#cleanupwalk, #plogging - Therapie für was Gutes!
Wie passt #cleanupwalking und #plogging mit Therapie zusammen? Es hat für mich 2019 am Camino del Norte begonnen. Der Dreck am Rande des Weges störte mich. So begann ich, ihn aufzuheben.
In den Herbergen wurden damals Müllsäcke verteilt, um seinen eigenen Müll auf der Etappe zu sammeln und später entsorgen zu können. Meiner Hochsensibilität war der Müll schon immer ein Dorn im Auge. Ich begann am Camino damit, eine Stunde am Tag, ihn aufzuheben.
...und heute noch mache ich das auch zu Hause.
Zu Hause setzte ich das fort. Auf dem Weg zum Einkaufen, mache ich seither jede Woche einen Cleanupwalk. Man arbeitet allerdings gegen Windmühlen. Es ist mir Unverständlich, dass jede Woche an den gleichen Stellen, erneut Plastik und Dosen liegt. Es kommen oft zwei bis drei Säcke zusammen.
Mehrmals in der Woche verwende ich eine Stunde mit dem Einsammeln. Es hat gleichzeitig therapeutische Wirkung, denn das bedeutet sich etwa 50 x Niederbücken oder hinhocken. Für mich ist das gleichzeitig Training, denn mit dem Hinunterbeugen habe ich noch große Probleme.
Es ist ein Krafttraining für die Beine, Koordination und Sensomotorik. Therapie im Alltag, mit der ich auch Sinnvolles mache.
Ein toller Nebeneffekt ist es, dass ich den Schwindel immer besser unter Kontrolle bekomme. Liegt viel Dreck, dann muss ich mich öfter hinunterbeugen und bin schnell erschöpft. So trainiere ich die Koordination, denn beim Aufheben ist ein komplexer Bewegungsablauf notwendig. Hand und Finger werden auch trainiert, denn Greifen üben ist sowieso noch wichtig.
Mittlerweile habe ich immer Handschuhe und ein Sackerl bei mir. Ich kann an keiner Dose vorbeigehen, ohne das ich sie zum nächsten Mistkorb mitnehme. Reicht mein Sackerl nicht aus, muss manchmal ein Hunde-Gackerl Sackerl herhalten. Es ist zwar nur ein kleiner Tropfen auf dem Stein, aber es gibt einem Selbst das gute Gefühl, etwas unternommen zu haben.
Ich starte gerne am frühen Morgen zu Fuß. Ich gehe zwar schon weiter, als noch vor zwei Jahren, aber meine Energie ist noch immer vor dem Ende des Tages aus. So muss ich mir genau einteilen, was und wie viel ich mich bewege.
Ich habe fast immer ein Trainingsgerät bei mir. Sei es um die Finger zu kräftigen oder einen Ball zum Jonglieren. Es ist auch gleichzeitig um automatisches Gehen zu lernen.
Allerdings kann ich bei keiner Dose vorbeigehen, ohne sie mitzunehmen. Das alles hat neben dem Reinhalten der Umwelt den Sinn, mich selbst körperlich zu verbessern.
Mein Ziel ist es ja, mit Zelt oder Biwaksack unterwegs zu sein. Das kostet mir aber noch zu viel Energie, gerade der Schwindel kommt schnell auf, beim am Boden herumhantieren. Seit ich #cleanupwalk praktiziere, hat sich das verbessert. Vielleicht geht es sich bis nächstes Jahr aus, dass ich mit Zelt gehen kann. Training um was Gutes zu tun.
Vor wenigen Tage war ich zum ersten Mal seit einem Jahr wieder einmal in Ulrichsbrunn. Dieser Kraftort ist einfach wunderschön, aber man hat an den nördlichen Rand von Graz zu gehen.
Die Grotte ist faszinierend und früher, als ich noch in Stattegg wohnte, besuchte ich sie öfter. Schon als Radfahrer bin ich vor 30 Jahren oft hingefahren, um zu meditieren. Es tut gut, solche Orte wieder einmal besuchen zu können.
Es gibt mir Kraft, mein Training durchzuhalten.
Wenn ich schon nicht nach Spanien zum Pilgern fahren kann, dann gehe ich eben die österreichischen Jakobswege und deren Zubringer. Der Jakobsweg Burgenland ist einer davon und führt 75 km von der Grenze zu Ungarn nach Maria Ellend.
Pilgern in Österreich ist für mich nicht leicht. Einerseits übersteigt es mein Budget mit dem oftmaligen Übernachten in Gasthäusern und Hotels, denn es gibt die Infrastruktur nicht, wie in Spanien mit den Herbergen.
Andererseits sind die Beschränkungen wegen Corona für mich nicht leicht zu Hand-zuhaben. Besonders das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Stichwort Maskenpflicht), stellt für mich eine besondere Herausforderung wegen der Krankheit dar. Dazu ist diese allgegenwärtige Unsicherheit, die meine Rehabilitation erschwert.
Ich war bisher einige Male mit Zelt oder Biwaksack unterwegs, an die ich meinen Körper allerdings erst gewöhnen muss. Hoffentlich bis nächstes Jahr, da ich dann durch Österreich gehen möchte. Mit Alexander Rüdiger ziehe ich es bequemer vor, übernachtet wird nur in Gasthöfen, also ein wesentlich angenehmeres Pilgern.
Der Jakobsweg Burgenland beginnt in Pamhagen, geht weiter über Frauenkichen, durch Neusiedl am See, nach Bruck am Leithagebirge und geht bei Maria Ellend in den Österreichischen Jakobsweg über.
Die Besonderheit am Jakobsweg Burgenland ist es für mich, dass die ersten zwei Tage große Ähnlichkeit mit der spanischen Meseta am Camino Frances aufweisen. Größere Distanzen zwischen den Orten und sehr flach, ist im Sommer sicher eine Herausforderung, aber Ende Oktober sind keine hohen Temperaturen mehr zu erwarten.
Für mich ist es spannend, wie ich den Weg vertrage. Mit Alexander übe ich sehr stark das automatische Gehen, da wir viel reden und ich dadurch vom Gehen abgelenkt werde. Da wir keine hohe Kilometerleistung vorhaben, sollte das klappen. Trotzdem muss ich aber aufpassen, denn die kühleren Temperaturen, die schwierige Anreise und in der Corona-Zeit schlechter gewordene Gehen, lassen mich vorsichtig werden.
Nach der Anreise mit der Bahn und dem Bus, besuchen wir die Kirche und gehen dann los. Es ist spannend, wie ich diesen Teil von Österreich erleben werde. Das letzte Mal war ich, genau wie diesmal, mit Alexander in dieser Gegend unterwegs, und zwar beim Extremsport Event "Burgenland Extrem", nur zwei Monate vor dem Hirnabszess. Damals planten wir einen Film über den Camino in Spanien.
Ein starker Wind von hinten schob uns über die Wege, auch die Sonne hatten wir im Rücken, gleich wie in Spanien. Schon von weitem sahen wir die Doppeltürme der Basilika von Frauenkirchen, es war aber noch ein weiter Weg dorthin. Die Entfernungen täuschen, auch wenn man das Ziel schon sieht.
Eine Kapelle und viele Bildstöcke säumen den Weg durch Felder und Weingärten und scheint typisch für den Jakobsweg Burgenland zu sein. Das Gehen im ausschließlich Flachen Gelände strengt an und der zehn Meter lange steile Weg hinauf zu einem Bildstock, der auf einem Hügel trohnt, war eine willkommene Abwechslung für die Beine.
Nach dem Losgehen setzen wir uns neben der Kirche kurz auf eine lieblich gestaltete Bank. Die Besitzerin schaut kurz aus dem Fenster und wünscht uns alles Gute für den Weg.
Nach kurzem hin und her durch Frauenkirchen, führt der Weg wieder über endlose Geraden, den immer wieder Pilgerkreuze oder kleine Kapellen unterbrechen, die von Bäumen umringt sind wie in der Meseta, die Landschaft.
Die ersten beiden Tage waren schon sehr schön, aber heute am letzten Tag, kamen auch mehrere Erlebnisse dazu, die den Tag aufheitern sollten. Das erste Erlebnis findet gleich außerhalb von Neusiedl statt. Auf einem einsamen Radweg gehen wir in Richtung Bruckneudorf.
Es ist niemand unterwegs, außer uns. Alexander und ich müssen einmal austreten und stellen uns an den Rand, zwischen die Bäume neben dem Weg. Nach einer Stunde ohne Begegnungen und mehreren hundert Metern Sicht in beide Richtungen sehen wir niemanden. Allerdings können wir gar nicht so schnell schauen, kommt ein elektrisch betriebenes Behinderten-Mobil mit einem Affenzahn daher.
Tief nach vorne gebeugt, um dem Gegenwind keine Stirn zu bieten, schaut er weder nach links noch rechts und verringert auch seine Geschwindigkeit nicht, als er an uns vorprescht. Es ist eine derart skurrile Situation, dass wir lange brauchen, um uns vom Lachen zu erfangen. Es sollte nicht die einzige Begegnung bleiben, an die wir zurückdenken werden.
Weiter geht es nach Bruckneudorf und Bruck an der Leitha, wo wir eine Mittagsrast halten wollen. Zuvor geht es über einsame Feldwege und vorbei an der Vitus-Kapelle mit der Jakobsmuschel drauf. Gleich darauf ein Militärmuseum im Freien, dass auf die Kriegsvergangenheit dieser Gegend hinweist.
Ab der Kapelle gehen wir entlang des Truppenübungsplatzes Bruckneudorf, an deren Ende sich die Kaserne befindet. Nur wenige Meter über die Leitha erstreckt sich danach Bruck. Auf dem Weg dorthin treffen wir auf zwei Soldaten, die die Kaserne bewachen. Zwei junge Rekruten, bewaffnet mit Maschinengewehren, machen eine Kontrolle und verlangen unsere Ausweise.
Alexander gibt seinen hin und ich krame umständlich in meinem Rucksack, um ihn zu suchen. Die beiden sind zwei junge Burschen, die wohl ihre Ausbildung hier machen. Alex fragt beiläufig wie weit es noch bis Bruck a.d.Leitha sei und wo es ein Gasthaus gibt?
Als Antwort bekommt er: "Das weiß ich nicht, ich bin nicht von hier!". Ich denke mir nur, oje, die beiden sind sicher aus Tirol oder Salzburg, fern der Heimat und müssen hier ihren Dienst versehen. Beiläufig und mitfühlend frage ich: "Woher kommt ihr denn?". Darauf hin höre ich nur "Wien"! Ich wieder: "Nein, von wo ihr herkommt, wo ihr zu Hause seid, meine ich?". Die fiepsende Antwort: "Aus Wien kommen wir!".
Verblüfft bleibt mir der Mund offen, denn Wien ist keine 30 Kilometer von hier entfernt. Er kennt sich hier nicht aus und das Bruck an der Leitha auf der anderen Seite des Flusses liegt, weiß er nicht. Da möchte ich wissen, was er kontrolliert, wenn er nicht einmal weiß, wo er ist. Und das 30 Kilometer von zu Hause entfernt. Schön langsam verstehe ich die Kritik am Einsatz von Präsenzdienern an der Grenze. Die beiden wissen ja nicht einmal wo sie sind.
