Das vierte Jahr meiner Rehabilitation hat so begonnen, wie das dritte geendet hatte. Mit Gehen und einer "Pilgertour" nach Frohnleiten. Seit meiner Pilgerreise zum Jakobsweg, war ich zu Hause nie mehr länger unterwegs.
Ich bin zwar fast jeden Tag gegangen, aber kein einziges Mal länger. Wobei "länger" bedeutet, weiter wie 15 Kilometer. Für alles darüber benötige ich einen ganzen Tag.
Im Pilgermodus unterwegs zu sein, war mein Ziel. Nichts denken, genießen und den Kopf freibekommen. Gerade das Denken ist noch mein größtes Handicap. Zu Hause werde ich mit vielem konfrontiert, was ich nicht weiter oder fertig denken kann. Dann hilft es, in den Wald oder auf Pilgertour zu gehen.
Zu jeder Location habe ich einen emotionalen Bezug, positiv oder negativ. Für eine längere Tour zu Fuß suche ich mir am liebsten Orte, zu denen ich positive Erinnerungen habe. Gerade die Emotion spielt eine wesentliche Rolle. Es gibt noch genug Plätze, Ortschaften und Gasthäuser, die ich mit negativen Erinnerungen in Verbindung bringe.
Dahingehend habe ich eine Vermeidungstaktik entwickelt, was auch auf ein Trauma hindeutet. Es hat mit meiner Aufarbeitung zu tun oder besser mit der Nicht-Aufarbeitung. Es ist mir noch nicht möglich, mein Denken erlaubt es mir nicht. Eine Traumatherapie wird mir dabei helfen.
Nach dem Krankenhaus war es eines meiner ersten Ausflugsziele, ziemlich genau vor drei Jahren. Wenn ich heute zurückkehre nach Frohnleiten, so habe ich gute Erinnerungen daran. Ich war oft mit der Familie dort und verbrachte viele Stunden im Park und am Spielplatz.
Meine Erinnerungen, positive, habe ich auch nach der Krankheit bekommen. Nach fünf Monaten im Krankenhaus war es herrlich den Park wieder genießen zu können. Damals war allein die Hinfahrt schon beschwerlich. Vom Auto raus, kam ich keine dreißig Meter und musste mich hinsetzen. Die frische Luft war ich nicht gewohnt und Gehen konnte ich nicht weit. Es war herrlich, aber nach 30 Minuten war ich am Limit.
Nach genau drei Jahren wollte ich jetzt zu Fuß hin. Eine Pilgertour von Judendorf nach Frohnleiten. Es sind etwas über 20 Kilometer, eine Distanz, die ich mittlerweile bewältigen sollte. Diese Kilometer ging ich auch öfter am Jakobsweg.
Der Weg führte über Gratkorn und die erste Rast legte ich am Zigeunerloch ein. "Klettern" vermied ich, denn alle Energien benötige ich fürs Gehen. Nach wie vor muss ich meine Energien genau einteilen und unnötige vermeiden, besonders wenn ich weiter Gehen möchte. Auch am Jakobsweg vermied ich jede unnütze Bewegung.
Es ging weiter die Mur entlang. Ich war der einzige Fußgeher und nur einige Male wurde ich von Radfahrern überholt. Das Gehen verlief weiterhin ohne Probleme. Nach zwei Jakobswegen habe ich die Erfahrung, die Geschwindigkeit richtig zu dosieren. Vorbei am Golfplatz Murhof, erreiche ich die ersten Steigungen.
Hin und wieder werde ich noch schwindlig. Dann heißt es mit dem Kopf nach unten und abwarten bis es besser geht. Langsam dann den Kopf wieder hoch und es ist alles OK.
Am Anfang ging es darum, wieder aufrecht sitzen zu können. Der eineinhalb Meter neben dem Bett stehende Tisch war eine Herausforderung, ihn zu erreichen. Ich brauchte Monate dazu, ehe ich ihn erreichte. Davon bekamen außenstehende nichts mit.
An solche Momente muss ich dann denken, wenn mir wieder einmal schwindlig ist.
Wenn es bergauf oder bergab geht, muss ich mich immer austarieren. Das braucht einige Meter, bis ich mich unter Kontrolle habe. Da spielt das Gleichgewicht noch nicht mit, aber ich arbeite daran. Für mich dauert jeder Schritt oft zu langsam, dabei habe ich in den letzten Jahren mehr erreicht, als ich erwarten durfte.
Am frühen Nachmittag bin ich dann angekommen. Wie am Jakobsweg, erreichte ich auch hier etwa 3,5 Kilometer in der Stunde. Dort erwartete mich eine Überraschung. Im Park hat die Gemeinde einige Geräte für die Geschicklichkeit installiert, besonders zum Balancieren. Für mich natürlich ein Muss, es auszuprobieren.
Allerdings war ich nach dem Gehen schon müde und so hat mich alles wieder einmal Gnadenlos abgeworfen. Meine Stabilität und Balance gewinne ich nur langsam zurück. Vielleicht komme ich einmal mit dem Auto oder Zug her, dann kann ich meine Trainingseinheit hier anlegen.
Es war schön, an nichts denken zu müssen. Es brachte meinem Gehirn etwas Ruhe, dass meinem Nervensystem gutgetan hat. Beim Gehen brauche ich an nichts zu denken, außer natürlich an die Bewegung. Jeder Meter bringt mich näher ans automatische Gehen.
Wenn ich daran denke, dass der Österreicher im Durchschnitt 265 Kilometer im Jahr zu Fuß zurücklegt. Ich bin seit 2016 rund 5500 Kilometer gegangen, dabei konnte ich die erste Zeit nur wenig gehen. Wo würde ich jetzt stehen, wäre ich nicht so viel gegangen? Ich möchte das lieber nicht wissen.
Müde, aber glücklich, geht es zurück nach Judendorf. Meine Tage sind meist ein Mix aus Leben und Rehabilitation. Meine Aufmerksamkeit unterwegs kann ich mittlerweile auch den Blumen, den Tieren und der Landschaft widmen, nicht nur der Bewegung. So wird das Leben wieder Schritt für Schritt ergangen. Besonders das Gehen ist lebenswert.
Meine Pilgertour war ein voller Erfolg und am liebsten würde ich es jeden Tag machen. Noch stehen aber viele andere Dinge an, die mir weiterhelfen sollen.