Der Weststeirische Jakobsweg mit Sonne, Regen und Gewitter

15. Juni 2020
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8 Minuten Lesezeit

Nach der langen Auszeit durch den Lockdown, wurde es wieder mal ein Neustart. Der Weststeirische Jakobsweg war das Ziel und damit eine Überprüfung, wo ich nach Corona jetzt stehe.

Diese Zeit war auch die Gelegenheit meinem jüngeren Sohn das Pilgern näherzubringen und Zeit mit ihm zu verbringen. Erst hatte ich vor, im Mai mit ihm zum Camino Frances zu fahren, aber Corona hat das verhindert.

Nach meinem Camino im Jänner/Februar, war ich nun bereit für das Pilgern mit meinem Sohn. Es hat noch immer mit Rehabilitation zu tun, aber ich traute mir zu, zusammen mit ihm zu gehen. Spanien war plötzlich nicht mehr möglich und so entschied ich mich durch Österreich zu Pilgern, nicht wissend was uns erwarten wird.

Die ersten fünf Tage begleitete mich mein Sohn Elvin auf dem Weststeirischen Jakobsweg.

Der Weststeirische Jakobsweg
Der Weststeirische Jakobsweg

Pilgern in Spanien und Österreich

Es macht einen Unterschied, ob man in Spanien oder Österreich pilgern geht. Spanien bietet mit seinem ausgebauten Netz von Herbergen eine unglaublich größere Möglichkeit und unterstützt mich damit in der Rehabilitation vom Hirnabszess.

Spanien war allerdings plötzlich nicht mehr erreichbar und ist derzeit nur unter großen Sicherheitsvorkehrungen zu bereisen. Die Reise mit Elvin zum Camino Frances wurde damit unmöglich. Haben mich die Regeln schon in Österreich überfordert, so ist es mir in Spanien derzeit unmöglich. Zu groß sind die Auflagen und Regeln.

Der Jakobsweg führt aber sowieso von Zuhause weg, also wieso nicht in der Heimat Pilgern?

Die Frage ist nur auf welchem Weg. Ich wollte die Südroute gehen, denn von mir Zuhause geht der Weststeirische Jakobsweg los. Damit geht aber auch die Überquerung von einigen hohen Bergen einher. Es war die Frage, ob ich mir das schon zutrauen konnte. Mit Zelt erhöht sich das Gewicht zum Tragen und ob ich dafür schon bereit bin, sollte sich erst zeigen.

Es geht aber nichts über das Probieren. Für mich stellt sich immer wieder die Frage nach meiner Grenze. Sie hinauf zu setzen ist immer wieder mein Ziel. Dazu habe ich erst dieser Tage etwas übers Trailrunning gelesen, dass mir seit dem Hirnabszess ständig vorschwebt.

"Das zentrale Nervensystem wird gnadenlos ignoriert, denn der Läufer weiß längst viel besser als seine eigenen Synapsen, was er von seinem Körper verlangen kann und was nicht. Der Läufer gerät fast täglich in physische Grenzsituationen, die der Nichtläufer nur in Notlagen kennenlernt!"

Trail Magazin, 04/2020


Ja, ich bin seit über vier Jahren nicht mehr gelaufen, trotzdem sehe ich mich noch als Sportler und stelle mir täglich das Trailrunning vor und wie ich von Stein zu Stein hüpfe. Visualisieren und geistiges Training machen einen großen Teil meiner Arbeit aus.

Dieses jahrelange Denken und Auseinandersetzen im und mit dem Sport hat mich nach der Gehirn-OP gerettet. Es wurde mein Anker in dieser Zeit und ist es bis heute, an dem ich mich festhalten kann. Denn die körperlichen Defizite sind das Eine, aber "nicht denken können", dass andere. Und dieses "Nicht denken können" sollte mich auch diesmal ans Limit bringen.

Der Weststeirische Jakobsweg, Tag 1

Der Plan war, zusammen mit meinem Sohn den Weststeirischen Jakobsweg zu gehen. Für ihn ist es leichter, danach wieder nach Hause zu kommen. Mein weiterer Weg sollte mich über Kärnten, die Hohen Tauern nach Salzburg, Tirol und bis an den Bodensee bringen. Ich wollte zumindest Österreich in Corona Zeiten durchqueren.

Mein Sohn hat keinerlei Erfahrung mit dem Gehen oder Pilgern. Ich möchte aber auch ihm die Schönheit der Natur und die Erfahrungen des Pilgerns näherbringen. Dazu ist es etwas Eigenes, von daheim wegzugehen.

