Hochsensibilität im Alltag und beim Wandern - Fluch und Seegen zugleich!

Hochsensibilität kann ein Fluch und Seegen sein. Der Hirnabszess hat es dahin verändert, dass alle Filter im Gehirn geöffnet wurden, die uns normalerweise vor diesem zu viel an Eindrücken schützen. Der Hirnabszess hat bei mir alle Filter entfernt und ich versuche jetzt seit sechs Jahren, das wieder in den Griff zu bekommen. Dieses zu viel an Empathie, aber auch die Wahrnehmung im Außen, muss ich erst einmal in den Griff bekommen.

Ich war schon früher hochempfindlich, hatte es allerdings im Griff und konnte es als Energetiker gut handhaben. Das hat sich verändert, denn ich habe alles neu zu lernen, neu zu bewerten und vor allem, damit umgehen zu lernen.

Mit Hochsensibilität im Kesselfall

Hochsensibilität, was ist das?

Sensible Menschen sind emphatisch und können extrem auf die Emotionen und Energien anderer reagieren. Sie nehmen diese Emotionen anderer schnell auf und werden als ihre eigenen empfunden. Sie sind hoch intuitiv und spüren weit über oberflächlicher Eindrücke, gegenüber Menschen und Situationen. Deshalb arbeiten sie auch oft in Heilberufen, weil sie die Bedürfnisse, Emotionen und Feinheiten spüren, die andere nicht wahrnehmen können. Das ist einerseits eine erhöhte Empathie im Inneren, andererseits die Wahrnehmung im Außen, zum Beispiel auf Brücken oder an Abgründen.

Wir registrieren alles feiner, wie den Anflug eines Stirnrunzeln oder eines Lächelns wahr und durch die Gesamtheit aller Wahrnehmungen, können wir fühlen, was ein anderer Mensch empfinden könnte. Es aktiviert die gleichen Regionen im Gehirn, wie das anderer, die für das Ausführen der Tätigkeit im Gehirn aktiviert werden. Ein kleiner Teil hat auch das Phänomen, dass sie an sich fühlen können, wenn sie sehen, wie der Körper eines anderen berührt wird.

Wir können in feinsten Nuancen den Ansatz von Eifersucht oder Neid in der Stimme spüren, den Ton von Freude oder Ärger, trotz augenscheinlich zurückhaltender Worte. Wir merken sofort, wenn jemand lügt. Das ist oft nicht leicht auszuhalten oder zu verstehen, denn vieles ist einem selbst nicht klar. Sich selbst wieder vertrauen zu können, ist Angesicht dieser vielen Eindrücke oft nicht leicht.

Hochsensible haben ein überempfindliches Nervensystem, mit dem sie mehr als die meisten anderen, alles rund um sich wahrnehmen. Deswegen spreche ich oft darüber, meine Wahrnehmung verbessern zu wollen. Eigentlich meine ich damit, es so weit kontrollieren zu können, dass ich einigermaßen ohne Stress mit mehreren Menschen zusammen kommen kann oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein kann. Das reicht mir derzeit schon.

Als Hochsensibler muss ich mich in einer Welt zurechtfinden, die meine Erfahrungen oft ablehnt und sich gleichzeitig auf mich verlassen kann. Ich habe zu lernen, auf diese meine Kraft zuzugreifen und meiner inneren Führung zu vertrauen. Vertrauen auf mein feinsinniges Spüren von Energien, den Veränderungen in der Mimik, im Tonfall und der Körpersprache und wie das im Gegensatz zu dem steht, wie er spricht. Das fällt mir im Sekundenbruchteil auf und stimmt eigentlich immer. Vertrauen finden, ist ein wichtiger Punkt.

Aus diesem Grund stelle ich meine Gefühle und Emotionen, die durch den Abszess gestört wurden, meistens auf null. Es gibt praktisch nur 100 % Emotionen oder gar keine, ohne Zwischenschritte und da sind gar keine die oft bessere Wahl. In den letzten Jahren habe ich viel dazu gelernt, aber oft fühle ich mich noch wie am Anfang. Emotionen und Gefühle in Stufen wieder zulassen zu können, das ist meine Aufgabe, die mir viel abverlangt.

Dazu kommt die Propriozeption, also zu wissen, wo der Körper endet. Über Gitter zu gehen, mit darunter tiefliegenden Boden, kann mein feinsinniges Gehirn nicht einordnen und lässt mich wo festklammern. Ich habe das Gefühl, jederzeit abzustürzen.

Nervensystem und Hochsensibilität

Hochsensibilität im Alltag

Es ist für mich wichtig, mich im Alltag bewegen zu können, auch wenn es stresst. Ob Einkaufen, durch die Stadt schlendern oder Besorgungen erledigen, das kostet mir viel Energie, dass mich schnell in ein Verhalten der Vermeidung fallen lässt und ich es dann oft nicht mache.

Was viele nicht verstehen, ich kann stundenlang durch die Natur spazieren, aber einmal einkaufen gehen, kann den Tag für mich beenden. Das ist schon für mich schwer zu verstehen, wie soll das dann jemand anderer verstehen. Solche Dinge im Alltag belasten mich am meisten, da sie oft erledigt werden müssen und ich nicht die Wahl habe, zwischen soll und muss.

Der Heilung kommt das allerdings meist nicht zugute. Daher muss ich oft zwischen Therapie oder Alltag im Gehirn entscheiden. Wobei auch der Alltag Therapie sein kann, aber das funktioniert nicht immer. Meistens geht es dann einfach nur ums, übertrieben gesagt, "überleben". Ein Abbruch ist oft nicht möglich.

Wenn es dann doch mal zu viel wird, breche ich ab oder gehe es langsamer an oder ich vermeide es eben. Was anderes ist es, wenn es erledigt gehört. Dann gehe ich auch über die Grenze, im Wissen, dass es das dann war und ich so erschöpft bin, dass nichts mehr geht.

2019 lernte ich mit der Ergotherapeutin Einkaufen gehen. Drei verschiedene Dinge sollte ich mir merken und sie aus dem Kaufhaus holen. Die dreißig Meter zum Eingang hin, hatte ich das Erste vergessen, beim Eingang das Zweite und mit oft nur einem, kam ich wieder heraus. Die vielen Eindrücke ließen das Merken nicht zu. Das machte ich immer und immer wieder, bis ich mich wieder einigermaßen an ein Kaufhaus gewöhnte.

Oft ging ich neben den Regalen in die Knie, weil mich alles derart überforderte. Dann musste ich alles aus den Händen legen und am schnellsten Weg wieder raus. So kam ich Schritt für Schritt langsam vorwärts und lernte einkaufen gehen. Meistens mache ich an solchen Tagen dann nichts mehr.

Das Schreiben heute, kann ich als therapeutisches Schreiben bezeichnen. Denn die Erinnerung daran lebt in mir und es fühlt sich wie wirklich an. Es ist emotional aufregend, denn dann wird mir bewusst, dass ich vieles schon konnte, aber nach der Pandemie erneut wieder zum Lernen habe. Daher weiß ich, was auf mich noch zukommt. Vieles vermeide ich daher von vornherein.

Dinge, wie an die Stadt gewöhnen oder Straßenbahnfahren, habe ich auf unbekannte Zeit verschoben. Denn warum, wenn ich gar nicht weiß, ob es einem nicht unmöglich gemacht wird, wieder für Monate im Herbst/Winter in die Stadt zu gehen oder ein Museum zu besuchen. Corona hat mich vorsichtig gemacht, damit ich nicht wieder Dinge übe, die ich dann eh nicht anwenden kann.

Graz, Karmeliterplatz

Hochsensibilität - Natur versus Stadt

In der Natur und im Wald fühle ich mich anders, als zwischen Gebäuden in der Stadt oder in Einkaufszentrum. Inmitten von Grün und Bäumen fühle ich mich mit meiner Sensibilität weitaus besser. Am Jakobsweg dieses Jahr, habe ich Städte und größere Dörfer vermieden, weil ich es nicht ausgehalten habe.

Meine Hochsensibilität hat sich nach zwei Jahren der Pandemie verändert, leider nicht zum Besseren. Meine Abneigung gegen Städte ist wieder größer geworden. Seit zwei Jahren halte ich mich praktisch nur mehr in der Natur auf, abgesehen davon, wenn ich in der Wohnung bin.

Camino France 2022

Wandern

Als Beispiel für Wandern nehme ich einen Ausflug in den Kesselfall, der im Norden von Graz liegt. Natur und Grün, so weit das Auge reicht. Eigentlich, das Beste, was ich mir wünschen kann, trotzdem war es zum Großteil als Therapie zu sehen.

Die steilen Leitern in der Klamm fordern meine Wahrnehmung. Besonders die Holzstiegen, mit den Blicken direkt nach unten in die Klamm, kosten viel Energie. Mein Gehirn kann die Entfernung der Holzstreben beim Steigen, mit dem sich unter mir bewegenden Wasser in der Klamm, nicht abschätzen. Es ist wie beim Gehen lernen, nur durch oftmalige Wiederholung kann ich meinen Geist wieder daran gewöhnen. 

Auf solchen Steigen benötigt mein Gehirn gleich viel Energie, wie die Muskeln. Ich komme auf einem ebenen Übergang zumeist gleicher Art ins Schnaufen, als wenn ich steil bergauf gehe. Das Schöne ist aber, ich kann solche Touren wieder unternehmen. 2019 brauchte ich eine halbe Stunde Pause nach einer 500 Meter langen Brücken-Überquerung, am Camino Norte. Sie führte hoch über einen Meeresarm und brachte mich übers Limit.

Solche Sachen sind trotzdem wichtig für mich, denn mit jedem Male kann ich das nächste Mal leichter solche Zustände aushalten. Einfach machen, sage ich mir immer wieder vor, denn ich habe es ja schon einmal gekonnt und ich beginne, meinen alten Fähigkeiten zu vertrauen. Ich werde immer an meinen Physiotherapeuten in der Reha denken, der zu mir beim Steigen sagte: "Trau dich!".

Die Natur beim Wandern spüren

Blumen, Insekten, Bäume und anderes beobachten, gibt mir innere Ruhe. Diese Ruhe brauche ich, damit sich mein Kopf erholen kann, um vom endlosen Denken wegzukommen. Diese kleinen Dinge bringen mich in eine Aufmerksamkeit und in einen erholsamen Zustand. Das wäre in der Stadt nicht möglich.In der Natur komme ich leichter mit meinen Emotionen und der Hochsensibilität klar.

Die Farbe Grün dient als Heilfarbe, lässt einen Kräfte sammeln, bringt Regeneration und vermittelt den Augen Ruhe. Den Aufenthalt in der Natur möchte ich nicht mehr gegen die Stadt eintauschen. Vor der Pandemie dachte ich immer, mich an die Stadt gewöhnen zu müssen. Langsam begann ich mich dem immer mehr auszusetzen, obwohl mir die Natur besser tat.

Stress bleibt Stress und die Stadt bleibt Stadt. Wenn ich rausgehe, dann nur in die Natur oder zum Radfahren auf Radwege und abseits gelegene Straßen. Am liebsten ist mir wandern in unseren schönen Natur. Die Stadt habe ich seit Corona nur ein paar Mal am Rande gesehen.

