Im Großen und Ganzen komme ich am Camino Norte recht gut über die Runden und habe die Sinneseindrücke mehr oder weniger gut unter Kontrolle. Eine Brücke wurde aber zur bisher größten Herausforderung dieses Camino.
Rechts geht es tief ins Meer und links donnern die PKW und Lastwagen vorbei und dazu schwankt es. Alle meine Sensoren arbeiten auf Hochtouren, aber durcheinander.
Es ist meinem Gehirn unmöglich, alles zu koordinieren. Ich brauche alle Konzentration für das Gehen und um nicht schwindlig zu werden.
Auf den Boden schauend, Schritt für Schritt, bewege ich mich vorwärts. Nur ja kein Blick zur Seite. Dazu kommt Wind, der mich immer wieder aus dem Gleichgewicht bringt. Am liebsten würde ich auf dem Boden vorwärts kriechen. So sehr bin ich noch selten ans Limit gekommen.
Nach der Brücke brauche ich eine längere Pause, um mich wieder sammeln zu können.
Solche einfachen Dinge können mich ans Limit bringen, vor allem wenn meine Sinne irritiert werden. Das Wissen, dass nichts passieren kann, ist da, trotzdem wird einem anderes vorgegaukelt.
Ich fühle mich wie auf einem Hochseil, ohne Sicherung.
Alles, was passiert, hat mit einem selbst zu tun. Was möchte es mir also sagen?
Es war ein Metapher Bild, wie es mächtiger nicht sein konnte.
Eine Brücke stellt immer einen Übergang dar, für mich der Übergang in ein neues Leben. Ich habe diese Brücke aber erst zu bauen. Denn bisher bin ich noch nicht im Leben angekommen.
Ich hatte schon auf kleinen Brücken Probleme, wie ich vor einigen Tagen auf Instagram schrieb. Aber ich beachtete es noch zu wenig.
Mit dem Überleben des Hirnabszesses wurde mir ein neues Leben gegeben. Ich habe erst begonnen, über die Brücke zu gehen.
Dieses neue Leben soll nicht eine bessere Ausgabe meines alten Leben oder eine kosmetische Veränderung werden, sondern einen Wandel von weit größerer Bedeutung beinhalten, nach dem sich mein Herz schon lange sehnt.
Noch weiß ich nicht, was dieses neue Leben ist oder wie es aussehen wird. Mit dem Hirnabszess habe ich die Zeit bekommen, mich Schritt für Schritt an dieses Neue anzupassen und das Vertrauen in mich selbst zu erlangen.
Die Brücke sagt mir, etwas neues zu beginnen und ist ein Synonym für den Übergang in ein neues Leben. Ich bin unter anderem hier am Jakobsweg, um mich neu zu (er-)finden. Das habe ich aber noch nicht, dass hat mir die Brücke gezeigt.
Mein Übergang ist noch nicht vollzogen. Ich brauche noch Erfahrungen, bin aber auf gutem Weg, die Brücke zu überqueren.
Das kann ich nicht sagen, ich weiß es nicht. Es wird etwas größeres als bisher sein und damit ist nicht ein größeres Auto oder Haus gemeint, sondern eine neue Lebensstufe. Ich spüre es, kann es aber nicht beschreiben.
Der Hirnabszess und Zeit jetzt sind nur die Vorbereitung darauf. Kraft sammeln und gesund werden ist jetzt wichtig. Meine Konzentration hat sich nur darauf und auf meine beiden Kinder zu beziehen. Ich war ja praktisch zwei Jahre nicht für sie dagewesen.
Die Folgen des Hirnabszesses und deren Verbesserung halten mich noch in Beschlag und ich brauche alle Konzentration dafür. Aber soviel Zeit mir bleibt, möchte ich für die Kinder da sein.
Noch bin ich in Rehabilitation und das wird auch noch eine Zeitlang so bleiben. Aber in der Ergotherapie habe ich schon begonnen, wieder Leben zu versuchen.
Ein Anfang ist gemacht und die Brücke war ein wichtiger Hinweis auf das Kommende!
[…] Das hin und her auf einer Schaukel ist das Gegenteil einer Brücke, mit bewegten Wasser darunter. Es löst aber dasselbe aus. Mein Gehirn kann die Bilder nicht so schnell zusammensetzen und löst daher Schwindel aus. So erging es mir am Camino del Norte, als es in Ribadeiro über eine lange Brücke, über einen Meeresarm ging. Meine Erlebnisse dort, habe ich hier verlinkt. […]