Die ersten Tage am Camino waren für mich und meine Emotionen oft schwer zum Einordnen. Der Abszess saß am Thalamus und störte somit die Steuerung desselben.
Die letzten 2 Jahre verbrachte ich unter anderem damit, diese Emotionen wieder selbst steuern zu lernen, mir dessen bewusst zu werden.
Die Überquerung der Pyrenäen war aber zu viel. Immer wieder kämpfte ich mühsam mit mir, diese Emotionen in den Griff zu bekommen. Zum Glück waren es positive, die hatte ich leichter im Griff. Es ist aber schwer zu beschreiben. Immer wieder kamen mir die Bilder der letzten Jahre hoch. Ein Auf und Ab.
Im Oktober letzten Jahres hatte ich einen Filmbeitrag auf Puls4 über mein Schicksal. Ich sah mich damals zum Ersten mal selbst gehen. Diese Bilder kamen mir immer wieder. Wie ich unsicher und unbeholfen über die Wege stolperte. Damals war so viel noch nicht möglich. Wichtig war aber, dran zu bleiben!
Drangeblieben bin ich. Das Gehen ist noch mit Schwierigkeiten verbunden, aber nichts kann mich davon abhalten, mehr zu wollen. Nervensachen sind eine eigene Geschichte. Oft bin ich mir nicht sicher, habe ich mich verbessert oder nur besser damit umgehen gelernt. Habe ich mich nur daran gewöhnt?
Zunächst durchquerte ich Pamplona und danach ging es durch das Weinbaugebiet Rioja. Meist Hügelig, dann mal wieder flach.
Besonders die kurzen steilen Anstiege stellten eine Herausforderung dar. Bergab hatte ich das Gefühl, die Erdanziehung zog mich hinunter. So schnell konnte ich gar nicht, die Beine machten nicht mit. Langsam und bedächtig musste ich auch bergab auftreten. Ich kann zwar gehen, aber wenn zu große Kraft auf die Oberschenkel eintrifft, knicke ich leicht ein. Daher geht auch Laufen noch nicht.
Bergauf war genauso schwer. Schritt für Schritt ging ich nach oben. Die Erdanziehung wirke genau in die andere Richtung. Der Rucksack wurde immer schwerer und wie ein Höhenbergsteiger stapfte ich nach oben. So erklomm ich eine Steigung nach der anderen. Die Pausen wurden mehr.
Oben angekommen wurde ich wieder nach unten gezogen zu werden. Dieses Spiel wechselte sich immer wieder ab. Gewöhnt habe ich mich bis heute nicht daran. Die Schwerkraft spüre ich besonders stark.
Bald nach Pamplona ist ein Gebirgszug zu überqueren. Er bildet eine Wetterscheide in der Gegend und so kann es an einer Seite regnen und an der anderen die Sonne scheinen. Bekannt ist er aber für seine Windräder und ein Denkmal am Pass.
Ich schnaufte schwer hinauf, mich wieder Schritt auf Schritt konzentrierend. Step by Step sollte mich noch den ganzen Weg begleiten.
Abgelenkt wurde ich nur durch ein Reiben im Schuh. Sofort blieb ich stehen und sah nach. Eine gerötete Stelle war vorhanden, Blasen aber bin ich von den Schuhen nicht gewohnt. Es war eigenartig.
Beim genaueren Nachschauen entdeckte ich dann, dass ein Teil der Polsterung fehlte. Rund, wie ausgeschnitten war sie. Das war zu blöd. Sofort kam es mir. In der letzten Herberge hatte ich als einziger keinen Platz auf der Schuhablage. So stellte ich sie daneben auf den Boden. Ein fataler Fehler.
Eine Maus nahm das Angebot an und besorgte sich Polstermaterial für ihr Nest. Für sie gut, für mich aber blöd gelaufen.
Ich nahm mein erstes Blasenpflaster und klebte zur Vorsicht die Ferse ab. Am Anfang noch ungewohnt, hatte ich dann aber bis zum Schluss keine Probleme mehr damit. Nochmal gut gegangen.
Am Passübergang steht ein markantes Denkmal. Ein Wind blies über die Kuppe, dass einem Hören und Sehen verging. Ein paar Fotos noch und dann ab in den Abstieg. Vor lauter konzentrieren auf den Weg, habe ich die Emotionen vergraben. Erst später kamen sie hoch, als ich schon wieder im Abstieg war.
Steil und felsig führte der Weg nach unten. Ich musste es langsam angehen. Gerade die Kraft in den Oberschenkeln wollte nicht und nicht mehr werden. Gehen ging, aber ein Ausfallschritt und selbst zu große Schritte, waren mir noch immer nicht möglich. Bergab konnte ich es nicht laufen lassen, sondern musste wirklich, Schritt für Schritt, bergab steigen.
So hatte ich mit Herausforderungen zu tun und aufgrund der Langsamkeit nicht nur bergauf, sondern auch bergab mit dem Gleichgewicht zu kämpfen.
Die nächste größere Stadt war Puenta de la Reina. Eigentlich sollte es ein Etappenziel sein, aber bei der Durchwanderung war es größer als gedacht.
Die Entscheidung war sofort klar, ich gehe weiter bis zur nächsten Herberge. Weder den üblichen Kaffee, noch etwas zum Essen, genehmigte ich mir. Mir war einfach zuviel Trubel.
Ich besuchte noch die markante Brücke in der Stadt und machte mich dann auf in die nächste Herberge, außerhalb der Stadt. Ich verwechselte allerdings rechts mit links und war plötzlich auf dem Weg in die nächste Ortschaft. Das Problem ist, dass ich dauernd rechts und links verwechsle. Sollte ich den Kilometer wieder zurück gehen?
Ich entschied mich dagegen und ging weiter auf dem Camino, sechs Kilometer zum nächsten Dorf. Ich war mir aber unsicher, ob das klug war. Bergige sechs Kilometer waren für mich noch eine Ewigkeit.
Wenig außerhalb nach Puenta de la Reina traf ich auf Theo. Mit seinen 74 Jahren ging er guten Schritts dahin. Es passte gut und so gingen wir die nächsten Kilometer zusammen. Er erzählte mir aus seinem Leben und ich aus meinem. In seinen Anekdoten war so viel Weisheit drinnen, Weisheit aus 74 Jahren eben.
Es sind oft nur kurze Augenblicke am Camino, die wir mit anderen Menschen teilen. Aber diese können umso nachhaltiger sein.
Danke Theo, dass ich dich kennen lernen durfte!