Denn es geht nicht wirklich darum, mich wieder an etwas zu gewöhnen, sondern an vorderster Stelle steht, Heilung zu erlangen. Vielleicht wird es auch einmal die Stadt sein, aber im Moment helfen mir die Bäume, das Gras, die Berge und das Wasser mehr, als was ich in der Stadt finden könnte. Mir ist das Rauschen eines Baches viel lieber, als das oft ähnlich klingende Rauschen des Verkehrs. Ich habe mich noch nie so in meiner Mitte gefühlt, wie am Walkabout durch Austria, wo ich 85 % der Zeit im Freien und in der Natur verbrachte.

fließendes Wasser beruhigt
Arlberg, Walkabout
Walkabout durch Österreich, am Arlberg

Das Wandern ist ein gutes Mittel, um sich wieder nahezukommen und seine Identität zu spüren. Das war mit der Sinn am Walkabout. In der Natur bin ich 100 % ich und meine Gedanken werden klarer. Die bisher über 30.000 Kilometer zu Fuß waren für mich notwendig, denn ich lernte auf mein Herz zu hören, meine Energien richtig einzusetzen und wieder ausgeglichener zu werden.

Die Hochsensibilität bringt mich oft noch immer in eine Überforderung, aber ich beginne, mit diesen Emotionen und Gefühlen immer besser umzugehen. 

Hochsensibilität - Fluch und Seegen

Das therapeutische Tanzen hilft mir sehr, dieses hochsensible Spüren in die richtigen Kanäle zu leiten. Es kann ein Seegen sein, so vieles und fein zu spüren. Es kann aber auch extrem anstrengend sein, es nicht steuern zu können, das habe ich noch zu lernen. Bei sich zu bleiben, gesammelt zu sein, hilft dann enorm weiter, manchmal dauert es aber Tage, bis ich mich fange. Darum übe ich weiter und immer weiter, Achtsamkeit und Sammlung.

"Was noch klein ist, lässt sich leicht zerstreuen. Man muss wirken auf das, was noch nicht da ist. Man muss ordnen, was noch nicht in Verwirrung ist."

Laotse

Mich immer wieder aus den Verstrickungen des Alltags zu lösen, das schaffe ich am besten mithilfe der Natur. Das Wandern führt mich zu Selbsterkenntnis, das meiner Seele wohltut und mir Anstöße gibt, mein Denken und Verhalten zu korrigieren. Intuitiv das Richtige machen, ist mein Endziel.

Sokrates sagte einmal: "Der Mensch ist insbesondere dann glücklich, wenn er das gut tut, was er am besten kann!"

Bei mir ist es das Gehen in der Natur. Dort bin ich mit meiner Hochsensibilität bestens aufgehoben und kann sie verbessern, um wieder mehr Lebensqualität zu erlangen.


Gehen lernen - über 30.000 Kilometer oder 45.000.000 Schritte in 6 Jahren!

Nach dem Hirnabszess 2016 war nur eines in meinem Kopf, ich wollte wieder gehen lernen. Zunächst wollte ich nur eigenständig wieder aufs WC im Krankenhaus kommen und so fing ich Schritt für Schritt an. Der erste Schritt war, mich wieder aufsetzen zu können, das Gehen kam erst viel später.

In den letzten sechs Jahren bin ich dann über 30.000 Kilometer oder 45.000.000 Millionen Schritten gegangen und versuchte die verlorene Propriozeption zurückzugewinnen. Einen Tag vor dem Hirnabszess ging ich damals am Meer noch Laufen, daher wurde es mein Ziel, wieder Laufen zu können.

Ich gehe jetzt in das siebente Jahr nach dem Hirnabszess, laufen kann ich noch immer nicht.

Gehen lernen am Jakobsweg
rpt

Trailrunning

Im Jahr 2013 begann ich mit dem Trailrunning. Für meinen Freund Matthias filmte ich beim Eiger Ultra Trail und das faszinierte mich so, dass ich entschied, Trailrunner zu werden. Ein Jahr später stand ich selbst am Start, allerdings war nach 63 km Schluss, von 101 km.

Ich gründete die Website von0auf101, die meinen Weg vom absoluten Laufanfänger, bis zum Trailrunner begleiten sollte. Detailliert wollte ich berichten, wie ich vom Radfahrer zum Läufer wurde.

Eiger Ultra Trail
Beim Eiger Ultra Trail 2014

Meine Basis waren 20 Jahre (Leistungs-)Sport, zuerst als Straßenradrennfahrer und dann als MTB-Extremradfahrer. Das für mich schönste Rennen war das Iditasport Race in Alaska, wo ich 1995 überraschend zweiter wurde und die 100 Meilen (ca. 161 km) Distanz 1997 gewinnen konnte. Schon 1995 musste ich das Rad 40 Kilometer schieben und dementsprechend Laufen und Gehen trainieren.

Iditasport Race in Alaska
Iditasport Race in Alaska

Viele Wettbewerbe lief ich als Trailrunner nicht, mir gefiel mehr das alleine unterwegs sein, oft über mehrere Tage und mit minimalistischer Ausrüstung. Übernachtet wurde in Berghütten und Biwakschachteln.

Der Hirnabszess und Gehen lernen

Es kam der März 2016. Mit der Familie war ich ein paar Tage in Kroatien und nutze die Zeit für Läufe am Strand. Irgendwie ging es schwer und ich schob es auf das ungewohnt milde Klima, nach dem Winter zu Hause. Einen Tag vor der Heimreise musste ich mich hinlegen und bin von dort weg für lange Zeit nicht mehr aufgestanden. Am 27.März wurde ich ins Krankenhaus eingeliefert.

Hirnabszess am Thalamus
Abszess am Thalamus

Noch auf der Intensivstation dachte ich an Trailrunning und dass ich es wieder machen wollte. Die Bilder vom Eiger oder dem Hochschwab waren so stark in mir, dass ich nur daran dachte, wieder dorthin zu kommen. Dafür wollte ich alles unternehmen.

Trotz neurologischer Ausfälle und einer Halbseitenlähmung begann ich die vier elastischen Binden selbst aufzurollen, vornehmlich mit der rechten gelähmten Hand. Dass mir die Zähne geputzt werden, verweigerte ich, ich wollte es selber machen, obwohl ich die Zahnbürste kaum selbst halten konnte und kaum spürte, wo ich putze.

5 Monate im Krankenhaus
5 Monate im Krankenhaus

Später auf der Reha-Station war es nicht viel besser. Trotzdem versuchte ich so viel wie möglich selbst zu machen. Eine riesige Hilfe war mir meine Ergo-Therapeutin Kerstin, die mich mobilisierte und mir unglaublich viel beibrachte.

Ich sah alles wie im Sport, es wurde für mich diesmal der längste Wettbewerb, den ich jemals zu bestehen habe und alle bisher erlebte Anstrengung verkam im Gegensatz dazu, wenn man wieder "zurück ins Leben" möchte.

Etwa eineinhalb Jahre nach dem Hirnabszess sagte ein Arzt zu mir: "Herr Krasser, ich sehe und weiß, was sie tun. Schalten sie zurück, akzeptieren sie, wie es ist, es wird kaum mehr besser werden!"

Meine Antwort war nur: "Wenn sie das glauben, ok. Ich glaube es nicht und werde weitermachen."

Damals konnte ich mit vielen Pausen gerade mal ein paar hundert Meter gehen, danach war ich fertig für den Tag. Am meisten behinderte mich der Schwindel und die Körperschwäche, die ich nur durch tägliches Tun verbessern konnte. Die Fortschritte waren so langsam, dass ich es selbst nicht bemerkte.

Mein Gedächtnis und das Denken war außerdem so stark beeinträchtigt, dass ich damit immense Schwierigkeiten hatte, alles zu verfolgen.

Dranbleiben, war und ist das Erfolgsrezept noch heute

Auf die Muskelschwäche und die verlorene Propriozeption kam ich erst im Laufe der Zeit selbst darauf. Nach den Reha-Aufenthalten verzichtete ich auf die Ärzte und versuchte in Eigenregie meine Rehabilitation fortzusetzen.

Ob Fitnessstudio, therapeutisches Tanzen, Radfahren und Gehen, alles unternehme ich in Selbstorganisation. Das Gehen bekam einen immer höheren Stellenwert.

Gehen als Therapie

Das Gehen diente mir auch fürs Gehirn. Bis zum Beginn der Corona-Pandemie hatte ich auch hier Verbesserung. Nach der Trennung von meiner Lebensgefährtin und den Kindern, startete ich 2018 meinen ersten Camino in Spanien. Der Jakobsweg wurde zu einer der besten Therapien, um wieder Gehen und Leben zu lernen.

Nur unterbrochen von meinem letzten Reha-Aufenthalt, legte ich die 950 Kilometer nach Santiago de Compostela und Finesterre in insgesamt zwei Monaten zurück. Bis heute absolvierte ich den Camino del Norte, noch zweimal den Camino France und weitere Jakobswege in Österreich. Dazu der Walkabout rund um Österreich, wo ich mehr als 2000 Kilometer zurücklegte.

Am Walkabout gehen lernen
Walkabout durch Österreich

Die Millionen Schritte braucht mein Gehirn, um die Propriozeption zu erlernen. Vorfälle wie der Nierenstein, kosten mich Wochen bis Monate, um das bereits Gelernte wieder zu erlernen. Darum vermeide ich alles, was mir nicht guttut, denn es hat zu großen Einfluss auf mein körperliches Befinden.

"Step by Step", ist mir von Anfang an treu geblieben. Schritte überspringen war und ist nie möglich, es geht nur einer nach dem anderen.

Wie kann ich gehen lernen?

Von Außen ist mir kaum was anzumerken. Vielleicht, wenn jemand weiß, was ich habe, dann fällt die eigene Bewegung auf. Mit meiner Konzentration muss ich nach wie vor beim Gehen lernen bleiben, das ist auf Dauer sehr anstrengend und nicht sichtbar. Gleichzeitig Gehen und Sprechen kostet mich viel Energie, bzw. geht auch nur auf halbwegs gutem Weg. Mein früheres Multitasking als Videojournalist ist einem Single-Tasking gewichen.

Hier spreche ich nur vom Gehen lernen, aber es geht mir in allem so. Ob beim Kochen, Essen oder Schreiben, das Single-Tasking ist allgegenwärtig. Essen und Trinken ist zum Beispiel für jeden etwas Selbstverständliches, bei mir nicht. Beim Essen bin ich gerne alleine, da ich sehr konzentriert bleiben muss. Durch die Halbseitenlähmung gerät zu schnell etwas in die Luftröhre und ich verschlucke mich. Das Trinken wiederum geschieht sehr vorsichtig und langsam und ja nicht unter Stress. Es ist nicht gut, wenn Essen oder Flüssigkeiten in die Luftröhre gelangen.

Beim Gehen kann ich schon ganz gut ohne Nachdenken auf ebener Straße dahingehen. Ich erinnere mich an Zeiten zurück, wie am Jakobsweg 2018, wo ich praktisch noch jeden Muskel andenken musste, um Gehen zu können. Treppen steigen oder steil bergauf, kostet mir noch viel Energie, vor allem Gehirn mäßig. Da spielt die Muskelschwäche eine große Rolle darin. Ich mag mir gar nicht ausdenken, was wäre, wenn ich nicht so viel gegangen wäre. Dann hätte der Arzt wahrscheinlich sogar recht gehabt mit seiner Aussage, dass es nicht mehr besser wird. Denn wer würde das alles auf sich nehmen?

