Mein Ultra-Light Camino France, im Mai 2025!

4. Juni 2025
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9 Minuten Lesezeit

Mein Ultra-Light Camino France, im Mai 2025

Seit Dezember letzten Jahres arbeite ich intensiv an mir – körperlich, geistig und innerlich. Im Mai war es dann so weit: Ich entschied mich, mich auf den Weg zu machen. Der Camino Francés sollte es sein. Mein Einstiegspunkt: León - 315 km später das Ziel in Santiago. Dazwischen – Berge, Einsamkeit, Weite. Und das alles mit Ultra-Light Gepäck.

Es war eine Gratwanderung. Der Mai kann in Spanien noch erstaunlich kalt sein, vor allem in höheren Lagen. Dennoch wollte ich nur das Allernötigste mitnehmen. Keinen überflüssigen Ballast – weder im Rucksack noch im Kopf. Meine Ausrüstung habe ich bereits im letzten Blogbeitrag vorgestellt.

Stromausfall und späte Ankunft

Erstmals flog ich über Madrid ein. Schon bei der Ankunft war klar: Dies würde kein gewöhnlicher Start werden. Ein großflächiger Stromausfall in ganz Spanien sorgte für Unsicherheit und machte eine späte Weiterreise nach León notwendig. Ich trug nur meinen kleinen Laufrucksack – und niemand hätte wohl geglaubt, dass ich so den Camino gehen würde.

Um 21:45 Uhr kam ich schließlich am Busbahnhof in León an. Zu spät für jede Herberge. Und ein Hotel – das war keine Option für mich. Also reifte in mir der Gedanke, die erste Nacht durchzuwandern. Warum nicht gleich mit einem kleinen Abenteuer starten?

Ich setzte mich in eine noch geöffnete Bar, trank in aller Ruhe einen Kaffee, dazu ein paar Tapas. Für die Nacht hatte ich zwei Proteinriegel, Wasser, eine Mandarine und einen halben Liter Cola im Gepäck. Damit sollte es gehen. Mein Ziel war klar: durch die Nacht, durch die Meseta, bis nach Astorga.

Nachtwanderung

Ein ungewöhnlicher Start – und doch genau richtig

Einen Camino auf diese Weise zu beginnen – mitten in der Nacht, ohne Herberge, ohne festen Plan – mag für viele ungewöhnlich erscheinen. Für mich fühlte es sich genau richtig an. Das Ultra-Light Equipment hat viel dazu beigetragen.

In den letzten Monaten hatte ich mehr und mehr gespürt, wie sehr mir Menschenmengen zusetzen. Die Stadt wurde mir zu eng, zu laut, zu viel. Eine stille Nebenwirkung der intensiven Arbeit an mir selbst.

Ultra-Light am Camino Frances

Und so verließ ich gegen 23 Uhr die letzten Vororte von León. Schritt für Schritt entfernte ich mich von der Stadt, von der Unruhe, vom Lärm. Über mir ein weiter Himmel, durchzogen von Sternen. Ich fühlte mich frei – nicht nur körperlich, sondern tief in mir.

Den Weg entlang der Hauptstraße nach Astorga bin ich schon mehrfach gegangen. Doch noch nie bei Nacht. Etwa acht Stunden würde ich unterwegs sein – rund fünfzig Kilometer. Mein Ziel: mit dem ersten Licht des Tages in Astorga einziehen und irgendwo gemütlich frühstücken.

Unterwegs machte ich dreimal einen Powernap, das reichte, um durch die Nacht zu kommen. Ich legte mich auf eine Bank, in ein Buswartehäußchen und auf eine Mauer. Ich zog mich nicht an, denn die Kälte der Nacht weckte mich in jedem Fall auf. Zu Mitternacht hatte es überraschende 16 Grad, das aber in Richtung Morgen jede Stunde um einen bis zwei Grad abnahm. Um fünf Uhr morgens hatte es nur mehr etwa sieben Grad.

Der Mond stand abnehmend am Himmel, sein Licht war schwach. Doch dafür war das Firmament umso reicher bestückt mit Sternen – ein Lichtteppich, der mich begleitete. In meinem Gepäck: eine kleine Ultra-Light Petzl e+light Stirnlampe, dazu Ersatzbatterien – für den Fall, dass es wirklich finster werden sollte. Doch erstaunlicherweise reichte das Sternenlicht über weite Strecken. Nur auf etwa zehn bis zwanzig Prozent des Weges war ich auf die Lampe angewiesen.