Nur wenige Meter von Zuhause entfernt, beginnt der Zubringer des Weges nach Lavamünd. Wir schulterten die Rucksäcke, in denen sich auch ein Zelt befand. Nach wenigen Metern waren wir bereits dem Regen erstmals ausgesetzt.

Die erste Etappe sollte uns in die Gegend von St.Pankrazen bringen. Ich merkte bereits an diesem ersten Tag, dass es nicht so einfach wie auf meinen vorangegangenen Pilgerfahrten war. Die Folgen des Lockdown, das erhöhte Gewicht und das Übernachten im Freien waren ein unbekanntes Terrain, auf das ich mich erst einstellen musste.

Start in Judendorf Straßengel
Start in Judendorf Straßengel

Der Weststeirische Jakobsweg, Tag 2

In Richtung Bärnbach war es großteils schönes Wetter. Das erleichterte viel. Der Weg kostete aber viel Kraft, bei weniger Kilometer als sonst. Allein das Zelten kostete mir rund ein Drittel der Gehleistung. Da es aber Elvins erste Pilgerwanderung war, achteten wir darauf, nicht zu weit zu Gehen.

Die Freude stand im Vordergrund für uns, die Elvin aber nicht oft zeigte, zu sehr hatte er mit dem Vorwärtskommen zu tun. Diese Langsamkeit tat mir aber genauso gut.

St.Pankrazen, der Weststeirische Jakobsweg
St.Pankrazen

Der Weststeirische Jakobsweg, Tag 3

"Horse-Pilgern" stand für den heutigen Tag. Es ging durch die Heimat der Lippizaner, durch Piber und weiter nach Edelschrott.

Der Plastik Lippizaner zeigte mir wieder auf, wo ich stehe. Vom einfach in den Sattel schwingen bin ich weit entfernt. Selbst das Sitzen im Sattel wurde zur Gleichgewichtsübung. Auf einem starren Pferd, wohlgemerkt. Es waren immer wieder diese kleinen Hinweise, die mich verunsicherten, dass ich viel nachzuholen habe.

Lippizaner Heimat,
Weststeirischer Jakobsweg
Lippizaner Reiten

Es war einer der schönsten Tage vom Erlebniswert, denn ich versuchte mich auf die Lippizanerwelt ein wenig einzulassen. Alles aber nur in kleinen Dosen, denn ich musste sehr behutsam mit meiner Energie umgehen.

Dieser Tage kam mir das Zitat von der Autorin Renate Florl unter:

"Pilgern beinhaltet das Unterwegssein und das Herausgehobensein aus dem täglichen Leben. Pilgern bedeutet, jeden Tag aufs Neue den Aufbruch ins Ungewisse wagen, das Gehen und Ausruhen, das Ankommen. Es bringt es mit sich, sich auf das Wesentliche zu reduzieren und auskommen mit dem, was man hat - und es wird einem dabei manches geschenkt, wovon man nie zu träumen gewagt hätte!"

Renate Florl

Elvin konnte das nicht ganz nachvollziehen, zu sehr hatte er mit dem Gehen zu tun. Außerdem machten ihm die Pollen zu schaffen. Immer wieder ging es durch hohes Gras.

Waschen im Bach rundete das Zelten ab. Einerseits tat es gut, aber ich musste auf meinen Vorrat an Energie aufpassen. Die Energie ist vor dem Tag zu Ende, bedeutete genau zu überlegen was anstand oder was uns noch bevor stand.

Waschen im Bach
Waschen im Bach

Besonders die Orientierung war das Problem. Der Weg war oft nicht gekennzeichnet oder es galten andere Markierungen. Normalerweise kein Problem, aber ich war damit überfordert, dass alles zu unterscheiden.

Zu viele Weggabelungen ließen mein Gehirn oftmals ans Limit stoßen. Im Unterschied zum Camino in Spanien, gab es hier keine gelben Pfeile. Man mag es glauben oder nicht, das Navigieren strengte mich gleich an, wie das Gehen.

Markierungen
Nicht immer ist alles so gut markiert

Der Weststeirische Jakobsweg, Tag 4

Heute war der Tag der Bäume. Bergauf, bergab ging es immer durch schöne Wälder dahin. Langsam kamen wir höher, immerhin schon an die 1.000 Meter Seehöhe.

Baum

"Sei freundlich zu Bäumen. Sie sind damit beschäftigt, die Welt zu retten."