Am Jakobsweg in Spanien gehen lernen
Camino France 2018

Mein großer Vorteil war sicher, dass ich vom Sport kommen und Training für mich der normale Alltag war. Im Grunde lebe ich jetzt den Traum eines jeden Sportlers, nämlich als Profi 24 h nur darauf zu schauen, dass ich besser werde. Allerdings geht es nicht um Platzierungen und Ergebnisse, sondern um nichts anderes als das Leben. Mein Wettkampf ist es, wieder Leben zu können und dafür alles zu geben.

Gleich wie ein Radprofi, muss ich auf alles schauen, damit es mir gut geht. Von der Ernährung, über die Erholung bis zum Training.

Und da bin ich wieder beim DRANBLEIBEN!

Stetig und immerfort ist es notwendig. Im Moment noch kein Problem, obwohl Corona Rückschritte brachte. Aber auch wenn es einmal zurückgeht, Niederlagen machten mich im Radsport nur stärker und das gilt auch für jetzt.

NEVER GIVE UP!


Fitnessstudio und Wings for Life Run - mein Leben mit Muskelschwäche!

Im Moment versuche ich die durch die Pandemie sich verschlechterte Muskelschwäche wieder zu verbessern. Vor zwei Jahren nahm ich damals, am Anfang der Pandemie, zum ersten Mal am Wings for Live Run teil. Er gab mir Motivation, dranzubleiben und mich auf neue Ziele zu konzentrieren. Ich bin drangeblieben und habe die Zeit so gut es ging genutzt. Im gesamten gesehen, habe ich allerdings in allen Bereichen verloren.

Der zweite Punkt ist das Fitnessstudio, weiches nach über zwei Jahren wieder für mich möglich wurde. Immer im Wald wie "Rocky" zu trainieren, funktioniert halt nur bedingt. Ich habe es auch gemacht und öfters Baumstämme fürs Krafttraining genutzt, aber es ersetzt nicht mit Gewichten zu trainieren. So nutzte ich die erste Möglichkeit, wieder im Fitnessstudio zu trainieren. Der Camino hat zu viele Schwachstellen aufgezeigt.

Das Fitnessstudio

Bisher war ich ein paar Mal im Fitnessstudio und es tat so gut, gezielt mit Gewichten an mir zu arbeiten. Gerade der Camino France im April zeigte mir viele Schwachstellen auf, die sich in der Pandemie gebildet haben.

Das Rucksack tragen stellte sich als immer schwieriger heraus, da sich meine Rückenmuskulatur immer mehr zurückbildete. Der Nierenstein gab mir dann den Rest. Den Camino habe ich dann unterschätzt, denn ich dachte, ich gehe eben langsamer und täglich nicht so weit und mit der Zeit werde ich mich daran gewöhnen.

Aber das alles hilft nichts, wenn die Wirbelsäule zu schwach ist, in Kombination mit der Muskelschwäche. Ich muss eben einsehen, dass bei mir alles anders ist und für mich frühere Maßstäbe nicht gelten. Daher heißt es jetzt die Muskeln der Wirbelsäule gezielt aufzubauen und das trotz der Muskelschwäche.

Endlich wieder im Fitnessstudio, für meine Muskelschwäche was tun.
Endlich wieder im Fitnessstudio, für meine Muskelschwäche was tun.

Die Oberschenkel sind die nächste Schwachstelle. Die letzten zwei Jahre arbeitete ich nur mit dem eigenen Körpergewicht. An und für sich eine gute Sache, aber ich brachte nur bedingt etwas weiter. Wieder gilt das oben gesagte, ich funktioniere nun mal anders. Gehen bringt mir dafür nur bedingt etwas. Gehen ist Ausdauer, die ich mir zumindest beim Gehen aneignen konnte.

Kraft ist das andere und nur schwer wiederzuerlangen. Stiegen steigen hilft, bringt mich allerdings schnell zur Erschöpfung. Es ist immer eine Gratwanderung Stiegen zu steigen, denn die Spange zwischen "es hilft mir" und "es erschöpft mich", ist sehr schmal. Daher ist das Fitnessstudio ideal für mich, da ich ganz genau auf mich eingehen kann.

Langsam und gezielt kann ich an mir arbeiten, die Muskeln wieder an ihre Tätigkeit zu gewöhnen, zumindest soviel, wie ich noch habe. Normalerweise bin ich ein Freund der Natur, aber in diesem Fall gehe ich auch gerne ins Studio, um weiterzukommen.

Bekomme ich die Muskelschwäche besser in den Griff, habe ich auch mehr Lebensqualität und das ist mein Ziel.

Der "Wings for Life Run"!

Im Mai 2020 habe ich erstmals daran teilgenommen. Man muss dafür nicht Laufen können. Mein Ziel war es, die 5 Kilometer Marke zu knacken, welche ich damals verfehlte. Im Jahr darauf war ich am Walkabout durch Österreich gerade am Berg unterwegs, damals schaffte ich beim App Run nur etwas über zwei Kilometer. Allerdings stand für mich im Vordergrund, überhaupt wieder Gehen zu können.

Der Lauf ist für mich mit Motivation verbunden, da es Schicksale gibt, die wieder das Gehen erlernen wollen. Einem passierte im Zeitraum von mir Ähnliches, allerdings als Unfall. Beim Skispringen stürzte Lukas Müller schwer und erlitt eine inkomplette Querschnittslähmung. Seither versucht er wieder Gehen zu lernen. Es motiviert auch mich, immer wieder neue Motivation zu finden.

Der Lauf

Für mich ist der App Lauf ideal. Damit kann ich starten, wo ich möchte. Mein Ziel ist es, die fünf Kilometer zu schaffen. Das ist gar nicht leicht, denn das bedeutet, die Distanz in 52 Minuten zu schaffen, das ist an der Grenze vom Gehen zum Laufen.

Bei meinem ersten Antreten 2020 schaffte ich 4,71 Kilometer. Leider kam dann die Pandemie und ich verlor viel von meinem gesundheitlichen Zustand. 2021 war ich dann am Walkabout durch Österreich am Berg unterwegs und schaffte 2,38 Kilometer.

Beim Lauf bin ich in Gedanken bei den verschiedensten Schicksalen, die wieder Gehen lernen möchten oder im Rollstuhl sitzen. Bei mir kamen Erinnerungen an die Zeit im Krankenhaus hoch. Auch ich war auf den Rollstuhl angewiesen. Allein das Erlernen vom Bett in den Rollstuhl zu kommen, war für mich schlimm, weil ich aufgrund der Muskelschwäche mich kaum aus dem Bett wuchten konnte.

Ich dachte hin und wieder darüber nach, was wäre, wenn ich auch in Zukunft auf den Rollstuhl angewiesen wäre. Da half mir aber mein Nicht-Denken können und ich beschloss, niemals aufzugeben, ich wollte wieder gehen können. Diese Zeit im Krankenhaus werde ich nie vergessen.

So kamen und gingen die Gedanken während des Laufes, aber ich konnte nicht wirklich bei einem bleiben. Die meiste Zeit konzentrierte ich mich auf den Bewegungsablauf und ich merkte, dass ich ein entsprechendes Tempo nicht halten konnte. So war nach 47:47 min und 4,15 Kilometer Schluss, das virtuelle Catcher Car hatte mich eingeholt.

Mit Muskelschwäche beim Wings for Life App-Run

Zufrieden oder enttäuscht?

Es überwiegt nach wie vor die Freude, wieder überhaupt gehen zu können. Alleine das ist der größte Erfolg in meinem zweiten Leben. Die erreichten Kilometer sind nebensächlich, sie sind nur ein Richtwert, wo ich derzeit körperlich stehe. Laufen ist noch immer weit weg, dass ist mir klar.

Die fehlende Propriozeption ist auf Asphalt nicht mehr so stark spürbar. Erst gegen Ende des Laufs musste ich verstärkt auf meine Beine achten und wo ich hinsteige.

Die 5 Kilometer werden mein Ziel bleiben und mein Hauptziel ist sowieso, wieder Laufen zu können.


800 km Camino France 2022, Regen, Sturm, Covid-19 und ich!

Das wird der dritte Teil meiner Reiseerzählung vom Camino France 2022, der diesmal nicht so verlaufen ist, wie ich es mir gewünscht hätte.

"Man bekommt, was man braucht, nicht, was man sich wünscht!"

...dieses Zitat hatte wieder einmal so recht!

Meine Gedanken bekam ich diesmal nicht so recht in den Griff, die PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) schwingt noch immer mit und kleine Auslöser reichen oft schon aus, um mich aus der Spur zu bringen. Ein solcher Auslöser geschah um Burgos herum, daher kam mir die folgende Meseta gerade recht, um durch Gehen meine Gedanken wieder in den Griff zu bekommen.

Camino 2022, Meseta
Beginn der Meseta

Der Beginn der Meseta, Camino France 2022

Sie beginnt quasi in Burgos, denn nach nur wenigen Kilometern durch die Stadt hinaus, bekommt man den ersten Geschmack der Hochebene zu spüren. Schon zu Hause freute ich mich besonders auf die Meseta, denn ich liebe diese von sanften Hügeln durchzogene Landschaft mit ihren langen Geraden. Diesmal war es allerdings etwas anders. Nicht die Freude am Gehen stand im Vordergrund, sondern ich hatte nur das Ziel, meine Gedanken zum Schweigen zu bringen.

Eine komplexe PTBS hatte von mir Besitz ergriffen und um nicht in endlosen Gedankenschleifen zu enden, wollte ich durch achtsames Gehen versuchen da herauszukommen. Von Freude und Glücklichsein war ich weit entfernt, im Gegensatz zu vor 2 Jahren, meinem Winter-Camino.

Der Versuch, mich auf die kleinen Dinge zu konzentrieren, gelang zum Glück immer öfter und brachte mich weg von den Gedankenschleifen, die ich ja doch nicht zu Ende denken konnte. Die Meseta war die beste Möglichkeit dafür, wieder einigermaßen mit meinen Gedanken ins Reine zu kommen.

Es fühlte sich allerdings zuerst so an, als ob meine Gedanken explodiert seien und ich war nicht fähig, einen Gedanken zu fassen. Ich stand wie neben mir und verstand die Welt nicht mehr. Dieses Gefühl kannte ich nur zu gut noch vom Anfang meiner Krankheit. Körper und Geist waren damals wie getrennt, und mein Ziel auf meinem ersten Camino war es, die beiden wieder näher zusammenzubringen.

Dazu war das Gehen auf der Meseta ideal, denn das Gehen hat mir bisher in so vielen Situationen geholfen. Auf meinem ersten Camino 2018 machte ich den ersten Schritt dazu und in der Folge viele weitere. Der Camino France 2022 sollte aber nach meinem ersten 2018, der Herausforderndste werden.

So hatte ich die Möglichkeit, mich an die Zeit von 2018 zu erinnern und welch langen Weg ich seither geschafft habe und vor allem, was ich seit damals alles erreicht habe. Allen Widrigkeiten zum Trotz, konnte ich langsam, Schritt für Schritt, wieder ans Leben anklopfen. Deshalb erschrak ich auch über die Heftigkeit, mit der es mich diesmal erwischte.

Der Nierenstein war das erste Zeichen, der mir viel aufzeigte. Seither konnte ich mich nie mehr richtig erfangen. Jetzt heißt es, "Back to the Roots!". Besonders mein Muskel- und Knochenkorsett neu aufbauen. Die Pandemie hat mich mehr gekostet, als ich mir eingestehen wollte.

