor und für mich heißt es, mit dem Nicht-Gehen und Zuhause bleiben, umgehen zu lernen.

Hystierie und Hamsterkäufe

Die Nachricht von Hamsterkäufen erreichte auch uns. Im örtlichen kleinen Kaufhaus bemerkten wir allerdings nichts davon und wir waren gleich darauf wieder in der Einsamkeit der Berge unterwegs. Jetzt abzubrechen, wäre mit einem unglaublichen Aufwand verbunden gewesen und hätte nichts gebracht. Wir entschieden uns weiterzugehen, alles andere hätte nichts gebracht.

Eine ordentliche Verkehrsverbindung war erst wieder ab Mariazell möglich. Keine Einkehrmöglichkeiten, keine Menschen am Weg und nur Berge um uns herum, ließen einen an die Wildnis Kanadas denken. Tatsächlich waren wir nur 20 Geh Stunden von Wien entfernt.

Von Mariazell aus braucht man ca. 4 Stunden mit den Öffis oder zwei Stunden mit dem eigenen Auto. Als Pilger misst man Entfernung mit der Zeit, die man braucht, um dorthin zu Gehen. Daher war alles weit weg. Nach Hause zu gehen, bedeutete mindestens einen Tag durchgehend zu gehen.

Also beschlossen wir den Wiener Wallfahrerweg bis nach Mariazell zu Pilgern und dann den Heimweg anzutreten.


Der Camino ist in mir noch lebendig, allerdings hat mir ein Tag Paris gezeigt, wo ich wirklich stehe. In der Stadt werden meine Defizite in der Bewegung und der Aufmerksamkeit sichtbarer. Sämtliche Sinne sind aufs äußerste angespannt und die Stadt fordert ihren Tribut. Auch daheim ist es nicht mit dem Camino vergleichbar oder mit dem Anfang vor vier Jahren.

Das größte Therapie Zentrum der Welt, der Camino, hat mir allerdings sehr geholfen das Leben wieder ein Stück mehr kennen zu lernen. Diese Verbesserung geht in Mikroschritten vor sich, wobei, auch die Gewöhnung daran ist eine Verbesserung.

Mein größtes Therapie Zentrum,
daheim am Camino

Blind in Paris

Nach einem Monat praktisch ständig in der Natur, holt es mich in Paris in die Wirklichkeit zurück. Ich bin unfähig, normal durch die Stadt zu gehen. Mit dieser Hektik komme ich kaum zurecht. Es ist ein Haken schlagen, wie ein Hase, ansonsten würde ich andauernd mit jemanden kollidieren. 

In all dem Wirbel fällt mir ein Blinder auf. Er sucht seinen Weg durch all die vielen Menschen und dem Verkehr, die kaum Rücksicht auf ihn nehmen. Unbeirrt geht er seinen Weg, behindert von falsch parkenden Autos und Fußgängern, die ihn fast umrennen. An einer Ampel helfe ich ihm über die Strasse. Ein halb am Zebrastreifen parkendes Auto erschwert es uns. Er kennt diesen Weg, aber so etwas ist selbst für ihn nicht leicht.

Er ist überrascht, dass sich jemand um ihn kümmert und wirft mir ein freudiges "Thank you!" entgegen. Ja, Behinderte verstehen sich leichter, welche Hindernisse sich uns in den Weg stellen und uns behindern. Wenige Worte reichen aus, um sich zu verstehen. Er scheint zu spüren, dass auch mit mir etwas nicht in Ordnung ist. Ich bewundere ihn, sich auf diese Strassen hier zu wagen, ohne sehen zu können.

Nach einer Demo in Paris verbrannte Mopeds
Nach einer Demo verbrannte Mopeds in Paris

Den weiteren Weg gehe ich dankbarer und nachdenklicher. Ich habe zwar eine gestörte Wahrnehmung und das Gehen fällt mir schwer, aber ich kann sehen. Das erleichtert mir offensichtlich vieles, dabei ist es nur eine andere Art des Handicaps. Ich denke viel darüber nach, was es für mich bedeuten würde, nicht sehen zu können. Dabei fällt mir auf, dass meine Ohren in der Nacht einen wesentlich größeren Teil meiner Wahrnehmung übernehmen. Ich werde das in Zukunft genauer beobachten und darüber berichten.