Sonnenaufgang

Genau vor Astorga erreichten mich die ersten Strahlen der Sonne und tauchten alles ins erste Licht des Tages. Während andere Pilger vor dem Losgehen noch ein Frühstück in einer Bar zu sich nehmen, ist es meine erste Mahlzeit nach über neun Stunden gehen. Mit meinem Ultra-Light Rucksack setze ich mich an einen Tisch.

Nach 9h Gehen Frühstück, Mein Ultra-Light Camino.
Nach 9h Gehen, ein doppeltes Frühstück

Ich gehe noch 15 km weiter und bleibe in Santa Catalina, nach 65 km.

Ultra-Light durch die Berge – Am Cruz de Ferro

Hinter Astorga beginnen die Berge. Ich kenne diesen Abschnitt gut – doch diesmal gehe ich ihn langsamer. Bewusster. Nicht an einem Tag, wie früher, sondern in drei. Schritt für Schritt. Leicht, aber nicht schnell. Langsam, trotz Ultra-Light Ausrüstung, welches das Gehen viel leichter machte.

Es ist das erste Mal seit Langem, dass ich wieder in der Hauptsaison unterwegs bin. Ich kehre fast ausschließlich in öffentlichen Herbergen ein – einfach, ursprünglich, nah am Geist des Weges.

Diese Herbergen folgen einer einfachen Regel: Sie sind nur für jene da, die ihr Gepäck selbst tragen. Keine Etappen per Taxi. Kein vorausgeschickter Rucksack. Nur du – und was du auf dem Rücken trägst.

Molinaseca – Begegnung mit Tim

In Molinaseca treffe ich in der Kirche den Amerikaner Tim, 79 Jahre alt und ehemaliger Eisenbahner. Er ist vor einem Jahr hergezogen, lebt heute hier und betreut die Kirche. Er hat eine kleine Website gegründet – eine, die helfen soll, die richtige Frage zu finden. Auch er ist den Camino gegangen, zurückgekehrt und geblieben.

Denn viele suchen nur nach Antworten – ohne je die richtige Frage gestellt zu haben. Seine Website unterstützt einen dabei: Camino Questions, www.caminoquestions.com.

Wir stehen beisammen, auf der Wiese vor der Kirche. Sie ist kurz geschnitten und wird von ihm gepflegt. Er erzählt mir von seiner Motivation, von seinem Weg, von dem, was war – und was noch sein soll. Ich höre zu, erzähle dann von mir. Von meiner Geschichte mit dem Hirnabszess. Davon, wie viel mir der Camino in den letzten Jahren gegeben hat. Wie sehr mir das Gehen geholfen hat, Stück für Stück zurück ins Leben zu finden.

Er hört aufmerksam zu, nickt langsam. Dann sagt er etwas, das mich berührt: „Wenn du auf jeder Reise nur ein, zwei Menschen begegnest und ihnen erzählst, denen dein Schicksal – und wie du damit umgehst – es ihnen hilft, ihr eigenes besser zu meistern, dann tust du schon mehr, als viele je erreichen.“

Beim Abschied umarmen wir uns. Es ist eine dieser Umarmungen, die nicht laut sind, aber lange nachwirken. Ich sage ihm, dass ich mich freue, ihn das nächste Mal wiederzutreffen.

Er lacht – warm, mit einem Augenzwinkern. Dann zeigt er mit der Hand auf die Wiese: „Wenn nicht da drüben auf der Wiese, dann liege ich nebenan.“ Eine kurze Pause. Nebenan ist der Friedhof. „Beides ist ok. Du kannst in jedem Fall mit mir reden!“.

Ein Satz, wie aus dem Leben gegriffen. Ernst und humorvoll zugleich. Und so sehr Camino, wie es nur geht.

Lachend verabschieden wir uns.

Ponferrada – und die Burg der Templer

In Ponferrada besuche ich zum ersten Mal die Burg der Templer. Schon lange hatte ich diesen Ort auf meiner inneren Landkarte markiert – voller Geschichten, Legenden, Erwartungen. Und doch: Irgendwie hatte ich mir mehr erhofft. Vielleicht lag es am Tag. Vielleicht an mir.

Meine Wahrnehmung ist oft gedämpft, wie durch einen Schleier. Ich merke es sofort, wenn zu viele Eindrücke auf mich einwirken. Das Interesse ist da – lebendig und wach. Aber wenn ich dann mitten in der Situation stehe, geht nichts mehr. Der Kopf macht zu.

Früher habe ich versucht, mich zu zwingen. Dabeizubleiben. Durchzuhalten. Heute nicht mehr. Ich weiß inzwischen, wann es genug ist. Was nicht geht, geht einfach nicht – und das ist in Ordnung.