Unterwegs bekam ich von meiner Therapeutin im Therapie-Tanzen den wertvollen Hinweis, mich auf den stabilen und leichten Zustand zu erinnern, und ihn auch zu fühlen. So kam ich, mit der Hilfe der Tanz-Therapie und des Gehens, wieder langsam in einen stabileren Zustand.

Mein Weg über die Meseta wurde somit zur Therapie, um meine Gefühle und Emotionen wieder auf die Reihe zu bekommen. Freude und Glücklichsein wollte ich wieder finden und raus aus diesen Gedankenschleifen kommen, die mir das Leben schwer machten. Mein normalerweise fröhliches dahin Summen am Weg war verstummt, es wiederzufinden wurde meine Aufgabe.

Das Wetter spiegelte mein Inneres wider. Mal schien die Sonne, mal ging Sturm oder es regnete. Das Summen kam nur langsam zurück, aber die Momente waren immer öfter. Darüber war ich froh, denn Gesundheit kann nur in einem positiv gestimmten Körper passieren und das war mir bisher in meiner Rehabilitation das wichtigste, alles unter Freude und Fröhlichkeit zu machen. Diesen Zustand wollte ich wieder erreichen.

Meseta oder Sonne, Regen, Sturm und endlose Geraden

Neben meinen Gedankenschleifen konnte ich zum Glück immer öfter die Schönheiten des Weges in mir aufnehmen. Langsam fand ich wieder zurück zu Freude und Glücklichsein. Ich durfte dankbar sein, überhaupt hier gehen zu dürfen. Nach der zweijährigen Zeit des "quasi" Stillstands in meiner Rehabilitation durch die Corona-Pandemie, war es so wichtig für mein Gehirn, wieder neue Reize zu erleben. Der Camino France 2022 brachte mir wichtigen Input für die nächsten Monate.

Ich musste aber auch erkennen, wie fragil und leicht beeinflussbar mein Gehirn noch ist, das in der Folge enorme Auswirkungen auf meinen Körper und Geist haben kann, positiv wie negativ. So machte ich am Weg meine Übungen für mehr Stabilität, die mir wieder mehr Stabilität im Leben bringen sollte. Auch Übungen für Leichtigkeit standen am Programm und so trainierte ich allein auf den endlosen Weiten, durch die Hochebene.

Ich war zum Glück praktisch alleine unterwegs, denn so brauchte ich niemanden die oft komischen Verrenkungen zu erklären, mit denen ich unterwegs war. Über den Tag bekam ich kaum andere Pilger zu sehen, ich war alleine unterwegs. Zwei, drei Pilger über den Tag, war das Maximum.

Achtsam sein gegenüber den kleinen Dinge am Weg, war eine ebenso gute Möglichkeit, mich aus den Klauen dieser Gedankenschleifen zu holen. Es war noch lange nicht alles perfekt, aber es half mir in einen für mich erträglichen Zustand zu kommen. Für die Meseta hatte ich mir eigentlich anderes vorgenommen, aber wie gesagt, man bekommt, was man braucht!

Da sich seit dem Nierenstein das automatische Gehen sehr verschlechtert hatte, blickte ich wieder vermehrt auf den Boden und zu meinen Füßen. Meine Aufmerksamkeit lag dabei nicht nur beim Gehen, sondern auch bei den Insekten, Steinen und Pflanzen am Boden. Oft beugte ich mich zum Boden hinunter, um vielerlei kleine Dinge zu betrachten. Der Camino France 2022 bekam Ähnlichkeit mit 2018.

Der Wind kam mir, anders als in den letzten Jahren, meist von vorne oder seitlich vorne entgegen. Das erschwerte das Vorwärtskommen. Da ich meine Regenjacke verloren hatte, war mein einziger Regenschutz der Poncho, der mir aber bei diesem Sturm, gepaart mit Regen, um die Ohren flog. Ich ignorierte einfach alles und stapfte emotionslos meinem Ziel entgegen, emotionslos vor allem gegenüber den Widrigkeiten. Es war mir egal, ob ich nass wurde, ich wollte nur an mein Ziel gelangen, denn da wartete eine heiße Dusche und mein warmer Schlafsack.

Als Hochsensibler in Leon

Umso näher ich Leon kam, desto schlimmer wurde es mit meiner Hochsensibilität. Auf geradestem Weg ging ich durch die Stadt zur Herberge in einem Kloster und verließ es nur, um etwas Essen zu gehen. Leon war leider notwendig, da ich die Vortage durch den Sturm nicht so weit vorwärtskam, wie ich wollte. Dadurch war die Etappe durch die Stadt zur nächsten Herberge danach zu weit und ich musste in der Stadt übernachten.

Ich war so überfordert von der Großstadt, dass ich am nächsten Tag noch im Dunkeln aufbrach, um dem Autoverkehr und den vielen Menschen zuvorzukommen. Als es hell wurde, befand ich mich schon in den letzten Vororten Leons, auf dem Weg in die letzten Kilometer der Meseta, nach Astorga.

Diese verstärkte Hochsensibilität gegenüber Städten ist das Ergebnis von zwei Jahren Pandemie, die verhinderte, dass ich mich weiter an Menschen, Städte und Trubel gewöhnen konnte. Ab Leon vermied ich alle größeren Dörfer und Städte und blieb nur in Herbergen vor und nach Ortschaften.

Monsteretappe über das Crux de Ferro

Von Astorga ging ich in einem Stück die 50 Kilometer über das Crux de Ferro, nach Ponferrada. Das Wetter war anfangs sonnig, aber kalt. Gegen 11 Uhr wechselte es auf Regen und einen immer stärker werdenden Wind, der in Sturm überging. Am Crux de Ferro hinterließ ich meinen obligatorischen Stein, den ich von zu Hause mitgebracht habe und mit dem ich Altes symbolisch hinter mir ließ.

Ab dem Crux de Ferro wechselte das Wetter dann in starken Regen und einen Sturmwind, der mir den Poncho um die Ohren fliegen ließ. Hier ging mir die Regenjacke besonders ab, die ich ja schon seit Burgos nicht mehr hatte. Deshalb machte ich nur kurze Pausen und hielt kaum an, da ich zu nass war und schnell auskühlte. Ich musste in Bewegung bleiben.

Ich wollte den schwierigen Abstieg über den steinigen Weg an einem Tag hinter mich bringen und stoppte daher nicht in den Bergdörfern El Acebo und Riego beim Abstieg. Einige Cafés und Herbergen hatten seit einigen Tagen offen, aber ich wollte nicht auskühlen, bevor ich mein Ziel, eine Herberge vor Ponferrada, erreicht hatte.

Nach 11 Stunden Gehzeit kam ich zur Albergue San Nicholas, erschöpft und ausgezehrt vom Wind und Regen. Dafür ersparte ich mir einen weiteren Regentag und eventuell einen Schneetag in den Bergen. Den nächsten Tag nahm ich dafür ganz locker. Gemeinsam mit einem Holländer ging ich die 23 km nach Villafranca del Bierzo, der fast wie ein Ruhetag war.

C Obreiro, der letzte große Berg vor Santiago

Die Tageskilometer waren im Gesamten eher gering, nur an ein paar Tagen forderte ich es heraus. Ansonsten waren es selten mehr als 30 Kilometer, eher gegen 25. Hin zum O Cebreiro waren es 28 Km, mit einem steilen Schlussanstieg. Ich übernachtete hier das erste Mal in der öffentlichen Herberge, bisher bin ich immer durchgegangen. In einem großen Zimmer mit 60 Betten, die alle belegt waren, war es für mich ein Kulturschock, nach den vielen einsamen Tagen auf der Meseta und den darauf folgenden Bergen, bis Ponferrada, auf so viele Menschen zu treffen.

Es war knapp vor Ostern und viele Spanier nutzten die Tage, um am Camino zu gehen. So war das plötzlich starke Aufkommen von Pilgern erklärbar. In Obreiro steht die älteste Pilgerkirche am Jakobsweg und der Ort hat eine wichtige Bedeutung für den Camino.

Das Kloster in Samos

Die folgende Etappe brachte mich nach Samos, wo ich im alten Kloster übernachtete. Es war bisher jedes Mal ein Abenteuer, in den alten Gemäuern die Nacht zu verbringen. Ich suche mir bewusst die Orte und Herbergen aus, wo man noch das alte Pilgerfeeling am ehesten zu spüren bekommt. Samos hat eine alte und lange Tradition, Pilger zu beherbergen.

Das nehmen allerdings nur die wenigsten in Kauf, da der Komfort natürlich fehlt. Ich war allerdings zweimal nur im Winter und Frühjahr hier, das macht es nochmal besonders, denn in den alten Kellergewölben wird nicht geheizt und zum Aufwärmen geht man nach draussen. Dafür ist man fast alleine und hat seine Ruhe. Der Holländer entschied sich gegen das Hotel und versuchte sich mit mir an diesem altehrwürdigen Ort.

Wegen der Kälte freuten wir uns schon aufs Aufstehen und uns in der morgendliche Kühle aufzuwärmen. Nach wenigen hundert Metern kehrten wir ins ursprünglich von ihm geplante Hotel ein und genehmigten uns ein gutes Frühstück, zusammen mit seinem Freund, den wir dort trafen.

Covid Alarm vor dem Finish nach Santiago

Zunächst ging ich nur bis Sarria, wo ich die Osterfeiertage mit zwei Ruhetagen abwarten wollte, bevor ich weiterging. Am ersten Ruhetag testete ich mich mit selbst mitgebrachten Eigentests auf Covid, da ich ein wenig verkühlt war.

Zu meinem Schrecken war ich positiv, verspürte aber keine wirklichen Symptome, außer leicht verkühlt, was aber kein Wunder war, da es fast täglich mehrmals regnete und sehr kalt war. Eigentlich hustete jeder oder war verkühlt. Ein Test am zweiten Tag war dann negativ. Ich fühlte mich nicht krank und war bisher jeden Tag unterwegs, also ging ich am dritten Tag weiter.

Die letzten über hundert Kilometer ging ich an drei Tagen bis nach Santiago. Bis Mittag war ein solches Gewusel von Pilgern am Weg, welches ab Mittag dann verschwand. Ich wollte diesen Abschnitt so schnell wie möglich hinter mich bringen und traf am dritten Tag zu Mittag in Santiago de Compostela ein. Für die gesamte Strecke von den Pyrenäen, etwa 800 Kilometer, brauchte ich 28 Tage.

Aufgrund meiner Hochsensibilität ging ich geradewegs auf den Platz vor der Kirche, wo ich mich hinsetzte. Ich erreichte zum vierten Mal nach einem großen Camino die Kirche in Santiago. Nach einer Stunde stand ich auf, suchte ein Einzelzimmer und ging ohne Umwege dorthin. Die Stadt und die vielen Menschen überforderten mich. Ich verzichtete auf die Compostela, der Urkunde für den zurückgelegten Weg und auch auf den Besuch in der Kirche. Dieses Jahr hatte ich keine Bekannten vom Weg und ich wollte meine Sensibilität nicht herausfordern.

Für mich gab es nur eine Möglichkeit von zweien. Noch weiter ans Meer zu gehen oder heimzufahren. Da die nächsten zwei Wochen kaltes und regnerisches Wetter vorhergesagt wurde, entschied ich mich erstmals für die sofortige Heimreise und nicht dafür, ans Meer zu gehen.

