Therapie oder Leben am Camino del Norte

21. Juni 2019
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3 Minuten Lesezeit

Das Gehen wurde für mich zur Leidenschaft. Ich kann die Rehabilitation und das Leben lernen nirgends sonst so gut kombinieren wie hier am Camino. Therapie und Leben in einem.

Der Camino del Norte ist sehr anspruchsvoll. Das ewige Auf und Ab fordert mich doch mehr als angenommen, aber ich lasse mir Zeit und genieße jeden Meter.

Therapie am Camino Norte

Mein Tagesablauf

Es ist hier anders, als am Camino France. Ich stehe schon sehr früh auf, was bei den meisten Mitpilgern nicht der Fall ist. Am liebsten bin ich ab halb Sieben auf dem Weg.

Ich bin dann alleine und genieße den Morgenaufgang. Die Vögel singen und das schönste Lichtspiel beginnt am Morgen. Allerdings sind die Abstände von der Herberge zur nächsten Bar oft weit. Erst spät am Vormittag komme ich so zu meinem Frühstückskaffee.

Am Camino Frances war ich es gewohnt, im nächsten Dorf etwas zu bekommen. Hier bin ich gefordert, viele Kilometer vorher zu gehen, ehe ich eine offene Bar finde.

Schäghang
Schräghang Querungen am Weg

Der Vorrat 

Ein kleines Stück Salami, Brot, eventuell Oliven und Schokolade lassen mich über den Tag kommen. Damit ist oft auch mein Abendessen abgedeckt. Ich benötige überraschend wenig zum Essen.

Überhaupt reicht mir das Essen aus, dass ich über den Tag zu mir nehme. Es gibt einmal täglich Kaffee mit Tortillas und immer wieder dazwischen kleinere Snacks. Das aufwendige Pilgermenü erspare ich mir meistens.

Therapie oder Leben

Ich möchte ja wieder Leben lernen, bisher bestand es allerdings ausschließlich aus Therapie. Es ist nicht einfach zwischen Leben und Therapie zu unterscheiden, wenn ich bei allem, was ich tue, mich behindert fühle.

Ich muss schon zu lange in allem von vorne anfangen. Jede kleinste Tätigkeit möchte erst erlernt und verbessert werden. Und das hört noch lange nicht auf. Deshalb ist es wichtig, auch wieder leben zu lernen.

Meine Defizite sind sehr vielfältig. Von der Bewegung bis zum Denken ist alles dabei. Leben oder Therapie, es ist eigentlich nur ein kleiner Gedankenunterschied. Es ist aber oft nicht leicht, dahingehend umzuschalten, vom Therapiegedanken wieder ins Leben zu kommen.

Zu sehr sind die Gedanken noch bei der Bewegung, ja, bei jedem einzelnen Muskel. Die Automatik möchte ich verbessern, deshalb ist es auch so schwer ins Leben zu kommen.

Auf und Ab

Der Weg ist weit anspruchsvoller, als am Camino Frances. Die steilen Anstiege machen ihn so viel schwerer, besonders für mich.

Das Gehen bekommt hier eine neue Dimension. Ich tue mich bergauf besonders schwer, hinzu kommt das Austarieren des Körpers, denn jede Änderung des Neigungswinkel erfordert ein Umpositionieren. Komme ich nach einer längeren Bergauf Phase ins Flache, gehe ich fast torkelnd, weil ich die Ebene nicht gewöhnt bin. Ich brauche einige Zeit, bis sich der Gleichgewichtssinn einzustellen beginnt.

So kommen viele Reize hinzu, an die ich mich nur langsam gewöhne. Das Ausrichten soll schneller und vor allem automatischer gehen. Im Moment kann alles nur bewusst geschehen, das macht es anstrengend, mich immer wieder neu auszurichten.

Therapie am Weg, Berggehen

Das Meer und die Berge sind meine Therapie

So viel ich hier übe und trainiere, so sehr bin ich auch fasziniert von der Landschaft und den Menschen. Das Meer und die Berge so nahe zusehen, tut gut. Gerade die Natur brauche ich besonders, darum genieße ich jeden Meter.

Es führt oft nahe am Meer entlang, wo man sich Angesicht der Landschaft fast wie auf einer Alm wähnt. Dabei sind sie gar nicht so weit entfernt, die bis zu 2000 Meter hohen Berge, einige davon noch mit Schnee bedeckt.

Meer

So kämpfe ich mich eine Steigung nach der anderen am Limit hoch, aber die traumhafte Umgebung entschädigt für die Anstrengung.

Also Therapie und Leben in einem!


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Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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