Pilgern und Zelten, diese Herausforderung habe ich bisher gemieden oder musste ich zwangsweise meiden. Der Grund bisher immer nach Spanien zu fahren war der, dass ich dort eine bessere Infrastruktur vorfand, die meiner Rehabilitation zugutekam.
Die Corona-Krise hat mein Leben zum Dritten mal in den letzten vier Jahren durcheinander gewürfelt und verlangt einen Neustart. Diese Krise hat auch meine Wiederherstellung stark beeinträchtigt und funktionierende Dinge auf den Kopf gestellt. Neue Wege und alternative Zugänge wollen gefunden werden.
Ich gehe oft wie ein Tiger im Käfig hin und her, aber das Denken stellt sich trotzdem nicht ein. Daher versuche ich mich an das zu halten, was mir bisher geholfen hat. Was nicht leicht ist, denn selbst das hat sich verändert.
Das Pilgern ist mir sehr wichtig. Das viele gehen hat auch Auswirkungen auf mein Gehirn. Nach dem Lockdown fuhr mein System extrem schnell herunter und das beinhaltet auch mein Gehirn. Denken ist wieder mehr Herausforderung als vorher.
Von Ende Jänner bis Anfang März war ich ja noch am Camino Frances unterwegs. Die gesundheitlichen Fortschritte waren für meine Verhältnisse riesig und ich freute mich auf zu Hause und auf die weiteren Therapien.
Besonders auf die Traumatherapie war ich gespannt, denn dort erhoffte ich mir einiges. Auch mein körperlicher Zustand war so gut wie nie zuvor, trotz der noch immer auftretenden Schwindelanfälle und der verminderten Koordination durch die Muskelschwäche.
Innerhalb kürzester Zeit war wieder einmal alles anders. Mein Gehirn kommt damit kaum zurecht und ich brauche lange, um das alles zu verstehen. Pilgern im herkömmlichen Sinne, war damit für einige Zeit gestorben. Ebenso wie alle Therapien, Fitnessstudio und vor allem das gewöhnen an Trubel in der Stadt. Seit zwei Monaten war ich nicht mehr in Graz.
Die größten Fortschritte machte ich bisher beim Pilgern. Nach der Öffnung wurde Gehen wieder leichter möglich und zumindest in Österreich ist es wieder realisierbar.
Damit komme ich zum Zelten. Seit dem Hirnabszess lebe ich von der Erwerbsunfähigkeit (Mindest-)Pension. Damit sind keine großen Sprünge möglich und die Struktur am Camino in Spanien ist für mich leistbar. Außerdem kommt mir das tolle Herbergsnetz entgegen, welches ich nur dort kenne.
Es gibt viele tolle Wege, auch in Österreich. Bisher war ich aber limitiert im Tragen. Die Muskelschwäche lässt mich alles drei- bis viermal so schwer fühlen. Vom Gefühl her fühlt sich mein bisheriger 5 kg Rucksack wie 15 bis 20 kg an. Daher achtete ich bei allem auf das Gewicht und war sehr minimalistisch unterwegs.
Die Übernachtung im Freien überlegte ich bisher nicht einmal an, denn das Zusatzgewicht von mindestens 1,5 bis 2 kg war mir nicht möglich. Wozu auch, gab es doch genug Herbergen in Spanien.
Auf dem letzten Camino im Februar, kam mir immer öfter die Überlegung, von daheim nach Santiago de Compostela zu gehen. Dem gegenüber stand bisher immer, dass das Übernachtungsnetz nicht so gut wie in Spanien ist und mein Einkommen für Übernachtungen in Hotels nicht ausgelegt ist. Zu Zelten ist somit unumgänglich. Dazu gehören weitere Dinge, die das Gewicht des Rucksacks erhöhen.
Ursprünglich plante ich nach meinem Wintercamino wieder zum Camino Frances im April zurückzukehren, zusammen mit meinem Sohn Elvin. Vor seinem Einstieg ins Berufsleben wollte ich mit ihm zusammen noch die Erfahrungen des Pilgerns machen.
Der Camino mit meinem Sohn wird in der ursprünglich gedachten Version nicht möglich sein, daher sollte ein Ersatz her. Dieser Ersatz heißt jetzt "Pilgern in Österreich", allerdings mit Zelt. Ob es möglich ist, wird sich zeigen.