Resümee des Camino France 2022

Es war diesmal alles anders, als die Caminos davor. Ich war allerdings froh, mich dem ausgesetzt zu haben, denn es war für mein Gehirn zwar alles andere als einfach, mit dem Thema Covid-19 am Weg umzugehen, aber ich durfte neue Erfahrungen sammeln.

Als wichtigste Erkenntnis durfte ich mitnehmen, dass ich noch immer sehr fragil bin, wenn nicht alles nach Plan läuft. Mein Gehirn ist sehr schnell überfordert und dann geht gar nichts mehr, körperlich wie geistig. Die nächsten Wochen wird es wichtig sein, wieder in eine Ausgeglichenheit und in die Freude zu kommen.

Nach zwei Jahren Pandemie habe ich viel aufzuholen, körperlich, wie auch mit dem Denken, das im letzten Jahr besonders unter den Umständen gelitten hat. Meine ursprünglichen Ziele, am Buch zu schreiben und wieder mehr ins Leben zu kommen, konnte ich nicht durchführen. Zu sehr stand die Therapie im Vordergrund.

Es hat mir aber viel aufgezeigt und ich werde die nächsten Wochen besonders auf mich achtgeben und auf mich schauen. Ein Hauptaugenmerk wird auf der Stärkung meiner für die Stabilität wichtigen Muskulatur sein und nur Sachen zu tun, die mir guttun. Der Weg hat mir gezeigt, dass ich noch sehr aufpassen muss, welchen Weg ich gehe. Der wichtigste Weg ist der Weg der Freude und Leichtigkeit, daran werde ich mich orientieren, wenn es um Entscheidungen geht!


Schnee am Camino France

Anfangs noch angenehm, schlug das Wetter bald um. Die Temperaturen fielen, der Wind wurde eisig, und schließlich setzte Schnee ein. Ein Anblick, den ich selbst auf meinem Winter-Camino so noch nie erlebt hatte.

Am 1. April, als der erste Pilger in der Herberge aus dem Fenster schaute und verkündete, dass draußen Schnee liege, hielten es alle für einen Aprilscherz. Doch es war keiner – es war Realität.

Schnee am Camino Frances, in Granon
Granon

Die ersten Tage noch Schönwette

Von Logroño nach Burgos – Fokus auf jeden Schritt

Kaum hatte ich die Stadt hinter mir gelassen, richtete ich meine ganze Konzentration auf meinen rechten Beinabdruck. Seit den Nierenkoliken ist meine Halbseitenlähmung wieder stärker spürbar, und ich muss gezielt daran arbeiten, mein rechtes Bein zu kräftigen. Konnte ich mich bislang in nicht allzu schwierigem Gelände schon recht gut bewegen, so erforderte nun selbst das Gehen auf Asphalt höchste Aufmerksamkeit.

Schon seit den Pyrenäen habe ich mich daher kaum mit anderen Pilgern unterhalten. Das gleichzeitige Gehen und Sprechen war eine Herausforderung, die mich zu sehr beanspruchte. So legte ich viele Kilometer allein und in Stille zurück – eine Reduktion auf das Wesentliche, begünstigt durch die Tatsache, dass nur wenige Pilger unterwegs waren. Meine Kommunikation beschränkte sich auf das Nötigste.

Der Weg führte durch zahlreiche Dörfer, die mir längst vertraut sind. Steile Anstiege wechselten mit Abstiegen, und trotz aller Anstrengung war es einfach wunderschön, in dieser Landschaft zu sein, an meinen Defiziten zu arbeiten und das Leben in seiner schlichten Intensität zu genießen.

Der März gehört noch zum Winter, und so hatten nur vereinzelt Bars, Cafés oder Herbergen geöffnet – doch es waren immerhin mehr als auf meinem Winter-Camino im Januar und Februar 2020. Ich zog von Dorf zu Dorf, selten mehr als 20 bis 25 Kilometer am Tag. Eigentlich wollte ich unterwegs schreiben und malen, doch dafür war es schlicht zu kalt. Auch die Pausen in den Bars boten keine rechte Inspiration.

So lag mein Fokus auf meiner Propriozeption, auf meiner Bewegung im Allgemeinen – und auf den kleinen Dingen am Wegesrand.

Grañón, eine Herberge die mir bisher viel gegeben hat.

In Grañón fand ich wieder einmal Quartier – in einer Herberge, die in einer alten Kirche untergebracht ist. Kaum ein anderer Ort spiegelt das frühere Herbergsleben so authentisch wider. Hier schläft man auf Turnmatten am Boden, und am Abend wird gemeinsam mit den anderen Pilgern gekocht und gegessen.

Nach dem Mahl versammelt man sich im Kreis. Jeder teilt etwas von sich, erzählt aus seinem Leben oder von Erlebnissen auf dem Weg. Das Licht bleibt gedimmt, nur der Sprechende hält eine Kerze in der Hand. Eine einfache, aber kraftvolle Geste.

Da ich der einzige Deutschsprachige war, verstand ich nur wenig von dem, was gesagt wurde. Doch das brauchte es auch nicht. In den Gesichtern konnte man es sehen – wie sehr der Weg manche schon verändert hat.

In diesem Moment wurde mir klar: Mein Ziel, „zurück ins Leben“ zu finden, habe ich längst erreicht. Mit meinen Defiziten bewege ich mich – mal besser, mal schlechter – durch den Alltag. Doch das darf mich nicht davon abhalten, wirklich zu leben.

"Es ist, wie es ist, weil es ist – nicht, weil es gut ist."

Wenn ich weiterhin „dranbleiben“ will, um mein Erreichtes zu halten oder zu verbessern, dann kann ich ewig auf dieses „zurück ins Leben“ warten – oder ich entscheide mich, einfach jetzt zu leben. Dazu gehört Therapie, dazu gehört Arbeit an mir selbst. Aber letztlich ist es nur der mentale Zustand, der bestimmt, ob ich wieder lebe.

Also Schluss mit dem Warten. Glücklich sein – nicht trotz, sondern mit allem, was dazu gehört. Die Therapie, die Herausforderungen, die Rückschläge – sie sind Teil von mir, genauso wie alles andere. Bisher habe ich mich davon zurückhalten lassen.

In Grañón wurde mir das nicht nur bewusst – ich konnte es diesmal wirklich verinnerlichen. Ich wusste es längst, doch zwischen Erkenntnis und echter Umsetzung liegt ein weiter Weg.

Morgen in Schnee und Erinnerungen

Als wir aufwachen, liegt Schnee. Die Temperaturen sind unter null, die Wege und Felder von einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Der eisige Wind schneidet ins Gesicht. Mein Anorak wird zur ständigen Begleitung, auch tagsüber.

Und doch pfeife ich fröhlich vor mich hin. Das Wetter kann mir nichts anhaben – egal, wie es ist.

Dennoch kommen immer wieder Erinnerungen aus dem Krankenhaus hoch. Damals konnte ich nicht einmal aufstehen, geschweige denn gehen oder auch nur hoffen, es jemals wieder zu können. Ich war ans Bett gefesselt, ein Pflegefall – und das für lange Zeit. Doch all das nahm ich kaum wahr, konnte es nicht einmal denken.

Mein Blick aus dem Fenster fiel damals immer wieder auf einen entfernten Hang, auf Wiese und Obstbäume. Ich sog das Grün auf, als könnte ich es in mich aufnehmen. Alles um mich war trist, doch in mir wuchs der Wunsch: Ich wollte wieder auf eigenen Füßen spazieren können. Fürs Erste blieb mir nur der Blick hinaus.

Niemand konnte oder wollte mir sagen, wie es um mich stand. In Wahrheit war es ein Kampf um Leben und Tod – doch ich wusste es nicht. Ich akzeptierte mein Befinden und tat, was ich konnte, um es zu verbessern. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Schnee, Erinnerungen und Tränen

Der Schneefall hier in Spanien erinnerte mich an jenen im Krankenhaus. Eines Tages war der grüne Hang gegenüber plötzlich weiß – genau wie jetzt die Landschaft rund um Grañón, überzuckert und still.

Während des Gehens steigen die Erinnerungen auf, drücken mir die Tränen in die Augen. Die Gefühle von damals sind noch immer tief in mir – und auch jetzt, beim Schreiben, laufen mir die Tränen übers Gesicht. Viel konnte ich auf meinem Walkabout bereits verarbeiten, doch die Zeit im Krankenhaus war intensiv, und professionelle Hilfe hatte ich nie.

Es ist mein vierter großer Camino, und noch immer bin ich nah am Wasser gebaut. Aber das ist in Ordnung. Ich lasse den Tränen freien Lauf. Zu lange waren meine Emotionen erstarrt oder nicht zugänglich – da gibt es noch einiges nachzuholen.

Über die Sierra Atapuerca nach Burgos

Frühmorgens begann ich den Aufstieg zum Kreuz. Der Schnee bedeckte den Weg, machte ihn überraschenderweise sogar leichter als in den trockenen Jahren zuvor. Während ich losging, fiel noch Schnee, doch oben am Kreuz stand ich schließlich eingehüllt in Wolken.

Irgendwo in diesem Steinhaufen unter dem Kreuz liegt auch ein Stein von mir – abgelegt im Jahr 2018. Wieder kamen die Erinnerungen hoch: Damals schleppte ich mich mühsam hier hinauf, kämpfte um jeden Schritt, hielt mich gerade so auf den Beinen.

Meine Gedanken wirbelten durcheinander. Es überraschte mich, wie stark mich diese alten Geschichten noch immer berührten.

Das Plateau lag tief verschneit, und nach einer kurzen Fotopause machte ich mich an den Abstieg. Ich spürte mein rechtes Bein deutlich – schwächer als das linke, gezeichnet von der Halbseitenlähmung. Die Anstrengung des Aufstiegs und die Kälte machten sich bemerkbar.

Vorsichtig und langsam stieg ich bergab. Nun warteten noch die zehn Kilometer bis Burgos. Ich mied die Hauptstraße und nahm die alternative Route entlang des Flughafens, später folgte ich dem Fluss. Die Sonne kam hervor, und so spazierte ich gemächlich dahin, bis ich schließlich vor der Kathedrale von Burgos stand. Noch schnell einen Stempel geholt – dann ab ins Quartier.

Damit lagen 285 Kilometer seit meinem Start in Frankreich hinter mir. Und rund 6.000 Höhenmeter.

Covid-19 in Spanien

Am 03.04.2022 hat Leon-Kastilien eine Inzidenz von 270. Im Vergleich dazu Österreich mit über 1800.

Es besteht Maskenpflicht in Innenräumen, wie zum Beispiel in Bars, außer am Sitzplatz. In den Herbergen ist ebenfalls Maskenpflicht, aber es es gibt kaum noch Beschränkungen bei der Belegung der Betten.

Kommt man durch größere Städte, sieht man mehr Maskenträger auf der Strasse. Es bleibt einem aber frei, ob man eine aufsetzt. Speziell ältere Menschen haben eine medizinische Maske auf, selbst im Park, bei großem Abstand. Allerdings hat es derzeit auch "Vorteile", wegen der Kälte.

Burgos

Auf in die Meseta

Jetzt freue ich mich auf die Hochebene, die meist auf 800 bis 900 Höhenmeter liegt. Rund 250, großteils flache, Kilometer warten auf mich und unter anderem die Stadt Leon.