Mit dem Leithakanal überqueren wir die Grenze zu Niederösterreich und lassen damit das Burgenland hinter uns. Unser erster Weg führt uns zur barocken Kirche zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit, die im Zentrum steht. Nicht alle Gasthäuser haben offen und so entscheiden wir uns für das am Schloss Prugg gelegene Gasthaus und lassen es uns gut gehen.
Da wir noch eine lange Strecke bis nach Maria Ellend vor uns haben, Stärken wir uns gut, bevor wir den letzten Teil angehen.
Wir sind jetzt in hügeligen Gelände und haben einen langen Waldweg vor uns, der uns nach Maria Ellend bringt. Das bergauf und bergab tut gut, nach dem langen Gehen im Flachen. Der Weg zieht sich noch und dauert länger als gedacht.
Ich verpasse meinen direkten Zug nach Hause und somit muss ich noch dreimal umsteigen und komme erst spät am Abend nach Hause.
Mein Resümee fällt wie meistens beim Pilgern sehr positiv aus. Ein toller Weg, der viele Gedanken an den Camino Frances hochkommen ließ. Das Pilgern ist das einzige, woran ich mich derzeit festhalten kann. Auf dem Weg fühle ich mich glücklich und voller Freude.
Zu Hause besteht mein Tagesablauf aus Rehabilitation, Training und Üben. Dazugekommen ist Corona, welches meine Rehabilitation sehr verändert hat. Kurze Ausbrüche aus diesem Leben, wie der Jakobsweg Burgenland, halten meine Motivation hoch, denn ausschließlich Rehabilitation seit vier Jahren halte selbst ich nicht aus.
Dieses Jahr brachte mich durch Corona oft genug ans Limit, ein Limit, das besser verwendet wäre. Aber ich muss damit Leben lernen, bloß das dieses "Leben lernen" einen zusätzlichen, anderen Anstrich bekam. Gerade die wieder stärker werdende Corona-Krise bringt mich von meinem Ziel wieder weiter weg. Statt sozialer Kontakte werde ich immer mehr zum Eigenbrötler.
Jeden Tag erlebe ich NEU, so ist es mir unmöglich, altes aufzuarbeiten. Mein Gehirn macht da nicht mit. Ich kann nur jeden Moment im JETZT genießen und schauen, dass ich jederzeit das Beste daraus mache und versuche, mich wohlzufühlen. Freude und Glücklichsein versuche ich in mir zu kultivieren, egal durch was. Es gelingt nicht immer, aber immer öfter. Damit wird auch die Vergangenheit nicht mehr so wichtig, die mich zeitweise noch immer einholt.
Geschichte schreiben ist eine Art, sich das Vergangene vom Halse zu schaffen.
Johann Wolfgang von Goethe
Ja, das Schreiben an meinem Buch hat unter Corona sehr gelitten. Ich merke das auch an der Häufigkeit meiner Blogartikel. Mir fehlt die Konzentration und die Muße zu schreiben. Mit der Hand bekomme ich bloß ein, zwei Sätze zusammen, dann wird es unleserlich. Die veränderte Denkweise durch Corona nimmt mich so in Anspruch, dass ich an anderer Stelle zurückschrauben musste. Manchmal habe ich nur das Gefühl zu überleben, anderes hat keinen Platz.
Darum sind solche Auszeiten wie am Jakobsweg Burgenland besonders wertvoll. Ich bekomme neue Ansichten, Einsichten und Aussichten und bin von der Rehabilitation abgelenkt. Mit dem Gehirn arbeitete und übte ich viel, aber es hat nichts so sehr geholfen, wie das Gehen in Spanien am Camino.
Vielleicht gelingt es mir, wieder mehr zu Schreiben, denn ich brauche etwas, an dem ich mich außer dem Gehen noch festhalten kann!
Pilgern, einmal NICHT von Zuhause weg. Der Jakobsweg Carnuntum war das Ziel, von der Grenze zur Slowakei, bis nach Schwechat. Die Donau-Auen bei Hainburg und die Geschichte um den römischen Kaiser Marc Aurel, begleitete Alexander Rüdiger und mich, diesen drei Tage dauernde Pilgerweg. Wir waren bereits Mitte September unterwegs, aber da ich mich im Moment mit dem Schreiben schwertue, bin ich erst dieser Tage fertig geworden.
Es war das erste Mal seit Mitte März, dass ich von Zuhause weggefahren bin. Außer zum therapeutischen Tanzen nach Frohnleiten, verwendete ich seither kein öffentliches Verkehrsmittel (außer zweimal zum Heimkommen). Die Herausforderung bestand nicht so sehr im Pilgern, als wie ich mit dem Zugfahren zurechtkomme. Corona und die Maskenpflicht sind mein größtes Hindernis, besonders das Tragen der Mund-Nasen Maske setzt mir schwer zu.
Es waren einige schöne Tage vorausgesagt und bei Mondlicht ging es sehr früh zum Zug. Ich gehe gerne zeitig in der Früh und genoss den beginnenden Tag. Einzig der Mund-Nasenschutz machte mir Bedenken, wie ich es im Zug aushalten werde. Ein Problem bereitet mir dabei die Sauerstoffversorgung, denn dadurch erhöhten Kraftaufwand für die Atmung merke ich stark. Durch die Muskelschwäche gelangt weniger Sauerstoff bei den Muskeln an und die Maske verringert ihn noch mehr.
Deshalb versuche ich alles zu vermeiden, wo ich eine Maske tragen muss, leider fallen darunter auch längere Zug- und Busfahrten. Ich kann dadurch aber auch lernen. Durch die erlittenen Traumen der vergangenen Jahre, bin ich stark auf Vermeidung fixiert und komme oft in die Beseitigung von Hürden.
Das Gegenteil davon ist der Annäherungsmodus, wo ich auf ein größeres Ziel dahinter fokussiert bin. Es hat etwas Positives in sich und ich kann es nutzen, Stufe für Stufe, wie auf einer Treppe, nach oben zu steigen, anstatt eine Mauer einzureißen. Jedes "aktuelle Problem", kann ich damit auch in einem positiveren Licht sehen. Im Zug komme ich an der Maskenpflicht nicht vorbei und deshalb bin ich deswegen die letzten Monate nirgendwo hingereist.
Die insgesamt dreistündige Fahrt nach Wolfsthal sollte ein erster Test sein, wie ich damit zurechtkomme. Am Weg hin war es grenzwertig, aber ich habe es ausgehalten. Ruhig sitzen und gleichmäßig atmen, war die Anforderung. Ein recht leerer Zug erleichterte mir die Fahrt. Ich war stolz auf mich, mich damit auseinandergesetzt zu haben. Schlussendlich war ich aber froh, über Schwechat/Flughafen in Wolfsthal anzukommen.
In Wolfsthal angekommen, erwartete mich schon Alexander und ein blauer Himmel, wie es schöner nicht sein konnte. Es war früher Vormittag und Temperaturen bis +25° warteten auf uns. Wir besuchten die Kirche, holten uns den obligatorischen Stempel und brachen auf.
Der Jakobsweg durch Österreich, den ich schon lange vorhabe, sollte mit dieser dreitägigen Tour beginnen. Ich werde ihn nicht auf einmal gehen, sondern, wie viele andere Pilger auch, in Etappen.
Von Wolfsthal führt der Weg zur Donau und in die Donau-Auen. Jeder Schritt war eine Wohltat und es war gut für den Geist, wieder einmal im Pilgermodus unterwegs zu sein. Zusätzlich wollte ich diesmal nicht an Therapie denken, sondern auch das ein oder andere Museum besuchen und die Kirchen.
Der Teil direkt durch den Auwald wurde zur Herausforderung. Die vielen Gelsen machten ihn zur Plage. Mich störte es nicht so sehr wie Alexander, denn mich störten sie kaum an. Anscheinend schwitze ich noch immer Antibiotika aus, dass die Gelsen nicht lieben. So kommen Sie zwar heran an mich, fliegen aber gleich weiter. Zu meinem Bedauern zu Alexander, mit den Händen um sich fuchtelnd und in einer Wolke von Gelsen verschwindend, möglichst schnell dem Auwald entkommen wollte.
Bei Kilometer 12 waren wir aus dem Wald draußen und in Hainburg angekommen. Ich war zum ersten Mal in dieser Stadt und gleich fasziniert. Allerdings musste ich aufpassen, mich nicht zu überfordern, hatte ich mir doch vorgenommen, etwas von der Kultur mitzunehmen. Allerdings habe ich das Museum am Ortseingang gleich auslassen müssen, das war mir dann doch zu viel.
Dafür gingen wir in Heinburg hoch zur Haimenburg, wo ich den steilen Weg hinauf schnaufte. Oben angekommen, war die Aussicht einmalig. Von den historischen Burgmauern hinab sehend, konnte ich mich in die Erbauer hineinversetzen, wie sie nach Feinden Ausschau hielten.
Die Geschichte rund um Hainburg und den römischen Kaiser Marc Aurel ist derart interessant, dass ich sicher wiederkommen werde. Denn die Kombination mit dem Jakobsweg ist so faszinierend und den wenigsten Österreichern bekannt, was sich in unserem Land alles abspielte.
Das kommt sicher auch daher, dass ich als 10-jähriger den Wunsch hatte, Archäologe zu werden.
Nach weiteren 12 - 13 Kilometern erreichten wir Petronell. Aufgrund von Corona gab es zum Übernachten nicht viele Wahlmöglichkeiten. Eine Truthahn Büste vor der Kirche entlockte uns ein Schmunzeln, ob der Bezeichnung auf der Tafel.
Im Gasthof quartieren wir uns ein und nahmen uns vor, am nächsten Tag die Ausgrabungsstätte aus der Römerzeit zu besichtigen. Diese Besichtigung war mir wichtig, denn es gehört für mich zum Leben lernen. Überhaupt wollte ich den ganzen Weg nicht an Therapie denken. Ich wollte an meinen Camino Frances im Winter anschließen, der damals so abrupt mit der Corona-Krise geendet hat.
Die Ausgrabungsstätte umfasste ein großes Areal, vor allem für uns als Pilger. Allein hier legte ich zusätzliche vier Kilometer zurück, um über das Areal zu gelangen. Es war toll, einmal auf diese Art das Leben der Römer kennenlernen und das in Österreich. Originale Bauten wurden instand gesetzt und verschiedenste Berufsgruppen dargestellt.
Kaiser Marc Aurel war mir zwar vom Namen bekannt, aber sein Wirken in Österreich war mir in dieser Weise unbekannt. In der Umgebung gibt es noch mehrere Stätten zu sehen, wie das Amphitheater, aber als Pilger war es mir dann doch zu weit bis dorthin.
Beim Weg hinaus aus Petronell, kamen wir am Heidentor vorbei, dem Wahrzeichen der Gegend und auch des Jakobsweges. Über lange Ebenen geht es über die Ortschaften Wildungsmauer und Regelsbrunn, zu unserem Etappenziel Maria Ellend.
