30. Feinfühligkeit und HochSensibilität

10. November 2017
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5 Minuten Lesezeit

Feinfühligkeit und Hochsensibilität dominieren meinen Alltag. Der Hirnabszess hat vieles in meiner Wahrnehmung verändert. Reizüberflutung und hohe Empathie sind die Folge. Ich muss erst wieder damit umgehen lernen.

Es geht eben nicht nur um die Bewegung, es ist auch die Psyche betroffen. Vieles schon gekonnte muss ich wieder neu lernen oder entsprechend damit umgehen lernen.

Eustress und Disstress

In meinem früheren Beruf als Videojournalist hat mir eine hohe Stressresistenz die Arbeit sehr erleichtert. Im Sport lernte ich sehr früh, mit Stress umzugehen. Erhöhte Anforderungen steckte ich gut weg. Meistens bewegte ich mich damit im Eustress. Erst die letzten Jahre, vor dem Hirnabszess, war ich immer öfter Disstress ausgesetzt.

Die Folge war ein Abschalten des Gehirns. Es begab sich in den Ruhemodus und war ähnlich einem Computerabsturz. Reparieren braucht Zeit und oft dauert auch die Diagnose länger damit, was überhaupt kaputt ist. Bei mir ist nicht nur die Bewegung, sondern auch das Denken und die Wahrnehmung verändert.

Was alles betroffen ist, kann ich nur schwer erfassen oder beschreiben. Aus diesem Grund habe ich begonnen, darüber Buch zu führen. Das Aufschreiben und Ergänzen dauert noch immer an. Vieles wird mir erst mit der Zeit bewusst. Mein Zustand ändert sich täglich und das nicht immer nur zum Positiven.

Stress
Feinfühligkeit Hochsensibilität

Multitasking funktioniert nur bedingt

Das ist das Schwierige am Training und fürs Üben allgemein. Ich brauche so viele verschiedene Maßnahmen, dass ich das gar nicht alles (an)denken kann, geschweige denn durchführen. Multitasking funktioniert immer noch nicht wirklich. Im Moment versuche ich beim Gehen mit jemanden zu reden, einen Ball in die Luft zu werfen oder nebenbei Musik zu hören. Damit werde ich abgelenkt und ich denke nicht so sehr an die Bewegung des Gehens. Ziel ist noch immer, es wieder zu automatisieren.

Seit kurzem schreibe ich mir einen Wochenplan, wo ich versuche, möglichst alles abzudecken und einzubinden. Mit Schwerpunkten und aufbauenden Phasen. Ein Trainingsplan wie früher im Sport, nur soll er mich diesmal dem Leben wieder näher bringen. So einen Plan zu schreiben ist eine Herausforderung, also eigentlich wieder Therapie. Denn ich muss mehreres andenken und versuchen unter einen Hut zu bringen. Oft nicht einfach.

 schreiben für Feinfühligkeit und Hochsensibilität

Feinfühligkeit, gut oder schlecht?

Heute geht es aber um die Feinfühligkeit und Hochsensibilität. Ein Phänomen, das mit der Krankheit gekommen ist oder besser gesagt, offen gelegt wurde. Ich bin löchrig wie ein Emmentaler Käse.

Feinfühlig war ich schon vorher und ich hatte auch eine gewisse Hochsensibilität. Das Kriterium ist, wie geht man damit um?

Ich hatte früher kaum Probleme damit und konnte es sehr gut ausschalten, wenn ich es nicht benötigte. Was Menschen in Einkaufszentren so stresst, konnte ich nicht wirklich verstehen. Jetzt kann ich aus eigener Erfahrung mitreden. Gerade große Kaufhäuser können eine Herausforderung sein.

FEINFÜHLIGKEIT UND HOCHSENSIBILITÄT

Als Videojournalist meisterte ich heikle Aufträge sehr gut. Gerade Interviews mit Menschen in schwieriger Lage waren meine Spezialität. Ich brauchte nicht viel nachdenken, konnte mich gut einfühlen und tat automatisch das Richtige. Da kamen mir Feinfühligkeit und Hochsensibilität sehr recht. Ich konnte sehr gut damit leben.

Auch auf Reisen hat es mir sehr gut geholfen. Ich war in den Slums von Agadez, Mombasas und vielen anderen Städten unterwegs. Die Begegnungen dort haben mich sehr geprägt. Ich hatte nie Angst oder gefährliche Momente erlebt. Im Gegenteil, ich wurde von den Menschen immer gut aufgenommen, behandelt oder beschützt.

Heute allerdings beeinträchtigt mich diese Hochsensibilität. Was früher so einfach zu handeln war, ist für mich heute anstrengend und belastend.

Was ist Hochsensibilität?

Ein Erklärungsansatz ist, dass der Thalamus bei hochsensiblen Personen mehr Reize als „wichtig“ einstuft, die das Bewusstsein erreichen. Eine für mich gute und logische Erklärung, was die Empfindlichkeit auslöste. Bei mir ist ja ein Abszess am Thalamus entstanden.