Auf den endlosen Geraden hat man viel Zeit zum Überlegen und nachdenken oder aber auch, nicht zu denken. Bin schon neugierig, wie ich das hinbekomme.

Buen Camino, auch allen Zuhause gebliebenen!


Link zu: Über die Pyrenäen

Link zu: Das Glück des Augenblick am Camino Frances


Das Glück des Augenblick am Camino Frances

Am Camino Frances geht es dir umso besser, als  du den Augenblick wahrnehmen kannst. Das erfahre ich immer wieder aufs neue.

Im Augenblick zu sein, bedeutet auch mit nicht so angenehmen Situationen klarzukommen, wie manchmal dem Wetter oder Schmerzen. Es ist nämlich alles kein Dauerzustand und gehört ebenso zum Leben.

Den Augenblick einfangen

Ablenkung

Manch einer lenkt sich damit am Weg ab, dass er unentwegt Begleitung braucht oder sucht. Er entgeht damit der Konfrontation mit sich selbst, der er aber nicht entkommen kann. Spätestens auf der Meseta mit ihren endlosen, langen und flachen Geraden, kommt er mit sich selbst in Berührung. Da ich nach dem Hirnabszess noch immer sehr viel Ruhe benötige, gehe ich meist alleine. Gespräche kosten mir Energie und Aufmerksamkeit, die ich fürs Gehen brauche.

Heute gings zum Beispiel von Logrono nach Najera, rund 30 Kilometer. Eine einzige Pilgerin habe ich gesehen und kurz mit ihr gesprochen, sonst hatte ich niemanden gesehen.

Den Augenblick einfangen

Aber was mache ich so den ganzen Tag mit mir und meinen Gedanken?

Zuhause war mein Ziel, meine Gedanken zu leeren, Platz schaffen für neue. Das funktioniert so weit recht gut. Ich kann abschalten, wenn ich es brauche und diese Zeit ist eine Menge, die ich brauche.

Ich genieße es, im Augenblick zu sein. Dann nehme ich die Umwelt besonders gut wahr, besonders die Kleinigkeiten am Weg. Es fängt gerade alles zum Blühen an und die Farben sind besonders schön.

Diese Kleinigkeiten können eine Blüte, ein Käfer oder eine Pflanze sein, die mir ins Auge fällt. Dadurch bleibe ich ganz im Hier und Jetzt verankert. Außerdem spüre ich mich selbst besser und welche Emotionen und Gefühle meinen Körper durchströmen. Ich versuche sie zu benennen und lerne dadurch, mich besser zu verstehen.

Welche Gedanken helfen mir und verbessern mein Befinden, dass gehört zu meinen Aufgaben. Natürlich gehört auch dazu, alles störende zu erkennen und wie ich es wieder gehen lassen kann. Das versuche ich immer weiter zu perfektionieren. Im besten Fall kommen gar keine schlechten Gedanken auf.

Das Wetter kann mich zum Beispiel nicht mehr aus der Ruhe bringen, egal wie schlecht oder gut es ist.

Von Pamplona nach Logrono

Es waren Tage, wo ich zwischendurch die letzte Zeit aufzuarbeiten versuchte. Anfangs noch mit Problemen beim Gehen behaftet, änderte es sich täglich zum Besseren.

Pamplona zu durchqueren ist immer wieder etwas Besonderes. Es ist die erste große Stadt nach den Pyrenäen. Man kommt recht schnell hinaus auf das Land und dann in Richtung dem ersten Pass, dem Alto de Plano.

Oben auf dem Bergpass steht eines der Wahrzeichen des Camino, Pilger Figuren aus Metall. Die Überquerung ist immer ein grosses Highlight. Beim ersten Mal 2018 war es eine große Herausforderung, besonders der Abstieg danach, über den steilen steinigen Weg.

Die Brücke in Puenta la Reina ist sehr eindrucksvoll und man kann sich gut in alte Zeiten versetzen. Das folgende auf und ab genieße ich, besonders die Städte, die auf einen Hügel gebaut sind.

Bilder vom weiteren Weg, Augenblick eines Pilgers

Logrono

In Logrono übernachtete ich wieder im Santiago El Real, einem Hostel auf Spendenbasis, angrenzend an eine Kirche. Mit hier verbinden mich schöne Erinnerungen an vor zwei Jahren.

Diesmal übernachten ich auch in Städten. Ich hoffe darauf, auch in Bezug auf Städte, meine Wahrnehmung verbessern zu können.

Reha uund Leben

Das automatische Gehen gehört nach wie vor forciert. Im Moment muss ich zu oft an den Bewegungsablauf denken, besonders auf Schotter und schlechtem Weg. In mir drinnen ist Chaos, denn 5 Jahre Training haben scheinbar nichts geholfen und die eine Woche wegen der Nierensteine lässt mich quasi von vorne beginnen. Trotzdem darf ich mich freuen, denn hätte ich in den letzten Jahren nicht so viel geübt, wer weiß wo ich mich sonst befinden würde.

Das automatische Gehen konnte ich schon verbessern. Die vielen Wiederholungen machen es möglich. Trotzdem fühle ich mich erstmals nicht nur in der Rehabilitation, sondern auch dem Leben näher.

Aktuell geht es weiter in der Region La Riocha, dem Weinbau Gebiet. Was ich dort erlebe, dann das nächste Mal.


Camino Frances der Dritte - die beste Rehabilitation, März 2022!

Nach dem Rückschlag mit dem Nierenstein, musste ich das Gehen mit der Tiefensensibilität und die Kraft dazu, neu aufbauen. Mein dritter Camino France Start rückte damit in weite Ferne.

Am Ende blieben mir nur eine Woche, um es vielleicht doch noch zu schaffen. Andererseits wusste ich aber doch auch um die guten Möglichkeiten am Camino, also wagte ich es schlussendlich.

Training für den Camino Frances
Traing zuhause für den Camino

Auf zum Camino France

Wie üblich, fuhr ich mit dem Flixbus nach Frankreich und dem Zug nach Saint Jean Pied del Port. Nach einer Runde durch den Ort entschloss ich mich, gleich die ersten 13 Kilometer am Winterweg nach Valcarlos zurückzulegen. Vorher besuchte ich noch das Pilgerbüro und ließ mich offiziell registrierten.

Ich startete spät, schaffte es aber noch vor Anbruch der Dunkelheit bis zur Herberge. So konnte ich die Überquerung der Pyrenäen auf zwei Tage aufteilen. Ich war ja noch wackelig auf den Beinen unterwegs und wollte nichts überstürzen.

Das automatische Gehen funktionierte noch nicht so gut, daher hieß es aufpassen. Jeden Schritt achtsam zurück legen, war die Devise.

2.Tag über den Ibaneta Pass

Für mich ungewohnt spät, ging ich in der Früh um 7h30 los. Zu Mittag erreichte ich Roncevalle und habe damit die Pyrenäen überquert.

In zwei Tagen nach Pamplona

Pamplona ist die erste große Stadt nach den Pyrenäen. Ungewohnt müde in den Beinen, zog ich in der Stadt ein. Es war nicht vergleichbar mit den letzten Jahren. Es war zwar zu keiner Zeit anstrengend, aber in den drei Wochen zuvor, habe ich doch recht viel an Kondition abgebaut, was ich jetzt zu spüren bekam.

Bei Tortillas und Caffee con Leche, in einer der vielen Bars, versuchte ich mich zu erholen. Da ich gerade noch bis Ende März in die Winterzeit falle, ist Pamplona ein Etappenziel. Normalerweise meide ich aufgrund der Hochsensibilität alle größeren Städte entlang des Weges. Die Pandemie-Zeit kostete mir viel von der Gewöhnung an die Stadt. Das bekomme ich auch hier zu spüren. Ich habe vieles neu zu lernen.

Jetzt heißt es erstmal erholen und dann geht es auf den Teil nach Burgos.


Bewegung zurückerobern, intuitive innere und äußere Bewegung beachten!

Meine Rehabilitation nach dem Hirnabszess ist untrennbar mit Bewegung verbunden. Anfangs war es mein einziges Ziel, das Gehen neu zu erlernen – ein Prozess, an dem ich bis heute arbeite. Doch mit dem therapeutischen Tanzen kam eine neue Dimension hinzu: die intuitive Bewegung. Sie führte mich über das bloße Gehen hinaus und ließ mich spüren, dass Bewegung nicht nur äußerlich geschieht, sondern auch tief im Inneren wirkt. Welche Impulse zur Bewegung nehme ich wahr? Kann ich ihnen folgen – oder will ich es überhaupt?

Die letzte Tanztherapiestunde vor meinem Aufbruch zum Camino war ein Wendepunkt. Wochenlang hatte mich die Schwere begleitet – nach dem Sturz auf dem Eis, nach den Schmerzen des Nierensteins. Doch in dieser Stunde veränderte sich etwas. Mein Körper, noch gezeichnet vom Nierenstein, geplagt von Kreuzweh und einer gestörten Propriozeption, fand plötzlich zur Leichtigkeit zurück. Zum ersten Mal seit Wochen spürte ich wieder Beschwingtheit – eine Erinnerung daran, wie sehr Bewegung mein Leben trägt.

Tiefensensibilität
Tiefensensibilität verbessern

Intuitive Bewegung

Eine Stunde Bewegung in der Therapie kann anstrengend sein. Diesmal fühlte ich mich aber beschwingt und leicht danach. Es tat so gut, dass ich beschloss, die über 20 Kilometer zu Fuß nach Hause zu gehen. Unterwegs ließ ich die intuitive Bewegung zu, spürte sie im Rhythmus meines Schrittes und verinnerlichte das Gelernte. Es wurde ein Gehen unter Freude und die Bewegung tat gut.

Bewegung beim Nachhause gehen

Die in unserem Körper erlebten Erfahrungen, werden durch Bewegung sichtbar. Aufrichtung, Beweglichkeit, Geschmeidigkeit und vieles andere, zeigen vieles im Körper auf, was es schwer oder leichter macht. Einerseits sich diesem Fluss hingeben zu können und andererseits, bewusst etwas korrigieren zu können, macht es faszinierend.

Es kann aufregend sein, den eigenen Körper frei in der Natur zu bewegen. Weder Leistungsfähigkeit noch Befinden, weder Körperform noch andere äußere Faktoren sollten uns davon abhalten. Denn wir sind Natur – und genau deshalb fühlen wir uns in ihr so wohl. Jede Bewegung draußen verbindet uns mit ihr, lässt uns aufatmen und gibt uns zurück, was wir oft vergessen: das einfache, pure Dasein.

Die Natur ist kein Wettkampf. Schaffen wir es, den Leistungsdruck hinter uns zu lassen, kann uns das nur guttun. Doch dazu müssen wir bewusst aus diesem Denken aussteigen und einfach das tun, was uns entspricht. Vergleiche – besonders mit Sportlern – führen uns nur zurück in den Leistungsmodus. Doch darum geht es nicht. Es geht darum, sich selbst zu spüren, den eigenen Rhythmus zu finden und die Bewegung in ihrer reinen, natürlichen Form zu genießen.

Tue ich das, was mir guttut, komme ich mir selbst näher – und mein Befinden verbessert sich. Die richtige Balance zu finden, früh genug zu erkennen, wann es genug ist, hängt davon ab, wie gut ich mich spüre und auf mich höre. Dieses Spüren ist essenziell für mehr Wohlbefinden – und genau das ist seit Beginn meiner Rehabilitation das Wichtigste für mich.