Paris

Das Treiben in Paris

Es herrscht hier ein anderer Verkehr wie Zuhause. Überall wuseln Menschen und an die Verkehrsregeln muss ich mich erst gewöhnen. Rot für Fußgänger gilt nur, wenn ein Auto kommt. Also, auf andere Fußgänger darf ich mich nicht verlassen, denn mir fehlt der schnelle Schritt, um eine Strasse bei Rot überqueren zu können. Ich muss Achtsam sein, um meinen Weg hier zu finden. Graz ist ein beschauliches Dorf, gegen das Treiben hier.

Am Camino gehe ich stundenlang am Weg dahin und die Natur tut so gut. Da ist die Hektik von Paris etwas anderes. Daher sitze ich meist im Café, beobachte dieses Treiben oder schreibe auf meinem Handy. 

Neuen Gedanken kann ich nur ansatzweise folgen. Ich möchte zwar mehr, es funktioniert aber noch nicht. Auf irgendeine Weise bin ich noch darin festgehalten, mein Leben zu lernen und einmal bereits gekonntes, wieder zu Erwecken. Wirklich Neues lässt sich kaum lernen, wie eine Sprache. Spanisch kann ich noch immer nicht, trotz meiner vielen Aufenthalte dort. Das ändert sich auch daheim nicht.

Bilder schneiden und sortieren, am Tablet oder Handy

Unterwegs bin ich auf das Handy angewiesen, denn so übe ich wenigstens meine Feinmotorik. Der Touchscreen fällt mir noch immer schwer, denn dafür ist Gefühl gefragt, dass mir noch fehlt. So vertippe ich mich immer wieder, weil ich es nicht schaffe, den Finger genau auf dem Display zu plazieren.

Wieder Zuhause, kann ich das Tablet verwenden. Der Versuch, ein Video aus meinen Bildern zu machen, fordert mir einiges ab, aber ich schaffe es. Vom Filme schneiden bin ich aber noch meilenweit entfernt.

Hier meine beiden Versuche daheim, zwei Filme zu machen. Einmal ein Film darüber, jeden Tag von mir ein Foto in der Früh vorm Losgehen und ein zweiter, der meinen Weg in einer Minute vierzig zu zeigen versucht. 

Mit Tablet und Kaffee daheim

Wie geht's daheim weiter?

Es geht weiter wie bisher auch. Wieder Zuhause werde ich mich besonders dem therapeutischen Tanzen widmen. Es dauert zwar, bringt aber großartige Ergebnisse. Emotionen und Gefühle wieder in den Griff zu bekommen, ist wichtig. Mich davon abzuschneiden, bringt auf Dauer nichts. Durch das therapeutische Tanzen habe ich einen ersten Zugang dazu gefunden.

Dazu gehört auch die Trauma-Aufarbeitung. Es wird seine Zeit benötigen, aber Zeit ist etwas relatives. Unterm Strich soll es mir gut gehen, auch jetzt schon.

Dazu kommt mein übliches Training daheim, für die Bewegung. Es beinhaltet einiges. Das Gehen, der Motorik-Park, die Kletterwand, der Frisbee Parcour und das Fitnessstudio. Ich habe viel erreicht bisher, aber es ist trotzdem noch mehr möglich. Das Ende ist noch nicht erreicht und ich werde auf jeden Fall weiter machen. Am Camino habe ich das Leben wiedergefunden, darauf möchte ich aufbauen. Das Feeling vom Camino daheim auch Leben zu können, dass wäre ein Ziel.

Unsichtbare Defizite

An für sich sind meine Defizite nicht sofort von Außen sichtbar, das macht es mir oft nicht leicht. Fehlt mir eine Hand oder ein Bein, so merkt es jeden sofort. Es ehrt mich, wenn man mir sagt, mir ist nichts oder kaum was anzusehen. Trotzdem ist die Behinderung noch da, wenn auch für andere nicht sichtbar. Die seelischen oder geistigen Behinderungen sind sowieso nicht ersichtlich. Daheim tue ich mich schwerer, als zum Beispiel am Jakobsweg.