Es wird sich demnächst entscheiden, was genau erlaubt wird. Wichtig sind die Covid-Regeln, wie sie das Gehen und Reisen in Österreich erlauben oder beschränken. Entscheidend ist es aber, wie und ob mein Körper es überhaupt verträgt, mit dem Zelt im Freien zu übernachten.
Unbestritten ist, dass Pilgern mir in meiner Wiederherstellung sehr viel geholfen hat. Hätte ich es vor zwei Jahren nicht für mich gefunden, dann wäre meine weitere Rehabilitation nicht so positiv verlaufen. Das Pilgern ist eine Motivation, mit der ich bisher mehr erreichte, als ich mir erwarten konnte.
Wie lange ich es per Zelt aushalten werde, wird sich erst zeigen. Es ist mir für heuer damit eigentlich noch zu früh, aber es ist den Versuch Wert. Der Nutzen ist groß, um weiterhin gehen zu lernen. Pilgern und Gehen gibt mir Sinn und gehört mittlerweile zu meinem Leben. Ich möchte es nicht mehr missen.
Die Streckenplanung habe ich nur grob geplant und wird uns, zunächst im Süden Österreichs, entlangführen. Ich starte mit meinem Sohn Elvin auf dem Weststeirischen Jakobsweg und kann damit direkt von Zuhause losgehen. Ich freue mich darauf, ihm das Leben von dieser Seite zu zeigen.
Dieses befreite losgehen, es ist so wichtig für meine Rehabilitation. Ich habe keine berufliche Aussicht in naher oder ferner Zukunft. Mein Sinn im Leben besteht derzeit darin, wieder einigermaßen Leben zu lernen. Das Pilgern beinhaltet Training und das Leben in einem.
Pilgern wurde für mich eine Suche nach innerer Begegnung und einem zusammenführen von Körper und Geist. Nur so kann ich meine Identität wieder finden. Ich kann mir nichts Besseres dazu vorstellen. Nach dem Hirnabszess genau das richtige für mich.
Die größte Hilfe zum Gehen lernen, bekam ich letztes Jahr von einem Psychologen. Er empfahl mir langsam zu gehen. So langsam, dass man das Auftreten nicht hören sollte. Es ist eine besondere Art das Gehen zu lernen.
Am Camino Frances heuer im Februar, legte ich immer wieder Strecken in diesem Sinne zurück. Es trainiert jeden kleinsten Muskel. Da das durch die Muskelschwäche und die gestörten Reize lange dauert, darf ich nicht nachlassen. Es ist vergleichbar mit einem Tropfstein, wo jeder einzelne Tropfen wichtig ist, damit er langsam wächst.
Durch den Lockdown habe ich viel von meinen Fortschritten verloren. Die psychische Belastung der letzten Wochen ist nicht zu unterschätzen.
Besonders die Wahrnehmung hat gelitten. Das Üben im Park von Frohnleiten zeigte mir viel auf. Die ersten Schritte über die Steine am Teich waren so anders, als schon gekonnt. Ich habe viel zum Nachholen und werde am Jakobsweg-Österreich weiter daran arbeiten.
Mit dem Beginn der Corona-Krise habe ich mich entschieden, wieder die Therapie in den Vordergrund zu stellen. Das vergangene Jahr ist wie unter einem Schleier verschwunden und das Leben lernen vorläufig in den Hintergrund getreten.
Ich schaffte es schon ins Kino und fuhr des Öfteren nach Graz, um mich an die Menschen zu gewöhnen. Das fällt zurzeit alles weg.
Am Jakobsweg, diesmal in Österreich, versuche ich mir ein Stück von allem wieder zurückzuholen und durch den Aufenthalt in der Natur zu verbessern. Das Zelten kann mir dabei helfen, zu noch mehr Kontakt mit der Natur zu kommen, ...oder mein System überfordern. Wir werden sehen?
Demnächst werde ich über meine Schwierigkeiten, die Ausrüstung zusammenzustellen, berichten.
[…] auf Österreich beschränken, aber das Pilgern sehr wohl beibehalten. Dafür werde ich hoffentlich das Zelten besser in den Griff bekommen, denn in Österreich ist es nur mit Zelt für mich machbar. Mir […]