Der Nierenstein war ein Weckruf. Er erinnerte mich daran, wieder mehr in mich zu vertrauen, meinen Körper bewusster wahrzunehmen und meinem eigenen Weg treu zu bleiben.

Die Kraft der Tanztherapie – Bewegung, die verbindet

Seit zweieinhalb Jahren ist das therapeutische Tanzen meine wichtigste Therapie – und ich bedaure, nicht früher davon erfahren zu haben. Es hätte so vieles erleichtert, gerade in der ersten Zeit nach dem Hirnabszess, als jeder Fortschritt entscheidend war. Die ersten zwei Jahre nach dem Eingriff waren von enormer Bedeutung, und ich bin sicher, dass die Tanztherapie damals vieles besser vorangebracht hätte.

Dabei ist diese Form der Therapie nicht nur für mich wertvoll. Sie ist für alle geeignet, die Schwierigkeiten haben, sich mit sich selbst zu verbinden. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sehr sie Menschen verändert – oft schon nach wenigen Sitzungen und in so vielen Lebensbereichen. Über die Bewegung spürbar zu machen, was sich im Inneren bewegt, ist einfach genial. Umso bedauerlicher, dass Tanztherapie in unserem Gesundheits- oder besser gesagt Krankheits-System noch immer kaum bekannt und anerkannt ist.

Je nach Corona-Situation fand die Therapie in der Gruppe oder als Einzeltraining statt. Beide Formen haben ihre eigenen Vorteile. Rückblickend sind es Meilensteine, die ich ohne die Tanztherapie nie erreicht hätte. Meine Beweglichkeit hat sich auf eine Weise verbessert, die mir so viel mehr Lebensqualität geschenkt hat.

Gerade in den Jahren der Pandemie war die Tanztherapie meine Rettung. Sie hat mir geholfen, diese Zeit zu überstehen, meine alltäglichen Bewegungen zu verbessern und intuitiver zu erfassen. Natürlich geht es auch um Fortschritt – aber nicht im Sinne eines Vergleichs mit anderen. Ich verfolge immer noch das Trailrunning, obwohl ich seit sechs Jahren nicht mehr laufen kann. Doch allein die Beobachtung hilft mir, diese innere Leichtigkeit zu verinnerlichen – auch wenn sie sich im Außen nicht zeigt.

Meine „Behinderungen“ sehe ich selbst nicht als solche. Eigentlich gibt es sie gar nicht. Es sind vielmehr die Strukturen um uns herum, die uns in bestimmte Schubladen drängen. Doch Bewegung – in welcher Form auch immer – zeigt mir immer wieder, dass Grenzen oft nur in den Köpfen existieren.

Innere und Äußere Bewegung beim Gehen

Der Camino in Spanien

Am Camino wird einem schnell bewusst, ob man im eigenen Tempo geht oder versucht, sich dem Rhythmus anderer anzupassen. Hier lernt man, dem eigenen Schritt zu vertrauen und sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen – wenn man es zulässt. Es ist eine Schule der Achtsamkeit, in der es nicht darum geht, schneller oder weiter zu gehen, sondern den Weg in der eigenen Weise zu erleben.

Der Camino in Spanien war für mich die beste Heilung – so wie für viele andere auch. Zum ersten Mal seit dem Hirnabszess konnte ich wieder wirklich mit mir in Verbindung treten. Schritt für Schritt fand ich zurück zu mir selbst, zur eigenen Kraft und zum Vertrauen in meinen Körper. Der Weg war mehr als nur eine Reise – er wurde meine Therapie, mein Lehrer und meine Heilung zugleich.

Bewegung lernen, am Camino Frances
Mein erster Camino 2018

Zwei Jahre lang machte Corona es unmöglich, diesen Weg und diese Form der Heilung weiterzugehen. Doch dieses Jahr scheint es endlich wieder möglich zu sein – und ich werde es wagen. Nächste Woche breche ich auf, mit dem Bus nach Frankreich, um den Camino Francés zu gehen.

Es fühlt sich an wie eine Rückkehr – nicht nur auf den Weg, sondern zu mir selbst.

Ich weiß noch, wie ich mich letztes Jahr auf dem Weg durch Österreich, noch oft schwergetan habe. Pilgern in Spanien hätte ich vorgezogen. Corona hat das Reisen zu meinem Nachteil sehr verändert. Aber ich habe mich letztes Jahr quasi hineingeworfen und die Herausforderung angenommen, dieses neue Leben zu lernen. Genauso mache ich es auch dieses Mal. Ich lasse alle Regeln auf mich zukommen und versuche damit klarzukommen. Allein die Anreise ist für mich schon eine Herausforderung.

Bin ich zum Walkabout von zu Hause losgegangen, reise ich diesmal mit dem Bus an, so wie zu meinem letzten Camino, im Jänner 2020. Von daheim losgehen nach Santiago de Compostela, geht für mich diesmal nicht, denn wenn ich es auch noch so gerne täte, es ist zu früh, zu kalt und nach dem Nierenstein ist mein Zustand auch nicht gut.

Ich verfolge dieses Mal andere Ziele. Ich werde versuchen zu Schreiben und an meinem Buch weiterarbeiten, meine Bewegung zu verfeinern, zu Malen und einfach eine gute Zeit zu verbringen. Nach diesen zwei Jahren mit Corona, wo es im Gesamten mit meiner Rehabilitation bergab ging, ist es dringend an der Zeit, wieder etwas in die andere Richtung zu machen.

Mein Glaube in die Politik und die Ärzte hat in dieser Zeit sehr gelitten und nur das therapeutische Tanzen hat mich einigermaßen oben gehalten. Es geht in unserem System noch immer sehr um das Geld und weniger um den Menschen. Daher werde ich meinen Weg weiterhin verfolgen.

Innere und äußere Bewegung

Bewegung in der Natur hilft mir schon lange, trotz der Behinderung, ein erfülltes Leben zu leben. Innere und äußere Bewegung wurden mein wichtigstes und das kann ich in der Natur am besten ausleben. Mein "Zurück ins Leben" veränderte sich sehr, hauptsächlich durch Corona.

Es ist mir wichtig, wieder Beziehung zu Menschen zu lernen, mich austauschen zu können und andere Sichtweisen kennenzulernen. Das wird am Camino besonders interessant, da dort so viele verschiedene Nationalitäten anzutreffen sind. So lasse ich mich überraschen, wie sich meine innere und äußere Bewegung verändert. 

Geschichte vom Camino

Bezüglich der Nationalitäten möchte ich noch eine Geschichte vom Camino Norte 2019 erzählen. Ich übernachtete in einem Kloster und war zu einem Empfang und Gottesdienst für die Pilger eingeladen. Allerdings kam ich mit einem Israeli zu spät zum Treffpunkt und so suchten wir den Raum, wo es stattfinden sollte.

Sobrado, Übernachten im Kloster
Kloster in Sobrado

Jemand schickte uns nach außerhalb des Klosters, in deren Nähe eine Kirche stand. Wir öffneten die große Eingangstüre und blickten vorsichtig hinein. In diesem Augenblick drehten sich dreißig Köpfe nach uns um und der Pfarrer winkte uns mit einer einladenden Geste zu sich. Wir überlegten kurz, konnten aber nicht mehr zurück.

Es waren nur Einheimische anwesend und beim Hineingehen flüsterte der Israeli in Englisch zu mir: "But it´s not my Confession!". "I think, it´s ok. No problem!", antwortete ich ihm. Sein Gesicht dabei werde ich nie mehr vergessen.

Beim nach vorne gehen an den Sitzreihen vorbei, bekamen wir aus jeder Reihe einen Gruß oder ein "Buen Camino" zu hören. Der Pfarrer setzte uns in die erste Reihe und führte seine Predigt auf Spanisch fort. Es war zum Glück bereits das Ende des Gottesdienstes, aber er hatte dann noch eine Extrazulage, eine Pilgergeschichte über den heiligen Jakob auf Englisch für uns, dem auch die dreißig Einheimischen gespannt zuhörten.

Im Anschluss gab es sogar noch einen Pilgerseegen für uns. Daraufhin sollte jeder von uns beiden erzählen, woher wir kamen und etwas, was wir am Weg erlebt haben. Danach wurden wir vom Pfarrer und allen dreißig Personen persönlich mit Handschlag verabschiedet und uns alles Gute für den weiteren Weg gewünscht.

Im Kloster übernachtet
Im Kloster

Ein tolles Erlebnis, das zeigte, wie tief verankert der Jakobsweg in Spanien ist und wie freundlich alle Nationalitäten aufgenommen werden. In dieser heutigen Zeit keine Selbstverständlichkeit. Es wird spannend, wie ich es diesmal aufnehmen werde.

Gehen, gehen, gehen!

Am Dienstag geht es in Saint Jean Pied del Port los und die nächsten Wochen werde mich 800 Kilometer zu Fuß nach Santiago bringen. Seit dem Nierenstein habe ich mich wieder verstärkt der Propriozeption gewidmet und auch am Camino werde ich mich dem widmen, ebenso wie dem Leben.

Am Camino kann ich so sein, wie ich bin und darauf freue ich mich.

"Buen Camino!"

Nierenstein und wie schnell es auch in die andere Richtung gehen kann!

Die letzten Wochen habe ich es ruhiger angehen lassen müssen, denn meine Rehabilitation ist ins Stocken gekommen. Zum ersten Mal seit 5 Jahren ging es in die andere Richtung, nämlich bergab. Ein Nierenstein sollte mich auf eine harte Probe stellen.

Auf meinem imaginären Himmel und Hölle Spiel, fiel ich auf unter drei und damit so tief wie schon lange nicht mehr. Zur Erinnerung, dieses Kinderspiel geht von 1 bis 10, anhand dieser Zahlen ich meinen Gesamtzustand bewerte.

Mit dem Camino im Winter 2020 bewegte ich mich erstmals auf der 4, mit Tendenz zur 5. Die Corona-Pandemie ließ mich kaum mehr über die 3, nur in Ausnahmefällen, wie dem Walkabout, wo ich auf die 4 zuschreiten konnte. Corona brachte insgesamt eine Stagnation und eher Abstieg. 

Himmel Hölle Spiel
Himmel und Hölle Spiel

Nierenstein

Nur mein jahrelanges Training, das viele Gehen und Üben bewahrte mich vor Übleren. Schon lange ist es mein (Zwischen-)Ziel, auf über 50 % meiner Leistungsfähigkeit zu kommen, denn dann kann ich Rückschläge leichter verkraften.

Der Nierenstein hat mir tagelang mit seinen Koliken Schmerzen bereitet, mein Körpersystem durcheinander und den Großteil meiner Energie verbraucht. Ich lag auf etwa 35 %, aber die Nierensache brachte mich zurück auf 20 %. Es heißt jetzt zunächst wieder alles bisher erarbeitete zurückzugewinnen, was aber Wochen dauern wird. 

So konnte ich sehen, dass mir mein vieles Training etwas brachte. Ich möchte gar nicht daran denken, wenn mir das auf Stufe 2 oder mit 20 % Leistung passiert wäre. Mit 10 % wäre ich ein Pflegefall.