Eine sichtbare Verbesserung ist für mich nicht so wichtig, obwohl sie passiert. Ich selber merke es gar nicht so. Da ich jegliche Automatik verloren habe, benötige ich viel Denkarbeit für die Bewegung. Bewege ich mich technisch sauber, so wird mir viel Energie erspart. Natürlich fallen dann meine Defizite auch nicht so auf, obwohl sie da sind. Die richtige Technik anzuwenden ist mir wichtig.

 Wer glaubt mir zum Beispiel, dass ich einen Sitzplatz im Bus brauche? Da spaziere ich durch ganz Spanien und falle noch immer leicht in den Öffis um. Aber auch dafür ist Spanien gut. Mein Gesamtzustand verbessert sich, wenn auch langsam. Das viele Gehen brachte eine wesentlich bessere Körperspannung, die mir im Bus oder der Straßenbahn hilft.

Andererseits komme ich mir im Motorik-Park wie der erste Mensch vor, obwohl ich viel am Gleichgewicht auf dem Camino geübt habe. Es fällt mir schwer und ich muss fast von vorne beginnen. Allerdings merke ich die verbesserte Körperspannung, also hat sich doch einiges getan.

Oft verstehe ich meinen Körper selbst nicht. Er funktioniert so anders und entgegen aller bekannten Regeln. Es heißt einfach an den Defiziten weiter arbeiten und üben, üben und üben. Wieder daheim, beginnt alles erneut.

Daheim im Motorik Park

Was hätte ich vor dem Hirnabszess anders gemacht?

Es tut gut, sich mit der Frage, was sich ändern soll, in Ruhe zurück zu ziehen. Der Körper holt es sich sonst sowieso. Ich war gefangen in einem Hamsterrad und fand keinen Ausweg. Das gewohnte funktionierte nicht mehr, trotzdem gaukelte es eine vermeintliche innere und äußere Sicherheit vor.

Mein Leben war irrsinnig schnell gewesen, dass ist mir heute bewusst. Aus dieser Schnelligkeit auszusteigen, war mir unmöglich. Also besser vorher das unmögliche Möglich machen, als sich später mit einer Krankheit herumschlagen.

Manch einer beneidet mein Leben. Ich habe Zeit und konnte bisher drei Camino gehen. Dazu gehört dann aber auch die Behinderung und die Zeit im Krankenhaus. Ob dieses Gesamtpaket jemand möchte, ist die Frage? Es gibt immer einen Gegenpol, nur sieht den kaum einer (gerne). Beneidet man mich um die Zeit, so muss man auch die Behinderung mit allem drum und dran nehmen.

Da ich jetzt aus eigener Erfahrung weiß, wie so ein Neuanfang von 0 weg ausschaut, kann ich nur jedem empfehlen, die Zeit davor zu nutzen, auch wenn das nicht einfach ist oder unmöglich scheint. Mit dem heutigen Wissen um das Erlebte, hätte ich schon vorher verändert und es nie soweit kommen lassen. Allerdings ist man nachher immer gescheiter und mein Lebensweg war einfach so vorgesehen.

Mein Wortschatz

Einem interessanten Kurztest habe ich mich vor kurzem daheim unterzogen. Es wird grob bestimmt, über welchen Wortschatz man verfügt. Goethe soll über einen Wortschatz von 80.000 Wörtern verfügt haben. Im Alltag genügen bis zu 800 Wörter, um sich zu verständigen. Bis zu 12.000 Wörter sind allgemein ok, werden allerdings kaum benutzt. Shakespear soll in seinen Werken rund 30.000 Wörter verwendet haben.

