Camino Frances 2023, von Astorga nach Santiago de Compostela, 4.Teil

19. März 2023
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9 Minuten Lesezeit

Camino Frances 2023, von Astorga nach Santiago de Compostela!

Astorga, ab hier wird es bergig, nach den endlosen, flachen Geraden der Meseta. Bis Santiago de Compostela wird es ein auf und ab, auf dem Camino Frances 2023.

Nach dem Ruhetag und der Gaudi-Palast Besichtigung fühle ich mich gut und starte früh. Es ist mir nicht klar, welche Herbergen am Weg offen haben werden, so spiele ich bereits am Anfang mit dem Gedanken, dass Bergmassiv an einem Tag zu überqueren.

Camino Frances 2023
Gaudi Palast in Astorga

Santa Catarina und Rabanal, Camino Frances 2023

Bevor ich nach Rabanal komme, kehre ich diesmal noch in Santa Catarina ein. Ein Kaffee mit Croissant muss sein, denn wenn ich Pech habe, ist es die letzte Gelegenheit, bis ins weit entfernte Molinaseca. Eventuell gibt es noch etwas in Rabanal, aber darauf möchte ich mich nicht verlassen.

Unerwartet kommt der Franzose Pierre in den Gastraum. Er hat mich an meinem Ruhetag überholt und hier genächtigt. Er ist Trailrunner und bereitet sich auf einen Lauf vor. Jeden dritten Tag macht er etwa 50 Kilometer, wovon er die Hälfte läuft und dann zwei Tage lang etwa 25 km, in denen er nur geht. So gewöhnt er seinen Körper an die Belastung. Wir haben uns das erste Mal in Carrion getroffen, wo wir zu dritt im Kloster genächtigt haben. Er hat nur einen kleinen Laufrucksack mit 15 Liter Volumen dabei und daher nur das Notwendigste. Sehr bescheiden für den Winter, aber eben nur das, was er wirklich braucht.

Ich beneide ihn um das geringe Gewicht, denn ich habe mindestens das Doppelte mit. Ich starte vor Ihm, im Glauben, von ihm bald eingeholt zu werden. Doch wiedersehen werde ich ihn erst in Villafranka wieder, zwei Tage später. In Rabanal, 10 Kilometer weiter, hat mein Lieblings-Café erstmals geschlossen. Enttäuscht gehe ich weiter und jausne etwas außerhalb der Ortschaft. Allerdings soll in Foncebadon etwas offen haben, der letzten Ortschaft vor dem Crux de Ferro. Auf meinem Wintercamino 2020 hatte dort damals alles zu.

Foncebadon, Camino Frances 2023

Es überrascht mich, dass auf dem Weg nach oben nur wenig Schnee liegt und das meist nur in Schattenlagen oder auf der nördlichen Seite. Trotzdem ist es heftig, denn Schnee ist nicht mein Terrain. Da merke ich besonders, wie sehr mir das Gefühl und die fehlende Propriozeption in den Beinen fehlt. Ich trete im Schnee zu hart auf, weil ein anderer Krafteinsatz gebraucht wird, den ich nur selten üben kann. Die Bewegung gleicht einem Betrunkenen, da ich immer wieder wegrutsche und die Kraft nicht richtig dosieren kann.

Aber ehe ich mich versehe, bin ich in Foncebadon. Und wirklich, die Herberge hat offen, aber auch doch nicht. Ich überlege kurz, hierzubleiben, um am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang am Crux de Ferro stehen zu können.

Allerdings verwerfe ich den Gedanken gleich wieder, weil eine Pilgerin vor der Herberge wartet und mir sagt, dass die Wirtin erst wieder in zwei Stunden zurück kommt. Solange möchte ich nicht im Freien warten und entschließe mich für den langen Weg nach Ponferrada und gehe weiter.

Crux de Ferro, der höchste Punkt am Camino France, 1.500 Meter

Um 13 Uhr bin ich am Kreuz angelangt. Alleine, denn Pierre hat mich noch nicht eingeholt. Ich lasse mir Zeit, denn das Ritual ist mir wichtig, hier einen Stein abzulegen, als Metapher für eine Last, die man ab jetzt hinter sich lässt. Nur der Wind pfeift, ansonsten stört mich kein Geräusch. Ich mache ein paar Fotos, lege mich ins Gras und esse wieder.