Thalamus
Thalamus

Es wird von einer höheren Intensität des Empfindens von Stimmungen der anderen Menschen berichtet. Man analysiert gründlicher und intensiver, mit einer Neigung zur Spiritualität. Dieses hohe spüren mit allen Sinnen wird auch als der sechste Sinn bezeichnet. Das alles kann ich auch an mir feststellen.

Der Unterschied zu damals ist, dass ich es jetzt nicht steuern kann. Ich war unter anderem Spezialist darin, mich Abzugrenzen. In meiner Zeit als Energetiker eine besonders wichtige Fähigkeit. Einerseits feinfühlig, andererseits konnte ich mich abgrenzen. Manche Energetiker nehmen die Eindrücke und Leiden ihrer Kunden zu stark an. Das führt in der Folge zu Stress und Burn-out. Damit hatte ich keine Probleme.

Bisher behandelte ich eigentlich nur den Einfluss von außen. Ein weiterer Aspekt ist der zwischenmenschliche Bereich, bzw. was in mir innerlich vorgeht. Noch kann ich nicht viel darüber schreiben. Es ist mir zu schwer, alles gleichzeitig zu erfassen. Es belastet mich aber, so viel von meinem Gegenüber zu spüren und aufzunehmen, egal ob VerkäuferIn, Partner oder Kinder. Sich abgrenzen zu lernen ist wichtig und auch, dem etwas Positives abgewinnen zu können, um daraus zu lernen.

Ausflug in die Stadt

Neben all den körperlichen Defiziten, belastet mich die Feinfühligkeit am meisten. Ich lerne langsam damit zu leben, für alle Reize so empfänglich zu sein. Manchmal nicht leicht.

Ich kann mich gut an meinen ersten Ausflug, mit der Straßenbahn in die Stadt, erinnern. Es war Spät-Herbst vorigen Jahres. Am Jakominiplatz stieg ich aus. Es war ein Schock. Straßenbahn von links, Bus von rechts, Radfahrer von vorne und überall Fußgänger. Dazu ein Klingeln und Hupen.

FEINFÜHLIGKEIT UND HOCHSENSIBILITÄT am Jakominiplatz

Mit meinem damals noch recht engen Tunnelblick war ich überfordert. Ich ließ mich neben eine Säule bringen, machte die Augen zu und versuchte mich zu entspannen. Dann wollte ich nur mehr weg von dort. Nach einiger Zeit beruhigte ich mich und ich konnte den Platz überqueren. In den Ausläufern des Stadtparks fand ich Zuflucht.

Heute ist es etwas besser

Es war damals noch zu früh für die Innenstadt. Aber wann ist zu früh? Ich wollte es ausprobieren und mich den Reizen aussetzen, um den nächsten Level zu ersteigen. Es brauchte aber damals noch Wochen, ehe ich den nächsten Versuch wagen konnte.

Das gleiche war mit dem Konzert letztens. Auch da wollte ich neues versuchen. So schraube ich immer wieder mein Limit, Stück für Stück, höher. Oder eben auch nicht. Den Faktor Zeit kann ich kaum beeinflussen.

Heute, ungefähr ein Jahr später, ist es nur um Nuancen besser. Der Tunnelblick ist unter Stresssituationen noch immer da, aber ich kann schon besser damit umgehen. Damals wusste ich nicht, was mich erwartet, heute kann ich mich darauf schon besser einstellen.

Einkaufszentrum

Dasselbe war mit meinem ersten Besuch in einem Einkaufszentrum. Der Gang durch die Eintrittspforte war schrecklich. Innerhalb vonSekunden war ich zahllosen Reizen ausgesetzt. So stelle ich mir den Übertritt in die Hölle vor.

In solchen Momenten engt sich mein Blick ein und ich konzentriere mich nur mehr auf das, was direkt vor mir geschieht. Ich neh me nichts mehr von der Seite wahr und verfalle in eine Art Starre. Von der Seite querende Menschen sind der Horror. Ich will mich nicht mehr bewegen.

Einerseits erschreckend, plötzlich so auf Reize anfällig zu sein. Andererseits auch interessant, wie  Dinge auf einmal wahrgenommen werden.

Empfehlung

Zum Thema Hochsensibilität und Feinfühligkeit möchte ich auf den Youtube Kanal von Peter Beer hinweisen, der sehr gute Aspekte zum Thema findet. Seine Videos helfen mir sehr, meine momentane Situation besser zu verstehen und positive Aspekte zu finden. Wer mehr darüber wissen möchte, kann einmal hineinhören. Es zahlt sich aus.

Ich bin noch immer am Aufarbeiten der Umstände, die das Hirnabszess verursachten, dran. Das zu verstehen erfordert Zeit. Unter anderem ist auch ein Thema die Langsamkeit. Darum bin ich in der für mich richtigen "Schnelligkeit" unterwegs. Mein Gehirn legt das Tempo vor, in dem ich mich bewegen und denken kann.

Zum Schluss noch zwei Tipps, die mir helfen, damit umzugehen:

  • Nein sagen. Dinge ablehnen. Sich dabei nicht erklären. Sofort zum Punkt kommen – nein, das geht gerade nicht.
  • Eine gewisse Tagesstruktur und Routine einführen. Man muss am Tag weniger Entscheidungen treffen und der Tag verläuft damit angenehmer und ruhiger.

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Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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