Laut Test soll ich bereits wieder über rund 12.500 Wörter verfügen. Besonders der letzte Camino hat mir sehr geholfen, meinen Wortschatz zu erweitern. Ich habe mich zwar meist in Englisch unterhalten, aber sehr oft den Google Übersetzer verwendet und lernte so dazu. Was mir fehlt, ist das Umschreiben und Formulieren. Ich kenne zwar Wörter, kann sie aber nicht im richtigen Kontext einsetzen.

So hat sich viel getan und jetzt heißt es, diese vielen Dinge, im Leben daheim auch umzusetzen. Es sind nur kleine Schritte, aber viele kleine, ergeben einen großen. Auch nach vier Jahren heißt es weiter dranbleiben und #niemalsaufgeben !

Buen Camino

Wenn ich den gesamten Weg hernehmen, dann hat auch diesmal wieder das "nichts denken" überwogen. Erfahrungen und Erkenntnisse brachte er mir eine Menge.

Bisher brachte jeder meiner Caminos  neue und andere Erfahrungen. Es geht einher mit meiner Gesundung. Dass es Zeit braucht, ist mir mittlerweile klar geworden. Zeit hat eine andere Bedeutung bekommen.

Erkenntnisse

Wenn ich jetzt vor dem Computer sitze und ich über meine Erkenntnisse schreiben möchte, dann kommt im Augenblick nichts. Es ist, wie auch sonst oft. Eine weiße Wand baut sich vor mir auf und auch meine Gedanken schauen so aus, nämlich weiß und nichts da.

Aber auch das gehört zu meinen Erkenntnissen, nämlich damit umgehen zu lernen. Es gehört zu meiner Rehabilitation, die noch lange nicht abgeschlossen ist.

Erkenntnisse in Sprachen

Meinen Wortschatz konnte ich wieder etwas erweitern, besonders in Englisch. In der Zeit am Camino Frances traf ich niemanden aus Österreich und nur zwei Deutsche. 

Es war interessant zu beobachten, wie das Gehirn arbeitet. Es begann in Englisch zu träumen und Selbstgespräche führte ich ebenfalls auf Englisch. Deutsch kam tagelang so gut wie gar nicht mehr vor. Das sind neue Erfahrungen für mich.

Neue Erfahrungen 

Die für mich schönste Erfahrung machte ich in der Meseta. Es war ein landschaftlich wunderschöner Abschnitt. Ich hörte Musik und fotografierte viel. Was sich bisher noch nie ereignete, passierte. Zu den gemachten Fotos spielte die Musik im Takt im Kopf, als ob ich beim schneiden eines Films sitze.

Es war mir bisher noch nie möglich, so gestalterisch zu denken. Ein Highlight für mich. Instagram und der Blog helfen mir darin, etwas zu gestalten. Ist ein Bericht zu groß, verliere ich den Überblick. Aber nur durch immer wieder tun komme ich weiter, wenn auch langsam.

Meinem Ziel, einen Vortrag zu gestalten, komme ich näher. Ihn zusammenzustellen ist allerdings das Eine. Dazu auch zu sprechen, das Andere. Ob das Gehirn da mitmacht, wird sich erst zeigen.

Erfahrungen auf der Meseta

Entwicklung im Gehen

Jeder Camino bringt neue Erkenntnisse für das Gehen. Es ist so komplex, dass geringfügige Verbesserungen eine große Wirkung haben können.

Dem Ziel, mehr Automatismus in die  Bewegung zu bekommen, habe ich erreicht. Noch fehlt dazu ein bisschen mehr Vertrauen, aber es geht voran.

Auf Asphalt ist es mir möglich, mich fast ungehindert mit jemanden zu unterhalten, ebenso auf ebenen Schotterpisten. Ein riesiger Fortschritt, gegenüber noch vor wenigen Monaten.

Gehen, neue Erfahrungen

Die Koordination

Es gelingt mir vieles immer besser. Allerdings nur, wenn es nicht zu schnell ist. Laufen funktioniert noch nicht. Beim Treppensteigen muss ich sehr konzentriert gehen. Unterhaltungen sind dabei kaum möglich.