Im Sommer spielt es sich hier ab, aber jetzt im Winter, bin ich alleine und genieße es. Obwohl noch über 20 Kilometer vor mir liegen, habe ich keine Eile. Es zählt der Moment und der sagt mir, lass dir Zeit.

Nach einer halben Stunde mache ich mich auf den Weg. Der Herausfordernste Teil steht mir bevor. Die extrem vielen Steine machen den Weg besonders schwer. Viele haben hier zu kämpfen, mir aber gefällt das Terrain, denn hier lernte ich viel in den vergangenen Jahren. Seitdem kippe ich kaum noch um.

Diese Kräftigung im Sprunggelenk hatte ich zu lernen, um nicht dauernd umzukippen, was bei mir ein großes Problem darstellte. Allerdings wurde mit der Stärkung das Roboterhafte Gehen stärker, was ich erst später, mit dem therapeutischen Tanzen, in den Griff bekam.

Geschmeidigkeit und Stärke verbinden, seither sieht es normal aus, wie ich gehe und deshalb sieht man mir fast nichts an. Die Tanztherapie verhilft mir, meine Muskeln, Sehnen und Gelenke elastischer und schonender zu verwenden. Es dauerte lange, bis es so weit war, aber es war der Grundstock dafür, um lange Wanderungen machen zu können. Das hilft mir im Alltag sehr, denn ich kann mich seitdem mehr um den Verkehr in der Stadt oder was ich einkaufe, kümmern.

Früher war die Aufmerksamkeit bei meiner Bewegung und darauf zu achten, nicht umzukippen. Ein riesiger Lebensgewinn.

Der Abstieg

Abwechselnd zwischen Schnee, Nordhängen und den vielen Steinen, "tänzle" ich nach unten. Kurz nach Mandarin überhole ich eine Pilgerin, die  übervorsichtig und langsam dahinschreitet. Ich frage sie, ob es ihr gut geht und ob sie was braucht. Sie sieht abgekämpft und müde aus, was um diese Zeit und in dieser Gegend ein schlechtes Omen ist. Sie verneint aber, was ich ihr aber nicht so recht glaube. In diesem Tempo braucht sie noch lange bis ins nächste Dorf.

Da es mittlerweile schon 14 Uhr ist, wird sie bis zum Anbruch der Dunkelheit unterwegs sein. In diesem nächsten Dorf, in El Acebo, gibt es nur ein teures Hotel, dass offen haben soll. Gut für Wanderer, die es nicht so weit schaffen, aber nichts für meinen doch recht schmalen Geldbeutel. Ich habe zwischen 20 und 30 Euro am Tag, für Nächtigung und Essen, Hotelzimmer sind da nicht drin. Ich gebe der Pilgerin den Rat, auf die Straße zu wechseln, da sie über den Pfad zu langsam vorwärts kommt.

Mein Körper fühlt sich hingegen immer leichter an und die Bewegung auch. Bergab überkommt es mich und ich versuche immer wieder, 20 - 30 Meter zu laufen. Es ist ein so tolles Gefühl, denn die Erschütterung beim Auftreten bewirkt eine elektrische Ladung meines gesamten Körpers. Wie sehr habe ich das vermisst!

Dann noch die letzte Steilstufe und ich stehe in Molinaseca. Da es schon spät ist, verzichte ich darauf einzukehren und gehe weiter nach Ponferrada, in die öffentliche Herberge. Der Hospidalero serviert mir eine selbstgemachte Suppe, mit allem drinnen, was man sich vorstellen kann. Nach 11 Stunden am Weg, eine Köstlichkeit, wie ich sie mir nicht besser vorstellen kann.

Am Abend liege ich im Bett und plane die weitere Strecke. Ich muss mich entscheiden, ob ich am Camino Invernio gehe oder am Camino Frances bleibe. Aufgrund der ungewissen Herbergssituation entscheide ich mich für den Französischen Weg. Im gesamten Jänner waren nur rund 30 Pilger auf diesem Weg unterwegs und auch jetzt sind nur wenige Pilger unterwegs. Die Frage, wieviele Herbergen sind geheizt, möchte ich mir nicht stellen, da ist der französische Weg sicherer. Also weiter, dem Camino France folgen.

In der Herberge lerne ich Frederic aus Tschechien kennen, der mit noch weniger Geld unterwegs ist, als ich. Er ist Yoga-Lehrer und spielt eine Menge Musikinstrumente. Die Unterhaltung tut mir gut mit ihm.