Die Donau bekommt man dabei kaum zu sehen, befindet sich aber immer in unmittelbarer Nähe von ihr. Alexander und ich besichtigten fast jede Kirche am Weg und auch die Lourdes Grotte in Maria Ellend haben wir nicht ausgelassen.
In Maria Ellend bezogen wir auch Quartier und bereiteten uns auf die letzte Etappe nach Schwechat vor.
In der Früh lassen wir uns Zeit und frühstücken ausgiebig. Für mich ungewohnt, denn am Camino Frances startete ich immer ohne Frühstück und kehrte meist erst im nächsten Dorf ein, um Café und Croissant zu ordern. In Österreich funktioniert es aber anders, denn im Gegensatz zu Spanien, hatte hier unterwegs alles zu. Corona lässt grüßen.
Auf den folgenden Kilometern bis Fischamend sollte wieder alles geschlossen haben, daher war ein entsprechendes Frühstück nicht das Schlechteste. Hier empfing uns sogar der Bürgermeister und gab uns den Stempel.
Danach ging es wieder durch den Auwald und entlang der Donau. So gelangten wir nach Schwechat und konnten den Jakobsweg Carnuntum abschließen.
Drei schöne Tage am Jakobsweg Carnuntum gingen für mich zu Ende, in denen ich nicht oft an Therapie denken musste, aber trotzdem therapierte. Pilgern ist und bleibt das für mich beste Mittel, um wieder zurück ins Leben zu gelangen.
Drei Tage oder 67 Kilometer waren wir somit am Jakobsweg Carnuntum, von Wolfsthal nach Schwechat unterwegs. Alexander ging noch den Wiener Jakobsweg weiter, der über 35 Kilometer durch Wien bis nach Perchtoldsdorf führt.
Die herbstliche Jahreszeit bedeutete für mich in den letzten Jahren immer Therapie und auch dieses Jahr ist es nicht anders. Klettern ist eine davon, welche ich jetzt wieder vermehrt machen werde, diesmal aber für die Gehirnleistung.
Bisher war der Grund meine Sprunggelenke und Finger zu stärken, jetzt steht aber mein Gehirn an vorderster Stelle. Dass Klettern dem Gehirn guttut, ist ja nicht neues. Überhaupt sind alle Übungen gut, wo Körper und Geist verschränkt wird.
Klettern habe ich vor fast zwei Jahren für mich entdeckt. Zunächst in einer Kletterhalle, später am echten Fels. In der Halle hatte ich den Vorteil, mich an den künstlichen Griffen festhalten zu können. Es gibt farbliche Unterschiede, je nach Schwierigkeitsgrad. Das machte es leichter für mich, denn die leichtesten Griffe machten es mir möglich zu klettern.
Das Greifen ist nach wie vor eine Herausforderung, besonders jetzt im echten Fels, denn da ist ein anderes Zupacken notwendig. Für die Sprunggelenke ist es eine noch größere Herausforderung, denn durch die Muskelschwäche sind die Muskeln schwer zu trainieren. So habe ich meine Bänder und Sehnen zu stärken und wenn Möglich, die Muskeln dazu.
"Klettern" ist vielleicht übertrieben gesagt, denn ich bewege mich noch immer einen Schritthoch über dem Boden, von rechts nach links und zurück. Es ist eine gute Übung für das Vertrauen und manchmal wünsche ich mir, nach oben zu klettern.
Wir benötigen das Arbeitsgedächtnis, wenn wir zum Beispiel einen Satz lesen. Es erlaubt uns, kurzfristig Information zu speichern und zu verarbeiten, sowie Lesen, Lernen oder logisches Denken. Das Arbeitsgedächtnis ist eine Art Kurzzeitgedächtnis.
Es erlaubt uns, sich an ein Gespräch zu erinnern und darauf zu antworten. Gerade das fällt mir oft schwer und darum unterhalte ich mich nicht so gerne oder mit mehreren Personen.
Was gar nicht bei mir funktioniert, ist gleichzeitig mehr zu machen. Es geht wirklich nur eines nach dem anderen. Telefonieren und nebenbei Zutaten für ein Essen herrichten, geht gar nicht. Arbeits- und Kurzzeitgedächtnis haben sehr unter dem Hirnabszess gelitten, bzw. existieren fast nicht mehr.
"Zeit für Aktivitäten, die für uns schwer vorhersehbar sind, und uns dazu zwingen, unsere Bewegungen anzupassen, können unser Gedächtnis stärken."
Dr. Ross Alloway
Während dem Klettern muss der Körper das Arbeitsgedächtnis konstant nutzen und dieser Effekt bleibt auch nach dem Training erhalten. Es wird spannend zu sehen sein, ob es bei mir hilft. Regelmäßiges Klettern allerdings vorausgesetzt.
Wie schon öfter, bin ich im Zigeunerloch unterwegs. Den Höhleneingang bildet ein Felsen, der zahlreiche Kletterrouten beinhaltet. Dort kann ich auch vor Regen und Schnee geschützt klettern. Entlang am Boden und nur Schritthoch, turne ich umher.
Länger als 30 Minuten mit Pausen schaffe ich aber noch nicht, besonders die Finger sind schnell am Ende. Denn es ist zwar für das Gehirn, aber der Körper macht noch nicht mit. Die Muskelschwäche verhindert noch längeres Klettern.
Dass ich mit dem Radfahren und Gehen nun eine dritte Alternative habe, tut mir gut. Denn dieselbe Belastung an zwei aneinander folgenden Tagen ist oft nicht Zielführend. So bekomme ich jetzt mehr Abwechslung.
Ich hoffe bald länger beim Klettern durchzuhalten, um mein Gehirn richtig stimulieren zu können!
Das "Leben lernen" ist nach vier Monaten, wo ich mich auf die Therapie konzentriert habe, wieder vonnöten. Da ich es im Prinzip ohne Betreuung oder Anleitung von Außen mache, versuche ich das Beste daraus zu machen. Einzig das therapeutische Tanzen geschieht unter Aufsicht , es gibt mir wertvolle Impulse fürs Leben.
Sonst ist mein Gehirn derzeit gefordert, den Überblick über die Lebenssituation zu behalten. "Leben lernen" heißt nicht, deswegen mit Therapien aufzuhören. Es ist vielmehr der Versuch, nicht mehr alles unter dem Aspekt der Therapie zu machen und zu sehen.
Lange Zeit war meine Therapie vom Bett aufstehen, jede kleinste Bewegung war Therapie. Dieser Gedanke hat sich in mir festgesetzt und diesen heißt es jetzt umdenken.
Wenn du bei null anfängst, ist am Anfang jede kleinste Bewegung ausreichend, um besser zu werden. Bis ich Aufstehen und erste wenige Schritte zurücklegen konnte, vergingen Monate. Jeden Tag versuchte ich weiterzukommen. Die Muskelschwäche erschwert dabei das Training gegen den Schwindel und die Gleichgewichtsstörungen. So komme ich nur langsam voran.
Viele Bewegungen mache ich, um mich wieder daran zu gewöhnen, den Körper zu stärken oder meine Wahrnehmung zu verbessern. Hin und wieder mache ich eine Wanderung ohne Nachdenken und konzentriere mich voll und ganz auf die Natur und die Freude am Gehen.
Das "ohne Nachdenken" geht aber nur mit einem gewissen Maß an Automatik, die mir ja bekanntlich zum größten Teil fehlt. Deshalb übe ich das automatische Gehen praktisch jeden Moment. Allerdings bin ich dann immer im therapeutischen Denken und weniger im "Leben lernen".
Meine Ergotherapeutin erkannte das Anfang 2019 und motivierte mich dazu, auch etwas ohne diesen therapeutischen Aspekt zu tun. Wenn man allerdings drei Jahre damit verbrachte, um wieder Gehen zu lernen, dann ist das in einem angelegt und dieser therapeutische Gedanke immer vorhanden.
Denn es ist ja nicht nur ein muskuläres Defizit, sondern auch ein Geistiges. Ich musste erst mein Gehirn mit den Muskeln gleichschalten lernen, um Gehen zu können. Wenn Reize nicht ankommen, dann muss ich die Beine sehen und bewusst und willentlich versuchen, die richtigen Muskeln anzuspannen und die richtige Technik des Gehens anzuwenden.
Das ist dann natürlich weit weg vom Leben lernen, es geht eher darum, überleben zu können. Unter solchen Umständen ist es natürlich nicht einfach, nichts zu Wollen.
Einfach etwas zu machen, ohne etwas lernen, verbessern oder therapieren zu wollen, das ist Teil meines Trainings und gar nicht so einfach.
Eines ist mir bewusst, es ist und wird anders, als im letztes Jahr sein. Es geht in erster Linie darum, dass ich wieder etwas machen kann, um des Machen willen und nicht, um etwas Verbessern zu wollen. Vier Monate unter therapeutischen Gedanken brachten mich wieder schnell in altes Fahrwasser.
Das möchte ich jetzt umstellen, um wieder zu mehr Lebensqualität zu gelangen. Es ist zurzeit vor allem eine mentale Belastung, Corona hat doch sehr viel verändert.
Pilgern, wie zum Beispiel meine drei großen Caminos und die unzähligen kleinen, seit Juni 2018, ist für mich nicht mehr möglich. Damit ist meine beste Therapie der letzten Jahre weggefallen. Noch habe ich keinen adäquaten Ersatz gefunden. Das lange Gehen und Pilgern fehlt mir. Zu Hause muss ich mich doch um viele andere Dinge kümmern, als wenn ich von Dorf zu Dorf pilgere.
Radfahren tut mir gut, allerdings dauert es noch, bis ich wirklich daran gewöhnt bin. Es ist immer ein "Für und Wider", wegen der Muskelschwäche. Eine Stunde Ausfahrt lässt mich den Rest des Tages nur mehr im Bett verbringen. Selbst Kochen kann dann schon zu viel sein.
Das Gute am Radfahren ist der andere Bewegungsablauf. Es bringt neue Motivation in mein Training, allerdings ist die Muskelschwäche ein Hindernis. Radfahren möchte eben gleich wie das Gehen, neu gelernt werden.
Zumindest das Gleichgewicht und den Schwindel habe ich erstmals seit Jahren einigermaßen unter Kontrolle. Darüber bin ich sehr froh, denn noch vor einem Jahr hat es anders ausgeschaut. Ich muss aber aufpassen und darf mich nicht übernehmen, es ist und bleibt ein Arbeiten an der Grenze.
Es wurde mir seit Corona besonders bewusst. Schon Hippokrates sagte:
"Gehen ist des Menschen beste Medizin"
Hippocrates
Gehen ist der Psyche und dem Körper dienlich. Es mag mir vielleicht nur so vorkommen, aber mein Gehirn funktioniert besser, wenn ich viel gehe und meine Lebensqualität steigt.
Gehe ich weniger, leidet auch die Psyche darunter. Darum versuche ich mich immer zu Bewegen. Der Herbst steht nun bevor und es wird wieder kühler, mit den Folgen, dass meine Gelenke darunter leiden, besonders die Fußgelenke. Das Gehen wird damit anspruchsvoller.