Ein Manko ist noch die Aufmerksamkeit, wenn mehr als eines gleichzeitig beachtet werden möchte. Auf besonders steinigen Wegen muss ich auf die Füße achten und übersehe dabei in den Weg hängende Pflanzen und Dornen. Das tut manchmal weh. Multitasking geht noch immer nicht, Single-Tasking ist dafür aber zu wenig.

Den größten Fortschritt brachte aber die Sicherheit beim Gehen. Meine Knöchel sind so stark geworden, dass ich fast nicht mehr umkippe. Ein großer Vorteil beim Gehen, bin ich früher doch oft umgekippt. Das viele Training trotz Muskelschwäche hat sich ausgezahlt.

Sicher gehen

Der Camino

Es sind alles Dinge, die ich schon seit Anfang an Trainiere. Aber der Camino brachte alles auf eine neue Ebene. Therapie im Alltag, unter natürlichen Bedingungen. Denn auch das Leben wieder leben lernen, ist mir hier wieder gelungen.

Erfahrungen am Camino

Allerdings fehlt noch einiges, denn Emotionen und Gefühle kann ich nur beschränkt zulassen. Sie wirklich handhaben zu können, wird noch einige Zeit dauern. Diese Erfahrungen sind aber unumgänglich.

So konnte ich wieder einiges verbessern oder konnte erkennen, woran ich noch arbeiten muss. Um mich nicht misszuverstehen, ich bewege mich noch immer im einstelligen Prozent Bereich der Verbesserung. Von 0 auf 101 bewege ich mich zwischen 35 und 40. Das klingt wenig, aber ich möchte gar nicht wissen, wo ich stünde, wenn ich den Camino nicht für mich entdeckt hätte.

Damit schließe ich, denn das Schreiben ohne Tastatur, die ich ja verloren habe, geschieht mir nicht leicht.

Buen Camino

1 Bild jeden Tag vorm Losgehen

Ich bin in Santiago de Compostela angekommen und werde einen Ruhetag einlegen. Den zweiten auf meiner Reise. Die Gelegenheit, mit Bildern über diesen Wintercamino eine Rückschau zu halten.

Dieser Winter ist kein normaler Winter. Kein Schnee, moderate Temperaturen und nur ein paar Tage, an denen es geregnet hat. Es gibt Bilder vom Winter, da schaut's anders aus.

Der Start meines WinterCamino in Saint Jean Pied de Port in Frankreich

Von Pamplona nach Burgos

Die Meseta

Zum Crux de Ferro

Obreiro, Wintercamino ohne Schnee!

Samos und Santiago de Compostela

...und jetzt geht's weiter nach Finesterre!


Glücklichsein und Freude am Camino!

Vier lange Tage auf der Meseta liegen hinter mir, in denen das Gehen ein große Rolle spielte und ich erfuhr viel Freude und Glücklichsein am Weg. Danach kamen die Berge, es war einfach herrlich, wie die Füße mich trugen.

Nach 450 Kilometern habe ich noch keine einzige Blase am Fuß, trotz einiger sehr langen Etappen. Mit jedem Schritt spüre ich unendliche Dankbarkeit dafür, wieder Gehen zu können. 

Ich kann es kaum beschreiben, wie herrlich ich mich fühle.

Meseta, Glücklichsein am Weg
Meseta

Erinnerungen aus dem Krankenhaus kommen hoch

Wieder Gehen zu können hat eine unendlich wichtige Bedeutung für mich. Es ist ein Teil der Selbständigkeit, der fast verloren schien.

Viele Erinnerungen aus dem Krankenhaus kommen mir in diesen Tagen auf der Meseta hoch, besonders die Zeit im Krankenhaus spielt eine große Rolle.

Ich brauchte damals Wochen, ehe ich das erste Mal im Krankenhaus aufstehen konnte. Ich wuchtete meinen Körper zum zwei Meter entfernten Tisch und war so schwindlig, dass ich kaum aufrecht sitzen konnte. (Link zu den Tagen im Krankenhaus)

Glücklichsein nach der OP, ich habe Überlebt!
Im Krankenhaus nach der OP

Zentimeter um Zentimeter, eroberte ich mir in den folgenden Wochen, ja Monaten, immer mehr Raum zurück. Bis zu den ersten Schritten sollten weitere Wochen vergehen. Das Krankenzimmer konnte ich erst nach drei Monaten erstmals auf eigenen Füßen verlassen.