Villafranka, Camino Frances 2023

In Ponferrada lasse ich mir Zeit und gehe erst spät los. Nach Villafranka sind es nur 23 Kilometer. Auf dem Weg überhole ich Frederic und wir unterhalten uns, im speziellen über Musik. In einem Cafe lade ich ihn zu einem Kaffee ein und er lernt mir einen Rhythmus, der zwar einfach ist, aber doch wieder nicht für mich. Ich merke, wie sich mein Gehirn anstrengen muss, diesen Rhythmus länger aufrecht zu halten. Eine gute Übung für mein Gehirn und die folgenden Etappen übe ich immer wieder mit meinen Stöcken, am Boden aufschlagend, den Rhythmus.

In der Herberge in Villafranka treffe ich wieder auf Pierre. Ich schlage ihm vor, in C´Obreiro weiterzugehen und in der nächsten Herberge zu Nächtigen. Bis dorthin geht fast keiner weiter und die Herberge dort ist toll. Es ist eine Öffentliche, aber auf dem neuesten Stand. Allerdings gibt es keine offene Bar oder etwas zum Essen, man muss alles selber mitbringen. Wir sind dort dann die einzigen Gäste und haben das Haus für uns. Kein Geschnarche anderer stört uns und wir können seit langem ungestört schlafen. Die paar Kilometer Mehrweg haben sich ausgezahlt.

Samos, das Kloster

Am Morgen gehen wir zusammen bis Triacastele, wo wir hervorragend Frühstücken. Hier trennen sich unsere Wege, denn ich gehe nach Samos und möchte im dortigen Kloster nächtigen. Es ist ein Umweg von 15 Kilometer, der es aber wert ist.

Traumhafte verschlungenen Pfade und eine einmalige Natur empfangen mich. Moosbewachsene Bäume und Steine, in allen Grüntönen, lassen mich wie im Paradies  sein. Als ich in Samos ankomme, wähne ich mich im Ziel, aber es sollte anders kommen. Der Mann, der die Herberge betreut hat, dürfte gestorben sein, wenn ich es vom Tankwart der Tankstelle neben der Herberge, richtig mitbekommen habe. Die Mönche haben die Leitung übernommen, kommen aber erst am Abend wieder.

Solange möchte ich aber nicht warten und obwohl es schon spät ist, werde ich weitergehen. Um halb vier starte ich in Samos und gehe im Schnellschritt ins 15 Kilometer entfernte Sarria, dass ich eigentlich vermeiden wollte. Ich bin schon nach zweieinhalb Stunden dort und gerate in den Karnevallsumzug. Nach den Tagen in den Bergen ein Kulturschock, mit so viel Pauken und Trompeten empfangen zu werden. Der Fasching ist in vollem Gange und ich habe ihn voll vergessen.

Ich habe mir ein Zimmer genommen und schreibe Pierre, dass ich jetzt doch nach Sarria gekommen bin. Ein paar Minuten später schreibt er zurück und wir kommen drauf, dass wir einander angrenzende Zimmer im gleichen Hotel haben. Wir verabreden uns zum Abendessen, wo wir eine angenehme Unterhaltung führen. Mit einer Person geht es ganz gut, aber mehrere am gleichen Tisch überfordern mich noch.

Portomarin

Die kurze Etappe nach Portomarin ist schwerer als gedacht. "Nur" 25 km, aber die haben es in sich. Allerdings eher mental, als körperlich. Wobei das eine, es mit dem anderen hat. Es ist eine mentale Sache, denn ich bin kaum motiviert und schlendere dahin. Pierre bricht erst viel später auf und berichtet mir in Portomarin, daß es ihm gleich ging. Schwere Beine und kaum offene Cafés, machen es "schwer".

Ich kehre nur in ein einziges offenes Café unterwegs ein und schaue sonst nur, daß ich den Zielort erreiche. Testhalber versuche ich mich zu motivieren und siehe da, es funktioniert. Kaum bekomme ich Spannung in den Körper, sind die Beine ok und das Gehen passt. Ich mag aber nicht und lasse mir Zeit.