Die Größe der Burg hat mich dennoch beeindruckt. Ihre Mauern, die sich in den Himmel recken, erzählen eine eigene Sprache. Eine, die ich eher spüre als verstehe.

Doch lange bleibe ich nicht. Es zieht mich wieder hinaus – dorthin, wo mein Kopf zur Ruhe kommt. Zwischen Bäumen, im Wald, am Berg. Da, wo nichts erklärt werden muss und keine Schautafel laut wird.

Dort finde ich, was ich brauche: Weite. Luft. Stille.

Obreiro

Der Weg zum Obreiro ist immer wieder schön. Es ist jedes Mal besonders, durch diesen Ort zu gehen und vor den alten Häusern zu stehen. Diese Orte haben etwas – eine Ruhe, eine Geschichte, die spürbar ist, trotz der vielen Menschen dort.

Auch die Kirche dort ist ein Ruhepol. Sie ist die älteste am Camino Frances. und bleibt trotz der vielen Menschen still. Nicht nur ein schönes Bild für das Auge, sondern ein Ort, in dem ich immer wieder gerne stehen bleibe und Ruhe finde.

Sonnenaufgang am Pilgerdenkmal

Früh in Obreiro losgegangen, erreichen mich die ersten Sonnenstrahlen am Pilger-Monument, kurz nach Linares. Ein stiller, bewegender Moment. Solch ein Sonnenaufgang ist für mich immer etwas Besonderes. Denn für mich geht die Sonne seit neun Jahren jeden Tag aufs Neue auf, selbst wenn es regnet.

Es ist ein Dank ans Leben – dafür, dass ich solche Tage noch, oder besser gesagt: wieder erleben darf. Es sind Geschenke, die nicht selbstverständlich sind. Und doch weiß ich: Es bleibt ein täglicher Grenzgang. Immer wieder wird mir das bewusst.

Aber gerade solche Tage geben mir den Sinn zurück. Sie erinnern mich daran, warum ich weitermache. Warum ich an mir arbeite. Diese Arbeit ist kein Hobby. Sie ist mein Lebensprojekt geworden. Ein Full-Time-Job – körperlich, geistig, seelisch.

Ein wichtiger Teil dieser Reise war das Malen von Postkarten – eine Übung, die mir half, meine Feinmotorik zu trainieren. Damals wusste ich noch nicht, welch tiefer Einschnitt mir bevorstand. Nur eine Woche nach meiner Rückkehr aus Spanien erlitt ich ein Posttraumatisches Belastungssyndrom. Für einige Tage war es, als hätte mir der Körper jegliche Feinmotorik genommen. Ein Schock – still, aber gewaltig.

Irgendwann, bei Gelegenheit, werde ich diesem Kapitel einen eigenen Blogbeitrag widmen. Denn es verdient Raum – genau wie das Gehen, das Schweigen und das Wiederfinden.

Triacastela - Sarria - Portomarin

Zurück auf dem Camino. Zunächst liegt alles noch im Nebel. Wie ein Schleier legt er sich über die Landschaft, lässt Formen verschwimmen, Farben verblassen. Die Welt wird weichgezeichnet, fast traumhaft. Es wirkt, als ginge ich durch eine Szene, die nicht ganz von dieser Welt ist.

Ich gehe langsam. Ganz bewusst. Und lasse mir Zeit. Mein Ultra-Light Gepäck unterstützt mich dabei. Keinen Gedanken über das Gewicht.
Den Umweg über Samos nehme ich jedes Mal – nicht, weil er kürzer wäre, im Gegenteil, er ist bis fünfzehn Kilometer länger, sondern weil er schöner ist. Hier zeigt sich das Grün Galiciens von seiner eindrucksvollsten Seite.

Zunächst liegt alles noch im Nebel. Wie ein Schleier legt er sich über die Landschaft, lässt Formen verschwimmen, Farben verblassen. Die Welt wird weichgezeichnet, fast traumhaft. Es wirkt, als ginge ich durch eine Szene, die nicht ganz von dieser Welt ist.

Ab Sarria wird es spürbar voller auf dem Camino.
Mehr Menschen. Mehr Stimmen. Mehr Bewegung.
Der Weg verliert ein wenig von seiner Stille – jener Stille, die mir so viel bedeutet.

Ich meide die größeren Orte. Ziehe stattdessen hinaus aufs Land, dorthin, wo die Herbergen kleiner sind, familiärer.
Dort finde ich, was ich brauche: Ruhe. Raum zum Atmen. Einfache Gespräche oder auch Rückzug.