Ich bin neugierig, wie ich heuer darauf reagiere. Spüren tue ich es jetzt schon, aber noch nicht so stark, der Teletubbi-Gang bleibt mir vorläufig noch erspart.
Ich hätte noch einiges vor, um mich Körperlich auf den Winter vorzubereiten. So wollte ich in zwei Tagen zum Grünen See wandern, an den wohl letzten warmen Tagen, dieses ausklingenden Sommers.
Allerdings wurde das Wetter nicht wie vorhergesagt. Viel Bewölkung statt warmen Sonnenschein, ließ es kühl bleiben. Ich startete schon um 5h30 in der Früh und freute mich auf die ersten Sonnenstrahlen. Es wurde jedoch nicht wärmer und der Gang wurde unrunder.
Über einen Berg ging es nach Übelbach, dort entschied ich mich wieder einmal abzubrechen. Es ergab keinen Sinn weiterzugehen, wenn ich meine körperliche Situation nicht gefährden wollte. Die Kunst besteht oft darin, zu wissen, wann es keinen Sinn ergibt. Ich kenne meinen Körper und weiß, wann es nichts mehr bringt.
Im Moment ist es halt so, dass ich zu akzeptieren habe, wenn es mal nicht so gut läuft und das es manchmal auch Stillstand gibt.
"Lebe lernen" ist nicht immer ein Honigschlecken, ich habe einiges dafür zu tun und manchmal ist eben weniger mehr!
"Wieder Leben lernen", habe ich mir vorgenommen. Zum Ersten mal seit vielen Monaten wollte ich etwas machen, ohne dabei an Therapie zu denken. Der Badlgraben wurde dafür erkoren.
Ich bin dankbar dafür, was ich in den letzten Monaten geschafft habe. Der Beginn des Radfahrens, Schulung meiner Wahrnehmung, Konzentration auf mich und meine Defizite, das war der Hauptinhalt seit April.
Ich habe nach diesen über vier Monaten Therapie ein positives Resümee gezogen. Ich spürte aber in mir, dass etwas Neues Anstand, dass ja eigentlich ein Altes war, habe ich es ja schon ein Jahr lang unter anderen Voraussetzungen geübt.
Es ist wichtig das Leben, über all den Therapien, nicht zu vergessen. Corona hat mir allerdings diesen Teil des Lebens genommen und ich habe lange gebraucht, um mich darin zurechtzufinden.
Im April des vorigen Jahres bekam ich in der Ergotherapie den Auftrag, des Öfteren etwas zu machen, was nicht unter dem Mantel der Therapie steht. Dazu fällt mir als erstes Kino gehen ein. Zu dem Zeitpunkt sah ich Zug- oder Straßenbahnfahren als Therapie für mich, genauso wie in ein Kino zu gehen. Ich hatte mich erst daran zu gewöhnen.
Es war aber auch wichtig, mich einmal nicht selbst zu beobachten, wie es mir dabei geht oder zu beurteilen, besser oder schlechter. Ich sollte einfach nur ins Kino gehen und mir einen Film ansehen. Auf diese Art lernte ich wieder zu Leben und mich unter Menschen zu begeben.
Später im Juni war der Camino Norte eine wundervolle Möglichkeit, mich wieder mehr ans Leben zu gewöhnen. Ich bekam hier zum ersten Mal das Gefühl, was es bedeutet zu Leben und nicht nur zu therapieren.
Immer öfter bekam ich das Gefühl zu Leben und mein Highlight dazu war der Camino Frances im Winter dieses Jahres. Voller Pläne, wie ich die nächsten Wochen gestalten wollte, kam ich nach Hause.
Mit Corona waren diese Pläne innerhalb eines Tages allerdings zunichte. Mein Gehirn war überfordert damit und vor allem damit, dass alles was mir wichtig gewesen ist, plötzlich nicht mehr gegolten hat. Alles, woran ich seit einem Jahr arbeitete, war von einem auf den anderen Tag hinfällig. Selbst die Trauma-Therapie wurde ausgesetzt.
Die einzige Chance das zu überstehen fand ich darin, mich auf nichts anderes einzulassen, als konzentriert an meinen Defiziten in den nächsten Monaten zu arbeiten und mein Wissen um die Therapie umzusetzen. Denn eines war mir nach dem Wegbrechen aller Therapien klar, ich musste alleine Lösungen für alles finden.
Gesagt, getan, einzig das Leben kam dabei zu kurz. Ich war erneut in Therapie und Rehabilitation gefangen, aus der ich vor einem Jahr entkommen wollte. Es ist in erster Linie ein mentaler Zustand, in den ich kommen wollte. Die Umstände waren aber schwierig, so blieb ich bei dem, was ich kannte.
Es sind natürlich nicht immer Therapien unter Anleitung. Im Gegenteil, eigentlich fast immer Dinge in Eigenregie. Vieles hatte ich in meinen zahlreichen Rehabilitations-Aufenthalten gelernt oder wusste ich noch aus meiner Sportvergangenheit oder der Zeit als Energetiker.
Dabei ist es egal, ob auf mentaler oder körperlicher Ebene. Mein Glück ist es, alles mit Freude zu machen. Es ist noch immer ein Antrieb in mir, besser zu werden. Diesmal bedarf es aber einer besonderen Beharrlichkeit. Das Kleine in den Dingen zu erkennen wurde wieder wichtig. Viele Kleinigkeiten ergeben irgendwann das Große, deswegen hat Aufgeben auch keinen Sinn.
Durch die Erwerbsunfähigkeitspension wurde das Gesund werden praktisch zu meinem Beruf. Ich brauche mich 24 Stunden am Tag nur darum zu kümmern, dass es mir besser geht, so wie früher im Sport.
Dazu zählen alle Therapien, aber auch das "Leben lernen". Langsam spielt mein Gehirn wieder mit, diesen Gedanken zu verstehen und leben zu können. Derzeit noch Ansatzweise, versuche ich diesen Gedanken in mir immer mehr bewusst zu machen. Der Therapie ihre eigene Zeit zu geben, habe ich jetzt zu lernen.
Es war ein ganz großer Unterschied vom Badlgraben zum Mariazellerweg zuletzt. Den Weg über die Teichalm und den Schranzsattel nach Mitterdorf im Mürztal sah ich als reine Therapie und Training für meine Wahrnehmung. Mein Ziel ist es ja, mich an das Übernachten im Zelt gewöhnen zu können, um auch in Österreich mehrere Tage Pilgern oder Wandern zu können, ohne die teuren Übernachtungen.
Der Mariazellerweg hat mir sehr geholfen, meine Grenzen wieder zu erweitern. Es war am Limit und ich brauchte danach eine Woche um mich zu Erholen. Im Badlgraben war zwar keine Übernachtung vorgesehen, aber der Weg führt durch eine Art Klamm, gesichert mit Stahlseilen und Eisenklammern.
Es war an der Zeit, wieder den nächsten Schritt zu wagen. Nicht so ausgesetzt wie ein Klettersteig, war der Weg an der Grenze für meine Möglichkeiten der Bewegung. Diesmal wollte ich trotz der Schwierigkeiten nicht therapieren, sondern genießen und nicht an die Defizite denken.
Der erste Abschnitt war grenzgenial und führte durch Dschungel ähnliche Gegend. Praktisch kein einziges Mal dachte ich an Therapie, auch weiter drinnen nicht.
Vor vielen Jahren war ich des Öfteren hier unterwegs. Es ist eine wunderschöne Klamm, mit einer urigen Gegend. Einige wenige Passagen sind mit einem Stahlseil und Eisenklammern gesichert, um ein sicheres Hinübergelangen zu gewährleisten. Heute war sie allerdings eine Prüfung für mich. Jeder Tritt musste passen, da sonst ein Abrutschen unvermeidlich war.
Ich dachte diesmal nie an Therapie. Es war an der Grenze, aber machbar. Vor einem halben Jahr hätte ich mich noch nicht über solche Passagen gewagt.
Wie unterschiedlich die Tage noch sein können, wird mir einige Tage später bewusst, als ich den Bericht schreibe. Gleichgewichtsstörungen und Schwindel lassen mich nur drei Kilometer weit kommen und den Balance-Park abbrechen. Ich war noch nicht erholt von der Wanderung, der Badlgraben hat mehr Energie gekostet, als gedacht.
Es war ein neuer Schritt zurück ins Leben, der nicht Therapie beinhaltet hat. Ich habe ihn auch nicht für die Rehabilitation gemacht. Wie vor einem Jahr ins Kino, habe ich mich diesmal einfach nur auf den Weg gefreut, ohne etwas zu wollen oder Trainieren zu müssen.
Ich möchte einfach wieder ins Gefühl zu Leben kommen. Therapie und Rehabilitation wird seinen Platz bekommen, aber ich habe zu lernen, wieder Leben zu können, mit und ohne Corona.
Ich werde die Stadt auch weiterhin meiden und möchte dieses Leben lernen in der Natur umsetzen. Die letzten Monate haben es gezeigt, meine Wahrnehmung hat sich gebessert. Das möchte ich stabilisieren und nicht durch den Stress in der Stadt in Gefahr bringen. Zu wackelig ist noch das Fundament und erst wenn ich stabil bin, werde ich mich stressigeren Dingen widmen können.
Corona hat viel verändert und ich bin dabei, neue Strategien zu entwickeln. Das Pilgern in der Form der vergangenen Jahre hat mir am meisten geholfen und mich dahin gebracht, wo ich jetzt stehe. Ich hätte mir gewünscht, in dieser Art noch einige Zeit am Camino in Spanien verbringen zu können. Diese Art der lebensnahen Therapie kann ich für längere Zeit vergessen und darf mir etwas Neues einfallen lassen.
"Im Leben kommt es nicht darauf an, ein gutes Blatt in der Hand zu haben, sondern mit schlechten Karten gut zu spielen!"
Robert Louis Stevenson, schottischer Schriftsteller (Die Schatzinsel)
Dieses Gefühl zu Leben wird noch ein Weile dauern, bis ich es verinnerlicht habe. Denn noch muss ich zu viel an der Bewegung bewusst Denken und die Behinderung ist noch zu groß. Aber so wie ich gehen lernte, werde ich auch wieder das Leben lernen!
Vor genau vier Jahren wurde ich nach fünf Monaten im Krankenhaus, nach dem Hirnabszess, entlassen. Meine Rehabilitation zu Hause konnte beginnen. Drei Reha-Aufenthalte und unzählige Physio- und Ergotherapien folgten.
Wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke, ist es noch immer sehr emotional. Jedes Jahr denke ich an diese Tage. So sehr ich mit den Gedanken Schwierigkeiten und mein Kurzzeitgedächtnis verloren habe, diese Tage haben sich in mir eingebrannt.
Der 21. August 2016 war mein erster voller Tag zu Hause, nachdem ich fünf Monate vorher mit dem Hirnabszess eingeliefert wurde.