Trotzdem überholen ich viele Tagespilger. Es sind Spanier, die das Wochenende nutzen oder in den folgenden Tagen auch nach Santiago gehen. Man erkennt sie an den meist sehr kleinen Tagesrucksäcken, denn der große wird vom Gepäckdienst transportiert. Es sind im Verhältnis bisher sehr viele unterwegs, allerdings sind die öffentlichen Herbergen zum Glück den Pilgern vorbehalten, die ihr Gepäck selbst tragen. So bleibt immer genug Platz.

Arzua, Camino Frances 2023

Mein langer Tag bringt mich bis nach Arzua. Ein Regnerischer Morgen zieht sich durch den Tag. Richtig schön wird es nie und es bleibt kühl. Das motiviert aber zum Gehen und in Bewegung bleiben. Wenn ich daran denke, daß ich vor Jahren noch solche Probleme in der Kälte hatte. Das viele Training und das oftmalige Kneipen im Winter, hat mich daran gewöhnt und es hat sich ausgezahlt, über die vielen Jahre, die Mühen auf sich zu nehmen.

Auf diesem Camino ist es erstmals, eben seit sieben Jahren, dass ich über viele Dinge, unter anderem die Kälte, kaum mehr nachdenken muss. Allein dieser Gedanke lässt mich frei und unbekümmert dahin schreiten.

O Pedrouzo, Camino Frances 2023

Eine kurze Etappe bringt mich nach O Pedrouzo. Hier treffe ich mich wieder mit Pierre, der heute seinen langen Tag macht. Seine 50 Kilometer hat er in etwa 6 Stunden zurückgelegt. Da kann er ruhig später aufstehen. Wir unterhalten uns viel über Ausrüstung und deren Optimierung. Das macht mir Spaß, denn in den letzten Jahren konnte ich mich kaum mit jemanden darüber unterhalten oder austauschen und musste alles selbst ausprobieren.

Da Pierre heute seine Wäsche wäscht, leihe ich ihm meine Regenhose zum Einkaufen gehen. Er ist so minimalistisch unterwegs, dass er keine Ersatzkleidung dabei hat.

Endlich Santiago de Compostela

In der Früh lassen wir uns Zeit und gehen spät los. Es ist Anfangs regnerisch, aber das macht uns mittlerweile nichts mehr. Wir tratschen viel auf dem Weg nach Santiago und erreichen zu Mittag die Kathedrale. Nach 26 Tagen habe ich Santiago de Compostela erreicht und 845 km liegen hinter mir. Regen, Schnee und Sonne waren mein Begleiter und tatsächlich habe ich nur einige Regentage darunter, vor allem am Schluss.

Allerdings habe ich kaum Gefühle oder Emotionen in Santiago. Ich freue mich zwar, aber nicht mehr. Zu sehr fordert mich die große Stadt und Emotionen haben keinen Platz. Am Abend gehen Pierre und ich noch essen und verabschieden uns dann. Es waren feine Tage mit ihm.

Resümee Camino Frances 2023

Als Resümee vom Weg kann ich bisher ziehen, dass ich alles anders erleben durfte, als bisher. Es stand nicht die Therapie im Vordergrund, sondern erstmals das Leben. Ich hatte mir zwar Aufgaben vorgenommen, sowie die Achtsamkeit beim Gehen, denn die Automatik fehlt eben noch, aber nicht mehr. Jedoch war es eine tolle Erfahrung, dass ich nicht mehr in allem was ich tue, Therapie darin sehe. Das ist ein wichtiges Stück näher zum Leben, dass ich hier erreicht habe und zuhause auch umsetzen möchte.

Einen großen Anteil daran hatte meine Tanz-Therapeutin Hanna Treu, wo ich speziell im letzten Jahr wieder intensiv übte und trainierte und der mein besonderer Dank für die Arbeit mit mir gilt. Ohne Das therapeutische Tanzen wäre viel nicht möglich geworden.

Santiago ist für mich aber nur ein Zwischenziel, denn noch wartet der Camino Finesterre, wobei ich allerdings dieses Mal erst Muxia ansteuern und dann nach Finesterre komme werde. 200 Kilometer, die ich zum Ausklingen nutze werde.

Dazu mehr das nächste Mal.


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4 comments on “Camino Frances 2023, von Astorga nach Santiago de Compostela, 4.Teil”

    1. 🤗 Danke! Die viele Arbeit der letzten Jahre zeigt Früchte. Es ist zwar noch immer ein "Step by Step", aber ich lerne immer besser, damit umzugehen.
      Das Leben kommt immer näher!
      👍 🙏

Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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