Viereinhalb Monate musste jederzeit jemand an meiner Seite sein, sobald ich das Bett verließ. Mit dem Rollstuhl ging es auf die Toilette oder überall dort hin, was weiter als zehn, zwanzig Meter vom Bett entfernt war.

Wieder Gehen zu können wurde mein größter Antrieb dafür, so viel zu machen. Man musste mich oft bremsen, weil ich so viel tat. Ich arbeitete am Limit, jederzeit. Ich konnte nicht aufgeben oder weniger tun. Jeden Tag ans Limit zu gehen bedeutete, jeden Tag mein Limit zu erweitern. Von Anfangs 15 Minuten täglich, konnte ich es bis ans Ende der Krankenhauszeit auf 30 Minuten erweitern. 

Ohnmächtig

Ein paar Mal war es zuviel des Guten. Nach wenigen Schritten klappte ich zusammen und fiel ohnmächtig um. Wie in einem Film wachte ich nach einigen Minuten auf und sah nur die Beine der Krankenschwestern um mich herum. Der Grat auf dem ich mich bewegte, war extrem schmal. 

 Jeder Ohnmachtsanfall bedeutete für mich drei Tage Bettruhe, in denen ich nicht aufstehen durfte. So lernte ich, mein Limit besser einzuschätzen und versuchte es zu vermeiden. Drei Tage Bettruhe waren drei Tage verlorene Zeit. Dazu kam ein vermehrter Dokumentationsaufwand und Aufregung für die Schwestern.

Das es Jahre dauern würde, bis ich wieder soweit hergestellt bin, ahnte ich damals nicht.

Glücklichsein und Freude

"Es gibt keinen Weg zum Glücklichsein. Glücklichsein ist der Weg!"

Buddha

Ich bekam des Öfteren am Camino zu hören: "Du lächelst dauernd und schaust immer glücklich aus, egal was ist?"

Ja, mehr oder weniger stimmt das. Es gibt kaum mehr etwas Unangenehmes oder etwas, dass mich stört. Natürlich habe ich auch Trauer und nicht so Schönes in mir, aber das Grundgefühl ist Dankbarkeit und Freude, dass ich überhaupt noch am Leben bin.

Die Trennung nach 20 Jahren von meiner Lebensgefährtin und dass meine Familie zerbrach, löste große Trauer in mir aus, bis heute noch. Ich hatte zu lernen, trotzdem ein glückliches Leben führen zu können, denn Glücklichsein ist der Grundstock, um wieder Gesund zu werden. 

Dieses Glück fand ich am Camino wieder. Ich lernte, mein Glück nicht von anderen abhängig zu machen. Glücklichsein und Trauer schließen sich nicht aus. Wichtig ist nur, dieses Gefühl auch zu Hause weiterleben zu können.

Gefühle und Emotionen beim therapeutischen Tanzen

Beim therapeutischen Tanzen lerne ich, Gefühle und Emotionen wieder zu spüren. Es hilft mir langsam, sie wieder kennenzulernen.

Ich kann nur schwer damit umgehen. Ein berührender Moment in einem Film bringt mir sofort Tränen in die Augen. Es gibt nur alles oder nichts, 0 oder 100 %.

Um emotional nicht niederzubrechen, musste ich mich Anfangs von Gefühlen abschneiden. Jetzt heißt es wieder, damit richtig umgehen zu lernen.

Glücklichsein am Camino
Emotionaler Weg

Die Auswirkungen des Hirnabszesses 

Sie sind nicht zu unterschätzen. Nach außen mag nichts darauf hindeuten, aber die Wirklichkeit schaut eben anders aus, denn in mich hineinschauen kann niemand. Ich verstehe, dass es verwundert, dass ich 1000 km durch Spanien am Jakobsweg wandern kann, aber im Bus nach Graz einen Sitzplatz benötige, da ich sonst umfalle.