Mein Hauptziel war immer, mich wieder Bewegen zu können. Bewegung bedeutet aktiv sein und ich schreibe viele Artikel im Blog und poste Fotos darüber, was ich dafür alles mache. Das sieht nach einem sehr aktiven Leben aus, dass es auch sein kann. Aber das ist nicht alles.
Die andere Seite, die ich eigentlich nie kommuniziere, ist der Stillstand in meinem Leben. Den muss es auch geben. Ich habe vor viereinhalb Jahren im absoluten Stillstand wieder begonnen, Bewegung in mein Leben zu bringen. So viel ich aktiv bin, der Stillstand und die Ruhe, spielt nach wie vor eine größere Rolle, als alle Aktivität.
Das Verhältnis Ruhe zu Bewegung, fällt eindeutig auf die Seite Ruhe. Die Erholung spielt über den Tag die wohl wichtigste Rolle. Damit hat sicher auch die Muskelschwäche zu tun, die immer wieder Pausen erfordert.
Mit Ruhe wird verschiedenes bezeichnet, wie:
Durch Ruhe erreicht man Erholung, Regeneration und die Rückgewinnung verbrauchter Kräfte, sowie der Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit. Laut Wikipedia bedeutet Erholung auch "wieder gesund werden" und Rekonvaleszenz. Es beinhaltet kräftig und wieder stark werden.
Die beste Erholung erreiche ich, wenn ich mich waagrecht hinlegen kann. Ich brauchte viele Monate, um mich aus der waagrechte wieder in die senkrechte zu begeben. Selbst am Jakobsweg war es immer wieder nötig, mich dann und wann, waagrecht hinzulegen. Es muss für die Erholung zwischendurch nicht lange sein, aber das Gehirn und der Körper findet dabei die beste Ruhe.
Deswegen tue ich mich beim Zelten oder Biwakieren noch so schwer, da ich nicht die Erholung finde, die ich brauche. Am Jakobsweg in Spanien, bin ich schon ab 18 Uhr im Schlafsaal im Bett gelegen und fand so genug Erholung.
Auch zu Hause liege ich über den Tag oft. Es ist wie ein neues Kalibrieren. Dazu kommen mindestens acht Stunden Schlaf, oft an die zehn, die ich mindestens brauche.
Eine Arbeit von mir ist es, diese Zeitdauer zwischen dem waagrecht und senkrechten immer weiter hinauszuschieben. Schwindel und Gleichgewichtsstörungen waren am Anfang recht häufig. Das viele Üben und Training, vor allem der Ausdauer, zeigt Wirkung.
Kann ich mich nicht hinlegen, was unterwegs ja oft der Fall ist, hilft mir zumindest hinsetzen. Selbst aufrechtes Sitzen strengt mich noch immer an. Kann ich mich wo anlehnen, hilft das weiter.
Das ist zum Teil der Muskelschwäche zuzuschreiben, ist aber auch die Folge des Hirnabszesses. Deswegen brauche ich so lange mit der Rehabilitation, weil ich gar nicht die Kraft habe, solange an etwas zu arbeiten. Einerseits limitierte mich der Schwindel oder das Gleichgewicht, andererseits die Kraft.
Für eine kurze Pause kann Hinsetzen helfen, aber das reicht nur zur Erholung. Es ersetzt nicht die waagrechte.
Es reicht nicht, sich nur auf eines zu Konzentrieren, ich muss alles ganzheitlich betrachten. Daher dauert die Rehabilitation auch so lange. Die Muskelschwäche erfordert es, immer abwechselnd zu trainieren. Zwei Tage hintereinander Radfahren funktioniert noch kaum, daher wechsle ich es ab mit Gehen oder Fitnesstraining.
An Tagen mit Denk-Training mache ich kein körperliches Training, es ist aber genauso erschöpfend.
Die weiter unten folgenden Punkte zeigen eine Übersicht, an was ich alles trainieren. Ich kann nicht alles gleichzeitig machen, denn es geht nur eines nach dem anderen. Würde ich einen Monat an einem einzigen Punkt üben, wären sicher Erfolge da, aber die Defizite in all den anderen Punkten würden schlechter werden. Es ist ein genaues abwägen, was gerade wichtig ist, aber trotzdem nichts vernachlässigen.
Ich muss genau in mich hineinhören, was und wie viel genug ist. Eine Stunde Radfahren bedeutet zur Zeit, dass es das war für den Tag. Der Rest ist nur mehr für Erholung da oder für den Haushalt, den ich auch in meine Tagesrechnung mit einbeziehen muss. Mein Spruch aus den Anfangstagen gilt noch immer:
"Meine Energie ist vor dem Tag zu Ende!"
Jörg, 2018
Es kann schon zu viel sein, ein Buch zu lesen. Augen zu, heißt es dann, um mich jeglichem Reiz zu entziehen.
Es ist oft nicht leicht, einen Einblick in meine Rehabilitation zu geben. Ich zeige nur immer wieder, was ich mache und da gar nicht alles, weil es mir in manchen Situationen unmöglich ist, zu fotografieren. Wobei das Fotografieren ein Teil meiner Rehabilitation ist.
Das hängt viel mit meiner Wahrnehmung zusammen, die ich speziell zu schulen versuche. Filmen erfordert noch mehr davon. Obwohl ich Kameramann war, gibt es kaum Filmaufnahmen von mir. Derzeit überfordert es mich noch.
Diese Arbeit daran, nimmt wohl die meiste Zeit in Anspruch. Denn die Bewegung hat auf so vieles Einfluss, nicht nur auf das Gehen, sondern auch zum Beispiel dem Denken. In der ersten Zeit von Corona hat die Bewegung gelitten, das hatte auch auf das Denken seine Auswirkung.
Die Muskelschwäche, die wahrscheinlich von den vielen Medikamenten herführt, hat meine Sauerstoff-Aufnahme verschlechtert und die Reizweiterleitung zerstört.
Sie behindert mich vor allem bei allem was Kraft benötigt. Egal ob Bergauf gehen, Bergauf Radfahren oder Krafttraining im Fitnessstudio. Allein das Aufstehen aus dem Bett, von einem Sessel oder einfach nur vom Boden, fällt mir sehr schwer. Einfachste Bewegungen bedeuten oft einen enormen Aufwand und Verbesserungen dauern lange.
Die Halbseitenlähmung auf der rechten Seite brachte ich erst durch das Pilgern unter Kontrolle. Besonders der Fuß war betroffen und am ersten Camino musste ich sehr aufpassen, die Fußschaufel weit genug zu heben. Erst im Laufe des zweiten, dem Camino Norte, besserte es sich wirklich merkbar.
Die gleiche Bewegung, immer und immer wieder, ist das Rezept. Wiederholung, Wiederholung und nochmal Wiederholung. Irgendwann wird das Bewegungsmuster im Gehirn abgespeichert und es wird automatisch.
Diese Automatisierung wieder lernen, erfordert ein Dranbleiben. Deswegen spreche ich auch nach vier Jahren noch vom Gehen lernen, denn automatisch geht es nur bedingt. Noch ist zu viel Bewusstsein für das Gehen notwendig.
Auch die Schluckstörung hängt mit den beiden erstgenannten Punkten zusammen. Es ist nicht so schlimm, dass ich nicht Essen könnte, aber ich muss langsam kauen und trinken. Die Gefahr des Verschlucken ist sonst zu groß.
Oft glaubt man, ich bin schwerhörig. Dabei ist es die Aufmerksamkeit, beziehungsweise das Single Tasking. Ich muss die Person sehen, die mich anspricht, sonst fühle ich mich nicht angesprochen.
Die Frequenzen überlagern sich und sind alle gleich. Wenn mehrere Personen gleichzeitig sprechen, verstehe ich nichts. Telefonieren mag ich nicht so sehr, weil ich die Person nicht sehe und den Mund beim Sprechen nicht sehen kann. Daher treffe ich mich auch nicht mit mehr als zwei Personen, um mein System nicht zu überfordern.
Am Schwindel und Gleichgewicht habe ich die letzten Jahre sehr viel gearbeitet. Wenn ich aufstehe, brauche ich noch immer Zeit, um mich zu stabilisieren. Diese Zeitdauer konnte ich verkürzen. Es dauert, bis sich mein Gleichgewicht einpendelt. Ruhig und bedächtig muss ich mich bewegen, wenn nicht, muss ich mich schnell hinlegen.
Das Gleichgewicht übe ich, wo ich kann. Am liebsten bin ich im Balance Park. Die Geräte im Park waren zu Corona Zeiten gesperrt. So wich ich in den Wald aus und balancierte über umgestürzte Bäume. Zu Balancieren war eine meiner ersten Übungen und begleitet mich bis heute. Durch die tausenden Pilger-Kilometer gehe ich schon recht sicher. Nur manchmal verliere ich das Gleichgewicht und torkle dann wie ein Betrunkener.
Zum Glück hatte ich nur selten Doppelbilder. Sie traten auf, wenn ich mich überforderte. Es war jedes Mal ein Schrecken und ich musste mich mit geschlossenen Augen hinlegen. Absolute Ruhe ist dann nötig.
Da ich kurzsichtig bin, tue ich mich schwer mit der Handhabung mit Kontaktlinsen und bevorzuge die Brille. Trotzdem verwende ich auch die Linsen, da ich dann bei starkem Sonnenlicht Sonnenbrillen verwenden kann.
Das ist aber nicht ungefährlich, denn ich habe noch zu wenig Gefühl in den Fingern. Die Feinmotorik funktioniert noch nicht so, wie ich es gern hätte.
Das habe ich im gesamten Körper. Mein Schmerzempfinden ist stark verzögert, deshalb koche ich sehr wenig. Heiße Platten, Pfannen oder den Rost im Ofen, spüre ich erst, wenn es zu spät ist. So leide ich immer wieder unter Verbrennungen, Verbrühungen und anderem.
Diese Sensibilität fehlt mir auch im Spüren des Bodens. Das ist ein Grund, weshalb ich am Mariazellerweg die groben Steine fürs Training nutze. Ebenso gehe ich immer wieder barfuß, Kneipe im Wasser oder Wasche mit der Hand die Wäsche. Der Alltag ist dabei immer auch Therapie, deshalb ist es so schwer, ins Leben zu kommen.
Die Wortfindungsstörungen begleiten mich bis heute. Es ist besser geworden, aber ich finde noch heute nicht immer die richtigen Wörter. Ich lese viel, um meinen Wortschatz zu erweitern. Am Camino half mir viel, mich mit anderen in Englisch zu unterhalten.
Oft wusste ich ein Wort nicht auf Englisch und versuchte es zu umschreiben, bis der andere merkte, was ich meinte. Ich übersetzte es dann in Google Translate auf Deutsch und so hatte ich wieder ein neues Wort.
Die Sprechstörung betrifft aber auch das Sprechen. Durch die Halbseitenlähmung ist meine Gesichtshälfte nicht so
Normalerweise geht ein Hirnabszess mit epileptischen Anfällen einher. Das muss nicht immer ein Muskelzucken am ganzen Körper oder mit Schaum vor dem Mund sein.
Bei mir traten bisher zum Glück keine Anfälle auf, aber es gibt natürlich die verschiedensten Stufungen.