Heute mussten wir mehrmals eine Herde von Kühen umgehen. Gerade wenn Jungtiere dabei waren, hieß es, vorsichtig zu sein. Es war manchmal ein mulmiges Gefühl dabei, wenn eine ganze Gruppe von Kühen auf das Gatter zugelaufen kam und uns misstrauisch und unruhig beäugten. Der Weg hätte geradewegs durch die Weide geführt. Zertretenes Gras um den Zaun herum ließ darauf schließen, dass bereits jemand anderes den sichereren Weg suchte. Auch Kühe wollen ihre Ruhe.

Das war aber oft mit beträchtlichen Mehraufwand verbunden, den oft führte der Weg querfeldein um den Zaun herum. Ich sah es als Training für das Steigen im unwegsamen Gelände. Einmal war auch über den Bach zu springen. Wer von meinen Problemen zu Springen weiß, kann sich vorstellen, was das Kraft gekostet hat. Es wurde oft genug zu einem Grenzgang für mich.
Denn ich hatte auch die Verantwortung für meinen Sohn. Er kann zwar auf sich selbst aufpassen, aber die väterliche Führungsrolle hatte ich trotzdem inne.

Kuh Herde umgehen,
Weststeirische Jakobsweg
Kuh Herde umgehen

So war ich am Ende des Tages körperlich, mental und geistig fertig, immer hart an der Grenze. Die immer näher kommende Koralm wurde immer höher und wir diskutierten erstmals darüber, eventuell aufzuhören.
Wir bauten das Zelt direkt am Weg auf, soweit wir gekommen waren. Unter den Bäumen waren wir auch vom Regen etwas geschützt.

Der Weststeirische Jakobsweg, Tag 5

Heute siegte die Vernunft über die Unvernunft. Was schon am Vorabend begann, wurde heute Wirklichkeit. Es war keine Aufgabe, sondern ein Abbruch. Es hatte keinen Sinn weiterzugehen und uns womöglich in Gefahr zu begeben. Wegen Corona wären wir die nächsten Tage zusätzlich auf Eigenverpflegung angewiesen und das über den höchsten Punkt des Weststeirischen Jakobsweg, der 2.140 Meter hohen Koralm.

Meine körperlichen Reserven sind zu gering, als dass das ich mich dem Regen oder einem Gewitter in dieser Höhe aussetzen wollte. Elvin machten, neben den üblichen Gehproblemen, auch die Pollen zu schaffen. Das kostete ihm wertvolle Energie, die er für die Koralm gebraucht hätte.

Der Tag begann aber mit einem Verpassen des Weges. Wir frühstückten in einem Gasthaus am Weg und die Wirtin empfahl uns einen direkteren Weg, als den offiziellen Pilgerweg nach Osterwitz zu gehen. Klang gut, endete aber im Chaos, dass in sich wieder einen schönen Weg barg. Aber die Sucherei hätte ich Elvin und mir gerne erspart. Aus dem Abschneider wurde die Originallänge, zwar landschaftlich schön, aber anders als ursprünglich gedacht.

In Osterwitz entschieden wir uns dafür, den Weg nach 80 Kilometer Gesamtlänge abzubrechen. Allerdings rechneten wir nicht damit, dass uns niemand abholen konnte oder wollte. Ein Gewitter zog immer näher und eine weitere Nacht im Zelt schien nicht verlockend. Dazu sollte es die Nacht über gewittrig bleiben und stark abkühlen.

So entschieden wir uns nach Deutschlandsberg 20 Kilometer weit abzusteigen und den Zug nach Hause zu erwischen. So langes absteigen, bzw. hinuntergehen, waren wir beide nicht gewohnt. Besonders Elvin konnte vor lauter Muskelschmerzen kaum mehr gehen.

Regen und Gewitter
Regen, Gewitter

Resumee der 5 Tage

Trotz der eigentlich nicht einfachen Tage, konnte ich es positiv für mich abschließen und habe viele neue Erkenntnisse für mich mitgebracht. Das wichtigste war mir aber die Zeit mit meinem Sohn und ihm das Pilgern näherzubringen. Pilgern ist ein Abbild unseres Lebens und das es diesmal nicht so leicht ging, ist ein Hinweis darauf, dort hinzuschauen.

Für Elvin ist es natürlich nicht leicht zu erkennen, aber die Zeit wird ihm zeigen, für was es gut war.

Ich musste erkennen, dass es für die hohen Berge noch zu früh ist und werde mich an die Niederen halten. Meinen Jakobsweg werde ich auf dem Hauptweg über Nieder- und Oberösterreich fortsetzen, der geeigneter für mich ist.

Alleine hätte ich die Koralm vielleicht geschafft, aber spätestens vor den Hohen Tauern wäre Schluss gewesen. Die Überquerung wäre körperlich zu forderns geworden.