Jeder Meter am Camino France ist hart erarbeitet. In Summe bringt mir das eine Verbesserung, die für manchen Unvorstellbar ist. Ich bewege mich in kleinsten Bereichen, aber viel von wenig, bringt eben mehr Verbesserung. Trotzdem bleiben es Kleinsterfolge, die nur in großen Abständen messbar sind. Aber es geht vorwärts, trotz andersartigen Prognosen.

Da die Defizite so vielfältig sind, kann ich mich auch hier am Tag nur einem dieser Defizite annehmen. So bekamen die Aspekte des therapeutische Tanzen einen großen Stellenwert.

Gefühle und Emotionen sind mir wichtig, sie wieder zu lernen, vor allem der Umgang mit Ihnen. Die Traumaaufarbeitung dauert lange. Zunächst die Zeit im Krankenhaus, aber besonders die Trennung, kann ich emotional noch immer nicht verarbeiten. 

Der Camino ist für mich zu den Therapien zu Hause nicht mehr wegzudenken. Er ist ein wichtiger Teil meines Lebens geworden, ohne den vieles nicht möglich geworden wäre. Ich treffe hier auf alle möglichen Menschen, mit denen ich mich wiederum über alles mögliche Unterhalten kann. Mit einigen wenigen kann es auch spezieller werden.

Zum Beispiel mit einer griechischen Krankenschwester, die in England auf einer Hirn-Tumor Station arbeitet.

Solche Treffen sind "zufällig" und bringen für beide Seiten enorm viel. Mir tut es gut, mich mit jemanden vom Fach zu unterhalten und sie kann von meinen Erfahrungen lernen und in ihre Arbeit einfließen lassen.

Meseta, Berge und Galizien

Am Ende der Meseta hatte ich das Gefühl, mir die Krankheit aus dem Leib laufen zu wollen. Ich fand so großen Gefallen am Gehen, ich wollte und konnte damit nicht aufhören. Das Gehen wurde wie zur Sucht. Andererseits ist es das einzige, was ich wirklich kann, wenn es auch noch große Konzentration erfordert.

Als es über die Berge ging, konnte ich nicht anders, als weiterzumachen. Erst ab Ponferrada begann ich kürzerzutreten und kurze Etappen einzulegen.

Glücklichsein am Crux de Ferro
Am Crux de Ferro
Berge
Über die Berge

Galizien

Die ersten Tage hier waren wunderschön. Ich stehe knapp über hundert Kilometer vor Santiago und gehe teilweise nur 15 Kilometer am Tag.

Die Landschaft ist zauberhaft schön. In Samos hatte ich ein besonderes Erlebnis. Ich übernachtete in einem mehrere hundert Jahre alten, riesigem Kloster. 

Es gab auch einen Nachteil, denn es gab keine Heizung und es war eine der kältesten Nächte seit langem. Die alten Klostermauern hielten die Kälte im Inneren, denn im Freien war es wärmer als drinnen.

Es wurde trotzdem ein einzigartiges Erlebnis, dass ich zusammen mit Frank aus USA, zusammen erlebte. Es ist immer wieder schön, in so alten Gemäuern zu übernachten.

Samos

Sarria und Glücklichsein

Der Abstecher nach Samos brachte ein wenig mehr an Kilometern, aber war jeden Schritt wert. Tolle Natur entschädigte für den Aufwand.

Erste blühende Bäume und Schnecken am Boden, brachten den Frühling näher. Es waren tolle Momente am Weg. Wieder ergriff mich ein Glücklichsein, dass mich dankbar den Weg gehen ließ.

Es geht weiter....!

Noch bin ich nicht am Ziel und es warten noch wunderschöne Tage, im Herzen von Galizien. Mein Ziel, von diesem Camino wieder etwas für meine Gesundheit mitzunehmen, habe ich bereits erreicht. Ich weiß, woran ich arbeiten muss und was noch nicht so gut funktioniert.

Bis dahin versuche ich noch in Spanien das Leben und die Therapie unter einen Hut zu bekommen und zu genießen!

Buen Camino


Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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