An all diesen Defiziten leide ich und versuche es zu verbessern. Es hält mich auch nach viereinhalb Jahren noch davon ab, ein normales Leben zu führen. Zu groß sind die Defizite, aber ich habe vieles Verbessern können oder mich daran besser gewöhnen können.
Eine weitere Folge sind die psychischen Veränderungen, die ich wieder in den Griff bekommen möchte. Dazu zählen neben dem körperlichen:
Das klingt alles recht dramatisch, aber ich lerne damit umzugehen und es gibt natürlich viele Abstufungen, die aber unter diese Punkte fallen. Ich werde in einem der nächsten Beiträge näher darauf eingehen, wie meine Rehabilitation dabei ausschaut.
Diese speziellen Tage sind immer eine gewisse Herausforderung für mich. Ich werde sie meistern, denn mein Blick geht nach vor. Der Hirnabszess und seine Folgen sind auch im fünften Jahr ein tägliches Thema und nach wie vor, jeden Tag enthalten, genauso wie die Rehabilitation. Ich werde aber wieder öfter "zu Leben" einbauen.
Den Spruch halte ich mir immer vor Augen, wenn wieder einmal alles zu viel wird:
"Es ist gut, wie es ist, weil es ist und nicht weil es gut ist!"
Meine Rehabilitation geht weiter!
Das Gehen brachte mich mittlerweile viermal zum Jakobsweg nach Spanien. Dort konnte ich die für mich wichtigsten Emotionen, nämlich Glück und Freude, in einem guten Umfeld kultivieren. Corona hat das verändert und so bin ich zu Hause unterwegs, am Mariazellerweg.
Es ist zwar nicht dasselbe wie in Spanien, aber zumindest versuche ich das Glücklichsein und die Freude auch hier zu Leben. Aus Budgetären Gründen übernachte ich im Zelt oder Biwaksack und investiere das Geld lieber in Essen und Verpflegung.
Mitte Juni war ich das letzte Mal für mehrere Tage am Weststeirischen Jakobsweg unterwegs. Es wurde wieder einmal Zeit, dem Alltag zu entkommen und etwas anderes zu machen. Nur so bleibt mir die Motivation erhalten, dranzubleiben.
Mitte Juni war ich das letzte Mal für mehrere Tage am Weststeirischen Jakobsweg unterwegs. Es wurde wieder einmal Zeit, dem Alltag zu entkommen und etwas anderes zu machen. Nur so bleibt mir die Motivation erhalten, dranzubleiben.
Ich habe mich sehr kurzfristig dafür entschieden, dass ich losgehen wollte. Zurzeit sind immer sehr viele Gewitter, so nutze ich mögliche Tage dazwischen, die nach Möglichkeit Gewitter frei sind.
Da ich von meinem Zuhause den Weststeirischen Jakobsweg oder nach Mariazell Pilgern kann, war diesmal der Mariazellerweg dran. Ob ich ganz nach Mariazell gehen wollte, entschied ich erst unterwegs, da gemischtes Wetter vorhergesagt wurde.
Der Mariazellerweg führt über die Berge, die 1000 bis 2000 Meter hoch sind. Mein Gesundheitszustand ist noch nicht so, dass ich genug Reserven habe, um für schlechtes Wetter in alpinen Gelände gerüstet zu sein. Dazu kommt das Gewöhnen an das Schlafen im Freien. So toll es ist, es kostet in Kombination mit dem Gehen zu viel Energie.
Ich wollte einfach losgehen, denn jeder Schritt und jeder Meter, den ich gehe, hilft mit in der Rehabilitation. Nicht Bewegen bedeutet bei mir Rückschritt. Wenn ich nicht mehr weiter kann oder möchte, gehe oder fahre ich eben wieder nach Hause. Das wichtigste ist Freude zu haben.
Im ersten Licht gehe ich los. Mein erstes Ziel ist Semriach, von dem mich aber zwei Berge trennen. Ich kenne die Gegend noch vom Radfahren, trotzdem ist es zu Fuß anders, denn man erhält einen völlig anderen Blickwinkel. So genieße ich den erwachenden Morgen und gehe unter dem Zwitschern der Vögel, bei blauem Himmel, durch die Hügel hinter Gratkorn.
Nach etwa drei Stunden bin ich in Semriach angelangt. Am Brunnen neben der Kirche fülle ich meine Wasserflaschen auf, denn mittlerweile ist es schon sehr warm. Auf der Straße geht es weiter zum Rechberg, dem nächsten Zwischenziel.
Am Weg ziehen schwarze Wolken auf und für 13 Uhr ist ein Gewitter vorausgesagt. Ab dem Pass geht es meist auf Forststraßen in Richtung Teichalm weiter. Unterwegs bereite ich mich darauf vor, mich irgendwo unterzustellen zu können. Um Punkt 13 Uhr fängt es an zu Regnen und ein komischer Donner beginnt, nicht mehr aufhörend.
Ich stelle mich unter, um vom ersten Regenguss nicht durchnässt zu werden. Blitze sehe ich keine, nur der Donner begleitet mich noch lange, auf dem Weg zur Teichalm. Es regnet nur leicht und so gehe ich weiter, auf ein schwarzes Wolkenmeer zu, dass nichts Gutes erhoffen lässt. Kaum habe ich die Teichalm erreicht, beginnt es wie aus Kübeln zu schütten.
Mit einem so langanhaltenden Gewitter habe ich nicht gerechnet, denn über drei Stunden zieht es sich jetzt schon hin. Ich setze mich in den dortigen Gasthof, um das Unwetter abzuwarten.
Nach über einer Stunde breche ich beim ersten Aufhellen auf und überlege was ich jetzt mache. Die nächste Busstation ist über zwei Stunden entfernt und den letzten Bus erreichte ich dort somit nicht mehrt. So bleibt mir nichts anderes übrig, als weiterzugehen und es schaut gar nicht so schlecht aus.
Es klart auf und wird wieder schön. Die Wiesen, Almen und Wege sind zwar nass, aber gut begehbar. Einzig der Wetterbericht macht mir Sorgen, denn er sieht für die Nacht noch ein Gewitter um ein Uhr früh vor. Es ist aber die den ganzen Tag herrschende Schwüle weg und mein Gefühl sagt mir, dass es eine Nacht ohne Gewitter wird.
Da ich zum Gasthof ein paar Meter vom Weg abgewichen bin, bin ich nach einem kurzen Umweg wieder am Mariazellerweg. Eine tolle Lichtstimmung genieße ich und lasse mir Zeit.
Mit was ich nicht gerechnet habe, zeigt mir gnadenlos die Defizite auf. Der Weg ist übersät mit Kuhfladen. Ich komme nicht umhin, immer wieder über einige drüber zusteigen. Wenn ich dann nicht sauber den Fuß hebe, streife ich unweigerlich mit dem Schuh durch den Dreck.
Da ist es vorbei mit dem automatischen Gehen. Ich muss genau auf die Füße schauen und das Anheben beobachten und willentlich steuern. Durch das nasse Gras bleiben meine Schuhe einigermaßen sauber, allerdings riechen sie streng. So komme ich immer wieder in Situationen, in denen mich meine Defizite behindern. Lieber hätte ich Augen für die Schönheit der Landschaft gehabt, aber wieder einmal klebt meine Sicht am Boden.
Ich habe noch keinen Weg in Österreich erlebt, wo so viele Kreuze und Marterln stehen. Das ist halt ein richtiger Wallfahrerweg.
Ich war mir unschlüssig, soll ich biwakieren oder die Nacht durchgehen. Es war die Nacht der Perseiden und sicher sehenswert. Trotzdem stoppte ich um 21 Uhr und legte mich hin. Es war bereits finster. Der Tag war schwerer als gedacht und kostete mir mehr Energie, als angenommen.
An einem Rastplatz unter Bäumen legte ich meinen Biwaksack hin, blies die Matte auf und stieg in den Schlafsack. Augenblicklich schloss ich die Augen und dämmerte dahin. Ich war neugierig, wie ich auf das Schlafen im Freien reagierte. Denn soviel ich Gehen konnte, es bedarf noch viel Erholung, die ich im Zelt oder Biwaksack bisher nicht fand.
Nach Mitternacht wachte ich auf und obwohl ich unter Bäumen lag, war der mit Sternen überhäufte Himmel zu sehen. Ich war aber so gerädert vom Vortag, dass ich nicht aufstand, um die Sternschnuppen der Perseiden zu beobachten. Da der Himmel recht klar war, brauchte ich mich nicht um die vorhergesagten Gewitter in der Nacht zu sorgen.
So blieb ich im Biwaksack liegen und fand einen unruhigen Schlaf, der bis in die Früh hinaus dauerte. Um fünf Uhr stand ich auf, packte zusammen und war nach 15 Minuten wieder unterwegs.
Da ich recht hoch oben war, sah ich die Sonne zwischen den Bäumen sehr früh aufgehen. Die Täler unter mir waren im Schatten, unter einer dicken Nebeldecke.
Am Berg war es traumhaft schön und erzeugte eine glückliche Stimmung in mir. Trotz der Mühen und Müdigkeit, war ich voller Freude, das erleben zu dürfen. In solchen Momenten spüre ich Demut, denn es ist nicht selbstverständlich, an dieser Stelle zu stehen. In solchen Momenten bin ich dankbar dafür, in der Rehabilitation immer weiter gemacht zu haben, auch wenn alles dagegen sprach.
So schön der Morgen bisher war, sollte mir noch allerhand bevorstehen. Die Wanderwege wurden steiniger und es wurde ein Sensomotorik-Training daraus. Konzentriert stieg ich über die den felsigen Weg.
Ich erinnerte mich an meinen ersten Camino Frances. Auch dort hatte ich felsigen Untergrund, über den ich damals mehr stolperte, als das ich gehen konnte. Noch spürt mein Fuß nicht die Stellung am Boden, aber es geht besser als vor zwei Jahren. Viel bringt mehr, das habe ich mittlerweile gelernt.
Nach einer kurzen Pause kam das nächste, der Abstieg nach Mitterdorf. Er war sehr lang und bedeutete Schwerstarbeit für meine Oberschenkel. Der Weg brachte mich an die Grenze, aber ich schaute darauf, dass es mir trotz der Anstrengung guttat. Dieses Gespür, was mein Körper verträgt, habe ich in den letzten Jahren optimiert.
Manchmal muss ich auch über diese Grenze gehen, denn nur dort ist Fortschritt möglich. An diesen beiden Tagen war es wieder einmal soweit. Mehrere Tage Erholung sind dann notwendig, aber dann habe ich wieder einen weiteren Schritt auf meinem Weg zurück ins Leben erklommen.
Am Schluss tauchte ich dann im Wald in den Nebel und war bald darauf in Mitterdorf. Ich hatte mich schon in der Nacht entschlossen, von hier nach Hause zu fahren. Die beiden Tage waren gut dafür, mich an diese Verhältnisse zu gewöhnen. Ich hatte ungefähr den halben Weg am Mariazellerweg von Graz nach Mariazell geschafft.