Ins Krankenhaus eingeliefert

Für einen Tag fand ich mich im Krankenhaus wieder, bis abgeklärt war, wie viele Steine oder wie groß der Stein war. Es war zum Glück nur einer, in der Größe von etwa 3 mm und sollte innerhalb einer Woche abgehen.

Bis es allerdings so weit war, standen mir einige Koliken bevor, die mich extrem forderten. Zu alldem kamen viele Traumen hoch, die ich bisher nicht verarbeiten konnte. Speziell mehrere Flashbacks bei der Blutabnahme und dem CT waren belastend. Es war aber auch eine gute Gelegenheit, damit umgehen zu lernen und zu erkennen, wo ich noch Schwachstellen habe.

Wegen Nierenstein im Bett am Gang

Noch wichtiger war aber, die geistige Bedeutung von Nierensteinen zu erkennen. Sie bedeuten überlebte Themen oder versteinerte Emotionen, die den Fluss der Entwicklung blockieren. Seelische Themen versteinern und werden chronisch. Wer kennt nicht die Bibelstelle von Loths Frau, die sich umwandte (zurückschaute) und zur Salzsäule erstarrte. Sie war nicht nach vorwärts gewendet und damit im Fluss des Lebens.

Dieses Versteinern haben auch Nierensteine und damit sind rückschauende Themen gemeint, die noch nicht endgültig gelöst sind. Der Organismus möchte sie unter Geburtsähnlichen Schmerzen loswerden, quasi den Stein gebären. Für mich bedeutet das, diese Themen wieder in Fluss zu bringen, um sie seelisch endlich abzuschließen. Es gibt eben immer was zum Dazulernen und die Nierensteine zeigen mir sehr gut auf, wo ich hinschauen soll. 

"Konsequent werden, statt zu versteinern."

...ist ein passender Spruch dazu!

Die Auswirkungen des Nierenstein

Seit fünf Jahren befinde ich mich jetzt in Rehabilitation und ich hatte noch nie einen so starken Rückschritt, wie jetzt. Die Koliken kosten viel Energie, und durch die Muskelschwäche konnte ich mich bald von einer bis zur nächsten Kolik, nicht mehr erholen. Hüpfen oder Stiegen steigen helfen, aber meine Kraft reichte dazu nicht aus. 

Nierenstein, Untersuchung im Spital

Nach einer Woche ging der Stein endlich ab, aber noch war ich nicht schmerzfrei. Durch die Belastung, ich windete mich in Koliken vor Schmerzen im Liegen, war meine sowieso geschwächte Rückenmuskulatur beleidigt und ich habe mir kurzerhand das Kreuz verrissen.

Also war viel Ruhe geben angesagt, neben meinen Therapiemöglichkeiten zu Hause. Ich musste trotzdem in ausreichender Menge versuche in Bewegung zu bleiben und optimale Balance in allem zu finden. Lichttherapie, medizinische Rüttel-Maschine und Entgiftung standen am Programm. Nach zwei Wochen konnte ich wieder mit vorsichtigem Gehen beginnen. Da merkte ich, dass meine Propriozeption besonders darunter gelitten hat. 

Zu spüren, wo der Körper endet, bekam wieder mehr Bedeutung. Besonders beim Stiegen steigen merkte ich die verschlechterte Tiefensensibilität oder beim Bergauf gehen. Ich hatte das Gefühl für Stiegen steigen oder der Steilheit des Weges und welchen Krafteinsatz ich dafür benötige, um aufzutreten, verloren zu haben.

Ich kann zwar gehen, aber ich muss aufpassen, denn Fuß vorsichtig hinzusetzen und mir das Hinklatschen abgewöhnen. Es war wie am Anfang, wieder Gehen zu lernen.

Wenigstens passte die Sauerstoffsättigung, der Ruhepuls war aber wieder zu hoch.

Sauerstoffsättigung

Wie geht's weiter?

Langsam und vorsichtig taste ich mich wieder heran, wobei ich mir bereits gekonntes wieder neu erarbeiten muss. Zunächst heißt es Kraft wiedergewinnen und die Langsamkeit fördern und beachten. Werde ich zu schnell, habe ich kein Gefühl für den Krafteinsatz und trete zu hart auf. Die Knochen und Fußgelenke leiden dann darunter. Ich darf also weicher mit mir umgehen.

Besonders die Wahrnehmung hat gelitten, beim automatischen Gehen im Gelände merke ich es besonders. Achtsamkeit ist das Gebot der Stunde. Der Körper ist ein Fenster zur Seele und das kann einfach, aber auch sehr komplex sein. Meines ist derzeit aus den Fugen geraten und ich habe mein Wohlergehen dahingehend zu fördern. Hand in Hand, Körper und Geist zusammen, kann mir dieses bringen.

Vertrauen in mich zu haben ist wichtig und auch auf mich zu hören. Mein Körper sagt und zeigt mir, was mir guttut. Das Leben ist Bewegung und deswegen tut mir das körperliche Bewegen in der Natur so gut, weil damit auch mein Geist gefördert wird. Das therapeutische Tanzen ist mir eine große Hilfe.

Alte Aufzeichnungen von 2018

Was mir damals schon geholfen hat, wird mir auch heute helfen. 2018 habe ich notiert:

"Man kann meine Gedanken nicht operieren, ebenso nicht die neurologischen Fähigkeiten. Ich kann dabei ausschließlich auf die Kraft des Geistes setzen. Der Geist heilt den Körper. Mich wieder ins normale Leben integrieren, das eigene Glücklichsein dabei, ist das Ziel."

Auszug aus meinen Handgeschriebenen Aufzeichnungen 2018

Krankenhaus 2016

Eine weitere Aufzeichnung aus dem Krankenhaus 2016 zeigt mir, was ich bis heute bereits erreicht habe. Es tut gut, das zu lesen, denn es beruhigt. Es ist noch vieles nicht wiederhergestellt, aber bereits trotzdem so viel erreicht. Das muss ich mir immer wieder bewusst machen, dann verlieren Rückschläge an Bedeutung.

Denn ich bin nur so gut, wie an meinem schlechtesten Tag, nicht der beste darf der Maßstab sein. Damals im Krankenhaus brauchte ich Wochen, bis ich mich überhaupt aufsetzen konnte.

"Aufsetzen probieren. Ich zwinge mich, nicht in Ohnmacht zu fallen. Diese Mobilisation bekommt niemand aus meinem Umfeld mit, weder Ärzte, Krankenschwestern, noch meine Familie. Ich übe es immer und immer wieder im Geheimen."

Auszug aus meinen Handgeschriebenen Aufzeichnungen im Krankenhaus 2016

Wichtig bleibt weiterhin, stimmt mein Tun mit meiner Vision überein?

... und gegebenenfalls anpassen!

Wenn alles klappt, werde ich noch im März Pilgern gehen. Wenn ich an meine Jakobswege zurückdenke, hatte ich dort meine größten Fortschritte gemacht. Das ist genau das, was ich jetzt brauche. 

Camino France 2018, auf der Suche nach mir selbst. Wo geht's lang?

Die Situation erinnert mich an meinen ersten Jakobsweg 2018. Alles sprach damals dagegen, dass ich fahren sollte oder besser gesagt, überhaupt könnte! Ich habe meinem Gefühl vertraut und bin nicht enttäuscht worden. Dasselbe werde ich auch jetzt machen. Wenn mir mein Gefühl positive Zeichen gibt, werde ich nach Spanien fahren!

Mehr dazu in ein paar Tagen, wie ich mich wohl entscheiden werde?


Wie ich die Folgen des Hirnabszesses am Thalamus therapiere?

Die Folgen des Hirnabszesses bereiten mir nach wie vor Schwierigkeiten. Der Abszess saß am Thalamus, der Steuerzentrale des Körpers. Durch die Corona-Pandemie musste ich meine Rehabilitation verändern und das war nicht leicht, denn viel Training der ersten Jahre war damit umsonst, wie das Gewöhnen an die Stadt.

Seit der Pandemie ist die Natur noch mehr mein "Rehazentrum" geworden. Das Idita Sport Race in Alaska nannte der Regisseur Gernot Lercher, die größte "Sportarena" der Welt. Heute ist die Natur meine größte "Reha-Arena" der Welt.

Idita Bike Alaska
Die größte Sport-Arena der Welt, das Idita-Bike Race in Alaska

Der Abszess am Thalamus

Oft geht ein Hirnabszess mit einer gesamten Wiederherstellung aller Funktionen aus. Bei mir ist das nicht der Fall, da der Abszess am Thalamus saß.

Der Thalamus ist die Steuerzentrale des Körpers und betrifft Körper und Geist. Daher bin ich auch noch nach über fünf Jahren in Therapie und Rehabilitation.

Hirnabszess am Thalamus

Er ist die Sammelstelle für alle Sinneseindrücke, außer dem Geruchssinn. Bei mir kommt es zu Störungen der Oberflächen- und Tiefensensibilität, welche eine Schwere in den Extremitäten zu Folge hat. Motorische Phänomene und eine Halbseitenlähmung kommen dazu.

Die Tiefensensibilität ist für die Eigenwahrnehmung der Motorik wichtig, um seine Lage im Raum zu bestimmen und seine Haltung zu entwickeln. Nur langsam kann ich mich wieder räumlich zurechtfinden und orientieren.

Bergauf und bergab wurde es zwar auch besser, ich habe aber noch immer Schwierigkeiten damit. Solange mein Kopf aufrecht bleibt, habe ich es unter Kontrolle. Muss ich den Kopf neigen, bekomme ich Wahrnehmungsschwierigkeiten, die sich in Schwindel äußern und Unsicherheit. Darum geht es in erster Linie, wenn ich von Wahrnehmung spreche.

Anhalten am Baum, gestörter Thalamus
Anhalten am Baum, im steilen Wald

Mein Training dafür

Das Training dafür führt mich meist in die Natur. Steile Hänge querfeldein kletternd, bringen mich schnell ans Limit.

Thalamus Therapie in der Natur

Da ich mit allen vieren dahin steige, bin ich außerhalb der Zentriertheit, was mein Gehirn nicht verarbeiten kann. Bleibe ich stehen, muss ich zuerst die Augen schließen, um den Schwindel zu verarbeiten. Nach ein paar Minuten kann ich weiter steigen.

So arbeite ich mich höher und höher. Es ist ein langsames herantasten, wie das Gehen lernen. Körperlich ist es anstrengend, denn die Muskelschwäche lässt mich schnell außer Atem kommen.

Die ersten Jahre war es mir nur wichtig, wieder aufrecht gehen zu können. Jetzt stehen die nächsten Hürden an. Schnelle Lageveränderungen sind mir nicht möglich und daher mein nächstes Ziel. Es würde so viel mehr an Sicherheit bringen, nicht nur im Straßenverkehr.

Seit der Corona-Pandemie halte ich mich fast nur mehr in der Natur auf. Mich an die Stadt zu gewöhnen, habe ich derzeit aufgegeben. Ich genieße die Wunder der Natur und besonders die ersten Frühlingszeichen. Speziell die Bäume strahlen eine Stärke aus und passen sich oft der Natur ganz ungewöhnlich an.

Die Natur ist mir dabei sehr behilflich, meine Wahrnehmung zu verbessern. Allerdings ist es nur in kleinen Schritten möglich, denn nach einem solchen Training brauche ich mehrere Ruhetage.

Sobald es die Pandemie zulässt, möchte ich wieder Pilgern gehen, denn das ist dafür besonders geeignet, meine Wahrnehmung zu verbessern.


Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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