Wo stehe ich?

Ich weiß es nicht wirklich? Wieder einmal muss ich mich sammeln. Alles ist so unwirklich zurzeit. Besonders die Frage geistert in mir herum, warum trainiere ich, was für einen Sinn hat das, was ist meine Motivation?

Ich bin jetzt im fünften Jahr nach dem Hirnabszess, hatte meine Erfolge in der Rehabilitation und konnte viel erreichen. Allerdings ist viel von dem Erreichten in der Corona-Krise verloren gegangen.

Ich lebe Tag für Tag und jeder Tag beginnt seit 1548 Tagen immer wieder neu für mich. Die wertvollsten Siege sind nicht sportlich oder das ich 1.000 Kilometer am Camino in Spanien gehe. Nein, es sind die kleinen und unscheinbaren Erfolge, die wirklich wertvoll sind und mir wieder ein klitzekleines mehr Lebensqualität ermöglichen.

Seit vier Jahren hangele ich mich von Erfolgserlebnis zu Erfolgserlebnis. Jeder Tag erfordert Hingabe, wie ich sie früher im Sport hatte. Es ist jetzt ein Wettkampf gegen mich selbst geworden, nicht gegen andere.

Mein Ziel ist es, wieder mehr Lebensqualität zu erreichen. Dafür mache ich alles und höre nicht auf, bis ich auf über 50% meiner Leistungsfähigkeit bin. Pilgern ist meine beste Therapie und wenn ich nicht nach Spanien fahren kann, dann gehe ich eben durch Österreich.

Aber nicht über hohe Berge, sondern ich werde den Hauptweg des Jakobsweg von Krems weg zum Bodensee versuchen.


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6 comments on “Der Weststeirische Jakobsweg mit Sonne, Regen und Gewitter”

  1. Lieber Jörg!Lieber Elvin!
    Ihr Beide seid Spitze!!!
    Ich gratuliere Euch zur Begehung des Steirischen Jakobswegs!!!

    Nach den Motto:" Der Weg ist das Ziel!"

    Lebe weiterhin nach deinem Lebensmotto:" Never give up"

    Alles Liebe
    Andrea

    1. Hallo,
      danke sehr. War ein Abenteuer es mit Zelt zu machen, besonders für Elvin.
      Allerdings habe ich gemerkt, die hohen Berge sind noch nichts für mich. Ich werde in den Norden wechseln und auf dem Haupt-Jakobsweg weitergehen.
      Das Gehen tut mir einfach zu gut. Mit jedem Schritt gehe ich den Folgen des Hirnabszesses mehr davon.
      Liebe Grüße
      Jörg

  2. Hallo Jörg!
    Elvin und ich deinen Artikel durchgelesen und ich finde ihn hervorragend.Er ist wirklich sehr gut geschrieben. Es erstaunt mich nun noch mehr, dass Elvin so lange durchgehalten hat.
    Dein Schreibstil wird immer besser!
    LG Silvia

    1. Hallo,
      ich fühle mit euch und mit deinem Sohn. Lass ihn recht herzlich grüßen, er soll geduldig sein mit sich.
      Man möchte innerlich und es geht nicht, damit ist schwer zurechtzukommen.
      Ich kann nur von mir sprechen, aber Besuch hat mir besonders gutgetan. Die Hand halten, Berührung, das war wichtiger als viele Worte. Es waren eh nur wenige Minuten am Tag möglich, den Rest habe ich geschlafen.
      Ich konnte am Anfang fast nur mit mir selbst kommunizieren, das Gedachte konnte ich nicht nach außen in Wörter transportieren. Das wurde mir allerdings erst später klar.
      Womit ich gar nicht klarkam, waren sorgenvolle, ernste Gesichter. Das drückte auch mein Gemüt. Ich wollte eher freudige und lebensbejahende Menschen um mich.
      Ich war Sportler und der Satz "Never give up!" hatte vom ersten Tag an Gültigkeit und motivierte mich noch auf der Intensivstation, mich zu mobilisieren, wenn es auch nur wenige Minuten am Tag waren.
      Familie war das wichtigste, diese Zeit zu überstehen. Er soll die Hoffnung nie aufgeben!
      Für euch ist das genauso schwer, deshalb passt auf euch auf. Macht Dinge, die euch guttun. Das hilft auch ihm, wenn er sieht, dass es euch gut geht!
      Alles Liebe und Kraft euch allen. Meldet euch mal, wie es weitergegangen ist. Deinem Sohn wünsche ich Geduld und Kraft, dass er gesund wird!
      Liebe Grüße
      Jörg

Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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