So steht in erster Linie das Gewöhnen an die hiesigen Verhältnisse am Programm. Im Moment konzentriere ich mich voll und ganz auf die Natur und versuche hier Verbesserungen zu erzielen. Jeder Schritt und Tritt ist dafür da, wieder ein einigermaßen "normales" Leben führen zu können. Der Weg dorthin ist oft steinig, aber ich bin mehr als froh und dankbar, schon so weit gekommen zu sein.
Das Pferd hat mich schon immer fasziniert, dabei bin ich erst einmal im Leben geritten. Großen Respekt fühle ich vor diesen kraftvollen Tieren. Neben dem Krafttier Pferd bin ich laut chinesischem Horoskop sogar ein "Feuerpferd".
Auf meinem letzten Camino, im Jänner/Februar dieses Jahres, nahm ich einen alten Talisman mit, den ich mir 1995 in den USA, auf einer meiner zahlreichen Reisen, gekauft hatte.
Diese Halskette wollte ich am Crux de Ferro lassen, einem historisch wichtigen Punkt auf dem Camino Frances. Normalerweise bringt man einen Stein von Zuhause mit, als Repräsentant für seine am Lebensweg angehäuften Sünden, um deren Vergebung man bittet. Je mehr Sünden, umso größer sollte der Stein sein.
Dieses Ritual erledigte ich schon auf meinem ersten Camino Frances 2018, diesmal sollte es allerdings etwas für die Bedeutung meines neuen Lebens sein.
Der Talisman erinnert mich an meine Zeit im Extremsport. Gekauft habe ich ihn in Leadville, bei meiner Teilnahme am zweiten Leadville Trail 100, dem damals höchstgelegenen Mountainbike-Rennen der Welt, im Jahre 1995.
Eine indianische Zeichnung auf einem Stein stellt ein Pferd dar, welches wiederum als Symbol für verschiedenste Eigenschaften zählt. Es hat mich angesprochen und in der Folge auf vielen weiteren Reisen begleitet.
Die wichtigsten Symbole wären da:
Eigenschaften, die für mein neues Leben wichtig geworden sind.
Es hat mich damals in vielerlei Richtung angesprochen, aber noch mehr wurden diese Eigenschaften nach dem Hirnabszess für mich wichtig. Besonders wichtig jetzt für mich, diese wiederzuerlangen.
Das Pferd bittet dich, dich mit deinem Körper als Tempel deiner Seele, zu beschäftigen. Öffne dein Herz für deinen Körper. Sie nehmen uns mit auf eine Reise in die Innenwelt.
Es weist uns darauf hin, dass wir hin und wieder unser ungezähmtes Wildpferd freilassen sollen, um uns aus Abhängigkeiten zu befreien.
Das Pferd bedeutet auch Balance zwischen instinktivem und gezähmten Teil der Persönlichkeit. Das Krafttier ist auch Symbol der Lebenslust.
Es symbolisiert die Fähigkeit, im Leben Hindernisse zu überwinden und sein Ziel zu verfolgen, egal was sich einem in den Weg stellt.
Dies ist die Zeit, in der du an deine Grenzen gehen solltest, auch wenn du dir des Ergebnisses nicht sicher bist.
Du hast die Gabe der sicheren Bewegung, also erlaube deinem Pferde-Totem, dir zu helfen.
Lass dein Pferde-Totem deinen inneren Mut wecken, um dir durch diese schwierige Phase zu helfen.
Dein Geist-Tier kann dir helfen, deine innere Kraft zu entfalten.
Der Gebirgszug "Montes de Leon", ist auf dem Weg nach Ponferrada zu überqueren. Am Crux de Ferro, mit seinen 1.500 m Seehöhe, erreicht man den höchsten Punkt am Camino Frances.
Der Original-Haufen aus der Römerzeit soll 300 Meter abseits der Straße liegen, mittlerweile hat sich aber der Pfahl aus Holz, oben mit einem Kreuz aus Eisen, an der Straße durchgesetzt. Es ist bereits Tradition, dass jeder Pilger einen Stein von Zuhause mitbringt und hier ablegt.
Ich war Mitte Februar alleine am Kreuz und konnte ungestörte 30 Minuten dort verbringen. Meine Gedanken waren durcheinander, aber vorherrschend war eine Dankbarkeit, wie ich mein körperliches Befinden seit dem Hirnabszess verbessern konnte.
Auf einer Bank nahe dem Kreuz setzte ich mich nieder. Alles war still, nur der Wind pfiff durch die Bäume. Nur eineinhalb Jahre später saß ich wieder hier. Es war schwierig einen Gedanken fassen zu können, wie Blitze kamen mir Stationen aus den letzten vier Jahren kurz ins Bewusstsein. Wie in einem Film spielten sich verschiedene Gedanken und Erlebnisse kurz in mir ab.
Im Unterschied zu meinem ersten Aufstieg 2018, konnte ich diesmal den Weg besser wahrnehmen. Damals war ich so aufs Gehen konzentriert, dass ich die Landschaft um mich herum nur selten aufnehmen konnte. Das Crux de Ferro lag damals wie ein unüberwindbarer, hoher Gebirgspass vor mir.
Ich war noch beeinträchtigt von der Halbseitenlähmung und die Aufmerksamkeit lag auf jedem Schritt. So kämpfte ich mich langsam höher, wirklich Schritt für Schritt. Die 700 Höhenmeter von Astorga aus, bewältigte ich in zwei Tagen. Für einen Abschnitt von 5 Kilometern, benötigte ich vier Stunden.
Das und noch viel mehr kam mir hoch. Wie sollte ich diesmal mit den Emotionen umgehen? Da ich Angst davor hatte, dass mich die Emotionen überwältigen und ich sie nicht handhaben konnte, versuchte ich sie rational wegzudenken. Das war aber gar nicht so einfach.
Die Bilder und Gefühle in mir waren ja da. Besonders einzelne Stationen des Gehen lernen, im Krankenhaus oder wie ich mich vor zwei Jahren hier hochgewunden hatte. Ich war überglücklich, diese Zeit überstanden zu haben. Ein Jauchzer nach dem anderen entfuhr mir und das tägliche Training der letzten Jahre bekam einen Sinn, den ich zwischenzeitlich angezweifelt hatte, denn objektiv ging bei mir nichts weiter. Allerdings sind es die vielen, vielen keinen Schritte, die oft nicht erkennbar sind, aber in Summe etwas bringen. Das war schön, es auf diese Weise zu erleben!
Dass ich mit meinen Gefühlen und Emotionen noch nicht umgehen kann, war zweitrangig. Es herrschte eine unglaubliche Freude in mir vor und das ist das wichtigste. Ich saß zu Mittag alleine auf dem höchsten Punkt des Camino Frances. Ich wusste, dass hinter mir niemand mehr nachkam und vor mir auch niemand war. Alleine das ich mich dieser Situation aussetzen konnte, war einzigartig. Wer hätte sich vor drei Jahren das gedacht? Sicher nicht die Ärztin, die mich damals darauf vorbereiten wollte, dass sich nicht mehr viel verbessern ließe und ich mich mit dem Zustand abfinden sollte.
Da kommt auch wieder das Pferd ins Spiel. Es vermittelt einem starke Emotionen und man braucht nur ein Pferd zu betrachten, um innerlich ruhiger zu werden. Es vermittelt einem, mit den Beinen fest am Boden verankert zu sein und das Leben mit eigener Kraft zu meistern. Vom Krafttier Pferd lernte ich viel, begleitet es mich doch schon viele Jahre.
Und die Kraft eines Pferdes brauchte ich auch, für den langen Abstieg nach Ponferrada. Auf diesem Weg zeigte sich das unermüdliche Training der Fußgelenke, denn auf steinigem Weg geht es oft steil hinab und ich knickte, im Gegensatz zu 2018, kein einziges Mal um. Ich spürte reines Glücklichsein im Gehen und wäre am liebsten weiter um die Welt gegangen.
Diese Einstellung wurde zu einem der wichtigsten Faktoren in meinem Gesund werden. Dafür nehme ich alles zu Hilfe, was dem dient. Meine Krafttiere sind dazu eine große Hilfe, wenn ich auf sie achte. Für den einen oder anderen mag das befremdlich und nach Hokuspokus klingen, für mich ist es aber ein weiterer kleiner Teil für die Gesamtheit.
Denn es gibt keine Wunderpille, um all meine Defizite zu kurieren. Es sind vielmehr die kleinen Dinge, die meinen Körper wieder in Harmonie bringen und deshalb tue ich alles dafür, Balance und Harmonie in meinen Körper zu bringen. Entscheidungshilfe ist vor allem:
"Bringt es mich weiter oder nicht?"
Ein US-Schwimmer fragte sich immer: "Macht es mich schneller, oder nicht?". Diese Frage hilft ungemein, wenn man sich nicht sicher ist.
Wobei, das hat natürlich nicht immer mit angenehmen Dingen zu tun oder die keinen "Schmerz" bedeuten. Wenn man jedoch ein Ziel vor Augen hat, wird Schmerz zu einem Bestandteil, was einen weiter bringt. "Bringt es mich weiter...?" kann auch sein, tausendmal dieselbe Bewegung zu machen. Ich bin mir, quasi, die Halbseitenlähmung weggegangen.
Nach über 2500 Pilgerkilometern und unzähligen Kilometern Zuhause, behindert sie mich heute kaum noch, obwohl sie noch da ist und in manchen Situationen spürbar ist. Das viele Gehen hat mir wieder Lebensqualität gebracht.
Und das Krafttier Pferd hat mir, wie so viele andere Tiere bisher auch, auf meinem Weg zurück ins Leben geholfen!
Die Folgen des Hirnabszesses haben mich mehr Hochsensibel gemacht, die in der Kombination mit dem Hirnabszess schwer zu handhaben ist. Alle meine Filter im Gehirn wurden geöffnet und jeder Reiz dringt ungefiltert in mich. Wichtiges von Unwichtigen zu unterscheiden lernen, ist gar nicht so leicht.
Mein "Weg zurück ins Leben" scheint mit dem Jakobsweg und mit dem Beginn des Radfahrens für viele Vollzogen, aber dem ist noch nicht so. Solange der Tag von meinen Defiziten geprägt ist, solange werde ich an mir weiterarbeiten.
Die Kunst wird es wieder werden, trotz dieser Defizite Leben zu können. Ich war schon auf einem guten Weg, allerdings hat Corona sehr viel für mich verändert. Im Moment lenke ich mich ab und es ist kein Problem, in eigentlich allem was ich mache, Therapie zu sehen und nicht nach Graz zu fahren. Durch die Stadt zu spazieren, Straßenbahn fahren lernen oder ins Kino zu gehen, habe ich derzeit aufgegeben. Damit fällt vieles weg, an was ich mich in den letzten eineinhalb Jahre gewöhnen wollte.
Hochsensible Menschen nehmen Dinge einfach anders wahr. Die Filter im Gehirn sind durchlässiger und das Gehirn muss mehr verarbeiten. Man nimmt mehr wahr, wie Gerüche, Stimmungen oder die Gestik in den Gesichtern von Mensch und Tier. Das kann mit der Zeit sehr anstrengend und auslaugend sein, wenn man nicht gelernt hat, alles in entsprechende Kanäle fließen zu lassen.