Der Monte do Gozo – ein letzter Gruß vor dem Ziel

Monte do Gozo – der „Berg der Freude“. Ein Name, der mehr ist als ein geografischer Ort. Nur wenige Kilometer vor Santiago de Compostela erhebt sich dieser sanfte Hügel, fast unscheinbar. Und doch ist er für viele Pilger ein Moment von tiefer Bedeutung.

Hier oben bleibe ich stehen. Denn von diesem Hochplateau aus sieht man sie: die Türme der Kathedrale von Santiago. Ganz klein noch, am Horizont, aber doch schon zum Greifen nah.

Zwei Pilgerstatuen stehen hier, in Bronze gegossen. Sie blicken der Stadt entgegen und erinnern an den heiligen Jakob, an seine Ankunft, und auch an all jene, die auf seinen Spuren unterwegs sind.

Der Monte do Gozo ist für mich mehr als ein Aussichtspunkt. Er ist ein Ort der Verwandlung. Ein letztes Innehalten, bevor man Santiago betritt. Ein Moment, in dem man spürt, dass die Reise nicht mit dem Ankommen endet – sondern dort erst beginnt.

Morgenstille vor der Kathedrale

Es ist ruhig an diesem Morgen, auf meinem Weg zur Kathedrale. Noch liegt ein sanfter Dunst über der Stadt, die Stimmen sind leise, die Schritte langsam. Ich setze mich auf den Platz vor der Kirche, lasse den Blick über das Pflaster schweifen – und denke nach. Über die letzten Tage, über das, was war.

Wieder durfte ich einigen Menschen begegnen. Begegnungen, wie sie nur der Weg schenkt – offen und ehrlich. Und jede einzelne hat mir etwas mitgegeben.

Besonders aber freut mich eines: Meine Knieschmerzen sind weg. Ganz weg.

Ein halbes Jahr lang haben sie mich begleitet – verursacht durch falsche Schuhe, wie sich später herausstellte. Es war ein langer Weg, bis ich sie mir wieder weggegangen bin. Viel Therapie, gezielte Kräftigungsübungen, und vor allem: das konsequente Gehen mit Schuhen, die zu mir passen.

Nachlässigkeit darf sich nicht einschleichen. Denn mit der Muskelschwäche braucht es oft ein Vielfaches an Zeit und Energie, um kleinste Fehler wieder auszubügeln. Diese Erfahrung habe ich mittlerweile oft genug gemacht. Und ich habe gelernt, geduldig zu bleiben – auch wenn es mir nicht immer leichtfällt. Besonders aufmerksam bin ich bei meiner Schuhwahl geworden. Denn ich weiß inzwischen: Schon kleinste Veränderungen können große Auswirkungen haben.

Darum fiel meine Entscheidung ganz bewusst auf Ultra-Light – um den Fokus auf das Wesentliche zu legen: auf die Beine, auf das Gehen, auf mich. Mein Körper, meine Sehnen und Muskeln sind nach wie vor empfindlich, fragil. Jeder Schritt zählt. Und jeder Schritt will gut vorbereitet sein.

Leben zu lernen bedeutet manchmal, Umwege zu gehen. Versuch und Irrtum. Immer wieder. Bis etwas passt.

Diese zwei Wochen waren wieder ein Stück davon. Ein weiterer kleiner Baustein – auf meinem Weg ins Leben.

2019 und 2025

schon 2019 Light unterwegs, aber nicht Ultra-Light.

Sechs Jahre liegen zwischen diesen beiden Bildern – aufgenommen kurz vor Santiago. Wenn ich sie heute betrachte, wird mir bewusst, wie weit ich seitdem gekommen bin. Ich durfte Dinge erleben und erreichen, die mir vor neun Jahren unvorstellbar erschienen. Auch damals war ich light unterwegs, aber noch nicht Ultra-Light.

Und doch gibt es nach wie vor Defizite. Sie sind nach außen kaum erkennbar, aber sie begleiten mich täglich und fordern mich auf eine Weise, die man kaum sieht – nur ich spüre sie.

Das wenige und minimalistische Ultra-Light Gepäck hat sich bewährt. Trotz der manchmal kalten Bedingungen habe ich nie gefroren und es hat mir an nichts gefehlt. Es hat gut getan, mit so wenig unterwegs gewesen zu sein. Dazu konnte ich wertvolle Erkenntnisse für meine zukünftigen Weitwanderwege gewinnen, auf meinem Ultra-Light Camino.


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Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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