Das alles ist bei mir zu einer Herausforderung geworden, es unter einen Hut zu bekommen. Der Hirnabszess lässt mich nur auf eines Fokussieren, meistens auf die Bewegung. Rede ich während beim Hinunter- oder Hinaufgehen über eine Stiege, wäre die Gefahr eines Sturzes groß. Meine Konzentration gilt dort nur der Bewegung, denn es gibt keine Automatik mehr. Deswegen stresst jeder zusätzliche Eindruck.
Die Menge an Eindrücken erschwert mir das Gehen lernen. Ich habe mehr Reize im Gehirn zu verarbeiten, zusätzlich zur Technik des Gehens und das macht es nicht einfach. Deshalb ist auch das therapeutische Tanzen so gut für mich.
Klar, ich bin mittlerweile drei Caminos in Spanien gegangen. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich deswegen Gehen kann. Noch immer ist es mein Ziel, automatisch Gehen zu können. Es funktioniert nur in Teilbereichen, in anderen aber gar nicht. Gerade der Lockdown hat mir ohne zu wissen warum, viel an dieser Automatik gekostet.
Beim Tanzen kann ich experimentieren und meine neurologischen Probleme kombinieren mit der Hochsensibilität. In meinem Tempo und mit ruhigen Bewegungen, an schneller tanzenden Vorbeibewegen. Wie nehme ich das wahr? Was strengt mich dabei an und wie kann ich mich wieder wahrnehmen, trotz der Bewegung um mich. So lerne ich in einem geschütztem Rahmen, mich diesem Stress auszusetzen.
Das Gehen lernen hat durch das therapeutische Tanzen eine neue Qualität bekommen.
Meine Filter sind durchlässiger als bei anderen. Das kann Fluch oder Seegen sein. Die Jahre vor dem Hirnabszess war es ein Seegen und von mir gar nicht so anders wahrgenommen. Es artete nie in Reizüberflutung oder Stresssymptome aus.
Jetzt ist es anders und seit Corona nochmals anders. Seit Anfang März war ich zweimal in Graz, also in der Stadt. Mein Gewöhnen an den Stress in der Stadt hat ein jähes Ende damals genommen. Aber dieses Nicht-Aussetzen hat meinen Körper ruhiger gemacht.
Reize setze ich sehr dosiert ein, besonders stressige. Diese ermüden mich sehr schnell. Andererseits setze ich täglich viele Trainingsreize, aber nur mir zuträgliche. Ich habe Radfahren begonnen, das war bisher wegen der Reizüberflutung nicht möglich. Es ist wie beim Gehen lernen, Step by Step, verschiebe ich immer weiter die Grenzen. Nach zwei Monaten konnte ich beginnen, dass Straßenrad zu verwenden. Bisher war nur das Mountainbike im Einsatz,
Dazu therapiere ich sehr viel zu Hause, mit diversen Geräten oder gehe in den Wald. Diese positiv gesetzten Reize ermüden mich zwar auch, aber alle schädlichen Nebenwirkungen fallen weg. Das Ziel ist es, jeden Tag glücklich schlafen zu gehen.
Viel Schlaf und Erholung sind das andere. HSPs brauchen mehr Zeit zum Regenerieren und müssen sich die Kraft genau einteilen. Mein Akku an Energie reicht nur für eine gewisse Zeit. Daher spreche ich oft von "...der Tag ist länger, als meine Energie reicht". Ich spüre regelrecht, wie mein Batteriestand fällt.
Durch die Feinfühligkeit, die schon mein Leben lang habe, spüre ich genau, wann es genug ist für meinen Körper und wann ich eine Pause brauche. Es ist vergleichbar mit einem Grenzgang, wie früher ein Extremrennen. Damals schon legte ich es in mir an, meine Grenzen zu kennen. Es war immer gut, ein wenig besser trainiert zu sein, als meine Gegner oder die Herausforderung. Damit brauchte ich mich nie in einen für mich negativen Stress begeben oder besser gesagt, sehr selten.
Ich verbringe sehr viel Zeit im Bett, um zu dösen oder zu schlafen. 10 Stunden in der Nacht durchzuschlafen sind keine Seltenheit. Ab Nachmittag geht es mit mir bergab. Alle Aktivitäten setze ich daher an den Anfang des Tages und ich kann regelrecht beobachten, wie mein Akku im Verlauf des Tages weniger wird.
Darin habe ich die meiste Arbeit noch vor mir, denn damit ich den Hirnabszess überstehen konnte, wurden alle Gefühle und Emotionen vom Thalamus quasi ausgeschaltet. Ich spürte aber weiterhin die Zustände anderer Menschen. Allerdings konnte ich sie nicht benennen, dafür waren die Wortfindungsstörungen zu groß. Im Gehirn war alles klar, aber die Verbindung zur Sprache war gestört. Ich konnte nur schauen, beobachten und spüren. Ich konnte es nicht einordnen und daher schwieg ich.
Manchmal wollte ich mich Besuchern im Krankenhaus gegenüber mitteilen, aber es kamen für sie nur undefinierbare Wortversuche heraus. Mir fiel das gar nicht auf, denn ich hatte mir die Wörter im Kopf zurechtgelegt. Das etwas anderes aus meinem Mund herauskommt, konnte ich nicht erfassen.
Dieses einfühlen in andere Menschen kann auf Dauer sehr anstrengend sein. Nach der Zeit als Rennfahrer übte ich mehrere Jahre lang den Beruf als Energetiker aus. Es ist eigentlich eine Gabe, dafür hochsensibel zu sein. Abgrenzung ist sehr wichtig und das beherrschte ich sehr gut.
Ich verwendete ein Gerät, dass die Energieströme im Körper sichtbar machte. Anhand der Grafiken wurde sichtbar gemacht, wo es im Körper zu Energieüberschuss oder Defiziten kam. Im Grunde brauchte ich dieses Gerät gar nicht, aber es war für andere leichter nachvollziehbar, wo die Problematik liegt.
Wenn der Kunde bei der Tür hereinkam und ich ihn sah, wusste ich sofort, was Sache ist. Man nimmt alles wahr und verarbeitet es in Sekundenbruchteilen. Den Gang, den Gesichtsausdruck und feinste Konturen im Gesicht. Die Messung war nur mehr eine Überprüfung, von dem, was ich spürte.
Gleich fühlte und spürte ich auch gegenüber mir selbst, leider hörte ich nicht immer darauf. Denn diese Gabe wurde zu meinem Fluch. Für mich selbst fand ich immer weniger Lösungen und mein Umfeld verstand mich nicht, wie auch ich mich nicht oft zu artikulieren wusste. So entstand mit der Zeit der Hirnabszess. Ich implodierte, anstatt zu explodieren.
Statt mein Herz zu kultivieren, konnte oder wollte ich nur mehr alles mit dem Denken analysieren. Immer öfter verlernte ich auf mein Herz zu hören. Perfektionismus stand für mich weit vorne, eine weitere Sache für Hochsensible. Es war nie etwas zu Ende und immer hatte ich noch was zu verbessern oder wollte etwas noch besser machen.
Besonders beim Filmen kam das hervor. Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, denn es gab immer noch eine bessere Bildeinstellung oder eine andere Idee. Es dauerte lange, bis ich ein Ende, ein Ende sein lassen konnte.
Am schwersten ist mir die Empathie in der Beziehung gefallen und sie ist schlussendlich auch daran zerbrochen. Nach dem Hirnabszess stand ich in allem auf null, hatte alles neu zu lernen. Der Thalamus störte nicht nur meine Bewegung, er hatte auch großen Einfluss auf meine Gefühle und Emotionen.
Dass das Auswirkungen sein können, hat mir nie jemand gesagt. Nach dem Krankenhaus war ich alleine auf mich gestellt. Alles musste ich mir selbst erarbeiten. Ich musste erst lernen, Entscheidungen zu fällen, was auch dem Bereich des Thalamus zufällt. Zur Idee mir Hilfe zu holen, kam ich erst spät. Mein Gehirn funktionierte ja nicht, es gab keinen Gedanken dazu, was mir helfen könnte. Erst wenn ich mir dessen bewusst war, konnte ich einen Schritt weitergehen.
So begann ich erst im letzten Jahr eine Traumatherapie, weil ich erkennen durfte, nicht alles alleine bewältigen zu können. Ich las viele Bücher und Zeitschriften über das Gehirn, über Lebensführung und anderes. Aber mir fehlte das selbständige Denken. Es fehlt die Fähigkeit, etwas alleine durchzudenken oder noch besser, gleich meinem Gefühl vertrauen zu können.
Mit dem Hirnabszess hatte ich alles Vertrauen in mich verloren, wie sollte ich da jemanden anderem vertrauen. Ein erster Schritt war im Krankenhaus, jedem dahingehend zu Vertrauen, dass dort alles nur zu meinem besten geschieht. Ich konnte nicht an Hochsensibilität denken, aber ich lernte meinem Instinkt zu vertrauen, der die Sensibilität mit einschloss.
Die Trennung brachte mich wieder an den Anfang zurück. Es war ein Vertrauensbruch, in einer Zeit, wo ich um jeden Millimeter Fortschritt kämpfte. Meine Hochsensibilität war Fluch und Seegen zugleich.
Das Ende der Beziehung war auch das Ende einer Struktur, die mir Halt gegeben hat. Mein Harmoniebedürfnis war empfindlich gestört und ich konnte nicht verstehen, was gerade passiert ist. Noch heute fehlen mir angemessene Worte und Handlungsmuster. Das überforderte mich, denn Handlungsmuster hatte ich keine, habe ich doch das Leben neu zu lernen und bin gerade bei den Basics.
Wir Hochsensiblen vertragen es nicht, wenn es ungerecht oder respektlos zugeht. Dazu kommt noch, dass ich wie ein Kind, nicht verbal für mich eintreten kann. Die Wortfindungsstörungen überrollten mich. Ich hatte mit mehreren Fronten zugleich zu kämpfen. Nur langsam beginne ich mich zurechtzufinden.
Für Hochsensible kann es gut sein, sich ihre Wut zu erlauben. Der Hirnabszess war ja nichts anderes als eine in sich gekehrte Wut, die sich lange aufgestaut hatte. Zu lange habe ich selbstzerstörerisch gehandelt, fand aber keinen Ausweg daraus. Hätte ich früh genug hingeschaut und gehandelt, hätte ich mir den Hirnabszess ersparen können.
So heißt es jetzt damit zurechtkommen, wie es ist und das Beste daraus zu lernen. Und so wie ich tagtäglich an meinen Defiziten arbeite, habe ich auch geistig, mental an mir zu arbeiten.
Zum Beispiel dieser Blog. Ich hatte zum Lernen, dass ich etwas sein lassen muss. Kein endloses überarbeiten, schreiben und nicht perfekt sein. So wie es ist, ist es.
Ich darf glücklich darüber sein, was ich bisher schon erreicht habe.